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Swindle – The New World

Rezensiert von am 1. November 2021

       


Warum konnten sich britische Hip-Hop- und Grime-Künstler hierzulande nie so recht durchsetzen? Das ist wohl eine der großen ungelösten Fragen der Popkultur. Der Londoner Produzent Swindle ist bisher vollkommen an euch vorbeigegangen? Dann geht´s euch ähnlich wie mir. Aber mit dem vierten Studioalbum des Künstlers, der mit bürgerlichem Namen Cameron Palmer heißt, sollte sich das ändern. Zwischen Funk, Hip-Hop, Grime und Reggae lassen sich unter den zahlreichen Features begnadete Künstler*innen finden, die wie Greentea Peg trotz Millionen Youtube-Klicks in Deutschland keine Rolle spielen. Es wird also Zeit, die musikalische Kreativität und Großartigkeit der Inselbewohner wertzuschätzen und sich mit Swindle eine neue Welt zu erschließen.

Zwischen Grime, Dubstep, Garage und Funk

Swindle produziert mit Einfluss seiner lebenslangen Liebe zur Musik, die vor allem dem Jazz, Soul und Hip-Hop gewidmet ist. Er wuchs in South London auf und war kontinuierlich von der Musik umgeben, die er jetzt auch produziert. Mit einem Blues-Gitarristen als Vater, der ihm bereits im jungen Alter Gitarrenstunden gab, war es nur logisch, dass er selbst bereits mit 14 Jahren im Schlafzimmer das produzieren von Musik begann. Seine ersten Veröffentlichungen unter dem Künstlernamen Swindle waren selbst-veröffentlichte Mixtapes im Jahr 2007. Die 140 Mixtapes waren voller Features von Grime-Musiker*innen, unter anderem No Lay, Big Narstie und Ghetto (später: Ghetts), die über seine Produktionen reimten. 2009 folgte dann die rein instrumentale Platte “Curriculum Vitae”.  Darauf folgten zahlreiche Singles und EPs, die vor allem unter Einfluss von George Benson und Stevie Wonder standen, was ihn von den meisten U.K. bass producers abgrenzt. Sein erstes richtiges Debut-Album erschien 2013 unter dem Namen “Long Live the Jazz”, bei dem er Dubstep-Rhythmen mit Talk-Box-Vocals und funky Gitarren-Sounds vereinte. Sein Lebenslauf liest sich wie ein Who´s Who der britischen MC-Szene, und doch ist er kein One-Hit-Wonder. Swindle fühlt sich gleichermaßen zuhause, wenn es darum geht, UK-Funk-Tracks zu bauen, aber gleichzeitig kann er die Tanzflächen mit pulsierenden Basstunes völlig zerstören. In den letzten Jahren hat er immerhin die Crème de la Crème der britischen Funk-Szene um sich versammelt und die “Who Said Funk”-EP mit Künstler*innen wie Shea Soul, Natalie May oder A.L versehen.

Soul und Jazz als tiefe Gesellschaftskritik

Bereits im August 2021 hatte Swindle sein viertes Studioalbum “The New World” angekündigt. Vorher ist bereits der Song “No Black, No Irish” als Singleauskopplung erschienen. Er ist jazzy, souly und steckt voller Kritik, denn er thematisiert die Diskriminierung von POC in Großbritannien. Der Lockdown hat auch Swindle sehr beeinträchtigt, und außer des Zuhause sitzens und an neuen Tunes basteln ist er lediglich zum Protestieren mit Joel Culpepper, der auch einer seiner häufigen Feature-Gäste ist, vor die Tür gegangen. In einer Zeit, in der es wegen des Mordes an George Floyd eine weltweite Protestbewegung gab, sei der Song aus einem Gespräch zwischen Joel und Maverick entstanden. Inhalt ist Swindles politische Wut, auf welche Heilung folgen soll. Untermalt wird das ganze von einem eher fröhlichen Beat, Hörnern und Streichern. Der Titel des Songs entstammt Plakaten, die zu der Zeit in Hotels und Bars hingen und er reflektiert die Verbindung der Black Community mit der Irischen Community.

