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Francis Harris – Thresholds

Rezensiert von am 1. März 2022

       

Ein paar ungemütlich, nicht wirklich einladend wirkende und darüber hinaus noch sehr hässliche Stühle. Ein Röhrenfernseher, gefährlich wackelig an einem Stativ an der Wand angebracht, Vorhänge aus Plastik und die Wand gestrichen in einem lebensverneinenden Gelb. Der Inbegriff der in Räumen ausgedrückten Unpersönlichkeit – das Wartezimmer. Ein Ort an dem niemand gerne verweilt und man doch vom Schicksal oft genau dazu gezwungen wird. Aber auf magische Weise hat die Langeweile an einem solchen Ort zu der Entstehung von einem der spannendsten Musikgenres überhaupt geführt: als Brian Eno 1978 mit “Music for Airports” den Ambient begründet. Eine elektronische Musikrichtung, bei der ein sphärisch – langgezogener Sound im Vordergrund steht und das Warten für seine Hörer*innen zum Klangerlebnis macht.  

Foto: Timothy Charles Lyons 

Von Langeweile kann man bei der aktuellen Weltlage sicherlich nicht sprechen. “Thresholds”, das vierte Album von DJ Francis Harris, ruft viel mehr zu einer Flucht aus der Realität und in Tagträume in Form von zwölf wunderschönen Klangkunstwerken auf. Mit seinem Debüt “Leland” von 2012 wurde der Brooklyner zunächst in die “klassische” Technoszene verortet, mit den Jahren formt sich seine Liebe zum Ambient, zu organischen Elementen und Erweiterungen der Textur seiner Musik.  Für “Thresholds” holt Harris sich nun Hilfe von unter anderem Eliana Glass, Dave Harrington, Mark Nelson und Will Shore und produziert wieder unter eigenem Label. Im Gegensatz zu den vorherigen Alben von 2012 und 2018 verfolgt Harris auf “Thresholds” keine singuläre Thematik oder die eine bestimmte Geschichte. Auch persönliche Ansätze oder Orte lassen sich kaum rauslesen. Die psychoakustische Welt präsentiert sich einem auf diesem Album wie ein weißes Blatt Papier oder eine unbespielte Filmrolle, die nur darauf warten mit den Bildern der Hörer*innen gefüllt zu werden. 

So entführt mich der Opener Useless Machines an einen Ort, wo eine unter dickem Eis verborgene Zivilisation zu erwachen scheint. Nachdem der Beat das Herz zum schlagen gebracht, wird langsam eine Geige rau angeschlagen, wie beim Wetzen eines Messers vor dem Kampf. Als würde man eine fremde Evolution durch Glas betrachten und dieser ein warmes Leben einhauchen. And Everything Is The One Thing After Another – die Menschen sprechen miteinander und werden dann von klaren Gitarren überschwemmt. Während sich im Hintergrund eine noisige Wand aufbaut scheinen die verschwommenen Stimmen wie in einem altmodischen Kino auf einer Filmrolle direkt neben dem Ohr abgespielt zu werden. Dann setzt Gesang ein, aber immer nur in Ansätzen. Immer wieder wird eingeatmet als versuche jemand etwas zu sagen, kann aber nicht die richtigen Worte finden, während Gittaren, Percussion und Xylophon in einen noise-igen Sound verschwimmen.

Rebstock Fields wird dominiert von schnell abbrechender elektronischen Percussion. Inspiriert vom Rebstockpark in Frankfurt hört man im Hintergrund die hektische Großstadt, es klingt fast nach den im Ambient viel gebrauchten Field Recordings. Aber es ist auch nicht wichtig ob Francis Harris jetzt wirklich in Mainhatten Sounds von der Straße aufgenommen hat. Das Bild des Stadtparks als ein Ort der Ruhe, wo man sich einfach auf einer Bank niederlässt, während das Leben an einem vorbeizieht, macht die Essenz des Songs aus. Menschen, Autos, Eindrücke fliegen vorbei, was zählt sind die Sonnenstrahlen, die sich in winzigen Partikeln auf der Haut auszubreiten scheinen.

Der titelgebende Song Threshold nähert sich ganz im wörtlichen Sinn einem Schwellpunkt an, nachdem sich der Ton des Albums ändert soll. Die Klangfarbe wird mit der ständigen Wiederholung elektronischer Sekunden minimal verändert, aber in einer solchen Geschwindigkeit, dass es mir vorkommt als würde ein kleiner Roboter auf Speed durch seine animierte Welt fetzen.

Luck Takes a Step macht danach mit lang gezerrten Streichern wieder neue Türen auf und die kleinen Sonnenstrahlen kommen in Form von Harfen und Xylophonen zurück. Der Song fühlt sich ein bisschen an wie durch weite sonne-durchtränkte Riffe zu schwimmen, durch die hin und wieder bunte Algen von Duddelsack-Melodien fließen und, wie kurz aufflammende Erinnerungen, wieder weiterziehen. Eine Minute vor Ende verhallt das Meer im luftleeren Raum der Stimmen und das Wasser kommt in Speculative Nature Of Purposive Form vom Himmel. Das Bild einer verregneten Nacht baut sich unfassbar schön auf bis in der Mitte des Songs ein verschwommenes Saxophon in der Ferne einsetzt und eine melancholische Melodie in den Nachthimmel bläst.

Mit Cut Up wird diese zurückgenommene Phase auf dem Album wortwörtlich abgeschnitten. Der Rhythmus gibt wieder mehr die Struktur vor, umherklickernde Sounds nehmen Fahrt auf und versetzen mich in eine postapokalyptische Clubnacht, in der Ekstase auf Einsamkeit trifft. Der großartige On That Occasion, Landeau katapultiert mich in die doch sehr lebebdig-flirrende Hitze der Großstadtwüste zurück. Der Gesang wird zum Ende des Albums verzerrter wie bei einer schlechten Bildschirmübertragung und die sich stimmenden Streicher vom Anfang kommen in Every Degree of Distance zurück. Das tiefe Klavier setzt ein und das Schiff meiner Gedanken scheint sich im Closer langsam von der Küste wegzubewegen.

Dieses Album wird jeden Menschen der es hört auf unterschiedliche Art aus einem Wartezustand mitnehmen und lässt sich daher kaum mit objektiven Kriterien beschreiben. Auf jeden Fall hat es die Flucht aus der Tristesse seines Covers geschafft. “Thresholds” lebt von mal minimalistischen, mal breit aufgebauten Sounds, Instrumentensnippets aus der Ferne und immer wieder einem Hauch von Melancholie. Nach diesem Album ist man eingehüllt in Klang – und hat vielleicht darüber das Warten auf was auch immer vergessen.


Label: Scissor and Thread
Veröffentlicht am: 25.02.2022
Interpret: Francis Harris
Name: Thresholds
Online: Zur Seite des Interpreten.


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