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Es war einfach vom Geiste her Jazz – Interview mit Mieke Miami

Written by on 18. September 2021

Die Musikerin Mieke Miami, die eigentlich Mieke Wenzl heißt, hat im Juli ihrer zweites Album “Montecarlo Magic” veröffentlicht. Das Album bedient sich ausgiebig in allen möglichen Genre-Schubladen und spiegelt die Entspannung der Frau wieder, die einem durch Zoom entgegen lacht während im Hintergrund die Vögel zwitschern und die Geschirrspülmaschine rauscht. Mit Radio Q nimmt Mieke ihre Songs auseinander, erzählt von Klangeinflüssen und von ihrer große Liebe zum Jazz – und wo diese manchmal an ihre Grenzen stößt.

Das Interview führte Carlotta Rölleke.

Radio Q: Bei den ganzen Einflüssen und der vielfältigen Instrumentation kann ich gar nicht genau einordnen, in welche musikalische Richtung dein Album geht. Ich finde es ist es total soulig und ein bisschen weiter weg vom Pop, den du da vorher so gemacht hast. Wie würdest du deine Musik selber beschreiben, in welche Richtung geht es? 

Mieke Miami: Oh das ist immer die schwerste Frage von allen. Es ist wie wenn man auf einer Party jemand trifft und der fragt: “Machst du einfach Musik? Was denn so für welche?” Da komme ich dann immer total ins Stocken. Also einerseits ist es ein ziemlich stilistisches Album, da sind halt Sachen drauf, die könnte man das ganz klar zuordnen. Zum Beispiel finde ich “Pool” oder “The Ambassador of Love”, die sind eigentlich Soul oder funky. Und dann gibt es aber auch ein Lied, das ist eher Country-mäßig, “Way Out West”. Dann gibt es eins, “Oh Baby”, das ist fast ein bisschen elektronisch, weil da so Synthies drin sind. Und trotzdem da so unterschiedlichen Stilistiken klingen, finde ich, dass es doch etwas Verbindendes gibt. Ich kann das aber selber gar nicht so gut definieren, andere können das irgendwie immer viel besser als ich.

Radio Q: Du bist jetzt aus Berlin raus nach Brandenburg gezogen und ich konnte mir irgendwie nicht so ganz vorstellen, wie so ein Album in Brandenburg entstanden ist. Denn deine Songs haben so eine Aufbruchsstimmung, die in meinem Kopf mehr Richtung Roadtrip in den USA gehen. Wie hast du dich dazu inspirieren lassen, auf dem Land in Deutschland, ich nenne es mal, “amerikanische Musik der 60er” zu schreiben? 

Mieke Miami: Wenn man musiziert oder auch bei jeder Art von Kunst, ob man jetzt malt oder schreibt oder ob man Musik macht, da ist das Wichtige ja auch irgendwie, was man in sich vorher reingetan hat. Was man gehört, gesehen, gelesen hat oder so. Und das ist bei mir super extrem. Ich habe jetzt, während ich die Platte geschrieben habe, ziemlich viel Curtis Mayfield und Marvin Gay, aber auch Dorothee Effie gehört. Das ist so eine Jazz Harfen-Spielerin und Alice Coltrane und so Sachen, die so spacig sind. Aber auch eine Platte, die heißt “Histoire de Melody Nelson” von Serge Gainsbourg. Da hat so ein Typ die Arrangements gemacht, Jean-Claude Vannier heißt der, das finde ich auch tierisch gut und das alles habe ich ganz viel gehört. Und aus diesem ganzen Mischmasch von Klang-Vorstellungen, die dann so in meinem Kopf rum geisterten, da fließt das dann einfach automatisch ein. Wenn man sich an ein Instrument setzt, dann ist man so unterbewusst auf der Suche nach dem, was einen irgendwie so glücklich gemacht hat in der Zeit davor. Das ist die eine Inspirationsquelle und das andere…ich merke, wenn ich einen Song geschrieben habe, oft im Nachhinein, dass ich den offensichtlich über ein prägendes Erlebnis oder eine Person, die mir viel bedeutet hat, geschrieben habe. Aber das merke ich erst, nachdem der Text schon da ist. Nachdem die Musik schon da ist, merke ich “Krass, das ist ja ein Ausdruck von der Situation damals”. Das ist aber eher so komisch Freud-unterbewusst. 

Wenn man sich an ein Instrument setzt, dann ist man so unterbewusst auf der Suche nach dem, was einen irgendwie glücklich gemacht hat in der Zeit davor.