Sexy. Groovy. Meisterhaft produziert. Swindle ist zurück und er hat seine Freunde mitgebracht.

Warum ist “The New World” jetzt aber Album der Woche bei Radio Q? Wer es sich anhört, merkt sofort, dass es etwas ist, das man so bisher selten gehört hat. Es ist experimentell, manchmal kühn, enthält aber weniger Drum´n´Bass-Einflüsse und Dubstep-Rhythmen als einige von Swindles früheren Veröffentlichungen. Insgesamt wirkt es wie ein sehr bedächtiges und temporeiches Album, das die Vielfalt des Sounds und des Talents, für die Swindle in seinen früheren Veröffentlichungen bekannt geworden ist, beibehält. Hörer*innen bleiben selbst nach mehrmaligem Hören im Unklaren darüber, welches Genre sie sich eigentlich gerade anhören, nur um sich dann zu fragen, ob Genre-Kategorisierungen nicht längst überholt sind. Offensichtlich wird bei Kenner*innen aber auch, dass Swindle ein absolutes Genie in Sachen Genres ist. Er kennt die verschiedenen, die er bedient, bis ins kleinste Detail. Sein Respekt vor den Urvätern des Funk schimmert im Hüllkurvenfilter des Basses durch, während man die Authentizität in den Off-Beat-Rhythmen des Reggae-Breakdowns auf “What More” (feat. Greentea Peng) hören kann. Abgerundet wird das Album dann aber durch die Auswahl an Sänger*innen und Rapper*innen, die ihre eigenen Stile und Ideen rüberbringen, ohne zu dominieren.

Feature-Gäst*innen – Jonglage zwischen Neulingen und Alteingesessenen

Die Art und Weise, wie Swindle hervorragenden aufstrebenden Talenten eine Stimme gibt, ist grandios. Gleichzeitig schafft er es, Leute mit etabliertem Namen wie Maverick Sabre, aufhorchen zu lassen. Trotz langjähriger Kollaborateur*innen ist Swindle immer offen für neue Partner*innen, was seine Musik stets frisch und innovativ macht. Auf “The New World” stechen die Leistungen von Greentea Peng und JNR Williams hervor. Einer der spannendsten Tracks ist wohl “Blow Ya Trumpet”. Der Beat hebt sich von allem ab, was ich bisher gehört habe – die Bläser scheinen fast ein Eigenleben zu führen und zeitweise erinnern sie an einen Mario-Kart-Soundtrack. Vier MCs, nämlich Knucks, Ghetts, Akala und Kojey Radical, präsentieren abwechselnd ihre Stile auf eigene Versionen des Beats, was den Track wie ein hörenswertes Rap-Battle wirken lässt.

“The New World” als Ausdruck Swindles ehrlicher Liebe zu Musik in ihrer Gesamtheit

Swindle hat oft in Interviews zum Ausdruck gebracht, wie sehr er die heilende Kraft von Musik schätzt. Das Hören des Albums ist eine Begegnung mit einem Künstler, der ebenso viel Trost in seinem Handwerk spenden kann, wie er selbst findet. Es erzeugt ein seltenes und surreales Gefühl, das eine gemeinsame Leidenschaft für das ausstrahlt, was das Leben zu bieten hat. Seinen Wunsch, eigene Räume zum Ausprobieren und Gedeihen zu schaffen, konnte er sich mit “The New World” allemal erfüllen. Letztendlich hat das Album für jeden etwas zu bieten und Songs für jede Stimmung. Die Vielfalt der Talente ist erstaunlich wie spannend. Und es war Swindles Vision, die dieses Album genreübergreifend und doch konzentriert, energiegeladen und doch entspannt wirken lässt. 


Label: BMG Rights Management UK
Veröffentlicht am: 29.10.2021
Interpret: Swindle
Name: The New World
Online: Zur Seite des Interpreten.


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