Rosalía’s Lux – Zwischen Himmel und Erde
Written by Redaktion on 2. Dezember 2025

Rosalía ist zurück und ihre Rückkehr ist spürbar anders. Denn dass “Lux” etwas besonderes werden werden sollte, zeigte sich bereits bei der Album-Ankündigung im Oktober. Auf der Gran Vía in Madrid ließ Rosalía die gesamte Straße in Dunkelheit versinken, bevor das Licht zurückkehrte und das Albumcover auf den riesigen Billboards enthüllt wurde. Ein dramatischer Start in ein strahlendes neues Kapitel ihrer Karriere, das mit prägnanten Lyrics und dem gewagten Bruch mit Genre-Konventionen ihrer Diskographie eine neue Tiefe verleiht.
Mit der Single „Berghain“ gab Rosalía einen ersten Vorgeschmack: Chor trifft Rap, Klassik trifft Chaos, und mittendrin ihre Stimme. „Lux“ klingt mal nach Kathedrale, mal nach Club und manchmal nach beidem gleichzeitig.
Rosalía lässt aber vor allem von sich reden, weil “Lux” ein Gegenentwurf ist. In einer Zeit, in der die Algorithmen von TikTok und Co. die Kommerzialisierung von Musik bestimmen und künstliche Intelligenz sich an Kunst versucht, ist Humanität eine Form der Resistenz und “Lux” ist vor allem eins: Menschlich.
„There’s no AI at all. It’s a human album”
Rosalía bei France Inter
Drei Jahre arbeitete die Spanierin an diesem Projekt, inkorporierte 13 Sprachen in Liedern, die voller verschiedener religiöser, kultureller und auch persönlicher Referenzen strahlen. Das Ergebnis ist eine Vision mit Substanz, die durch die Zusammenarbeit mit dem London Symphony Orchestra abgerundet wird. Doch worum geht es in “Lux” eigentlich?
Sexo, Violencia y Llantas – Der Wunsch
Das erste Lied des Albums wirkt wie die Ouvertüre einer Oper, in der die Elemente des übergeordneten Narratives angekündigt und vorgestellt werden. Auf der einen Seite befindet sich die irdische Welt, zusammengefasst durch den Titel “Sex, Gewalt und Felgen”. Auf der anderen die himmlische Sphäre, die von “Blitzen, Tauben und Heiligen” geprägt ist und als Gegenstück zum Chaos der Erde dargestellt wird. Diese Aufzählung symbolisiert göttliches Licht, Frieden und Glauben, während die Felgen als Metapher für den Materialismus in unserer Gesellschaft verstanden werden können. Trotz der impliziten Kritik an den irdischen Zuständen, liebt Rosalía beide Welten und entscheidet sich nicht für eine. Stattdessen fragt sie sich, wie schön es wäre, zwischen den beiden zu leben.
“Wer könnte von dieser Erde kommen/Und in den Himmel eintreten und zur Erde zurückkehren/Dass zwischen Erde, Erde und Himmel/Es keinen Boden gäbe”
“Lux” wird damit als eine Geschichte der Dualitäten, des Dazwischens und des Außerhalbs angekündigt. In ihrem neusten Projekt möchte Rosalía also nicht nur Genres, sondern auch Welten vermischen.
La Yulugar – Das Herzstück
In “La Yugular” singt Rosalía auf Spanisch und Arabisch über die eigene Spiritualität, die Nähe zu Gott und die Kraft der Liebe. Dabei fragt sie: “Wie viele Geschichten passen in 21 Gramm?”. Eine Bezug auf den verbreiteten Glauben, dass die Seele 21 Gramm wiegt, da der menschliche Körper dieses Gewicht beim Tod verliert. Ein ganzer Charakter, eine ganze Gefühlswelt, ein ganzes Leben wären nur wenige Gramm, und doch fühlen sie sich größer an. Im spanischen Teil des Liedes greift sie diesen Gedanken auf:
“Ich passe in die Welt/Und die Welt passt in mich/Ich passe in ein Haiku/Und ein Haiku passt in ein Land/Ein Land passt in einen Splitter/Ein Splitter passt in die ganze Galaxie/Die ganze Galaxie passt in einen Tropfen Speichel“
Rosalía spielt mit der Idee der Unermesslichkeit, die im Winzigen enthalten ist, und umgekehrt. Alles passt in alles: Das Große in das Kleine, das Physische in das Spirituelle, das Greifbare in das Symbolische. Die sich wiederholende Struktur (“Ich passe … und … passt in”) wirkt dabei wie ein poetisches Mantra, das die Grenzen zwischen Körper, Welt, Objekten und dem Göttlichen verschwimmen lässt.
