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Von der Nostalgie der Wüste – Interview mit Sadam von Imarhan

Geschrieben von am 2. März 2022

Die sechsköpfige Band Imarhan kommt aus Algerien und ist mit der Gründung 2006 auch noch recht frisch im Musikbusiness. “Imarhan” bedeutet in der Tuareg-Sprache Tamasheq so viel wie “die, die mir etwas bedeutet. Die Band sagt über sich selbst: “Wir sind die neue Generation der Tuareg. Mit viel Kraft und Energie entwicklen wir den Tuareg-Sound weiter und fügen Blues-, Rock- und Funk-Elemente hinzu – ein globaler Mix”. Der Desert Blues, im Original als Tishoumaren bezeichnet, entsteht in den 60ern und ist eine Fusion der traditionellen Musik der Tuareg aus Mali, Nigeria, Libyen, Algerien und Burkina Faso mit Blues und Rock-Elementen. “Aboogi”, das dritte Album von Imarhan erscheint am 28. Januar 2022. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist die Atmosphäre auf ihrem neuen Album sehr viel intimer und ruhiger. Woran das liegt, welche politische Positionierung die Band einnimmt und wie eigentlich die Verbindung nach Wales zustande gekommen ist, darüber hat Radio Q hat mit Sadam, dem Sänger von Imarhan gesprochen.

Ihr habt mal erzählt, dass ihr vor dem internationalen Erfolg viel auf Hochzeiten in Tamanrasset gespielt habt und ganz begeistert wart, als das Publikum in Europa diese Stimmung genauso gespürt hat. Während Corona konntet ihr ja nicht auf Tour gehen oder Konzerte außerhalb eurer Heimat spielen. Habt ihr stattdessen wieder auf Hochzeiten gespielt? 

Ja, vor den Tourneen, vor der internationalen Tournee haben wir viele Familienfeiern wie Hochzeiten gespielt. Und während der Covid-Pause kamen wir zurück, um mehr Hochzeitsshows zu spielen, weil wir nicht auf Tournee waren. Aber der Beginn des Covid machte es auch unmöglich, auf Hochzeiten zu spielen, weil alles geschlossen war, so dass sogar die Familienfeiern abgesagt wurden. Also konnten wir überhaupt nicht spielen.

Ich hab gehört, dass ihr auch zum ersten Mal in eurer Heimat in einem neuen, eigenen Studio ein Album aufgenommen habt. Wie hat das eure Stimmung verändert?

Ja, “Aboogi” ist das erste Album, das wir zu Hause in der Tamanrasset aufnehmen konnten. Wir haben das Gefühl, dass es sich wie die Tamanrasset anhört, weil es eine ruhige Atmosphäre hat. Weil wir uns auch ruhig und geborgen fühlten, um aufzunehmen und in unserer eigenen Umgebung zu Hause waren, um unsere eigene Atmosphäre, unser eigenes Klima zu spüren. Ich denke, dass das Album “Aboogi” die gleichen Farben und die gleiche Atmosphäre wie die Tamanrasset hat.

Welche Motive habt ihr dadurch in eure Musik aufgenommen?

Wir denken über verschiedene Themen nach, wir denken über die Nostalgie der Wüste nach. Wir denken über die Jugend im heutigen Leben in Tamanrasset nach, wie es ist, als Jugendlicher in Tamanrasset zu leben. Wir denken über die Atmosphäre in Tamanrasset nach, über die Schwierigkeiten und die Freude, hier zu leben. Wir singen sehr alte Gedichte der Tuareg und über ihre uralte Geschichte. Wir haben all diese verschiedenen Themen in unseren Liedern. 

Musikalisch und vom Groove her erinnert ihr mich, außerhalb der Tuareg-Musik, an so Bands wie Ouzo Bazooka. Gibt es so Bands oder Musiker*innen die euch da beeinflusst haben, neben Tinariwen?  

