Aktueller Song

Titel

Künstler

Aktuelle Sendung

Aktuelle Sendung


YĪN YĪN ohne Helikopterführerschein und einige Fragen zum neuen Album

Geschrieben von am 2. März 2022

Eine holländische Band, die sich von (süd-)ostasiatischer Musik inspirieren lässt und die Release Show ihres neuen Albums in London spielt – YĪN YĪN sind wahre Kosmopoliten! Wo soll es dann noch hingehen? Genau, in den Weltraum! Der Arbeitstitel ihres zweiten Studioalbums “The Age of Aquarius”, das am 04.03. erscheint, lautete passenderweise “YĪN YĪN In Space”. Doch bevor die Band die Erdumlaufbahn verlässt, bleibt noch Zeit für ein Interview mit Radio Q. Kees Berkers (Drums, Percussions, Synths) über anregende Essensrituale, mystische Vorhersagen und explodierende Helikopter.

Hallo Kees, wir treffen dich jetzt kurz vor dem Release eures neuen Albums “The Age of Aquarius”, mit dem ihr pünktlich zum Erscheinungstermin auch auf Tour geht. Ist es nicht ein wenig befremdlich nach all der Zeit ohne Konzerte jetzt direkt ein neues Album live vorzustellen? Und das auch noch ohne vorher ein Feedback zu den neuen Songs bekommen zu haben?

Das ist schon ein komisches Gefühl. Vor allem, weil wir auch erst sehr spät mit dem Proben angefangen haben. Dabei haben wir festgestellt, dass wir für die Auftritte ganz neues Equipment benötigen, um die neuen Sounds auf die Bühne zu bringen. Deswegen sind wir etwas nervös, aber auch gespannt, wie das wird. Jetzt proben wir vorher noch einmal in einem größeren Proberaum, denn bisher sind wir dafür immer nur in eine Gartenhütte gegangen. Aber ich glaube, dass die Shows großartig werden.

Wir wollten aber eh einen neuen Sound ausprobieren und da kam uns die Vorstellung von uns als Band im Weltraum. Der Arbeitstitel des Albums lautete auch “YĪN YĪN In Space”

Kees Berkers (YĪN YĪN)

Mit eurem ersten Album “The Rabbit That Hunts Tigers von 2019 seid ihr ziemlich erfolgreich gewesen. Die Platte wurde mehrmals neu aufgelegt und auf YouTube verzeichnet das Album inzwischen über zwei Millionen Aufrufe. Dabei heißt es doch eigentlich, dass Singles inzwischen beliebter sind als ganze Alben. Wie erklärt ihr euch diesen Erfolg?

Ich habe auch keine Ahnung, woran das genau liegt, aber viele Leute schreiben in den Kommentaren, dass sie das Artwork mit den zwei Tigern schön finden, dann das Album anklicken und auch von der Musik begeistert sind. Wir bekommen inzwischen auch viele private Nachrichten über Instagram und Facebook, Leute aus der ganzen Welt bedanken sich für die tolle Musik und erzählen uns, wie sie uns entdeckt haben. Das freut uns natürlich und wir nehmen uns das sehr zu Herzen. Manche Nachrichten sind auch sehr emotional und ergreifend: Wir haben Nachrichten von Leuten bekommen, denen das Album in schweren Zeiten und Depressionen geholfen hat. Das nehmen wir sehr ernst. Für uns ist das unbegreifbar, dass unsere Musik solche Auswirkungen haben kann.

Euer neues Album “The Age of Aquarius” beginnt mit dem Opener Satya Yugaetwas befremdlich und bedrohlich. Gegen Ende klingt es fast, als würde ein Helikopter abstürzen und explodieren. Weshalb startet ihr auf diese Weise in euer neues Album?

(scherzhaft) Ja wir brauchten noch ein Ende für den Song und da haben wir halt diesen Helikopter im Garten herumstehen sehen und haben gedacht, dass wir den doch einfach für ein spektakuläres Ende in die Luft jagen könnten. Es besitzt eh niemand aus der Band einen Helikopterführerschein, also haben wir das einfach gemacht…

Der Albumtitel “The Age of Aquarius” erinnert auch an den 5th Dimension Song Aquarius aus dem Musical “Hair”.