“Und ein Kontinent passt nicht in Ihn hinein/Aber Er passt in meine Brust/Und meine Brust füllt Seine Liebe aus/Und in Seiner Liebe möchte ich mich verlieren“
Das Mantra wird jedoch für die Liebe zu Gott gebrochen, denn dieser ist zu groß für die Welt, aber passt dennoch in Rosalías Herz. Wer und was Gott genau ist, das lässt Rosalía offen und verarbeitet ihre eigene Spiritualität auf verschiedenen Wegen innerhalb des Albums. So singt sie auf Arabisch:
“Für dich würde ich den Himmel zerstören, für dich würde ich die Hölle zerstören, ohne Versprechen oder Drohungen“
Ein Bezug auf die Sufi-Mystikerin Rabia al Adawiyy, die die Feuer der Hölle löschen und das Paradies in Brand setzen will, da sie weder aus Angst vor Strafe, noch wegen des Versprechens einer Belohnung beten möchte. Der Glaube an Spiritualität, an Verbundenheit und an Liebe soll selbstlos sein. Rosalia sucht ein weiteres Mal die Mitte zwischen zwei Dualitäten und versucht in diesem Lied, ihren Frieden darin zu finden.
Magnolias – Die Erfüllung

“Magnolias” stellt das letzte Kapitel des Albums dar und erzählt von Rosalías eigener Beerdigung. Sie greift durch “Benzin und Rotwein” die irdischen Vergnügen aus dem ersten Lied wieder auf und wünscht sich, Magnolien auf ihren Sarg gelegt zu bekommen. Die Magnolie ist eine Blume, die mit Schönheit, Reinheit und Weiblichkeit assoziiert wird, aber auch mit Todes- und Abschiedsriten. Der Refrain kann also als Bitte interpretiert werden, nach dem Tod geehrt oder mit Zartheit und Liebe in Erinnerung zu bleiben. Abschließend singt ein himmlisch inszenierter Chor folgendes:
“Gott steigt herab und ich steige auf/Wir treffen uns in der Mitte“
Diese Mitte hatte Rosalía das Album hinweg gesucht und findet sie zum Schluss in ihrem Tod. Ganz im Sinne einer traditionellen Oper bekommt Rosalía das, was sie sich gewünscht hatte, allerdings nur durch persönlichen Verlust. Doch für die Sängerin verwandelt sich der Verlust in Licht.
“Ich, die ich von den Sternen komme, werde heute zu Staub, um zu ihnen zurückzukehren.“
In der letzten Zeile lässt uns Rosalía mit der Gewissheit zurück, dass ihr Tod ihre Rückkehr zu den Sternen und zu dem titelgebenden Licht darstellt. Der Wunsch nach einem Reich zwischen Himmel und Erde, den sie von Anfang an gesucht hatte, wurde damit in den finalen Sekunden des Albums Realität.
“Ego sum lux mundi” – “Ich bin das Licht der Welt”
Zitat aus La Porcelana
“Lux” ist ein Lichtblick im derzeitigen Mainstream-Musikspektrum, dessen Erfolg Rosalía als Künstlerin ein weiteres Mal etabliert. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung Rosalía sich als nächstes bewegen wird, aber hoffentlich finden wir sie wieder, irgendwo zwischen Reggaeton und Pop, zwischen Elektro und Klassik, zwischen Himmel und Erde.
Label: Columbia Records
Veröffentlicht am: 07.11.2025
Interpret: Rosalía
Album: Lux
Coverbild: Noah Dillon
Text von Konstantinos Terzis