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“Scheiß drauf – wir machen die Tickets einfach günstiger” – Frank Turner im Interview

Geschrieben von am 15. Juli 2023

Vor seinem Auftritt auf dem diesjährigen Hurricane-Festival trafen wir Spitzbube Frank Turner zum Interview. Er erzählt uns, warum er auf Fotos nicht lächeln kann, warum Mütter immer Recht haben und vor allem, warum seine Konzerte so beliebt sind.

Q: Frank, ich habe dieses Interview angefragt, weil alle meine Freund*innen und Kolleg*innen, die dich schon live gesehen haben, von deinen Konzerten ausnahmslos begeistert sind. Frank Turner, das sei eine der besten Live-Erfahrungen, die sie je hatten. Das kann ich sonst so nur über die Foo Fighters sagen. Haben meine Freund*innen da Recht und falls ja, warum sind deine Konzerte so gut?

Frank Turner: (lacht.) Da fragst du die falsche Person! Wahrscheinlich bin ich die einzige Person, die diese Frage nicht beantworten darf. Aber erst einmal: Das ist echt cool! Ich freue mich wirklich, das zu hören. Ich will auch glauben, dass wir wirklich gut sind. Vielleicht ist einer der Gründe, dass ich mit Bands wie Agnostic Front, Sick Of It All oder Madball aufgewachsen bin. Bei einer Hardcore-Punk-Show herrscht einfach eine gewisse Energie und Intensität. Ich spiele zwar selbst keinen Hardcore Punk, aber wir spielen so als wäre es Hardcore Punk. Und das Lustige ist, dass viele zu uns kommen und uns sagen, dass das eines der verrücktesten Konzerte war. Ich sage dann immer: Junge, du müsstest dir verdammt nochmal The Chariot oder The Dillinger Escape Plan geben! Also wir spielen ein bisschen Hardcore, gerade auf dem aktuellen Album, aber unser Ansatz ist halt einfach anders als bei einer gewöhnlichen Folk-Punk- oder Folk-Rock-Band. Bei uns ist viel Bewegung und Energie und so…. ist das eigentlich heute das erste Konzert, das du von mir Live siehst?

Q: Jap…

Frank Turner: Also ich hoffe, du hast Spaß dabei. Dieses Jahr hab ich mir übrigens vorgenommen, auf der Bühne nur auf Deutsch zu sprechen. Also, ich versuche es zumindest. (lacht.) Kannst du mir einen Gefallen tun, und am Ende Punktekarten hoch halten? 10 ist für “Fantastisch” und 1 für “Das war grausam”, okay? (Wir haben ihm am Ende 9 verdiente Punkte gegeben.)

Q: Okay! Auf deiner Homepage hast du diese Liste mit all deinen Konzerten. Heute müsste Nummer 2.783 anstehen. Das ist schon ein ordentlicher Batzen. Wie stressig ist das eigentlich und was sagt deine Frau überhaupt dazu, dass du nie zu Hause bist?

Frank Turner: (lacht.) Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich müsste so ungefähr bei Nummer 1.800 gewesen sein, als ich sie kennenlernte. Also sie wusste, worauf sie sich einlässt. Aber zurück zu den Nummern: Vor meiner Solo-Karriere hat der Drummer unserer alten Band eine Liste mit all unseren Shows geführt. Ich fand das damals komisch und habe nicht verstanden, warum er das macht. Als sich die Band dann aufgelöst hat, war ich ihm aber dankbar für diese Liste, weil ich so immer wusste, wann wir wo was gemacht haben. Das müsste jetzt so circa 17 Jahre her sein. Da erinnere ich mich natürlich an kaum etwas, aber ich habe diese Liste auch zu Beginn meiner Solo-Karriere geführt, als ich allein mit meiner Gitarre auf der Bühne stand. Ich habe zwar jeden Tag Menschen gesehen – manchmal waren auch keine Zuschauer da. (lacht.)

Aber ich konnte niemanden fragen: “Was ist eigentlich damals in XY passiert?” und dann kam irgendwann die 1.000. Show. Um das zu feiern, habe ich eine Party geschmissen und meine Freunde waren alle verwirrt und fragten, 1.000 was? Und ich sagte: 1.000 Shows. Und sie dann so: Woher weißt du das? Und ich hab ihnen diese Liste gezeigt und sie waren alle total Baff. Über die Zeit wurde dann halt eine Sache daraus, und jetzt fragen mich alle, wann und wo meine 3.000. Show sein wird. Ich habe keine Ahnung, immerhin ist das ja noch über 200 Shows weit weg. Auf der einen Seite ist diese Liste nur Angeberei, weil die Shows ja nicht automatisch gut sind, nur weil es schon so viele waren. (lacht.) Auf der anderen Seite ist es ein guter Überblick, was ich bisher mit meinem Leben gemacht habe und darauf bin ich ziemlich stolz!

