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Horsegirl – Versions of Modern Performance

Rezensiert von am 11. Juni 2022

       

Um das Phänomen Horsegirl zu begreifen, lohnt es sich, das Video zu “Dirtbag Transformation (Still Dirty)” ihres Debüts “Versions of Modern Performance” anzusehen. Für den Clip hat sich das junge Trio um Penelope Lowenstein (Gitarrre/Gesang), Nora Cheng (Gitarre/Gesang) und Gigi Reece (Drums) in Penelopes Grundschule eingefunden. Dort imitieren sie gemeinsam mit befreundeten Bands aus dem musikalischen Untergrund Chicagos, namentlich Lifeguard, Friko, Dwaal Troupe und Post Office Winter in kunterbunten Outfits und mit obskuren Accessoires wie Trichtern oder Topfdeckeln den Auftritt einer fiktiven Schulband. 

Der offensichtlich große Spaß, den die Musiker*innen bei dem bizarren Dreh des Videos hatten, überträgt sich leicht über den Bildschirm hinaus auf die Rezipient*innen.  Zudem werden nicht nur anhand des Sounds, sondern auch über die Outfits die Referenzen an den DIY Untergrund der 80er und 90er Jahre in den Staaten deutlich. Während Punk sich langsam komplett im Mainstream auflöste und die Anteile von Sexismus, Hedonismus und vorgeschobener Härte die subversiven Elemente entschärften, formierten sich mit Beat Happening oder Half Japanese Bands, die bewusst die Rolle des Außenseiters stark  machten, der Schwäche und Nervösität in seinen Songs offen zugeben durfte, kreative Geschichten erfand und sich gerne in bunte und schräge Outfits und Kostüme kleidete. Irgendwie erinnert die bunte Kombo in der Grundschul-Aula des Horsegirl Videos im besten Sinne an diese Zeit.

In den LoFi-Aufnahmen des Albums schweben die Riffs der Band förmlich durch den Raum. Während der Opener “Anti-Glory” noch mit einem vielfach wiederholten “Dance!” zum Tanzen auffordert, lässt sich der darauffolgende “Beautiful Song” am besten beim rumhängen auf der Couch mit Freund*innen genießen. Der verwirbelte, aber dennoch melodiöse Song zieht schnell in seinen Bann und regt dazu an, die Welt um sich herum auszublenden.  Hinzu kommt der Tagtraumgedanke: “When a fly’s stuck in your car without a key, how does it breathe?” – das ist alles wunderschön verpeilt.

Die oftmals sehr einfachen, reduzierten Lyrics wie das ständig wiederholte “Fall Into My Wormhole” in “Homage to Birdnoculars” erzeugen in ihrer Mantrahaftigkeit einen Sog, der in Kombination mit dem lässig-brausenden Soundstrudel absolutes Balsam für ein auf Schnelligkeit und Verwertbarkeit getrimmtes Hirn ist. Eine traumhafte Schrammel-Oase – ein Wurmloch in eine entspanntere Welt.

Auf diesem treibenden Trip ist es schon ein wenig störend, wenn das an die Shoegaze-Pioniere von My Bloody Valentine erinnernde “The Fall of Horsegirl” ein wenig zu langsam und doomig daherkommt und die lässige Spätsommer-Atmosphäre in eine kalte Dunkelheit hüllt. Doch die verspielten, lockeren Momente überwiegen zum Glück deutlich!

Im bittersüßen “World of Pots and Pans” spielen Horsegirl im doppelten Sinne mit ihren Einflüssen. Über eine Post-Punkige Melodie wird das unwillentliche Verlieben in die eigene beste Freundin thematisiert. Großartig wird die Phrase “Sometimes I’m thinking that I love you / But I know it’s only lust” von Gang of Fours “Damaged Goods” in “Sometimes I’m thinking that I lust you / But I know it’s only love” umgewandelt. Während man der Lust noch entfliehen mag, wird es bei der Liebe schon schwieriger… Im Laufe des Songs gibt es weitere lyrische Referenzen auf The Jesus and Mary Chain oder The Cure, während die musikalischen Einflüsse dieser Bands ebenfalls im Sound erkenntlich sind.

Den Abschluss macht das absolute Highlight – “Billy”. Laut eigener Aussage wurde der Song vom Sound des neuseeländischen Flying Nun Labels geprägt, das in den 80er/90er Jahren seine Hochphase hatte. Zu dem gedämpften Dröhnen der Gitarren bereitet sich der Protagonist Billy im Wahn auf seine eigene Kreuzigung vor. 

Und ein wenig mag man nach den 33 Minuten Spielzeit auch selbst den Verstand verloren haben. Wenn die Gitarren langsam zu spielen aufhören, endet auch der Rauschzustand (wobei “Rausch” hier selbstverständlich auch auf die LoFi-Produktion zutrifft). “Versions of Modern Performance” verdeutlicht, warum Horsegirl nicht erst seit dem letzten SXSW Festival im internationalen Indie-Rock Feuilleton im Fokus stehen. Der lockere, verschrobene Sound transferiert die alten Indie-Rock Tage ins Jahr 2022 und lässt den Spirit der unangepassten Lässigkeit wieder aufblühen. Wenn man dann noch bedenkt, dass die gesamte Band noch unter zwanzig ist, teilweise noch im letzten High School Jahr steckt, plus all die befreundeten Artists aus dem Video zu “Dirtbag Transformation (Still Dirty)” ebenfalls nicht viel älter sind, dann sollte spätestens jetzt mit den ganz großen Fernrohren auf das Wirken der jungen Chicagoer Indie-Szene geschaut werden.


Label: Matador
Veröffentlicht am: 03.06.2022
Interpret: Horsegirl
Name: Versions of Modern Performance
Online: Zur Seite des Interpreten.


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