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Bonobo – Fragments

Rezensiert von am 16. Januar 2022

       

Während es der ganzen Welt genau gegenteilig ergeht, wagt Simon Green aka Bonobo mit „Fragments“ den Weg aus der Natur zurück in den Club. Sein 2017er Meilenstein „Migration“ faszinierte durch ambiente Klangteppiche, warme sanft pulsierende Bässe und eine Vielfalt geschickt platzierter Saiteninstrumente. Auf „Fragments“ wirkt der Sound des Briten zwar nicht minder warm und familiär, aber dennoch wendet sich die eine Hälfte der Tracks nun mehr schweißgetränkter Clubatmosphäre zu, wohingegen sich Bonobo mit der anderen Hälfte als herausragender Soul-Pop Produzent beweist und gefühlt schon auf die Grammys schielt.

Zwischen Oldschool und Zeitgeist

Wie die auf dem Artwork wunderschön in Szene gesetzte Welle, schwappt das Intro „Polyghost“ geradezu aus „Migration“ herüber. Die Komposition mit dem Multiinstrumentalisten und Carlos Niño Kollaborateur Miguel Atwood-Ferguson, stellt mit eleganten Harfentönen, Streichern und sanftem Rauschen einen Raum des Innehaltens vor der treibenden Intensität des Folgenden dar. Grazile Schönheit, die schon bald durch nicht minder wohlige, pulsierende Bässe abgelöst werden soll. „Shadows“ mit Jordan Rakei, sowie „Rosewood“ sind nach eigener Aussage von der House-Oldschool inspiriert. Die emotionale Tiefe eines Theo Parrish Tracks lässt sich bei „Shadows“ auch durch den melancholischen Gesang Rakeis wiederfinden, der in Kombination mit der gedämpften Bassline eine fesselnde Intimität auf dem Dancefloor entfaltet. 

Doch wo „Shadows“ mit knappen 114 bpm und Rakeis flehendem „Save me, save me / from the unknown“, recht behaglich auftritt, peilt „Rosewood“ schon eher die Peak-Time an. Der Track ist mit seiner Geschwindigkeit jenseits der 125 bpm Marke deutlich schneller und dem klassischen House-Tempo zuzuordnen – zugleich bleibt ein Stück der emotionalen Tiefe von „Shadows“ erhalten. Daran ist besonders das grandios-eindringliche Vocal Sample schuld, das kontinuierlich die Phrase „I won’t leave you / I won’t now“ wiederholt.  Die Aussage lässt sich in zweierlei Hinsicht deuten – einerseits besteht eine Sorge aufgrund derer sich eine Trennung andeutet, andererseits wird diese Trennung in die Zukunft verlegt, um den Moment noch zu genießen. Damit trifft das Sample direkt in das Herz der Rave-Kultur, in der der Dancefloor der Raum ist, in dem als gelebte Heterotopie ein Gegenmodell zu Zwängen und Normen der „Außenwelt“ entworfen wird – die Sorgen des Alltags bleiben außenvor zur gemeinschaftlichen Feier der Musik und des Kollektivs. Die hypnotische Synthiespur wird im Laufe des Tracks zunehmend ekstatischer, bis sie gegen Ende ausbricht mit einem erlösenden: „Your mind has set me free“. „Your mind“ ist dabei nicht notwendigerweise personenadressiert zu verstehen, sondern lässt sich auch auf den Geist der Clubkultur umdeuten. So ist „Rosewood“ eine der schönsten Liebeserklärungen an die Clubkultur, die in den letzten Jahren recorded wurde und aktuell intensiver denn je.

Doch Bonobo denkt nicht nur die Roots weiter, sondern (re-)produziert auch den aktuellen Zeitgeist des Genres, das er in den letzten Jahren selbst maßgeblich mitgeprägt hat. Während ein „Age of Phase“ sich vielleicht zu sehr in einem inzwischen auserzählten Mix aus Tech-House, hochgepitchten Vocals und Panflöte verliert, der vor 10 Jahren mal State of the Art war, transferieren „Counterpart“, „Sapien“ und „Otomo“ den klassischen Bonobo-Sound in das Jahr 2022. Bei „Counterpart“ lässt sich schon vorahnen, dass dieser Song mit seiner gelösten sanft-treibenden Atmosphäre im kommenden Sommer vermutlich bei vielen Open-Air DJ-Sets als Closer zum Einsatz kommen wird. „Sapien“ überrascht mit flirrenden Breakbeats, die sich zeitweise in die warmen Synth-Patterns einflechten und gar Jungle Assoziationen wecken.

Auf „Otomo“ mit seinem Ninja Tune Labelkollegen O’Flynn lässt Bonobo Gesänge aus den Rhodopen in einer Basswand untergehen und präsentiert mal wieder sein Geschick dafür, Native Sounds und Peak-Time Clubmusik in einer überwältigenden Mischung zusammenzufügen.

Zukunftsweisendes Produzentengeschick

Mehr noch als auf seinen bisherigen Produktionen zeigt sich auf „Fragments“ das Produzentengeschick für andere Künstler:innen. Während das bereits angesprochene „Shadows“ mit Jordan Rakei noch stark Dancefloorlastig ist, wenden sich „Tides“ mit Jamila Woods, „From You“ mit Internetstar Joji und „Day by Day“ mit Kadhja Bonet dem Bereich R&B zu. Letzterer Track lässt sich besonders gut mit dem Wort mellow beschreiben – elektronischer Soul in Reinform und mit malerischem Saxofon gen Ende. Die Ballade „From You“ mit Joji platziert eine zappelnde Trap Hi-Hat im Background des Songs und wirkt mit seinen Anleihen in der Cloud-Music erstaunlich neu für Bonobo. Die ergreifende Schwere kennt man sonst eher von Produzenten wie Clams Casino. Speerspitze in Punkto Produktion ist allerdings „Tides“ mit Jamila Woods. Das sanfte Arrangement mit emotionalen Streichern im Finale klingt zugleich so angenehm und eingänglich, dass man sich fast wünschte dieser Song würde die Charts erobern – das Potenzial dazu hätte er allemal. Zumindest sind die erwähnten Kollaborationen ein Wink in Richtung der Star-Elite. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Bonobo bald mit Produktionsanfragen für die ganz Großen R&B, Electro-Pop und Soul Stars überschüttet wird, auch wenn er bisher Fremdproduktionen dem eigenen Wirken immer hintenangestellt hat.

„Fragments“ ist ein aufregendes Album, auf dem Bonobo seinen Sound erfrischend weiterentwickelt – sei es durch Verweise auf die goldenen Zeiten des Rave, grandios arrangierte Vocalperformances und Samples sowie eine stilistische Vielfalt. Mit letztgenannter einher geht jedoch auch eine – wie im Titel schon angedeutete – Fragmentierung. So präsentiert „Fragments“ eher die diversen Facetten eines der spannendsten Produzenten elektronischer Musik unserer Zeit, anstatt einen DJ-Set tauglichen Albumaufbau vorzulegen. Nicht zuletzt darf der dreimalige Grammy-Nominierte mit dem Album auch gespannt auf die Grammys 2023 schielen – die Mixtur aus R&B, House und Soul ist dort in den letzten Jahren schließlich immer gut angekommen.


Label: Ninja Tune
Veröffentlicht am: 14.01.2022
Interpret: Bonobo
Name: Fragments
Online: Zur Seite des Interpreten.


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