Q: Denken wir mal zurück an Covid. Das muss für dich ja echt eine grausame Zeit gewesen sein, als du deine Konzerte von zu Hause ganz ohne Publikum vor dir gestreamt hast. Ist das einfach eine Belastung oder könnten die ungewohnten Umstände auch ein Quell neuer Kreativität sein?

Frank Turner: In erster Linie war es einfach furchtbar. (lacht.) Ich habe damals ziemlich früh angefangen, Shows zu streamen, um Geld für meine Crew zu sammeln und da habe ich das erste Mal realisiert, wie entscheidend die Energie der Crowd für die Show ist. Am Anfang hab ich wie immer auf ein bisschen Applaus oder irgendwas in der Art gewartet, aber da waren nur meine Frau und meine Katze – und letztere kann nicht klatschen. Ich musste damit irgendwie klarkommen, aber es war einfach scheiße. Mein Beruf war für zwei Jahre quasi illegal und ich habe nur irgendwie versucht, Geld für meine Crew und die Veranstalter zu sammeln und ich bin auch stolz darauf. Aber unter dem Strich war es, speziell finanziell, einfach eine scheiß Zeit.

Während des Lockdowns stellte ich mir echt die Frage, wer zum Teufel ich überhaupt bin.

Frank Turner

Frank Turner: Der erste Lockdown in Großbritannien war dann auch die längste Zeit, die ich in einem Bett geschlafen habe, seitdem ich sieben Jahre alt war. Damals bin ich für die Schule weggezogen und mit 16 habe ich ja schon angefangen, auf Tour zu gehen – das war also ein großer Einschnitt für mich. Während des Lockdowns kam dann die Frage auf, wer zum Teufel ich überhaupt bin. Die gute Sache, was die Kreativität angeht, war die, dass ich so viele Streaming-Konzerte gespielt habe, dass ich wirklich jeden einzelnen Song, den ich jemals geschrieben habe, gespielt habe. Normalerweise höre ich mir die nicht selbst an, weil ich ja kein Psychopath bin. Dass ich die Songs dann alle spielen konnte, hat mir einen guten Überblick über mein Songbook gegeben und auch beim Schreiben des neuen Albums geholfen. Und so konnte ich dann sehen, was gut klappt, was nicht gut klappt und hatte einfach einen guten Grund, mir mein bisheriges Werk anzusehen. Aber insgesamt ist das nur ein kleiner Pluspunkt. Vor zwei Jahren hatten wir dann all diese Diskussionen darüber, ob Live-Streams nach Covid weiterhin eine wichtige Rolle in der Musikindustrie spielen werden und ich dachte mir nur: Hoffentlich nicht! Ich hasse es! Was sich geändert hat, ist, dass jetzt mehr Konzerte gestreamt werden, aber sie sind nach wie vor Live mit echten Zuschauern und ich bin einfach froh, dass ich dieses Scheiß allein zu Haus nicht mehr machen muss!

Q: Das kann ich gut verstehen. Du hast auch ein eigenes Festival. Das Lost Evenings-Festival war letztes Jahr in Berlin, dieses Jahr ist es in Anaheim in Kalifornien. Was war der Kerngedanke hinter der Idee, ein eigenes Festival zu veranstalten?

Frank Turner: Zu einem gewissen Zeitpunkt meiner Karriere haben mich viele Leute gefragt, ob ich mal mein eigenes Ding mache. Ich denke, dass es für viele lang bestehende Bands, die so wie wir nicht die ganz großen Namen sind, sehr nützlich ist, einmal jährlich etwas nur für dich zu machen. Flogging Molly machen das mit The Cruise oder Murder By Death mit Stanley Hotel – einfach um sein eigenes kleines Ding zu schaffen. Da kriegst du nochmal eine Connection zu deiner Fanbase und, um ehrlich zu sein, ist es einfach nicht schlecht zu wissen, dass man damit sicher Geld verdient. (lacht.) Als ich das erste Festival organisiert habe, hatte ich echt Sorge wegen der finanziellen Risiken. Aber viele meiner Freunde wie zum Beispiel The Levellers haben ihre eigenen Festivals und ich wollte das auch machen!

Frank Turner beim letzten Lost Evenings-Festival in Berlin.

