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Wet Leg – Wet Leg

Rezensiert von am 10. April 2022

       

Verspielte Gitarrenriffs, Musikvideos in Bademänteln oder im Hummeroutfit, Texte, die wochenlang im Kopf rumspuken – es hat einen Grund, warum Wet Leg DIE Newcomer Band der Stunde ist! Auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum versprühen Rhian Teasdale und Hester Chambers einen liebevollen Charme, dem wir nur schwer entfliehen können, aber wieso sollten wir auch…

Bubble-Gum Attitüde auf der Verliebtseins-Achterbahn

Das Kultlabel Domino Records hat zuletzt mit den Veröffentlichungen von Ela Minus oder Sorry gezeigt, was für ein gutes Näschen es in Sachen Newcomer*innen hat. Mit Wet Leg fügt Domino nun ein absolutes Indie-Juwel dem riesigen Labelkatalog hinzu. Kaum haben Rhian und Hester, die beide auf der idyllischen Isle of Wright aufgewachsen sind, ihre Band 2019 gegründet, kommt 2020 der Domino Plattenvertrag ins Haus, 2021 liefern sie mit “Chaise Lounge” vielleicht DEN Indie-Hit des Jahres und landen 2022 auf Platz 2 der heißbegehrten BBC Sound of 2022 Liste. Dabei bleibt der Indie-Rock der beiden immer schön zwischen den Stühlen. Bereits im Opener “Being in Love” kommt der bezaubernde Charakter Wet Legs zum Ausdruck: Bubble-Gum Attitüde trifft auf Pavement-Riffs. Die Ups- and Downs des Verliebtseins werden treffend musikalisch übersetzt. Kaum haben wir uns in den strukturierten Strophen in die ruhigen Klagen Hesters eingefunden, brechen die Gitarren im Refrain über uns herein; wir werden herumgeschleudert und wissen nicht mehr wo uns der Kopf steht – tja so ist das halt mit dem Verliebtsein.

C: Hollie Fernando

Frischer Wind für die Indie-Disco

Hat sich der Verliebtseinstrubel gelegt, geht es ab auf das Parkett der Indie-Disco. Diese wurde in Lockdownzeiten eigentlich längst für tot erklärt und zudem fühlt sich der Sound von Franz Ferdinand oder Phoenix inzwischen auch ein wenig überholt an. Doch “Chaise Lounge” schafft Abhilfe und belebt das staubige Parkett neu. Der Song vermengt alle Indie-Überhit Zutaten in exakt der richtigen Menge, als da wären: ein ruhiger Einstieg, der einen baldigen Ausbruch ankündigt; ein dezent zweideutiger Text (“I went to school and I got the big D”); Popkulturelle Referenzen (auf den Film Mean Girls) und ein einprägsamer, schwungvoller Refrain der direkt Wiedererkennungswert hat. Und zack: verzeichnet ein Indie-Tune einer bisher unbekannten Band innerhalb weniger Monate weit über zehn Millionen Streaming Aufrufe und wird zum weltweiten Gesprächsthema. Doch bloßer Formalismus und eiskaltes Kalkül lassen sich hinsichtlich Wet Leg nicht konstatieren – zu sehr klingt die Spielfreude aus den Songs heraus, zu gewitzt sind die Texte. 

Die Kunst der Abgebrühtheit

Selbst wenn Wet Leg in “Wet Dreams” über die feuchten Träume eines obszönen Ex-Freundes singen, lässt sich kaum Wut verspüren, sondern nur ein gewitzt lässiger Umgang mit der Nervensäge. Klaaaar komme ich nochmal rum zum DVDs schauen, am liebsten würde ich mich diiiirekt hinbeamen, NEIN. Das wirklich Punkige an Wet Leg ist eben der Verzicht auf den direkten Ellebogen und das Abfucken auf Albumlänge. Viel mehr dominiert hier der liebevolle Spaß. Und der trifft oftmals tiefer als eine aufgesetzte Härte. Die direkte Beleidigung “When I think about what you’ve become / I feel sorry for your mum” in “Ur Mum”, wirkt durch den lockeren Vortrag, die Bubblegum Melodie und das daraufhin einsetzende liebevolle “dum dum dum dum dum dum” lässig abgebrüht. Hier hat jemand wirklich mit einer Beziehung abgeschlossen und kann nur noch über die Verletzungen lachen.

Dieser charmante Slacker Lifestyle wird in “Supermarket” überzeichnet auf den Höhepunkt gebracht. Wet Leg singen über das Rausgeschmissenwerden im örtlichen Supermarkt, da man zu high ist. Dazu setzt lallender Gesang komplett neben der Spur ein und das Wort “High” wird in einem obskuren Jodeln vorgetragen. Das ist Humor ohne die Brechstange, liebenswert und selbstironisch. Selbst der einzige musikalisch eher durchschnittliche Track “Piece of Shit” wird durch gewitzte textliche Vergleiche wie “You’re like a piece of shit, you either sink or float” aufgewertet und das diskret-schelmische Grinsen bleibt auf dem Gesicht bis zum wunderschön-treibenden Closer “Too Late Now”.

Mit ihrem selbstbetitelten Debüt setzen Wet Leg auf die deeskalierende Kraft des gemeinsamen Spaßes. An allen Ecken und enden schwingen die Ohrwurm-Melodien und lächelnde “Fuck You”-Ansagen aus den Boxen. Diese Attitüde hätten wir in den Achtzigern als “kess” betitelt.

“Wet Leg” ist vielleicht das selbstbewussteste Album seit langem.

Statt die Harten und Coolen zu mimen, lauert hier und da ein pubertärer Witz, es wird sich über sich selbst lustig gemacht und was die Anderen von dir denken ist doch eh egal – denen schenken wir nur ein unverständnisvolles Lächeln und lassen sie mit ihrem Scheiß allein. Und so können wir gespannt auf die nächsten Platten der Band warten, die sich nicht zu schade ist “You’re so woke” auf “Diet Coke” zu reimen.


Label: Domino Records
Veröffentlicht am: 08.04.2022
Interpret: Wet Leg
Name: Wet Leg
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