Roskilde Festival 2025 – Ein Nachbericht
Written by Sam Höfers, Anika Hagen on 23. Juli 2025
Kopenhagen ist ganz schön weit weg von Münster. Theoretisch war uns das bewusst, aber nach 9 Stunden Zug (inklusive Verspätung natürlich) und einem Bus ist das Wissen auch in unseren Knochen angekommen. Das Ziel unserer Reise in den Norden hat uns den langen Weg aber sofort wieder vergessen lassen, denn die Belohnung dafür waren vier Tage auf dem Roskilde Festival in Dänemark.

Eigentlich ist Roskilde eine dänische Stadt, 20 Zugminuten von Kopenhagen entfernt und misst mit ungefähr 50.000 Einwohner*innen nur knapp ein Sechstel von Münster. Trotzdem wächst die Stadt jedes Jahr zum Roskilde Festival um ein Vielfaches und wird für eine Woche die viertgrößte Stadt in Dänemark. Rund 130.000 Menschen besuchen und arbeiten jedes Jahr für das Festival und machen es damit zu einem der größten in Europa. Der Ticketpreis ist mit 341 € (2500 DKK) im Vergleich zu anderen Festivals eher hoch, aber dafür bekommt man auch ganze sieben Tage Programm.






Das wahrscheinlich Wichtigste zuerst: abgesehen von ein paar technischen Schwierigkeiten, hat uns jede Show, die wir gesehen haben, musikalisch überzeugt. Oft wurden die Künstler*innen auch von ihren Tanzcrews vor eindrucksvollen Bühnenbildern begleitet. Insgesamt hatten die Künstler*innen und das Publikum richtig Bock, was die super Stimmung bei jedem Auftritt spürbar gemacht hat.
Im Line-up sind Acts aus Dänemark und Skandinavien auf internationale Stars wie Olivia Rodrigo, Charli XCX, Doechii, Fontaines D.C., Tyla, und viele mehr getroffen. Auf den acht Bühnen sind insgesamt 185 Künstler*innen aufgetreten, die Genrevielfalt reichte von Hyper-Pop bis Metal. Stormzy ist nicht so euer Ding? Kein Problem, eine Bühne weiter gibt es Hardcore von Knocked Loose oder ihr geht noch eine Bühne weiter zum DJ Set von Paydar. So war wirklich immer für jede*n was dabei, egal, ob man zufällig in das Set gestolpert ist oder wie einige Fans fünf Stunden für die erste Reihe bei Olivia Rodrigo angestanden hat. Die vier Tage Festival haben uns so viele Eindrücke geliefert, dass wir euch hier ein paar unserer absoluten Highlights in no particular order präsentieren:
Lola Young war am Vortag noch bei Rock Werchter in Belgien und hat darüber gesprochen, wie hart der Festival-Sommer und das Tourleben für die eigene mentale Gesundheit sein kann. In Dänemark hat man ihr davon nichts mehr angemerkt. Sie hat mit ihrer bloßen Präsenz und ihren Vocals die gesamte Bühne eingenommen und nebenbei bescheiden angemerkt, wie surreal es für sie ist, mit „Messy“ einen der gerade weltweit bekanntesten Songs veröffentlicht zu haben. Lolas Auftritt war durch und durch authentisch, umso sympathischer war sie, als sie der Menge erklärt hat, dass sie mit ihrem Handy ein Video für Social Media machen müsse, auch, wenn ihr das etwas unangenehm sei.

Es ist immer wieder schön, wie derselbe Song so viele unterschiedliche Menschen begeistern kann. Bei Wet Leg ist uns das besonders aufgefallen, als zwei ü50 Männer, die sich lauthals „I went to school and I got the big D“ gegenseitig ins Gesicht gesungen haben. Im Song „Ur Mom“ ließ die Sängerin die Leute so laut schreien, wie sie nur können. Da mussten sich selbst die Security-Menschen kurz die Ohren zu halten. Einer von ihnen war besonders gut drauf und hat bei jedem Song mitgetanzt und zwischendurch immer wieder Leuten Wasser angeboten. Ein weiterer Security-Mann hat Anika einen High-Five gegeben, als sie zum Showbeginn schnell durch die Einlassschleuse gelaufen ist. Die Stimmung war also nicht nur in der Menge super, sondern auch bei den Freiwilligen.

