Aktueller Song

Titel

Künstler

Aktuelle Sendung

Moebius

00:00 18:00

Aktuelle Sendung

Moebius

00:00 18:00


SBTRKT – The Rat Road

Rezensiert von am 8. Mai 2023

       

Es gibt diese Songs die einfach etwas mystisches, transzendentales, bewusstseinserweiterndes haben – es sind womöglich die ambivalenten Akkordfolgen, das Aufgehen der Stimme im ego-freien Rausch der Musik oder es fehlen halt einfach Texte, die es kaputt machen.

A Gig in the Sky von Pink Floyd kommen da in den Sinn. How Much a Dollar Costs von Kendrick Lamar (halt mit geilem Text), jeder zweite George Harrison Song (okay auch Text) oder die komplette Shoegaze/Dreampop-Kolonne der 90er bis jetzt.

Und zu einem großen Teil auch SBTRKT’S neues Album “The Rat Road”.

Bevor diese Rezi aber vollkommen in esoterische Gefilde abgeleitet, kommen wir auf den nüchternen Boden der Tatsachen zurück: SBTRKT (ausgesprochen: Subtract) ist kein Mathematik-Genie oder Anti-Establishment-Hacker sondern das Pseudonym des Musikers Aaron Jerome. Einst gefeiert für seine virtuose Verschmelzung zahlreicher Genres elektronischer Musik. 7 Jahre lang war der introvertierte DJ und Produzent dann von der Bildfläche verschwunden, genug Zeit für ein grandioses Album?

https://www.youtube.com/watch?v=ZdUINbi4wSY&pp=ygUFc3Rya3Q%3D

Drehen wir die Zeit zurück: Der Dubstep war 2011 durch u.a. Skrillex gerade in die Musiklandschaft hineingepoltert mit all seiner disruptiven, ungeschliffenen Wucht. Die Verkommerzialisierung kam schnell – zwischen krawalligen Tracks für die Masse von Nero oder The Knife war der Weg zu Britney oder Bieber nicht mehr weit. Von den Anfängen der subtilen Experimenten mit ultra tiefen Bassfrequenzen und Synkopischer Rhythmik der frühen 2000er war da schon lange keine Spur mehr. Zum Glück gab es aber auch jene Musiker, die dabei die Liebe zum Experimentieren wiederbelebten, statt den Blick auf den schnellen Dollar, Euro oder Yen zu richten – also eigentlich genau das, woraus sich der grenzenauslotende Dubstep einst nährte.

Einer davon war eben auch besagter Aaron Jerome. Als DJ hatte sich Jerome bereits einen Namen gemacht und Songs von M.I.A. , Little Dragon oder Modeselektor geremixt (und später für das fantastische Radiohead-Remix-Album TKOL RMX 1234567). 2011 kam dann das Debüt von Jerome aka SBTRKT. Der Name kam hier nicht von ungefähr: Dem ursprünglichen Ethos der 90er-DJ-Kultur folgend, trennte Jerome die Musik und seine Person mit klarer Trennschärfe – auf der Bühne versteckte er sein Gesicht hinter zeremoniellen Masken diverser ethnischer Kulturen und statt selber vor das Mikro zu treten, kollaborierte er mit den angesagtesten ”Underground”-Künstlern: Sampha, Little Dragon oder Jessie Ware, später Ezra Koenig (Vampire Weekend) und Super-Underground-Star Drake. All das geschieht ohne Management und vorige Connections – dem Internet sei dank. 

I manage myself, I A&R all my records. I do everything. If I have to book a flight for another artist, I’ll do it myself, if I have to travel to see people to make sessions happen. A lot of these are very direct relationships. With Drake, it’s a DM, it’s a chance encounter. I have to go out of my way to create those scenarios

Die Presse feiert ihn als neuen James Blake und der Erfolg kommt rasant. 