Frank Turner: Als Wolf Alice ihr erstes Album veröffentlicht haben, haben sie vier Shows in Folge in einer kleinen Location gespielt und sie hatten jedes mal eine andere Support-Band. Ich war damals mit einem Kumpel da und er meinte zu mir, dass sich das fast wie ein Festival anfühlen würde und er hatte vollkommen Recht! Eine großartige Idee, sag das bloß nicht weiter! Und das war der Anfang der ganzen Geschichte. Das erste Lost Evenings-Festival haben wir in Camden gemacht. Es war mehr ein Experiment und nachher waren alle überrascht, dass es so gut funktioniert hat und alle ihren Spaß hatten. Wir hatten damals zwei Bühnen, etwa 30 Bands, ein Open Mic, Charity, Aktivismus – alles was so dazugehört. Es ist auch cool, dass das Festival immer woanders ist. Letztes Jahr war es wirklich atemberaubend in der Columbiahalle in Berlin und ich hoffe, auch Anaheim wird dieses Jahr cool werden. Ich weiß auch schon die nächsten fünf Locations, aber die werde ich hier nicht ausplaudern. Mit diesem Festival um die Welt zu reisen, ist einfach eine fantastische Sache.

Q: Du hast bei deinen letzten beiden Antworten schon das Thema Geld erwähnt. Im letzten Jahr musstest du ja einige Konzerte in Österreich und Deutschland aus finanziellen Gründen absagen. Insgesamt wird mit der Inflation vieles teurer, du spürst sicherlich auch die Folgen des Brexits. Also unter dem Strich haben die Menschen weniger Geld, aber für euch Musiker*innen steigen zeitgleich die Kosten. Wie können wir dieses Problem lösen?

Frank Turner: Es gibt immer noch genug Leute die denken, jeder Musiker wäre automatisch Millionär. Die meisten von uns können darüber nur lachen. Ich kann von meiner Musik gut leben, ich habe zwölf Menschen in Vollzeit-Jobs angestellt und ich bin darauf echt stolz! Wir verdienen alle in etwa gleich viel, aber das ist nicht der Grund, warum ich das Ganze überhaupt mache. Ich mache das, weil ich einfach das glücklichste Schwein der Welt bin! Ich verdiene mit Gitarre spielen meinen Lebensunterhalt – besser geht es doch nicht!

Ich möchte kein Geld damit machen, dumme Band-T-Shirts zu verkaufen.

Frank Turner

Frank Turner: Aber wegen der Österreich-Sache: Dieser Tourabschnitt hätte uns über 50.000 Euro gekostet und die hatte ich damals einfach nicht. Der Hauptgrund war, dass die Konzerte knapp drei Wochen nach dem letzten Lockdown angesetzt waren und die Leute unsicher waren und kaum Tickets gekauft haben. Seitdem waren wir aber schon wieder in Österreich, haben als Support für Billy Talent und auf Festivals gespielt und wir werden auch in Zukunft in Österreich spielen und… jetzt reden wir schon wieder über’s Geld. Ich will nicht nur über Geld sprechen, aber unter dem Strich habe ich einfach nicht das große Label oder Eltern, die mich mit Geld zuschmeißen. Ich muss einfach schauen, dass sich alles rechnet und ich habe keine Lust, verrückt teure Band-T-Shirts zu verkaufen oder absurde Ticketpreise zu nehmen, wenn ich es nicht irgendwie verhindern kann. Du hast ja gerade die Inflation angesprochen. Wir haben bei unserer letzten Tour in Großbritannien die Ticketpreise gesenkt, weil wir verstanden haben, dass alle gerade eine sehr schwere Zeit durchmachen. Also haben wir einfach gesagt: Scheiß drauf, lass uns die Preise senken. Trotzdem wird für mich alles nach wie vor teurer und deshalb schwerer, aber es fühlte sich einfach richtig an, das so zu machen.

Q: Kommen wir zur letzten Frage und es tut mir Leid, dass es sich schon wieder ums Geld dreht. Ich stimme dir voll zu. In einer perfekten Welt würden Kunst, Musik und Geld vollkommen unabhängig voneinander sein…

Frank Turner: Mein Ziel ist es einfach, irgendwie über die Runden zu kommen und das machen zu können, was ich liebe. Und das kann ich – deshalb will ich mich nicht beschweren. Um das mal ganz klar zu sagen: Ich habe den besten Job der Welt! Meine Mutter sagt deshalb auch immer, dass ich auf Fotos lächeln soll und ich sage ihr dann immer: Ich bin mit der Musik von Joy Division und Black Flag aufgewachsen – ich kann auf Fotos nicht lachen! Und sie findet das völlig lächerlich. Ich würde ja nicht nur meinen Traumjob haben, sondern auch den Traumjob vieler anderer Leute, also könnte ich auf einem Foto auch verdammt nochmal lächeln. Okay, meine Mutter flucht nicht, sie sagt: Ich kann auf einem Foto auch mal lächeln. Und das versuche ich auch, weil sie ja Recht hat. Natürlich hat sie das – Mütter haben doch immer bei allem Recht, oder? Ich kann mich einfach sehr glücklich schätzen mit dem, was ich mache!

Interview geführt von Philipp Moser.