Mieke Miami

RadioQ: Gibt es spezielle Songs, die du meinst auf dem Album, also wo so etwas passiert ist?

Mieke Miami: Ja, für meinen Sohn ist da viel drauf. Also der ist jetzt fünf. Ich habe einfach auch ewig an meinem Album geschrieben. Das eine Lied, “Golden Ships”, das habe ich geschrieben, da war er noch ganz klein. Das war eigentlich als Schlaflied gedacht. Aber das hat nicht geklappt (lacht). Und “Uh Baby” ist auch für ihn. Also das ist nicht für irgendeinen Mann und es ist eigentlich kein Sex-tune. Es war einfach für mein Baby damals geschrieben und so auch “Child”. Also das sind die drei, die kann ich wirklich total klar zuordnen. 

Radio Q: Als ich zum Beispiel den Song “Autoscooter” das erste Mal gehört habe, dachte ich: “Okay, das klingt für mich gerade irgendwie so, als hätte sie eine sehr traumatische Erfahrung beim Autoscooter fahren gemacht”. Gab es da was (lacht)? 

Mieke Miami: Also ich bin in Hamburg geboren, aber ich bin in Pinneberg aufgewachsen. Das ist ein Vorort von Hamburg und da gab es dort immer einen Rummel. Also Hamburger Dom und der Rummel in Pinneberg. Das waren so zwei Erlebnisse, die in meiner Jugend irgendwie voll groß waren –  auf den Jahrmarkt gehen und dann so Jungs kennenlernen. Und da läuft dann tolle Musik von Michael Jackson, irgendwas so was, wenn man Karussell fährt. Das fand ich einfach mega und gleichzeitig ist das ja so ein bisschen halbseiden: wenn es dann dunkel wird und beim Autoscooter gehen die Lichter an. Und dann kommt der Kunstnebel und dann hängen da die coolen Typen und Girls rum. Das fand ich immer super faszinierend und irgendwie richtig gut. Das und so speckige Hühner-Bratbuden in denen Daddel-Automaten stehen. Das sind zwei Sachen, an die ich mich echt voll doll erinnere, wenn ich an meine Jugend denke. Und das kam in “Autoscooter” rein. Deswegen heißt das auch Autoscooter und nicht Bumper Car, also deswegen hat es einen deutschen Titel.

RadioQ: Ich finde, es klingt so als wärst du erst überfahren worden und dann machen alle Party danach.

Mieke Miami: Ja, so ein bisschen (lacht). Es spiegelt diese Stimmung wieder, wenn man jung ist oder ein Kind. Dann ist das alles dunkel und faszinierend gleichzeitig. So ein Provinz-Rummel bei Nacht.

Foto: Dovile Sermokas

RadioQ: Für mich sind die Songs auf deinem Album ein bisschen zweigeteilt. Ein paar sind eher Liebeslieder oder Schlaflieder, sehr, sehr lyrisch. Und andere wie “Pool” oder “The Ambassador of Love” haben eher so ein verruchtes James Bond Feeling. Und dann diese beiden Wildwest-Songs, woher kommt diese Motivik?

Mieke: Lucky Luke. Die kurze Wahrheit. Bei “Way Out West” hab ich einfach an Lucky Luke gedacht. So mit Planwagen und na ja, immer so ein bisschen gemischt mit so einer – wie heißt dieser Quentin Tarantino Film, wo Christoph Waltz mit seinem Planwagen fährt, wo oben so ein großer Zahn drauf ist? Django Unchained! Also nicht der ganze Film, weil ich bin eigentlich viel zu zart besaitet um so ganze Tarantino-Filme mir durchgucken zu können. Aber wie Christoph Waltz da mit seinem Planwagen mit diesem Zahn obendrauf durch die Wüste rollt, das habe ich auch ein bisschen vor mir gesehen. Es ist eigentlich auch ein bisschen ein witziger Song.

RadioQ: Ja, total. Bei dem Song “Cry Baby Cry”: Du hast ja auch mal erzählt, dass du ein super großer Beatles bist und dass du die früher mit deinen Eltern gehört hast. Dann habe ich mich gefragt, warum du den Song für ein Cover ausgewählt hast von den Beatles, denn da gibt es ja eine unfassbare Auswahl? 

