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Shame – Food For Worms

Rezensiert von am 26. Februar 2023

       

Und wenn unsere Körper nach einem ausgiebigen, kräftezehrenden Leben dann unter der Erde liegen, sind sie nichts anderes mehr als das Mittagessen der Destruenten, der Würmer, Asseln und Maden. Der Körper wird abgetragen und in den Verdauungsorganen der Tierchen verschwindet mit ihm zunehmend seine Bedeutung. Das ist zugegebenermaßen eine stark nihilistische Weise den Titel des neuen Albums der südlondoner Post-Punker Shame zu lesen. Doch tatsächlich ist “Food For Worms” gefüllt mit Depression. Aber statt sich in den Depressionen zu verlieren, fokussiert sich die Band um Sänger Charlie Steen auf die zwischenmenschliche Komponente. Dabei wechselt sich die Perspektive stets. Mal wird auf eine andere Person mit ihren Problemen geschaut, mal breitet sich die Depression in der Erzählinstanz selbst aus. Steen erklärt, dass das Album ein Freundschafts-Paradigma verfolge. Doch wird hier ausschließlich auf die Momente geschaut, die den Schmerz in der Freundschaft in den Fokus stellen. Mit ihrer musikalischen Raffinesse sind Shame Teil der Post-Rock/Prog-Rock Welle, die sich mit Bands wie Squid, Dry Cleaning oder Black Country, New Road weiterhin um den Londoner Club The Windmill ausbreitet. 

Wenn der Opener “Fingers of Steel” mit einer melancholischen Klaviermelodie startet, die fortan den gesamten Song begleitet, unterstreicht sie musikalisch die repetitiven Muster des Grübelns, das Steen an eine andere Person adressiert schildert:

“And you’re wondering now (You’re wondering now)

About all the thing that you could’ve done differently

You keep retracing all of your steps so frequently

Just let it lie, it never helps”

Schnell wird die Hilflosigkeit ersichtlich, mit der aus der Außenperspektive auf die zweifelnde Person geschaut wird. Es lassen sich zwar Ratschläge geben, doch helfen kann sich die andere Person nur allein.

Belastet wird die Freundschaft, wenn sich eine Person zunehmend in andere Welten flüchtet und sich sozial isoliert, wie “Six-Pack” ausführt. Der Song ist eine treibende Wah-Wah-Cicle-Pit Monstrosität. Die manische Wunschwelt, die der Song entwirft, findet musikalisch entsprechend Ausdruck.

Depression und Zweifel werden in “Alibis” wieder aufgegriffen. Nur scheint sich die Perspektive nun gewandelt zu haben. Nun werden Zweifel aus der eigenen Perspektive geschildert. Nach und nach verirrt sich die Erzählinstanz in immer tiefere, drastischere Gedanken über seine Freundschaften. Es kristallisiert sich ein unschönes Selbstbild heraus: als Person, die die eigenen Freund*innen hängen lässt. Ergo malt man sich selbst aus, dass die Liebe, die man von den Freund*innen erfährt, doch nur geheuchelt sein könne.

“Jack says that he loves me

I question that, I question that, I question that”

Begleitet werden die irrationalen Gedankenwirrungen und Selbstvorwürfe im Refrain von einem schreddernden Gitarrenriff und einer freakigen Leadgitarre. Die Sounds werden in Stereo auf jeweils eine Seite verlagert, um so den schizophrenen, klaustrophobischen Charakter der Gefangenheit im eigenen Kopf zu untermauern.

“Yankees” erzählt von der Aufkündigung einer Freundschaft, da es die Erzählinstanz nicht mehr aushält, dass es der anderen Person stets schlecht geht und sie sich hängen lässt. Hymnenartig lautet es im Refrain “All those things you said to me / Oh, it was enough”. Da “Yankees” dem Song “Alibis” vorausgeht, kann er auch als entsprechende Vorgeschichte aufgefasst werden. Die Vorwürfe, die hier geäußert werden, werden in “Alibis” zu Selbstvorwürfen. Allein die vier bisher aufgeführten Songs verdeutlichen das große zwischenmenschliche Leid, das Depressionen verursachen können.

Dem helfen auch keine Medikamente, wie “Adderal” aufzeigt. Diese lassen einen durch Betäubung am Alltagsleben teilhaben, doch stumpfen die Konsument*innen innerlich ab:

(Adderall) It gets you through the day

(Adderall) You pop and slip away

(Adderall) Your parents really miss you

(You’ve got nothing at all)

Shame inszenieren den Song musikalisch dabei analog der Erzählung. Zunächst die narkotische Lethargie, langgezogene Worte, eine träge Kickdrum analog des reduzierten Pulses, seicht klimpernde Gitarren. Doch sobald sich die Erzählinstanz bewusst wird, dass der Adderall Konsum nicht gegen eine Krankheit hilft, dessen Gründe tiefer liegen (And what it doesn’t birth /Is what it doesn’t break) und stattdessen die soziale Isolation vorantreiben, bricht der Song aus. Steen beginnt wahnhaft zu schreien und verdeutlicht somit auch stimmlich das Absetzen des Medikaments und die Problematiken des Entzugs. Gegen Ende klingt der Song dennoch sanft aus, was einen kurzen Lichtblick erzeugt. Ist der Entzug geschafft? Ist der Calm Down natürlich?

“Different Person” und “All The People” beenden das Album schließlich mit einem geradezu tränenrührenden FInale. Zunächst wird auf “Different Person” geschildert, wie sich eine Person wandelt:

“You feel like a different person

With the same old tongue

You speak with a different accent now for fun”

Der Statik der Depression setzt “Different Person” nun also den Wandel entgegen. Ein neues Begehren ist entfacht: es werden sich neue Schuhe gekauft, eine neue Frisur geschritten, sich sexuell ausprobiert. Die Erzählinstanz schätzt den Wandel und beteuert ihre unabdingliche Freundschaft: 

“But you’re still the same to me

Even though

You speak with a different accent now for fun”

“All The People” manifestiert zu Sunny-Day-Real-Estate-Gedenk-Emo-Klängen schließlich im Chorus die Quintessenz des Albums:

“All the people that you’re gonna meet

Don’t you throw it all away

Because you can’t love yourself”

Shame ist mit “Food For Worms” ein eindrückliches Album über Freundschaft und Depressionen gelungen, das die zwischenmenschlichen Belastungen der eigenen sozialen Isolation herausstellt. Grandios wird das Album schließlich durch die dramaturgische Kopplung von Musik und Wort: klaustrophobische Repetitionen, narkotische Verlangsamung, manische Ausbrüche. Das Quintett macht auf seinem dritten Album deutlich, dass Freundschaft der Weg ist, dem Zynismus entgegenzutreten. Der in der Einleitung geschilderte Nihilismus verfliegt, wenn wir uns gemeinsam um uns im Hier und Jetzt kümmern. Freundschaften geben unseren Leben gleichzeitig Halt, Kraft und Bedeutung. So wird es hinfällig, uns darum zu sorgen, wie unsere Körper wohl den Maden schmecken.


Label: Dead Oceans
Veröffentlicht am: 24.02.2023
Interpret: Shame
Name: Food for Worms
Online: Zur Seite des Interpreten.