Charli XCX sagt brat summer „is a forever thing xx“. Der Regen hat der guten Stimmung nichts genommen und die Blitze waren ein perfekter Hintergrund für die One-Woman-Show. Auf der riesigen Bühne hatte Charli das Publikum voll unter Kontrolle und es wirkte so, als wäre das genau der Ort, wo die Songs hingehören: in ein riesiges Soundsystem, in dem der Bass zu einer physischen Welle wird. Auch die Tanzmoves wirkten sehr durchgeplant, wodurch die Aufnahmen auf den großen Bildschirmen neben der Bühne teilweise aussahen, als wären sie direkt aus einem Musikvideo entsprungen. Worüber sich Anika besonders gefreut hat, war ein Überraschungsgast für den Apple Dance. Für fast jedes Konzert sucht sich Charli eine mal mehr, mal weniger berühmte Person, die den Tanz im Bühnengraben mitmacht. Bei uns war das der Musiker Conan Gray.
Neben unseren Highlights, auf die wir uns schon im Voraus gefreut haben, war Magdalena Bay eine eher spontane Überraschung. Wir sind ganz ohne Erwartungen in das Konzertzelt gewandert und haben dafür eine Reise durch ihr Sci-Fi Konzept-Album „Imaginal Disk“ bekommen. Mit spacey Pappmaché-Figuren im Hintergrund und mehreren Kostümwechseln hat uns die Band durch alle Songs des Albums mitgenommen, wobei einige ein rockiges Make-Over durch extra Drum Solos und Gitarren Outros bekommen haben.

Wir waren sehr gespannt, wie ein Ikkimel Konzert in Dänemark abläuft, aber die Sprachbarriere schien kein großes Problem zu sein. Die wichtigsten Infos hat sie auf Englisch verkündet, zum Beispiel: „This song is about my ass“ und einige Dän*innen haben ihre Deutschkenntnisse unter Beweis gestellt, in dem sie ihre Lieblingsvokabel in die Menge schrien: „Fotze“, „Geil“ und „Scheiße“. Ganz unter diesem Motto ging es in den Moshpits dementsprechend mit viel Gerämpel und Gegröle ziemlich wild her. Eine technische Störung gab es auch, sodass für ein paar Minuten Pause war, aber die Zeit würde gut überbrückt mit einer Runde Sekt für die erste Reihe von Ikki.

Während einige Festivals versuchen, eine von der Realität abgeschnittene Spaßwelt zu erschaffen, wirkt die politische Realität bei Roskilde nie ganz weit weg. Das ganze Festival lebt durch Freiwilligenarbeit, der gesamte erwirtschaftete Gewinn wird an gemeinnützige Organisationen gespendet. Das alleine könnte man als politisch interpretieren, aber auch bei den musikalischen Auftritten war die globale politische Situation dieses Jahr sehr präsent. Lucy Dacus hat einen Monolog über trans- und LGBTQ-Rechte in den USA und dem Rest der Welt gehalten, die Lambrini Girls haben gegen alles von Trump bis J. K. Rowling geschossen und Saint Levante spricht über den Krieg in Gaza.