Mieke Miami: Ich habe absolut nicht geplant einen Beatles Song zu covern. Das war überhaupt nicht mein Vorhaben. Ich liebe und verehre die Beatles und eigentlich finde ich es immer ein bisschen schlimm, wenn Songs von denen gecovert werden. Weil die perfekte Version ist ja eigentlich schon da. Aber ich hatte mir von einem Nachbarn ein Songbuch ausgeliehen, wo die alle drin waren. Ich wollte einfach nur so ein bisschen Spaß haben, ein paar Songs am Klavier spielen und ein bisschen dazu singen und landete dann bei dem Buchstaben C. Und dann habe ich die Akkorde so durchgegriffen und die Basslinie beginnt in so Halbton-Schritten runter. Da dachte ich “Ah, cool, das liegt genau im richtigen Moment für die Bassklarinette. Das könnte ich ja mal so auf der Bassklarinette spielen und dann dazu die Akkorde.” Das habe ich aufgenommen und es klang irgendwie gut. Dann dachte ich, wenn ich da jetzt so hohe Vocals dazu mache, dann klingt das bestimmt auch gut. Und dann fing ich so an und ehe ich mich versah, war ich da reingeschlidert selber plötzlich ein Beatles-Cover zu machen. Und der wurde dann immer schöner und irgendwann gefiel mir das dann so gut, dass ich dachte “das muss ich jetzt einfach machen”. Jetzt im Moment ist der gerade mein Lieblingssong auf dem Album.

Spielerisches Annähern an eine Ästhetik des Sounds

RadioQ: Hast du eigentlich alle Songs so ähnlich produziert? Da ist ja einiges, was du selber gespielt hast auf dem Album wie das Saxophon, die Klarinette und der Gesang. Wie war so der Produktionsprozess?

Mieke Miami: Also es ist meistens so: Ich habe irgendwie so eine so kleine Zelle, zwei Akkorde oder so, die mir gut gefallen. Und dann fange ich an so einen ganz, ganz kurzen Ausschnitt von dem Song total auszuarbeiten. Und dadurch habe ich schon immer die Ästhetik, die ich dann haben möchte für den Song, um den rum ich den ganzen Rest bauen muss. Aber das war gar nicht so wirklich die Frage. Das ist eher der Kompositionsprozess und Produktionsprozess. Dass, was ich kann, spiele ich dann bei mir im Studio selber ein. Also die Tastensachen, Gesang, die ganzen Blasinstrumente und ein bisschen Bass. Und dann habe ich die Skizze fertig und das, was ich nicht spielen kann, mache ich dann Plug-In-mäßig mit midi. Sowieso benutze ich auch manche elektronischen Elemente, da kann man ja dann auch noch viel dran drehen am Sound, dass das total organisch klingt. Und wenn ich das fertig habe, dann gehe ich mit den vorproduzierten Tracks ins Studio, ruf die Musiker meiner Träume an und lasse sie auf die Tracks spielen. Und dann habe ich den ganzen Kram und mach das hübsch im Mixing mit dem Benjamin Müller, der das Album auch ganz toll aufgenommen und auch super viel Zeit reingesteckt hat. 

RadioQ: Hat sich diese Art Musik zu machen verändert in der Zeit, wo du jetzt aus Berlin weggegangen bist und mit deiner Familie in Brandenburg wohnst?

Mieke Miami: Nee, eigentlich nicht. Also im Ganzen Schreib- und Denk- und Textprozess bin ich eh total mit mir allein. Das ist egal, wo ich bin. Also ob ich dann in New York bin oder auf einer einsamen Insel. Das würde überhaupt nichts ändern, weil ich das eh alles alleine mache. Und dann für das Studio bin ich wirklich nicht weit weg von Berlin. Ich bin in einer halben Stunde im Regionalexpress in der Stadt und dann kann ich da alle Musiker und alle Studios haben, die es da gibt. Also da ich eigentlich sowieso fürs Schreiben niemanden brauch außer mir selber, ist das eigentlich egal.

RadioQ: Was würdest du sagen, welche Art von Musik dich am meisten beeinflusst hat in deiner Zeit, in der du in Berlin gewohnt hast?