Als wir mit Imarhan anfingen, waren unsere ersten Einflüsse natürlich die Tinariwen. Aber dann haben wir viel andere Musik gehört, wir haben viel traditionelle Tuareg-Musik gehört, da ist die Musik mit der Tendé(Trommel aus einem Mörser hergestellt), und die Musik mit Imzad (einseitige Laute). Und wir haben auch Einflüsse von anderen Künstlern wie von Ali Farka Touré und von verschiedenen Musikern die die Oud (arabische Laute) spielen. Wir haben uns also viele verschiedene Musiken angehört. Unser eigene Stil heißt “Assuf”, was so viel bedeutet wie “Nostalgie der Wüste”.

Foto: Djaber Ouladheddar

Ihr habt auch mit dem walisischen Musiker Gruff Rhys für das Album zusammengearbeitet – wie viel Wales kommt auf “Aboogi” durch, trifft sich die musikalische Zusammenarbeit auch in der Vertonung von so landschaftlich verschiedenen zwei Heimaten? 

Wir waren noch nie in Wales, aber wir haben Gruff kennengelernt und sind der Meinung, dass Gruff ein großartiger Botschafter seines Landes und seiner Kultur ist. Er ist ein sehr ruhiger Mensch, sehr lieb, sehr geduldig und er sieht aus wie ein Sahara-Bewohner. Er ist sehr entspannt und sanft. Wir verwenden also dieses Bild von Gruff, um uns den Rest von Wales vorzustellen. Wir haben das Gefühl, dass es eine starke Verbindung zwischen den beiden Gemeinschaften gibt, zwischen dem walisischen Volk und dem tamasheqischen Volk, die darin besteht, dass wir unsere Sprache, unsere Kultur, unsere Poesie und unsere Musik bewahren wollen. Und es ist schwierig, in der heutigen Welt eine Kultur oder Sprache oder Poesie bekannt zu machen. Wir haben Angst, dass es eines Tages niemanden mehr gibt, der Tamasheq oder walisisch spricht. Wir glauben, dass es für unsere Kultur sehr wichtig ist, sie zu schützen und zu bewahren, und wir glauben, dass die Waliser die gleichen Sorgen haben und dass die Musik und die Poesie sehr wichtig sind, um beide Kulturen zu bewahren.

Das Album wechselt für mich zwischen politisch-gesellschaftlich motivierten Songs und sehr persönlichen Lieder mit Liebe bzw. Trennungsbezug. Wie sind diese beiden unterschiedlichen Schwerpunkte entstanden?  

Wir haben keine bestimmte Strategie, was die Themen und Songs angeht. Wir spielen einfach so, wie wir uns im Moment fühlen. Manchmal liegt ein längerer Zeitraum zwischen der Komposition von zwei verschiedenen Liedern und das Thema und die Atmosphäre des Liedes hängen einfach von unserer Stimmung in dem Moment ab, in dem wir das Lied schreiben. Wir spielen also einfach die Musik und wir schreiben und komponieren die Musik so, wie wir sie im Moment fühlen. Ganz intuitiv.

Warum wird in “Taghadart” zweisprachig gesungen, eure Gastsängerin Sulafa Elyas singt auf arabisch?

Wir haben Sulafa vor zwei, drei Jahren im Sudan getroffen, als wir dort gespielt haben. Wir trafen sie spielten mit ihr und wir liebten ihre Stimme. Und wir lieben ihre Stimme immer noch. Wir haben uns nicht dafür entschieden, in diesem Lied zu singen, um einen zweisprachigen Gesang zu haben, wir haben uns einfach dafür entschieden, die Musik zu spielen, die wir fühlen. Es ist nicht unsere Strategie, in der einen oder anderen Sprache zu singen. Es ist einfach das, was wir für den Song empfunden haben. Es ist auch toll, für unsere Zuhörer im Sudan auf Arabisch zu singen. Wir haben dort ein Publikum, und wir finden es gut, dass sie unsere Texte leichter verstehen können. Aber wie gesagt, es war keine Strategie, es ist etwas Natürliches, das sich aus unserer Zusammenarbeit ergeben hat.

In dem Song “Tamiditin” wird über eine feste Freundin gesungen, die mit einer Gazelle verglichen wird und gejagt werden kann. Auch im Opener “Achinkad” kommt eine Gazelle vor die ihr Kind verliert. Was hat es mit diesem Bezug von Frauen und Gazellen auf sich?