Die größte der Bühnen nutzten Fontaines D.C.. Nachdem sie ohne Begrüßung durch ihr Set rasten, brachten sie gegen Ende eine Gruppe von Aktivist*innen auf die Bühne. Unter ihnen waren Greta Thunberg, Chris Kebbon und Aktivist*innen aus Dänemark. Zusammen mit einem Sarg trugen sie Forderungen für den Frieden in Gaza mit auf die Bühne und leiteten die Menge in Parolen auf Englisch und Arabisch an. Am Ende solidarisierten sie sich noch mit dem irischen Trio Kneecap und britischen Duo Bob Vylan, die nach ihren Auftritten beim Glastonbury Festival ein paar Tage zuvor für Israelkritik in rechtliche Schwierigkeiten geraten waren.
Vor Ort hatten wir das Gefühl, als würde das ganze Publikum hinter Fontaines stehen, im Nachhinein wurde aber auch Kritik sichtbar. Laut dänischen Medien wurde sogar die Polizei kontaktiert, aber bis jetzt haben sich daraus keine Ermittlungen ergeben. Auch das Festival hat mit einem Statement reagiert, in dem sie betonen, dass der Auftritt im Rahmen von Kunst- und Meinungsfreiheit geblieben ist und Roskilde keine Hassrede, Diskriminierung oder Aufrufe zu Gewalt toleriert.
“These messages did not cross our boundaries for what we accept as artistic and political freedom of expression. […] Roskilde Festival does not permit hate speech, discrimination, or incitement to violence on our stages, among our audience, or in any of our communities.”
– Roskilde Festival

Während eines Festivalkonzerts ist zwar nicht viel Platz für Nuancen und tiefe politische Analysen, aber es wirkte auch nicht so, als wäre das das Ziel der Band. Es ging ihnen vor allem darum, Aufmerksamkeit zu lenken und ein Zeichen von Unterstützung zu setzen. Gegen den Krieg in Gaza, aber auch gegen die Zensur von Meinungsfreiheit.
Neben der MusikNeben den Bühnen und den Konzerten gab es noch eine ganze Menge mehr auf dem Gelände zu entdecken. Der Bereich mit den Bühnen war von Zeltplätzen umzingelt, auf denen vormittags die verschiedensten Dinge passiert sind. Es gab einen Skatepark, Badesee, Kräutergarten und mehrere Rückzugsorte, um dem Festivalchaos zu entkommen. Ein Spaziergang durch die Camps lohnt sich also auf jeden Fall, wir sind immer wieder in interessante Events oder Aktivitäten gestolpert. Natürlich gab es auch Wasser, Toiletten und Duschstationen in regelmäßigen Abständen. Außerdem gab es an einigen Stationen Tamponspender, davon könnten sich auch die deutschen Festivals eine Scheibe abschneiden.


Die Campingplätze waren in Villages organisiert, sodass man sich im Vorhinein aussuchen konnte, welche Art von Camping-Erfahrung man haben möchte. Es gab separate Bereiche, in denen es nachts ruhiger war oder welche, in denen besondere Kennenlernaktionen organisiert wurden, zum Beispiel durch gemeinsames Essen. Zusätzlich bestand die Möglichkeit, besondere Bedürfnisse anzumelden, wie etwa ein Stromanschluss für medizinische Geräte, um das Festival und auch das Camping für die Besucher*innen so barrierefrei wie möglich zu gestalten.


Im Laufe der Tage haben wir aber auch gesehen, wie die Campingplätze und auch das Hauptgelände immer apokalyptischer aussahen. Der Wind hat einige Zelte zerstört und gegen Ende musste man mit jedem Schritt Müll auf dem Boden ausweichen. Obwohl viel Fokus auf Mülltrennung gelegt wurde und auch viele Menschen Müll eingesammelt haben, war er doch sehr präsent. Wie fast alle Aspekte des Festivals wurde auch das Pfand und Müll einsammeln von Freiwilligen übernommen. Dafür standen allen Freiwilligen aber auch gesonderte Campingplätze und das Freiwilligen Village mit günstigerem Essen sowie kostenfreien Getränken zur Verfügung. Dazu erhielten die Freiwilligen Essens- und Getränkegutscheine und natürlich konnten sie das Festival außerhalb von ihrer Arbeitszeit genießen. Es gibt unter dieser großen Anzahl an Freiwilligen auch einige internationale, die die Reise nach Dänemark auf sich nehmen.


Beitragsbild: Malthe Ivarsson