Mieke Miami: Ich habe Jazz studiert und in der ersten Zeit nach Berlin gekommen bin, habe ich echt einfach so viel Jazz wie möglich gehört und bin zu Sessions gegangen und auf viele Konzerte. Da war ich wirklich gedanklich so bei “Ah Jazz Jazz Jazz!” Unter anderem auch, weil das Studium es so fordert. Das wird von einem erwartet irgendwie. Also ob man jetzt wirklich richtig Hardcore Jazz machen will später, danach wird gar nicht gefragt. Und du musst dann die Erwartungshaltung erfüllen, deswegen bin ich da so eingetaucht und habe erstmal alles total ausgeblendet, obwohl ich auch immer andere Musik sehr geliebt habe. Ich hab dann aber wirklich versucht, nur Jazz zu hören, das ist ja auch cool. Aber irgendwann, oh Gott, irgendwann hatte ich dann auch wirklich genug davon. Trotzdem, wenn es eine Musik gibt, mit der ich mich wirklich auskenne, dann ist es Jazz. Und auch die Arbeitsweise und wie man an Musik herangeht, dieses Verspielte, dass Improvisation eine große Rolle spielt und dass man weiß, dass das Wichtigste auf der Welt einfach Sound und Timing ist. Und ein persönlicher Ausdruck und irgendwie auch so eine gewisse Art von Ehrlichkeit oder so was in guter Jazz-Musik drinsteckt. Das hat mich, glaube ich, eigentlich am meisten beeinflusst. Einfach so von der Attitüde her. Nicht, dass ich da jetzt wahnsinnig viele lange Soli auf meinen Alben habe, aber einfach von der Grundeinstellung hier fühle ich mich eigentlich immer noch wie eine Jazzmusikerin, obwohl es nicht als Jazz einordnen würde, was ich da gemacht habe auf der Platte. Es war einfach so vom Geiste her Jazz.

“Dass man weiß, dass das Wichtigste auf der Welt einfach Sound und Timing ist.”

MIeke Miami

Ja und die ganze Elektroszene – die Parties in Berlin sind halt einfach Techno-Partys und ich fand es auch immer interessant und faszinierend und auch diese Welt vom Berghain. Ich habe das dann auch gehört und habe sogar mal mit einem Techno DJ in einer Band gespielt. Aber es ist sehr selten passiert, dass es mein Körper ergriffen hat. Ich habe immer die Leute beneidet, die so die ganze Nacht getanzt haben, ob mit oder ohne Drogen, aber die sich da einfach so voll in die Musik reinwerfen konnten. Da dachte ich immer “Wie geil ist das?” Aber es ist nie passiert. Es hat nie so Besitz von mir ergriffen, elektronische Musik oder so richtig harter Techno. Obwohl ich das ästhetisch schon vom Kopf her total zu schätzen weiß. Nur hat es mich nie wirklich berührt.

RadioQ: Ist es für das Album mal passiert ist, dass du wirklich etwas entwickelt hast nur aus einer Jam-Session, in der man einfach zusammen ein Timing und einen Rhythmus findet? Das war wahrscheinlich auch nicht so möglich oder?

Mieke Miami: Ne und wie gesagt, meine Art zu arbeiten ist ja so total lonely wolf-mäßig und im Studio bin ich dann total offen für alles, was die anderen einbringen. Die Musiker auf meinem Album sind auch alles Jazzmusiker. Es sind ja nur zwei, Cano und Alex. Aber das sind auch Jazzer. Und klar, die haben auch gejamt und die haben auch ihre eigenen Ideen gehabt. Und natürlich wäre es da irre von mir, dem Bassisten vorzuschreiben, was er genau da jetzt als Basslinie spielen soll. Aber nee, so habe ich es nicht gemacht, so würde ich das aber gerne mal machen. Also ich glaube jetzt, für die nächste Platte werde ich ein bisschen losere Entwürfe denen geben und dann werden wir genau das mal ausprobieren. 

RadioQ: Das wäre ja total spannend, wenn das eigentlich so dein Herzenswunsch ist oder deine Art, am liebsten Musik zu machen.

Mieke Miami: Ja oder das mal als Grundlage zu benutzen, vielleicht ein Session Material zu haben und dann zu gucken, wie man das dann baut oder noch viele Sachen hinzufügt oder so. Was ich echt richtig zu schätzen weiß, ist die Möglichkeiten irgendwie zu schichten, Overdubs zu machen ohne Ende. Dann spielt man eine Linie auf dem Saxophon und denkt “Mann, jetzt noch ne Flöte drüber und ach toll, da mach ich jetzt noch ne Klarinette dazu”. Da hast du einen ganzen Satz und dann kannst du noch ein Delay drauf machen. Du kannst so tolle Klangwelten entwerfen – was beim Jazz spielen, wo das immer nur so im Moment passiert, ja überhaupt gar nicht möglich ist. Man kann nicht noch was dazu hinzufügen oder dann noch so ein bisschen Zauberstaub drüber streuen.

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