Welt-AIDS-Tag – Ein Interview mit David Koch aus der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit in Münster
Written by Redaktion on 1. Dezember 2025
Jedes Jahr findet am 1. Dezember der Welt-AIDS-Tag statt. Dabei handelt es sich um den wichtigsten Gedenk-und Aktionstag bezüglich HIV und AIDS, der im Jahr 1987 von den Journalisten James W. Bunn und Thomas Netter, beides seinerzeit Öffentlichkeitsbeauftragte des Globalen Aids-Programms der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization – WHO) in Genf, ins Leben gerufen und seit 1988 gefeiert. Dabei ist es wichtig, zwischen HIV und AIDS zu unterscheiden: Bei HIV handelt es sich um das Virus und mit AIDS wird die Symptomkombination bezeichnet, welche durch eine HIV-Infektion ausgelöst wird.
Doch wie ergeht es Menschen, die mit einer HIV-Infektion leben? Was für Angebote gibt es und welche Angebote haben die Menschen hier in Münster? Radio Q-Reporterin Luise Hartmann war bei der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit vom Aidshilfe Münster e.V. und hat mit David Koch gesprochen.
Luise Hartmann
Hallo David! Vielleicht magst du dich ja einmal selbst vorstellen und erzählen, was du hier in der Fachstelle genau tust.
David Koch
Ich bin David Koch. Ich bin Psychologe und systemischer Berater und arbeite seit viereinhalb Jahren hier in der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit. Ich mache hier vor allem Beratungen für Menschen mit HIV und koordiniere ein Testprojekt zum Testen von HIV, aber auch Syphilis, Gonorrhoe und Chlamydien. Ich gebe Fortbildungen zum Thema HIV in der Pflege und berate auch alle möglichen Menschen, die Fragen und Anliegen haben zum Thema sexuelle Gesundheit.
Luise Hartmann
Was sind die entscheidenden Punkte für dich, wieso dich das Thema sexuelle Gesundheit begeistert?
David Koch
Es ist immer noch ein Tabuthema, das aber eigentlich uns alle bewegt. Also eigentlich fast alle Menschen leben irgendeine Art von Sexualität, die natürlich sehr vielfältig sein kann. Und gleichzeitig ist es immer noch etwas, worüber wenig gesprochen wird. Insbesondere, wenn es dann eben um das Thema HIV oder andere sexuell übertragbare Infektionen geht, ist es etwas, was immer noch sehr stigmatisiert ist.
Wir wollen einen selbstverständlicheren Umgang mit dem Thema fördern und Menschen darüber informieren, denn ich sehe da eine große Leerstelle.
Luise Hartmann
Das heißt, was sind eure Tätigkeiten und Angebote hier an der Fachstelle?
David Koch
Beratung einerseits für Menschen mit HIV und andererseits für Menschen, die irgendwelche Anliegen haben rund um das Thema sexuelle Gesundheit. Und wir machen auch öffentlichkeitswirksame Aktionen dazu. Es geht nicht nur darum, einzelne Personen zu beraten, sondern auch die Gesellschaft ein bisschen aufzuklären. Das machen wir aus dem Grund des Diskriminierungs- und Stigmaabbaus.
Luise Hartmann
Kannst du ein paar konkrete Beispiele geben?
David Koch
Wir machen zum Beispiel Fortbildungen in dem Bereich für Fachkräfte. Also zum Beispiel im Hebammenberuf, für Pflegekräfte und verschiedene Medizinstudierende. Wir machen Präventionsaktionen da, wo Sexualität gelebt wird, zum Beispiel auf Partys. Zwei Kollegen von mir gehen auch in Schulen und machen da Sexualaufklärung für Schülerinnen und Schüler. Da geht es auch um HIV, aber auch um so Themen wie das erste Mal und Schwangerschaft oder Verhütung.
Wir beraten auch trans*, nicht-binäre und inter* Personen zum Thema Transition und Geschlecht. Und wir beraten Regenbogenfamilien, also queere Menschen mit entweder Kindern oder einem Kinderwunsch, zu ganz vielen Themen rund um rechtliche und biologische Fragen, rund um das Thema Kinderkriegen und solche Dinge. Auch haben wir Selbsthilfegruppen für Menschen mit HIV.
Luise Hartmann
Das klingt sehr spannend. Wenn Ihr jetzt hier arbeitet: Was sind denn sehr häufige Fälle, die hier auftauchen?
