Aktueller Song

Titel

Künstler

Aktuelle Sendung

Abwasch

18:00 19:00

Aktuelle Sendung

Abwasch

18:00 19:00


Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – Gschichterln aus dem Park Cafe

Rezensiert von am 11. Juli 2021

       

“I’d prefer not to”, mit diesen berühmten Worten verweigert sich Bartleby in Herman Melvilles “Bartleby der Schreiber” jeglicher Arbeit und besetzt das Büro in dem er eigentlich seiner Lohnarbeit nachgehen sollte. Vermutlich würde Bartleby an dem ein oder anderen Song von “Gschichterln aus dem Park Cafe” von der kultigen Northern Soul Kombo Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen seine besondere Freude haben. Die unter anderem von den Ex-Superpunks Carsten Friedrichs und Tim Jürgens gegründete Gruppe hat sich auf “Gschichterln aus dem Park Cafe” den erfreulichen Themen in schwierigen Zeiten gewidmet: Ferien, Rosenduft, Erotik, das Lotterleben. Doch statt in blinde seichte Pop Welten abzudriften, gibt es zuhauf Seitenhiebe auf Bürokratentum, Leistungsgesellschaft und die Schickeria und bleibt damit ganz den Wurzeln des Northern Soul, die in der britischen Arbeiter:innenklasse liegen, treu. Die treibenden, brass-lastigen Songs verwandeln jeden traditionellen Biergarten in eine Heterotopie, die die Transzendenzerfahrung gegenüber dem tristen 9-to-5 Leben feiert.

Eingeleitet wird diese Alltagsflucht allerdings erst in aller Deutlichkeit auf der zweiten Hälfte des Albums. Geradezu charmant wird in “Später kommen, früher gehen” die bartlebysche, schelmische Freude an der Arbeitsverweigerung geschildert. Auf die Bestandsaufnahme zu Beginn, gibt es Einblicke in die Misere: “In der alten Tretmühle / ist kein Platz für Gefühle / […] / Am Sonntag war ich noch frei / Der Montag ist schwer wie Blei”. Doch dann kommt die Erkenntnis, dass dies nicht der Endzustand sein muss, also wird vor der Arbeit noch die Plattensammlung sortiert und – besonders entzückend – die Form der Wolken studiert. Soll der Chef halt mal 5 Minuten warten. Außerdem sei noch die Studis nur allzu bekannte, geschilderte Szene angeführt: “Adorno zitieren / ist nicht von ihm / das kann passieren”. Schelmische, lyrische Raffinesse trifft auf beschwingte Bläser – ein absolutes Goldstück im bereits 6 Studioalben umfassenden Katalog der Hamburger.

In die gleiche Kerbe schlagen, mit nicht weniger Charme, gleich drei weitere Holiday Songs “Später kommen, früher gehen”. In “Ferien für Immer” kommt der Wunsch zum Ausdruck, für immer ungebunden im Strandurlaub das gute Leben zu genießen. Um sich das leisten zu können, ackert das Lyrische-Ich jeden Tag im Büro, und sieht eine 747 nach der anderen über sein Büro fliegen. Der Traum einmal den großen Erfolg zu haben, treibt das Lyrische-Ich jeden Morgen zur Arbeit. Dass der große Traum vermutlich auf ewig ein Traum bleiben wird und die Zeit, die man stattdessen im Büro totsitzt eigentlich auch schöner genutzt werden könnte ist der Unterton, der hinter der treibenden Dur-Kulisse durchdringt. Nach dem erfrischenden Ska-Instrumental “Kleines Wochende”, klingt das Album, mit einer Interpretation des Songs “Cheer Up (You’re On Holidays)” von der längst vergessenen münchener Synthie-Pop Gruppe Merricks, aus. Ebenfalls mitsamt dem Plädoyer mal den Hedonismus über Arbeitsalltag siegen zu lassen: “Einmal im Leben muss es das geben / […] / Ich will tanzen / Mich verschanzen”

Zwischen den Holiday Songs findet sich dann allerdings doch ein kleines Drama “Rebekka will ihr Rad zurück” – vielleicht der Soulig-tanzbarste Trennungssong der letzten Jahre. Auch hier sollen humorvoll-elegante Lyrics wie “Du hast das Rad unterschlagen / und sie will’s wiederhaben / ihre Klamotten kannst du weiterhin tragen” nicht unerwähnt bleiben.

Doch der vielleicht stärkste Song findet sich auf der ersten Hälfte des Albums. “Kilo Shop Mod Tip Top” ist eine Off-Beat Nummer die jeden Mod von den 60ern bis heute mit der Zunge schnalzen lässt. Und Mods, die Subkultur der britischen Arbeiter:innenklasse, die sich den Stil der bürgerlichen Klasse anzueignen versucht, ist auch Thema. In Kilo Shop Second Hand Läden wird sich versucht die schicksten Outfits zusammenzusuchen und sich den distinkten Look der Reichen und Schönen zurückzuerobern. “Reiche Damen spenden / ihrer Gatten Hemden / sind diese vielleicht dick geworden / die Sachen neu wie jüngst erworben” Hier im Shop kann man es sich schließlich leisten. Der Second Hand Laden als Raum der Umdeutung und Aneignung des Zeichenmodells der Oberklasse durch die Mods der Arbeiter:innenklasse – ein grandioses Sujet für einen Song. 

Apropos die Reichen und Schönen – besonders jene, die sich für reich, modern und rebellisch halten, bekommen auf “Männer mit schönen Haaren” ihr Fett weg, denn “in ihrer Jugend waren sie linksradikal / heute nicht mehr / so ist das nun mal”. Manchmal siegt der Traum nach einer schönen Frisur und Champagner am Pool dann doch über die eigenen Ideale und den Traum des guten Lebens für alle.

Zwischen all den bissigen, charmanten und immer auch ausgefuchsten Songs, fällt eine textlich platte Nummer wie “Es ist nett, nett zu sein” negativ aus dem Rahmen, zumal sie auch musikalisch wenig zu bieten hat – Schunkelschlager der so auf dem Wahlparty der örtlichen Grünen laufen könnte.

Ausnahmsweise sei an letzter Stelle nochmal auf den Opener hingewiesen. “Yo Zwanie!” ist Zwanie Jonson, dem Ex-Drummer und guten Freund der Band gewidmet, dessen Studio, das als Treffpunkt der Band fungierte, jedoch inzwischen abgerissen wurde. Neuer Treffpunkt ist nun das Park Cafe. Und damit ist zu guter Letzt auch der Titel des Albums erklärt. Wo Bartleby sich am Ende von Melvilles Erzählung selbst der Nahrungsaufnahme verweigert, rückt mit der Verweigerung des grauen Büroalltags in “Gschichterln aus dem Park Cafe” gerade die textlich inklusive, stilistisch internationale Lebensfreude in den Vordergrund. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen sind zurück in Dur und schaffen mit ihrem Album zumindest zeitweise einen Ausbruch aus dem Hamsterrad.


Label: Tapete Records
Veröffentlicht am: 09.07.2021
Interpret: Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen
Name: Gschichterln aus dem Park Cafe
Online: Zur Seite des Interpreten.