Dabei wird dort besonders auf das Sternzeichen Aquarius (deutsch: Wassermann) angespielt. Das Age of Aquarius (deutsch: das Wassermannzeitalter), bezeichnet aber auch ein Zeitalter, in dem dramatische Dinge passieren und das, soweit ich weiß, 2021 endete. Damit fiel das Ende genau in die Periode, in der wir angefangen haben, am Album zu schreiben. Yves (Lennertz, Gründungsmitglied von YĪN YĪN Anm.d.Red.) hat die Idee eingebracht, deswegen habe ich da nicht die genauen Details. Mich interessiert an dem Phänomen der astrologischen Zeitalter besonders, dass sie Ausdruck einer gemeinsamen Zukunftsvision sind, die eine Gruppe Menschen einst entworfen hat – dass es Zeitalter gibt, die bestimmte Ereignisse und Geisteshaltungen der Menschen hervorbringen. Für das Age of Aquarius haben sie damals eine große Anzahl an Naturkatastrophen wie Fluten und Erdbeben vorausgesagt, die große Einschnitte darstellen. Die Corona Pandemie war beispielsweise genau so ein Einschnitt.

Ein Einschnitt, in dem wir besonders häufig vorm Computer sitzen mussten. Euer Sound auf “The Age of Aquarius” klingt auch, als wäre ein Computer eurer Band beigetreten. Hat das etwas mit der Omnipräsenz des Digitalen zu tun?

Ja das mag teilweise sein. In Maastricht, wo wir wohnen, ist es nicht ganz einfach, an einen Proberaum zu gelangen. Zeitweise waren wir darauf angewiesen, von zuhause aus zu arbeiten. Dort ein Schlagzeug aufzunehmen, wird den Nachbarn nicht gefallen. Deswegen waren wir Handicapped. Wir wollten aber eh einen neuen Sound ausprobieren und da kam uns die Vorstellung von uns als Band im Weltraum. Der Arbeitstitel des Albums lautete auch “YĪN YĪN In Space”. In dieser Zeit haben wir eine Begeisterung für Synthesizer, Drum Computer und Sampler entwickelt, mit denen wir etwas experimentieren wollten.

Wir lieben Disco und kaum jemand ist dem Sound heutzutage abgeneigt.

Kees Berkers (YĪN YĪN)

Dazu geht euer Sound auf Tracks wie Chong Wang oder im Titelsong mehr in die Disco-Richtung. Was bedeutet Disco für dich im Jahr 2022?

Das ist wirklich eine schwierige Frage! Disco ist ja eigentlich das spanische Wort für eine Platte. Und für DJs, die damals Platten mit 4-to-the-floor Beats aufgelegt haben, wurde dann der Begriff Disco erfunden – das würde zumindest Wikipedia antworten. Was Disco heute bedeutet, ist wirklich schwer zu sagen.

Aber Disco war ja ursprünglich eine Idee von politischem Charakter. Menschen, die sonst Diskriminierung und Repression ausgesetzt waren, konnten an Orten zusammenkommen und gemeinsam befreit tanzen. Gibt es so einen Spirit noch?

Da möchte ich jetzt echt nichts Falsches drauf antworten. Klar war das in den 70er Jahren absolut neu, eine Offenbarung, hat Räume zum Eskapismus geschaffen und Menschen diversester Kulturen zusammengebracht. Dann wurde sich das Ganze von der breiten Masse angeeignet und kommerziell ausgesaugt. Punk wollte Disco dann zerstören – Disco-Platten wurden weggeschmissen und Punk hat ein neues Sinnangebot mitgebracht. In 2022 suchen wir immer noch nach neuen Wegen und Genres, um die damaligen Ansätze weiterzuentwickeln. Wir lieben Disco und kaum jemand ist dem Sound heutzutage abgeneigt. Aktuell haben es mir Italo Disco-Platten angetan, auch wenn ich das Genre vor 10 Jahren in meiner Jungle- und Breakcore-Phase noch gehasst habe. Als Disco-Tipp, kann ich noch Patrick Cowley empfehlen, einen vergessenen Wegbereiter des Disco-Sounds, der leider an AIDS gestorben ist. 