David Koch
Es ist sehr breit gefächert. Also bei Menschen mit HIV würde ich sagen, dass wir einerseits den Fall haben, dass das Menschen sind, die zwar auch HIV-positiv sind, aber eigentlich große Problemlagen woanders haben. Das können zum Beispiel asylrechtliche Sachen sein, also Menschen mit HIV, die die Sorge haben, abgeschoben zu werden in Herkunftsländern, wo die HIV-Versorgung nicht gut funktioniert. Oder, da Menschen mit HIV einfach mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch LGBTQIA+-Personen sind: Die haben dann auch Angst, abgeschoben zu werden aufgrund von Stigmatisierung in bestimmten Herkunftsländern. Sie suchen dann Rat oder kommen eben für sozialrechtliche Fragen.
Luise Hartmann
Und was erleben betroffene Menschen ohne oder neben den existenziellen Problemen?
David Koch
Häufig erleben Menschen mit HIV Diskriminierung. Sie berichten darüber, dass sie im näheren Umfeld ausgestoßen oder gemieden werden. Oder dass auf der Arbeit rausgekommen ist, dass sie HIV-positiv sind und sie dann ihren Job los sind. Was auch häufig vorkommt, ist Diskriminierung im Gesundheitswesen. Also, dass sie zum Beispiel von ihren Ärzten oder Ärztinnen immer nur den letzten Behandlungstermin des Tages oder gar keine Gesundheitsleistungen bekommen. Das sind bei Menschen mit HIV einfach Dinge, die häufig vorkommen.
Luise Hartmann
Es scheint, als haben viele falsche Vorstellungen davon, wie HIV also übertragen werden kann. Wie kann denn nun HIV tatsächlich übertragen werden?
David Koch
Also es gibt zwei Fälle: Menschen mit HIV, die nicht wissen, dass sie HIV haben und deswegen auch keine Medikamente nehmen. Von diesen Personen gibt es schätzungsweise so 9000 in Deutschland. In so einem Fall kann Übertragung nur beim ungeschützten Vaginal- oder Analsex passieren, wenn Menschen intravenös Drogen gebrauchen, also wenn man Spritzenbesteck teilt oder wenn jemand schwanger ist, ein Kind bekommt und dann bei der Geburt oder beim Stillen eine Übertragung stattfindet. Das sind diese drei Möglichkeiten. Bei allem anderen, was man sich vorstellen kann, gibt es keine Übertragung.
Wenn wir uns dann die große Mehrheit der Menschen mit HIV anschauen, die wissen, dass sie HIV-positiv sind, Medikamente nehmen und diese bei denen gut funktionieren, dann gibt es gar keine Möglichkeit, das zu übertragen.
Luise Hartmann
Und wie genau kann man dann herausfinden, ob man HIV-positiv ist?
David Koch
Bei den HIV-Tests gibt es zwei Möglichkeiten: Einmal einen HIV-Schnelltest, den man auch als Selbsttest für so 20, 30 Euro in Apotheken kaufen und bei sich zu Hause oder kostenlos bei uns in der Fachstelle machen kann. Da bekommt man einen Pieks in den Finger und ein, zwei, drei Blutstropfen dann auf eine Testkassette gegeben. Das sieht im Grunde genauso aus wie ein Corona-Schnelltest, nur dass es mit Blut stattfindet. Man wartet dann zehn Minuten und liest einfach das Ergebnis ab. Damit dieser Test aber ganz sicher ist, wenn er “HIV-negativ” oder “kein HIV” anzeigt, muss zum Beispiel der Sexkontakt, um den es geht, mindestens zwölf Wochen her sein. Sonst ist es zu früh mit so einem Schnelltest.
Die andere Möglichkeit ist ein HIV-Labortest. Den kann man zum Beispiel in Münster beim Gesundheitsamt machen. Den können Männer, die Sex mit Männern haben und trans* und nichtbinäre Personen auch bei uns einmal im Monat machen. Bei dem ist es so, dass man Blut abgenommen bekommt, das ins Labor geschickt wird. Dadurch ist es so, dass man bereits nach sechs Wochen schon ein sicheres Ergebnis hat.
Luise Hartmann
Das heißt so im Großen und Ganzen gibt mir eigentlich nur der Test einen Hinweis darauf, ob ich HIV-positiv bin oder nicht?
David Koch
Genau. Der Test ist die einzige klare Möglichkeit. Wenn es zu einer Übertragung kam, zum Beispiel bei einem Sexkontakt, dann ist es häufig so, dass man ein, zwei Wochen danach Erkältungssymptome hat, Grippesymptome wie Fieber, Abgeschlagenheit. Bloß das fühlt sich dann auch genauso an wie eine Grippe, eine Erkältung oder Corona.
Luise Hartmann
Wie wichtig ist es denn, dass man sich testet? Und wie oft sollte man sich am besten testen?
