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Plastikfrei einkaufen – noch Trend oder schon Standard?

Geschrieben von am 23. Februar 2020

Es ist Mittwochabend, 18.15 Uhr. Ich treffe Sonja Walke im Herr Sonnenschein, einem Café in der Münsteraner Innenstadt. Ihre eigenen vier Wände sind ihr heilig, deshalb treffen wir uns hier. Passend zu unserem Gesprächsthema kommt der Kamillentee, den wir beide bestellt haben, lose in Behältern aus Metall.

Sonja ist 20 Jahre alt und Greenfluencerin, bloggt also über nachhaltigen Konsum und Umweltschutz. Das macht sie seit gut zweieinhalb Jahren unter dem Namen tinygreenfootsteps. „Ich habe super gerne darüber gequatscht und habe damit, glaube ich, mein ganzes Umfeld genervt, weil das vor zwei Jahren gefühlt noch niemanden interessiert hat – und dachte dann, dass man im Internet eher Leute findet, die sich darüber austauschen,“ erzählt sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als ich frage, wie sie zum Bloggen kam. Mittlerweile hat sie über 5.300 Follower*innen auf Instagram und stellt auf ihren Kanälen im Zuge von Kooperationen Produkte vor. Beeindruckend für so ein junges Alter, finde ich.

Zu ihrem Lifestyle gehört fast seit dem Beginn, möglichst ohne Plastik auszukommen. Ich will wissen, wie sie das macht. Angefangen hat es damit, dass sie auf Coffee to Go-Becher und Brötchentüten mit Plastikfenster verzichtet hat. Stattdessen verwendet sie nun einen eigenen Kaffeebecher und einen Brotbeutel aus Baumwolle. In ihrem Alltag nutzt sie außerdem feste Seife anstatt flüssiges Duschgel aus der Plastikflasche, mixt Glas- und Abflussreiniger selbst zusammen und stellt zuhause ihr eigenes Deo her: „Das ist so eine Sache von fünf Minuten. Man stellt sich das aufwendiger vor, als es wirklich ist.“ Wenn sie Lebensmittel wie Nudeln, Reis oder Tee einkauft, nimmt sie dafür eigene Dosen mit und geht damit so oft wie möglich in Unverpackt-Läden.

Unverpackt-Läden bieten ihre Produkte weitestgehend ohne Plastik an. Gewürze, Haferflocken und Nüsse gibt es aus großen Glas-Spendern; Sowas wie Zahnbürsten und Schokolade ist meist in Papier oder Pappkartons verpackt erhältlich. In Deutschland gibt es immer mehr dieser Orte, wie mir der Verband der Unverpackt-Läden bestätigt. Seit der ersten Ladengründung 2014 in Kiel wurden knapp 200 weitere eröffnet. Fast genauso viele seien in Planung. „Das Umweltbewusstsein der Menschen hat sich geändert. Und für Unternehmer wird klarer: Unverpackt verkaufen funktioniert,“ folgert Gregor Witt, der Verbandsvorsitzende, aus der derzeitigen Entwicklung.

In Münster, wo Sonja herkommt und studiert, gibt es insgesamt drei Unverpackt-Läden. Bis vor ein paar Monaten hatte sie es nicht weit zu einem der Läden, dann ist sie umgezogen. Derzeit schafft sie es nicht mehr so häufig, hier einkaufen zu gehen. „Mittlerweile ist das ein bisschen eingeschlafen, weil ich jetzt leider nicht mehr direkt um die Ecke wohne,“ gibt sie zu, als wir genauer über ihre Einkaufsgewohnheiten sprechen. Dennoch gilt das Prinzip: möglichst verpackungsfrei. Obst und Gemüse kauft sie lose im Supermarkt, Lebensmittel wie Tomatensauce bekommt sie im Glas in der Bio-Abteilung eines Drogeriemarktes. Ganz ohne Plastik klappt es jedoch nicht. Ihr Haferdrink kommt aus dem Tetrapack und Sojajoghurt gibt es dort nur in Plastikbechern. Und: „Chips kriegt man unverpackt nicht und müssen manchmal auch sein.“

Ich frage Sonja, was sich seit dem Beginn ihres Bloggerinnen-Daseins verändert hat. Sie überlegt nicht lange. Beim Einkaufen fällt ihr besonders auf, dass es zunehmend Produkte in recyceltem Plastik gibt. Für sie ist das keine zufriedenstellende Lösung: „Ich habe das Gefühl, das wird unglaublich gehypt, vor allem auch in der Werbung. Aber es wird ja auch zum Recyceln Energie aufgewendet.“

Meine Anfragen bei den Supermarkt-Ketten Lidl, Aldi und Rewe zeigen: Tatsächlich setzen die Lebensmittel-Riesen im Rahmen ihrer Umweltstrategien bereits stark auf recyceltes Plastik, zum Beispiel bei Getränken und Putzmitteln. Tendenz für die nächsten Jahre steigend. Gleichzeitig wollen alle drei Ketten den Anteil der Plastikverpackungen bei Eigenmarken bis 2025 reduzieren (Aldi 30%; Lidl 20%; Rewe 20%). Laut Rewe und Lidl soll dann auch sämtliches Material recyclingfähig sein. Ein Zufall ist das nicht, da viele dieser Maßnahmen durch eine neue EU-Richtlinie erforderlich werden.

Mich interessiert, was ein Wissenschaftler dazu sagt und ich wende mich an Yusif Idies. Er ist Nachhaltigkeitsforscher an der Uni Münster. Zunächst sei es nicht schlecht recyceltes Plastik zu verwenden, jedoch packe es das Problem nicht an der Wurzel. Spätestens nach fünf Kreisläufen in der Wiederverwertung sei das Rezyklat nicht mehr zu gebrauchen und nur noch Müll. Zudem weist er auf Rebound-Effekte hin, wenn Verbraucher Produkte in recyceltem Plastik nutzen: „Das ist so ähnlich wie bei sparsamen Autos. Man denkt, dass man durch den geringeren Verbrauch mehr fahren kann. Dadurch schlägt das dann teilweise ins Gegenteil um und man verbraucht mehr.“

Unverpackt Einkaufen ist aus Sonjas Sicht das Ideal, das verfolgt werden müsste. Daran knüpft die letzte Frage an, die ich mit ihr klären will: Kann das zum Standard in der Gesellschaft werden? „Die große Masse sehe ich noch nicht so.“ Die Einzige, die in ihrem Umfeld ebenfalls konsequent versucht auf Plastik zu verzichten, ist die Mutter ihres Freundes. Oft scheitere es daran, dass Menschen im Alltag zu gestresst sind, um umzudenken: „Generell bräuchte es so eine Umverteilung, dass Leute weniger arbeiten müssten und dann die Zeit hätten besser, also plastikfrei, zu konsumieren.“

Es ist 19.12 Uhr im Herr Sonnenschein. Die Kamillentees sind längst ausgetrunken. Sonja und ich verabschieden uns vor dem Eingang des Cafés. Um ein paar Denkanstöße reicher mache ich mich auf den Weg nach Hause.

Autorin: Brigitte Lieb
Fotos: Sonja Walke