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Infant Finches – Sci-Fi Immune

Rezensiert von am 6. Juni 2022

       

Mit dem Duo Infant Finches kommt hier mal wirklich ein spannender Newcomer aus Deutschland in die Musikwelt. Einer mit experimentellem Ansatz und nicht zum tausendsten Mal weich-gespülter Indiepop. Diese Grünschnäbel sagen eben nicht: hier das ist unsere Musik, bitte ordnet uns ein, sondern definieren mit Debütalbum “Sci Fi Immune” in selbstbewusster Haltung den eigenen artifiziellen Sound gekonnt selbst.

Die Musiker Jan Philipp und Frederik Bruun lernen sich in Dänemark innerhalb der zeitgenössischen Musikszene kennen. Sie nehmen ihre Inspirationen zu polyrhthmischen Strukturen, noisigen Elementen und einem komplexem Aufbau von Songs aus diesem Umfeld mit in den eigenen Indie-/Psychedelic Rock-Sound. In Köln beheimatet bilden Infant Finches mit dieser etwas unkonventionellen Richtung einen Mittelweg zwischen der experimentellen Verspieltheit von The Notwist und poppiger Verträumtheit der Düsseldorf Düsterboys. Zufall? Wohl kaum, wenn doch das Debütalbum mit dem renommierten Produzenten Olaf Opal entsteht, der eben auch mit genannten Bands zusammenarbeitet. Zum Teil in einem Studio an der Nordsee aufgenommen ist “Sci Fi Immune” nach zwei EPs jetzt endlich der große Schritt des Duos auf die Musik-Bühne. Ein Album mit Songs, die hauptsächlich eine Sache vereinen: ganz kurz bevor man Gefahr läuft sich in der Komplexität all ihrer Ideen zu verlieren, kommt aus dem Nichts eine Melodie daher geflattert wie ein kleiner Vogel, der in eine bestimmte Richtung losfliegt.

Credit: Paloma García de Juan

Im Opener Sci Fi Immune lassen Infant Finches mit ineinander geschachtelten Rhythmen, die dann irgendwann zu einem noisigen Haufen anwachsen direkt instinktiv an Animal Collectiv denken. Eine positive Verspieltheit und die Frage “Where do we go for a walk?” schafft eine Aufbruchsstimmung. Und auch im Musikvideo sieht man Menschen auf der Suche nach dem bestimmten Etwas durch die Straßen einer Großstadt ziehen.

Der Song folgt keinem klaren oder bekannten Aufbau, vielmehr wird durch die verschiedenen Beats und übereinander gelagerten Melodien ein intensiver Höreindruck erzeugt. Ich muss irgendwie an eine Autofahrt durch die Alpen denken, wenn sich der Sound massiv wie hohe Berge auftürmt und dann in immer neue unglaublich weiten Ebenen ergießt. Over Peculiar nimmt den öffentlichen Raum auf, im Video wandelt man über belebte Plätze und Säulengänge. Der Gesang ist jedoch wesentlich verzerrter als im Opener, eine geheimnisvolle Dunkelheit und sommerlich leichter Optimismus werden in diesem Song umeinander herum gebaut. 

Colours macht zunächst in diesem leichten Vibe weiter, aber dann geht ein disortetes Ende nahtlos in Hi über. Hier scheinen sich hinter Melodie und Rhythmus die ganze Zeit Menschen zu unterhalten, als würde man ein Telefongespräch zwei Räume weiter belauschen. Mit einer entschleunigenden Wirkung durch an leicht Reggae-mäßigen Beat wirkt der Song wie der Übergang zu einer anderen Phase im Album, in der Klang immer plötzlicher die Richtung ändert. Wenn bei See You (As a Dot in a Play) nach anderthalb Minuten “Wohlfühl-Atmo” der Song plötzlich in einen rockigen Break abdriftet, fragt man sich, an was man sich gerade noch festhalten kann. Aber aus dieser Klangwand aus Noise und Drums taucht eben irgendwann wieder eine Melodie auf an der man sich festhalten kann.

“Wir wollten, dass der Hörer unsicher ist, was er da hört: eine Live-Band oder einen Song, der durch stark bearbeitetes Material aufgebaut wird. Beim ersten Hören ist es eine vertraute Ästhetik, aber wir wollten Inspirationen aus verschiedenen Zeiten einfließen lassen und sie miteinander vermischen, was ganz natürlich geschah“ 

Jan Philipp

Spiral kommt mir vom wellenförmigen Rhythmus und der Idee des “aufregenden, neuen Track” mit leicht dissonanten Gesang und ständigen Brüchen leider etwas bekannt vor. Die Vorabsingle Blind Walk holt mich da schon mehr ab, herzklopfende Rhythmusschritte mit weichem mehrstimmigen Gesang lenken die Ohren wieder in helle, strahlendere Klangwelten zwischen Dream-Pop und Shoegaze. 

Mit Accents of Adam folgt der generischste Song auf dem Album, ein voranschreitender Beat macht das Roadtrip-Gefühl vom Opener wieder auf. Kurz bevor es aber zu radiotauglich wird brechen Infant Finches das Schema Strophe-Refrain-Bridge auf: diese Bridge scheint eher nach ihrem richtigen Sound zu suchen und sich erst in der letzten Sekunde überhaupt dafür zu entscheiden sich wieder in den Refrain aufzulösen. Canvas Oil liefert kurz vorm Ende des Albums ein echtes Highlight: der Song fängt ganz unschuldig im 4/4 Indiepopbeat an und zwei Strophen lang wiegen wir uns in dieser Sicherheit. Bis nach anderthalb Minuten der Sound komplett in einer Wand aus Geräusch verschwimmt. Etwas gefährlich und am Rand des Anstrengenden, mit angedeuteten Schreien und einer bis zum Anschlag verzerrten Melodie verhallt dieser Song dann auf einmal in ein Schlagzeugsolo, so absurd das auch klingt.

“Sci-Fi Immune” ist definitiv ein Debüt voller, vor allem musikalischer Experimente, während sich der lyrische Faden eher zurückhält. Wie zwei aus dem Ei geschlüpfte Vögelchen probieren beide Musiker in einem sowohl naiven als auch ambitionierten Ansatz fröhlich drauf los. In Köln, mit OnCologne als eins der wichtigsten Netzwerke für Neue Musik und experimentelle Sounds direkt vor der Nase, scheinen Infant Finches schon mal die richtige Heimat für ihr Projekt gefunden zu haben. Mit diesem Ideenreichtum und der Experimentierfreudigkeit schon beim ersten Album sollte man gespannt sein auf alles was da noch passieren mag – auf der Erde, nicht im Weltraum.


Label: Papercup Records
Veröffentlicht am: 03.06.2022
Interpret: Infant Finches
Name: Sci-Fi Immune
Online: Zur Seite des Interpreten.