David Koch
Man sollte sich einfach testen, denn nach diesen Grippesymptomen nach den ersten Wochen, merkt man erst mal lange Zeit gar nichts davon, dass man HIV hat. Das heißt: Man hat keine Symptome, aber das Immunsystem wird trotzdem immer weiter geschwächt. Das kann Monate oder Jahre lang so gehen und man kommt häufig nicht auf HIV. Und das führt dazu, dass immer noch ungefähr ein Drittel der HIV-Infektionen erst in einem sehr späten Stadium entdeckt werden, wenn das Immunsystem schon stark geschwächt ist oder Leute sogar schon sehr schwere Folgeerkrankungen haben.
Deswegen: Wenn man wechselnde Sexpartner und Sexpartnerinnen hat und vielleicht auch ungeschützt mal Sex hat, dann kann es Sinn machen, ein, zwei Mal pro Jahr so einen HIV-Test zu machen. Dann ist man auf der sicheren Seite.
Luise Hartmann
Und dann spricht man von AIDS?
David Koch
Ja genau. Manche Leute glauben, HIV und AIDS ist das Gleiche, aber eigentlich ist HIV das Virus. Wenn man es hat, ist es eine HIV-Infektion, die kann auch gut behandelt sein und dann ist man halt HIV-positiv, aber hat sonst ein gesundes Leben. Und nur, wenn man es lange nicht behandelt und es zu diesen sehr schweren Folgeerkrankungen kommt, dann spricht man von AIDS. Aber in dieser ganzen Phase davor spricht nichts eindeutig für HIV.
Luise Hartmann
Und wenn ich jetzt einen Test machen würde und der würde jetzt positiv ausfallen: Was würde mich dann als HIV-positive Person erwarten?
David Koch
Dann wäre es gut, einen Termin zu machen bei einem HIV-Schwerpunktarzt oder -ärztin. Da sind wir in einer relativ luxuriösen Situation noch in Münster, weil wir gemessen an der Größe der Stadt eigentlich recht viele HIV-Behandler hier haben, wenn man das mit anderen Städten vergleicht.
Es würde nochmal ein Test gemacht werden, um zu schauen wie viel Virus im Körper vorliegt. Dann würde man HIV-Medikamente bekommen und mit der Behandlung anfangen. Die sieht so aus, dass man heute eine Tablette am Tag nimmt. Die hat die ersten Wochen vielleicht Nebenwirkungen wie Übelkeitsgefühle. Die allermeisten Menschen mit HIV haben aber nach kürzester Zeit keine Nebenwirkungen mehr und merken dann gar nicht mehr, dass sie HIV-positiv sind. Es ist dann so wenig Virus im Körper, dass man es nicht mehr übertragen kann und dass es keine gesundheitlichen Schäden mehr anrichtet. Für eine chronische Erkrankung muss es einen also rein medizinisch im Alltag überhaupt nicht einschränken.
Luise Hartmann
Mit welchen anderen Einschränkungen werden denn HIV-positive Menschen konfrontiert?
David Koch
Die großen Einschränkungen, die es dann gibt, sind eben soziale Einschränkungen. Das heißt, wenn Menschen gerade eine Diagnose bekommen, ist die medizinische Versorgung das eine Thema und das andere Thema ist die Frage: Wer muss das jetzt wissen? Muss ich das geheim halten? Wie spreche ich das in meiner Partnerschaft, unter meinen Freunden und meiner Familie an? Was ist, wenn mein Arbeitgeber das herausfindet? All diese Fragen.
Luise Hartmann
Wir von Radio Q sind ja ein Uniradio, d.h. wir informieren hier die Studierenden in Münster und in Steinfurt. Was würdest Du gerne den Studierenden hier und in Steinfurt gerne zu diesem Thema mitgeben wollen?
David Koch
Ich würde gerne mitgeben, dass es gut ist, über HIV zu reden. Das hilft zum einen Menschen mit HIV, wenn andere Menschen aufgeklärt sind. Wenn sie keine unnötigen Berührungsängste haben: Das hilft eben gegen diese Stigmatisierung. Das heißt, es ist erst mal für all diese Menschen gut. Es ist aber auch für einen selber gut, denn je mehr man darüber redet und das als einen selbstverständlichen Teil von Sexualität akzeptiert, desto leichter fällt es einem auch selbst zum Beispiel mal einen Test zu machen. Oder in einer neuen Partnerschaft das anzusprechen: “Hey, hast du eigentlich mal einen HIV-Test gemacht? Wollen wir mal einen machen?” Und wenn man das Gefühl hat, irgendwie ist das ein Thema, da will ich nicht so gerne drüber reden, da habe ich Angst davor: Dann ist es gerade gut, sich damit auseinanderzusetzen. Das kann auch sehr befreiend sein.
Luise Hartmann
Super! Vielen Dank für deine ausführlichen Antworten. Ich hoffe, du hast dich wohl gefühlt.