Zehn Jahre später haben Spotify (und ein ganz bisschen Apple Music) die Musikbranche und Hörgewohnheiten komplett umgekrempelt – die Arbeit an “The Rat Road” versetzt Jerome also in eine völlig neue Umgebung:

Compared to a decade ago, there is an element of there being more freedom now to do this, but it is also juxtaposed with the control that social media algorithms and DSPs have in the way music is being consumed. In a world of playlists that create conformity, being different is at once odds with success except in a few exceptions.

Wo früher die Radio-Formula Erfolg im Musikgeschäft bestimmte, ist es heute die Streaming-Formula. Für SBTRKT, der mit seinem Debüt im Epizentrum des Post-Dubstep und Elektronic-Music-Revival-Sturms der 2010er mit-gallopierte, also ein guter Grund zu hinterfragen, wo es nach so einer so langen Pause hingehen soll. 

So ganz klar ist das mit The Rat Road jetzt aber nicht. Opener “Waiting” eröffnet mit sanften, melancholischen Klavierläufen, der soulig-kraftvollen Stimme von Teezo Touchdown und wiegt einen direkt in träumerische Intimität. “Days Go By” mit Genre-Chamäleon Toro Y Moi ist von der Stimmung her fast so ähnlich, dass man – auch dank der vielen Interludes auf dem Album – kaum noch checkt, wo ein Song aufhört und der nächste anfängt. 

Ganze 22! Tracks teilen sich so auf The Rat Road den digitalen Album-Speicher. Doch Jerome ist sich eben auch den neuen Regeln bewusst: Im Gegensatz zu seinen früheren Alben sind die Tracks meist nicht länger als drei Minuten – dem Hörerlebnis tut das keinen Abbruch, vielmehr wirkt hier alles wie eine gut zusammengestellte Rundfahrt durch die Genre-Landschaft elektronischer Musik der letzten Jahrzehnte. Zwischen Drum’n’Bass, vertracktem Klavier oder Synthie-Motiven, Streichern, Dubstep Elementen, Spoken Word, kristallklarem Pop, viel R’n’B, und club-tauglichen House wechselt SBTRKT mit beeindruckender Leichtigkeit. 

Als letztes Jahr mit “Her Loss” ein Kollab-Album zwischen Drake und 21 Savage erschien, war dessen Teaser-Video die Rätselei groß, welcher Song da das Video mittendrin “crashte” – als man erfuhr, das der verschollene SBTRKT dahinter steckte, war auch die Ankündigung von SBTRKT’s Comeback perfekt. Die großen Namen findet man auf SBTRKT’s viertem Album nun allerdings vergeblich. Dies war laut Jerome jedoch eine bewusste Entscheidung:

There were many aspects to the music business which sat opposed to this and I realised it was time to re-evaluate who I worked with or what I was wanting to achieve or create.

The Rat Road braucht Zeit. SBTRKT entfaltet auf seinem Comeback Album eine rauschhafte Mischung aus Genres und demonstriert, dass er so gut wie alles von Spoken Word über Drum’n’Bass bis Pop virtuos verschmelzen kann – und es dabei noch wie eine dreiviertelstündige Jamsession aussehen lassen kann. Damit trifft er den Zahn der Zeit und fordert gleichzeitig Hörgewohnheiten. The Rat Road wirkt bei so viel Freiheitsliebe manchmal fast mehr wie ein Jazz-Album. Vor allem aber hat es Jerome wieder geschafft, sich selber aus der Nummer irgendwie rauszunehmen. Denn bei allem Können, glänzen auf The Rat Road eben die Musik und die Stimmen seiner Mitstreiter*innen. Oder um es in seiner Sprache zu sagen: ALBM – DJ = “TH RT RD”. 


Label: Save Yourself
Veröffentlicht am: 05.05.2023
Interpret: SBTRKT
Name: The Rat Road
Online: Zur Seite des Interpreten.


Weiterlesen