Was sind denn generell Quellen, über die ihr an Inspiration kommt?

In meinem Auto höre ich klassische Musik über den belgischen Radiosender Klara. Abends spielen die dort gerne mal Jazz oder experimentelle Ambientmusik. Bei YĪN YĪN inspiriert uns insbesondere auch visuelle Ästhetik, wie die japanische Mode mit ihren Kimonos und Kampfanzügen, oder die japanische Architektur mit den faszinierenden Tempelanlagen. Es gibt im ostasiatischen Raum ganz andere Baustile und Verzierungen. Auch die dortigen spirituellen Riten faszinieren uns. Hier in den Niederlanden oder Deutschland sind die Riten immer ein wenig stumpf, wie der Braten zu Weihnachten.

Riten drehen sich hier wirklich oft ums Essen…

Ja das ist echt so! (lacht) Das ist wirklich nicht besonders spirituell oder von tieferer Bedeutung… Die Riten der Thai-Kultur beinhalten oftmals Musik, oder die Schwingungen von Klangkugeln. Diese kulturellen Rituale haben mehr Tiefgang, besitzen eine eigene Mystik mit ihren uralten Weisheiten. Mein Großvater hat mir keine uralten Weisheiten erzählt.

Um aber nochmal auf das Essen zurückzukommen: Auf eurem Album gibt es den Track Faiyadansu, auf dem eine Thai-Lehrerin auf YouTube über den Genuss leckerer Mahlzeiten berichtet.

Genau. An einer Stelle sagt sie übersetzt “Vielen Dank für das Abendessen, es war sehr lecker!”. In der Lektion geht es insbesondere um den höflichen Umgang miteinander beim Essen. Das hat auch einfach super zum Sound gepasst, für den wir unter anderem ein japanisches Koto gesamplet haben.

Ihr habt Herkunfts- und Labeltechnisch einiges mit der Band Altin Gün gemeinsam. Beide Bands bzw. Projekte sind in den Niederlanden entstanden und haben zuerst auf Bongo Joe veröffentlicht und sind jetzt bei Glitterbeat. Wie ist der Kontakt zwischen euch und der Altin Gün Crew?

Wir verstehen uns sehr gut! Auf einer ihrer Touren haben wir als Support gespielt und waren sehr glücklich, dass diese Möglichkeit zustande kam. Wir funktionieren perfekt als Team! Natürlich haben wir uns auch sehr für sie gefreut, als sie 2020 für einen Grammy nominiert waren. Die großen Unterschiede sind wohl, dass sie, im Gegensatz zu uns, “echten” Gesang auf ihren Alben verwenden und sich der Musik des anatolischen Raums verschrieben haben. Wir würden echt gerne wieder mit Altin Gün auf Tour gehen!

Hoffen wir, dass das bald wieder möglich ist! Jetzt stell dir zum Ende mal folgendes Szenario vor: Du ziehst auf eine einsame Insel und du darfst aber nur ein Album mitnehmen, dass dich dort musikalisch in der Einsamkeit unterhält. Welches Album wäre das für dich?

Ich würde vermutlich ein Album von Kate Bush mitnehmen. Wenn wir in unserem Tourbus eine richtig gute Zeit und leicht etwas getrunken haben, dann spielen wir immer Wuthering Heights von Kate Bush und schreien uns gemeinsam die Luft aus den Lungen. Diese Momente sind ein Fest! Die Produktion der Musik auf Kate Bushs Alben ist der Wahnsinn! Hinzu kommen die theatralischen Bühnenshows und ihr Charakter – sie ist so smart! Wenn ich Kate Bush auf einer einsamen Insel hören könnte, würde sie mir genau die Kraft zum Überleben geben, die ich bräuchte! Aber ich würde natürlich einen Plattenspieler benötigen! Ist der Inklusive? (lacht)

Das Interview führten Mel Kinkel & Jan-David Wiegmann