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Róisín Murphy – Róisín Machine

Rezensiert von am 4. Oktober 2020

       

Die Ex-Moloko Frontsängerin und irische Disco Queen Róisín Murphy entdeckt auf “Róisín Machine” den Dancefloor als subversiven Ort, als utopische Gegenerzählung zu den zermürbenden neoliberalen, kapitalistischen Verhältnissen wieder.  Eine Vorstellung, die im Jahr 2020, in Zeiten von Großraum-EDM, durchgemanageten DJ-Megastars und weißem Techno-Mackertum nahezu unvorstellbar geworden ist. Die “Róisín Machine” verteilt gratis Dopamin im Club, löst gesellschaftliche Rollenbilder auf und kreiert einen hemmungslos befreiten Dancefloor. Das Artwork verdeutlicht genau was drin ist – Disco und zwar mit Glamour und Ekstase.

Die Tracks für das Album wurden teils über das gesamte letzte Jahrzehnt verteilt veröffentlicht und fügen sich nun zusammen. Geschickt startet Murphy das Album mit dem bereits 2012 releasten “Simulation”. So gesehen ist “Róisín Machine” eine Simulation der berauschenden späten Disco-Ära und frühen House-Szene. Doch wie jede Simulation steht auch Diese mit einem Bein im Hier und Jetzt. Genau das war der Gedanke den Murphy und ihr musikalischer Weggefährte Crooked Man aka DJ Parrot für “Róisín Machine” erdachten – die House-Roots in heutiger Zeit wiederbeleben und -entdecken. Und so zehrt “Simulation” bereits von den Wurzeln des House. Der Song überzeugt mit wunderbarem Aufbau. Von ruhigen Strings über eine smooth pumpende Bassline, hin zu Roisins emotional-hypnotisierenden Gesang “All this is mine / Only a lie / Such a perfect / Simulation” zieht das Stück das Publikum direkt in den Bann des Albums. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr! “Kingdom of Ends” macht genau dort weiter wo “Simulation” aufhört und arbeitet (vielleicht etwas zu lang) auf ein absolutes Highlight hin.

Denn “Something More” ist vielleicht die beste Disco-Hymne die dieses Jahr auf die (virtuellen, danke Corona :/) Tanzflächen der Welt schwingt. Eine langsame, dramatische Hymne über das unaufhörliche doch nie erfüllte Begehren. Selbst alles Geld der Welt kann den Hunger nicht stillen “A billion in the bank, titles of higher rank / But I want something more”. Die vereinte, befreite Discogesellschaft kann aber jetzt, hier, im Moment, zu diesem Song vielleicht für diesen einen Moment eine kurze Befriedigung erreichen. Dem Song wird im Remix der belgischen Soulwax Brüder noch die Krone aufgesetzt und ins Jahr 2020 verfrachtet. Leider ist dieser Remix nicht auf dem Album zu hören.

Eine der schönsten Eigenschaften der “Róisín Machine” ist, dass wir Murphy ihre Leidenschaft anhören.  Das wirkt weniger nach Vernissage wie die Vorgänger “Hairless Toys” und “Take Her Up To Monto” oder Molokos “Statues”, aber dafür nach absoluter Freude am Spiel. Dabei ist die Performance weiterhin Teil von Murphys Kunst – besonders in ihren “Live @ Home” Videokunstwerken.  Zum housigen “Incapable” bewegt sich Murphy, gekleidet in ein futuristisches Outfit irgendwo zwischen Captain America und Medusa durch eine simulierte Krakenwelt. Im Schwarzlicht tanzt sie sich in Ekstase und schafft einen visuellen LSD Trip.

In der abgefahrenen Welt der “Róisín Machine” müssen wir uns “Murphy’s Law” beugen. Dieser Groove-Diktatur lässt sich auf dem Dancefloor auch nur schwer entziehen. Die funky Neil-Rodgers-Gedächtnis-Bassline von “Murphy’s Law” bringt einen entspannten, positiven Funk mit und versetzt jeden Körper in positive Schwingung – “everything is goin’ alright”.

Und wenn sich manch ein*e Hörer*in bei diesem Song wünschen mag, dass dieser Mood nie aufhöre, warten mit “Narcissus” und “Jealousy” zwei noch wahnsinnigere Disco-Brecher auf dem Album. Gerade “Jealousy” tobt bereits seit 2015 durch die Clublandschaft. Ein Glück hat sich Murphy für eine Radio Edit des über 11 Minuten langen Disco Mixes des Songs für “Róisín Machine” entschieden. Diese Variante heizt mit ihren knapp 130 bpm ordentlich ein (im Gegensatz zum eher repititiven House Mix des Songs).

“Róisín Machine” entdeckt die Disco- und frühe House-Ära als Utopie wieder! Dabei ist das Album mehr als nur eine bloße Wiederholung der Musik dieser Zeit – dafür klingt die “Róisín Machine” zu eigen, zu Lustvoll um als Kopie der Kopie zu gelten. Chicago House trug stets den emanzipatorischen Geist der Befreiung von Diskriminierung über Hautfarbe und Geschlecht in sich. Deswegen ist Róisín Murphys Aufgriff und Interpretation dieser Musik im Jahre 2020, in welchem diese Kämpfe weiterhin ausgefochten werden, eine äußerst relevante Erzählung. Willkommen auf dem Freiraum Dancefloor!


Label: Skint
Veröffentlicht am: 02.10.2020
Interpret: Róisín Murphy
Name: Róisín Machine
Online: Zur Seite des Interpreten.


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