In der Tuareg-Poesie verwenden wir oft den Namen Gazelle, weil sie das schönste Tier der Sahara ist. Sie wird in unserer Poesie wirklich sehr oft verwendet. “Achikad” handelt von einer echten Gazelle, es geht um den Exzess der Jagd und der Jagd auf dieses wertvolle und seltene Tier. Wenn Menschen sie jagen, ist das eine Gefahr für unsere Natur. In dem Lied “Tamiditin” wird die Gazelle eher als Bild verwendet. Es ist abstrakter, es geht mehr um eine romantische Art, mit seiner Frau zu sprechen. Es sind also zwei verschiedene Arten, das Bild der Gazelle in diesen zwei verschiedenen Liedern zu verwenden. 

Noch eine Frage zu den Lyrics – was ist mit dem “Tag von Tindjatan” (aus “Tindjatan”) gemeint? 

In Tindjatan geht es um einen Krieg zwischen zwei verschiedenen Tuareg-Gemeinschaften. Wir sprechen gerne über die Geschichte der Tuareg, unsere Geschichte, unsere Kultur. Wir sprechen gerne über unsere Traditionen, unsere Sprache, und wir glauben, dass die Tuareg-Poesie ein Weg ist, sich zu erinnern und unsere Geschichte lebendig zu halten. Und anstelle von Büchern ist unsere Geschichte in unseren Liedern zu finden.

Eure Texte sind oft melancholisch, aber die Musik, am stärksten in “Assossam” ist kraftvoll und gemeinschaftlich. Würdet ihr das als eure Form des Protestsong bezeichnen?  

Wir können sagen, dass Assossam wie ein Protestlied ist. Assossam handelt von dem, was in Tamanrasset fehlt. Die wesentlichen Dinge, die fehlen, wie Schulen, Bildung, Krankenhäuser, Straßen. Es ist ein Anspruch auf das Wesentliche im Leben. Es ist ein Anspruch, den jede Bevölkerung verdienen würde. Es ist ein Anspruch darauf, nur das Minimum zu haben, um heute zu leben.

Wie viel politische Botschaft steckt in “Aboogi”? 

Wir sehen uns nicht wirklich als politische Band. Wir denken nicht, dass wir über Politik singen, wir singen über das Leben von heute. Und wir sind der Meinung, dass Politik überall im heutigen Leben vorkommt. Wir singen also über das, was wir fühlen, was wir sehen, wie wir unsere Welt sehen. Und wir glauben, dass jeder Künstler in gewisser Weise über Politik singt, weil es das ist, was der Künstler in seiner Welt fühlt. Wir glauben, dass unsere Themen weit von denen Tinariwens entfernt sind, die über Unabhängigkeit singen. Auch weil es unterschiedliche Geschichten zwischen dem Norden von Mali und dem Süden von Algerien gibt, es ist nicht genau die gleiche Art zu leben und die gleiche Art die Politik der Länder zu leben. Es sind also verschiedene Themen, aber auch hier haben wir das Gefühl, dass Politik die meiste Zeit in den Liedern der Künstler vorkommt.

Was hat sich mittlerweile politisch verändert, tauchen Themen wieder auf?  

Ich denke, es geht um zwei verschiedene Generationen, zwei verschiedene Länder, zwei verschiedene Zeitabschnitte. Wir sind mit Tinariwen durch Familienbande, Musikbande und die Gemeinschaft verbunden. Wir sind natürlich sehr mit Tinariwen verbunden, aber was wir singen, welche Themen in unserem Lied vorkommen, ist nicht dasselbe wie die Lieder von Tinariwen. Wir singen über das tägliche Leben, auch über die Liebe, über die Geschichte, aber die meiste Zeit singen Imarhan darüber, wie das tägliche Leben in Tamanrasset in unserer Wüste ist. Wie wir unsere Welt heute sehen, aber auch wie wir die Welt heute im Allgemeinen empfinden.

Anmerkung der Redaktion: Diese Interview wurde aufgrund instabiler Internetverbindung schriftlich geführt. Alle Fragen wurden auf englisch übermittelt, in Tamasheq übersetzt, beantwortet und ins Englische zurückübersetzt.