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Geht nicht, gibt’s nicht!

Geschrieben von am 13. September 2023

Elke van Engelen möchte 2024 bei den Paralympics in Paris antreten, Mathias Mester hat bereits die Silbermedaille – Radio Q-Reporterin Svenja Friedrichs konnte mit beiden über ihre Erfahrungen und Hoffnungen sprechen.

Es ist 18:04 Uhr. Elke van Engelen sitzt im Auto, auf dem Weg von Amsterdam zur Fähre in Calais, als sie in das Videotelefonat kommt. Die Sonne scheint in das ruckelnde Auto hinein, ihre blonden Haare trägt sie in einem Zopf, am Kinn und an der Stirn hat sie ein paar kleine Kratzer. Sie ist unterwegs, denn in Swansea findet die nächste World Triathlon Para-Serie statt. Sie kommt frisch aus der letzten WPS, die in Montreal, Kanada war. Dort lief es für sie nicht so wie erwartet: sie erzählt von Problemen mit der Prothese, sie ist herausgefallen, daher stammen auch die Schürfwunden im Gesicht. Trotzdem radelte sie die schnellste Zeit. Am Ende fehlten jedoch 14 Sekunden zum erhofften Podiumsplatz. 

Ihr Ehemann sitzt am Steuer, zwischendurch gibt es Überlegungen, wo sie am Besten langfahren. Ihr Mann, erzählt sie, sei nicht nur ihre größte Stütze, sondern auch ihr Trainer, Physiotherapeut, Motivator und eine große Hilfe bei der Organisation. Wie wichtig vor allem diese ist, wird schnell deutlich. Die 56-jährige Athletin ist gelernte Zahnärztin und leitet eine eigene Praxis. Genauso wie im Sport gibt sie dort auch 100%. “So wie alle anderen habe ich meine vorgeschriebenen Urlaubstage, die werden dann für Wettkämpfe verwendet”, erzählt die mehrfache deutsche Meisterin.

Das große Ziel ist immer im Auge: die Paralympics 2024 in Paris. Trotzdem gibt sie ganz offen zu: “Die Praxis ist meine Nummer eins.”.

Bereits für die letzten Sommerspiele 2021 in Tokio versuchte sie sich zu qualifizieren. Am Ende war sie Zehnte und verpasste die Qualifikation um einen Platz. Das große Problem war jedoch, dass ihre eigentliche Startklasse, die PTS4 (mäßige Bewegungseinschränkungen), damals noch nicht dabei war und sie deshalb für eine leichtere Klasse antreten musste. Im kommenden Jahr ist es jedoch anders: “Nach Tokio wurden die Startklassen neu vergeben und meine Klasse ist jetzt dabei, damit war ich auch plötzlich im Olympiakader und Platz 2 meiner Klasse im Worldranking. Das war erstmal so ein Aha-Effekt.”, erinnert sie sich.

Zum Triathlon ist sie mit über 40 Jahren vergleichsweise spät gekommen. Von Haus aus war Elke van Engelen Läuferin und Radfahrerin, Schwimmen musste sie später dazulernen. Das Ganze habe sich dadurch aufgebaut, dass sie und ihr Mann nach einem Sport suchten, den sie gemeinsam in ihrer Freizeit betreiben können. Ihr persönlicher Schlüsselmoment war dann auf einer Feier, auf der ein Freund ihr vorschlug, sie solle am Jedermann-Triathlon teilnehmen. “Er meinte: ‘Naja, du kannst doch Brustschwimmen’ und dann hab ich das einfach mal gemacht.”. 

Foto: Elke van Engelen – beim Testevent World Triathlon Para Cup in Paris am 18. August 2023

Ihr Leben wurde auf den Kopf gestellt nachdem ihr, aufgrund eines Knochentumors in 2016, ein Unterschenkel amputiert werden musste. Sie musste danach alles wieder neu lernen. Sie sagt, dass sie einfach das, was sie im Leben gerne gemacht hat, weiter machen wollte. “Ich möchte nicht mein altes Leben zurück.”, erklärt sie, “Wenn einer meiner Patienten einen Zahn verliert, dann gibt es eine Zahnprothese, wenn mein Bein also fehlt, bekomme ich auch eine Prothese und mache dann alles so gut es eben geht.”. 

Ich möchte nicht mein altes Leben zurück.

– Elke van Engelen

Ihre sportlichen Erfolge zeigen, dass dies mehr als gut funktioniert. Sie benötigt jedoch spezielle Sportprothesen für die verschiedenen Disziplinen – Schwimmen, Radfahren und Laufen. Ihre “Formel 1” – Prothese stammt aus Münster. Von der Tochterfirma des UKM, der UKM ProTec. Sebastian Bährtel, der Geschäftsführer kann sich noch gut an van Engelen erinnern: “Ich glaube, dass jemand wie sie eine große Chance hat dort vorne mit dabei zu sein, weil gerade sie eine unfassbare Willenskraft hat.” 

Er betont aber, dass eine Prothese aus einem Menschen keine “Supersportler” machen kann, die Top-Sportler*innen haben ein klares Ziel vor Augen und geben dafür alles. 

Die Prothese, die sie zum Laufen nutzt, ist so konzipiert, dass sie beim Sportmachen das Maximum, dass von der Biomechanik und von der entstehenden Energie transferiert wird, nutzt damit sie so schnell sein kann wie es nur geht. Dabei wird die Prothese genau auf die jeweiligen Patient*innen angepasst. 

