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Sleaford Mods – Spare Ribs

Rezensiert von am 15. Januar 2021

       

Laute, aggressive, desillusionierende Texte spuckt Jason Williamson in derben ostenglischen Dialekt ins Mikrofon, während sein Kollege Andrew Fearn im Hintergrund still lächelt und aus einer Bierflasche trinkt. Mehr brauchen das Duo Sleaford Mods bei ihren Auftritten nicht. Ein Mikro, ein paar Kästen Bier und der Laptop auf dem Fearn seine Klangkulissen abfährt und dann die Hände wieder in seiner Jogginghose vergräbt. Hier gehts nicht um die große Show, um ein Image oder eine Marketingstrategie. Sondern darum, dass da auf der Bühne zwei normale Menschen, ohne großen musikalischen Hintergrund, mitten aus der Arbeiterklasse Englands stehen, die mit ihrer Musik der Wut eben dieser Menschen einen Sound geben. 

 

Das Elektro-Punk Duo Sleaford Mods aus Nottingham ist schon seit 13 Jahren in diesem Buisness. Aber erst 2013 steht hinter ihren Songs ein regulärer Vertrieb dahinter, als sie nach einem Festivalauftritt von Punklabel Harbinger Sound unter Vertrag genommen werden. Es erscheint das “Debüt” Austerity Dogs, und die Kritiker feiern die damals Anfang 40-jährigen, als wäre das Duo ein absoluter Newcomer. So oder so werden Sleaford Mods seitdem zu einer popkulturellen außerparlamentarischen Opposition, die den Abstieg ihres Heimatlandes in den Nationalismus inklusive Brexit kommentiert. Oder vielmehr über einfach-produzierten Samples Gedanken zu den stetig wachsenden Spaltungen der britischen Gesellschaft und steigender Armut auskotzt. Und selbst wenn man die Lyrics aufgrund von Sprechgeschwindigkeit oder dem Akzent Williamsons nur bruchstuckhaft versteht, ist die Dringlichkeit seiner Aussagen im intensiven Sound unmissverständlich. Dazu kommt dann noch ein sarkastischer Humor in alle Texte und Albumtitel, wie 2019 mit Eton Alive – ein Wortspiel, dass die Formulierung “Eaten Alive” (lebendig gefressen) mit der Privatschule Eton College verbindet, wo Großteile des royalen und politischen Establishments Großbritanniens eine elitäre Ausbildung genießen durften. 

 

Spare Ribs ist nun bereits das elfte Album von Sleaford Mods, vollgestopft mit Beleidigungen und immer noch scheint ein Bedürfnis für diese Bewältigungstherapie der Realität des Heimatlandes da zu sein. Innerhalb von drei Wochen nimmt das Duo das komplette Album während des Lockdowns auf, aber die Produktionsbedingungen halten die beiden Nottinghamer eh immer gleich: Mit Ideen zu Songs und Texten in den Keller, Bier trinken, Laptop aufklappen und liefern. Jason Williamson, mittlerweile recht gut situiert in einem schönen Viertel Nottinghams mit Familie, ist immer noch ausreichend wütend, als das der ruhigere Andrew Fearn dazu einfach Leinwände aus pochenden Beats und einen elektronischen Sound legen muss, und fertig ist ein keineswegs altermüdes oder besänftigtes neues Album.

Nach dem 44-sekündigen Opener The New Brick, wo Fearn seine neu angeschafften und blubbernden modularen Synthesizern präsentiert, wird in den nächsten 40 Minuten eiskalt abrechnet. Ob jetzt mit Ex-Regierungsberater Dominic Cummings, dem Williamson in Shortcummings ungewöhnlich metaphern-reich die Ohnmacht vor der heimischen Nachrichten-Situation inklusive Fake News vorwirft. Oder mit anderen Künstler*innen zu Samples von Schlagzeug und Klavier in Nudge It, wo britischen Musiker*innen, die Bilder in sozialen Wohnvierteln aufnehmen, Klassentourismus vorgeworfen wird. Der monoton treibende Sound wird zur Bridge noch von einer Rap-Passage der Sängerin Amy Taylor unterbrochen, eine der für Sleaford Mods ungewöhnlich vielen Gäste auf diesem Album. 

 

Eine weitere davon ist die britische Musikerin Billy Nomates, die in Mork n Mindy über elektronischen Clubrhythmen und zwischen dem im Sprechgesang anmutenden Strophen Williamsons mit “you go, too high too low // but the system won’t go” ein nüchternes Bild eines englischen Vororts malt. Musikalisch und auch im sprachlichen Duktus gehen Sleaford Mods auf Spare Ribs einige Experimente ein: am Anfang von Elocution, ein Song, in welchem Williamson die Institutionalisierung von Kultur durch Preise oder im Missbrauch für soziale Kampagnen anprangert, adressiert er dies in feinstem Oxford English: “Hello, I’m here to talk about the importance of independent venues”. Sein Partner Fearn experimentiert unter anderem mit dem EInsatz von Chorstellen in Glimpses oder hallenden Effekten, die einem sich Songs wie I Don’t Rate You in einem wummernden Club vorstellen lassen.  

 

Spare Ribs, für Sleaford Mods ein Sinnbild für jede Person in der Masse, die in katastrophalen Zeiten des Kapitalismus für die Mächtigen nichts weiter ist als ein Ersatzteil, das auf seinen Einsatz wartet, schlägt für das Duo definitiv neue musikalische Töne an. Bleibt aber immer noch die Leerstelle für das britische Proletariat, dass mit den Lyrics des Albums eine wütende und ausdrucksstarke Stimme bekommt, die es sich selbst vielleicht nicht zu geben vermag. Und die bleibt hier so rotzig, direkt und unbearbeitet wie schon immer, denn ihre Musik muss ja, wie der Jason Williamson in einem Interview sagt, “ein bisschen scheiße klingen”, damit sie so wirken kann wie sie soll. 

 

Bunch of Kunst – A film about Sleaford Mods in der BR-Mediathek

https://www.br.de/mediathek/video/musikdokumentarfilm-bunch-of-kunst-a-film-about-sleaford-mods-av:5efc717d0851fd001bb4471b

 


Label: Rough Trade Records Ltd.
Veröffentlicht am: 15.01.2021
Interpret: Sleaford Mods
Name: Spare Ribs
Online: Zur Seite des Interpreten.


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