Ein paar Tage später spricht ein weiterer Sportler über seine Erfahrungen und seiner Zeit als Para-Olympionik. Mathias Mester ist für viele Deutsche kein Unbekannter. Der 36-Jährige ist vor vielen Jahren eher zufällig in der Leichtathletik gelandet. Bei einem Probetraining in Leverkusen wurde ihm ein Speer in die Hand gedrückt und er stellte sich nicht ungeschickt damit an: Seine darauffolgende Profikarriere erstreckte sich über zwei Jahrzehnte. Neben mehreren Welt- und Europameister-Titeln und Weltrekorden ist die Paralympische Silbermedaille, die er 2008 in Peking erhielt, sein größter sportlicher Erfolg. Er erinnert sich aber auch an kleinere Momente, die für ihn besonders waren: An einem letzten Wurf motivierte er das Publikum mit ihm zu klatschen, „auf einmal wurde ich oben auf der Anzeigetafel eingeblendet. Und dann haben 80.000 Menschen mitgeklatscht. Das hat mich natürlich getragen und das war dann der weiteste Wurf.“

Foto: Studio Ignatov

Im Jahr 2021 beendete er seine aktive Karriere. Ein Jahr später, im Rahmen der RTL Sendung Let’s Dance hat er dann das Tanzbein geschwungen. Er wollte die Leute begeistern und sie davon überzeugen, dass jeder Mensch tanzen kann. “Ich glaube, da hatte ich natürlich als Sportler, nicht als Kleinwüchsiger einen Vorteil”. Eine Choreografie zu lernen und diese dann vor einem großen Publikum und Millionen Fernsehzuschauer*innen perfekt abzuliefern war für ihn die Schwierigkeit. “Ich bin den ersten Tag mit Tanzschuhen ins Bett gefallen und habe einfach gepennt.” erinnert er sich lachend. 

Doch nicht nur im Entertainment Bereich steht Mester vor der Kamera. In anderen Formaten setzt er sich dafür ein, Menschen mit Behinderung in den Fokus zu stellen und Aufklärungsarbeit zu leisten. Besonders wichtig ist es ihm, Barrieren zu brechen und Aufklärung zu schaffen. “Weil wir immer noch nicht da sind, wo wir eigentlich schon längst hätten stehen können. Dass man nicht mehr von ‘behindert’, ‘nicht behindert’ spricht, sondern einfach nur von Sport und von Menschen.“ Er findet, dass sich viele Menschen nicht auskennen, teilweise sei Paralympics ein fremder Begriff. Dies läge an fehlender Repräsentation in der Öffentlichkeit. Eine Möglichkeit, um das zu erreichen, sieht er mit Hilfe von Humor. Dieser gehört für ihn immer dazu. Schon in seiner Kindheit habe er immer einen lockeren Spruch parat gehabt. Heute zeigt er seinen Humor vor allem auf Instagram. In kurzen Videos und Storys nimmt er sich und seine Behinderung selbst aufs Korn. “Ich finde es wichtig, dass man auch über sich selbst lachen kann und wenn man eine Behinderung hat, dass man auch über seine Behinderung lachen kann. Sonst kann ich mich auch in die Ecke setzen, die Jalousie runterziehen, vor die Wand gucken und einfach sagen mein Leben ist scheiße, ich bin behindert. Aber das bringt einen ja null weiter.”, erzählt er.

Mester ist sich dennoch bewusst, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. “Also, mittlerweile denke ich, dass wir irgendwie ein bisschen stehengeblieben sind.” Er sieht zwar eine gesellschaftliche Entwicklung, jedoch nur eine langsame. Über Veranstaltungen, wie die Weltmeisterschaft, wünscht er sich mehr Berichterstattung, als nur eine Zusammenfassungen von Highlights. 

Also, mittlerweile denke ich, dass wir irgendwie ein bisschen stehengeblieben sind.

– Mathias Mester

Um an dieser Kritik anzusetzen sollten beide Sportler*innen sagen, was ihrer Ansicht nach wichtige Mittel seien, um auf das Thema Inklusion aufmerksam zu machen und wo sich die beiden Ansätze wünschen würden. 

Dazu sagt van Engelen: “Ich glaube, dass schon viel getan wäre, Bürokratie abzubauen und die Menschen im Sport mitzunehmen. Kinder sollten die Möglichkeit erhalten, alle möglichen Sportarten auszuprobieren – mit oder ohne Behinderung – irgendwo muss man alle mitnehmen.” Anderen Sportler*innen rät sie, einfach mal mitzumachen. “Wenn Leute sehen oder ich ihnen zeigen kann, dass es egal ist, womit man kommt – jeder Mensch hat was, was einen hemmt – wenn man das überwindet, dann kann man alles machen, was man möchte!”

Mester lobt Einrichtungen wie integrative und inklusive Kindergärten und Schulen und wünscht sich mehr davon. Für die Olympischen Spiele schlägt er vor, eine andere Reihenfolge zu wählen. Man könne seiner Ansicht nach die Olympischen und die Paralympischen Spiele nicht zusammenlegen, Er befürwortet, dass es eine separate Plattform gibt, die Sichtbarkeit schafft. Er schlägt daher vor, dass die Paralympischen Spiele auch mal vor den Olympischen stattfinden. Dies könne hoffentlich verhindern, dass man zum Ende der Olympischen Spiele nicht aufhört, die Paralympischen zu verfolgen. Denn welche Sportler*innen zuerst die Sportstätte nutzen, sei am Ende des Tages egal. „Klar würde ich mir wünschen, dass wir von Sport reden, von Sportlern. Alle haben das gleiche Ziel, alle trainieren gleich hart und wir sind alles Helden und wollen eine Medaille gewinnen.“.

Foto: Elke van Engelen – Vorgeschmack auf die Paralympics? Van Engelen (rechts) belegte den dritten Platz bei einem Testevent in Paris

Die Paralympischen Spiele finden vom 28. August bis zum 8. September 2024 in Paris statt.  


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