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Overmono – Good Lies

Rezensiert von am 16. Mai 2023

       

Mit hochgepitchter, in Autotune getränkter Stimme beginnt es. Die Hook geht direkt ins Ohr. Der Sound klingt vertraut. Zeitgemäß. Es ist keine Frage: Das hier ist ganz klar Pop. Zwei Minuten und 49 Sekunden später: Ich fühle mich, als wäre ich mittendrin im After-Show-Party-Set des Fusion Clubs am Samstag um 7 (oder wenn ich cooler wäre und näher dran, der Panorama Bar im Berghain?). Es vergehen noch ein paar Minuten und die gesamte Historie elektronischer Tanzmusik von House und Techno sind an mir vorbeigezogen. Willkommen in der Welt von Overmono. Album Nr. 1 – ein Volltreffer.

Mit dem Hype ist es ja immer so eine Sache, einige beflügelt dieser zu Höchstleistungen, andere werden langsam aber sicher von unmöglich zu erfüllenden Erwartungen so fix aufgefressen wie Omas Keksdose vom Krümelmonster.

Overmono brauchten gerade mal zwei Jahre und drei bis sieben grandiose EP’s um sich einen beinahe legendären Status in der Szene zu erarbeiten. Irgendwie hatte es das britische Duo der Brüder Tom und Ed Russell geschafft, die Zauberformel perfekter House-Musik auf dem schmalen Grad zwischen Pop und IDM zu synthetisieren. 

Dabei schien es, als wäre die Stagnation längst im Bereich elektronischer Musik angekommen, die Rockmusik seit Jahrzehnten schon nachgesagt wird. Was soll man auch neu erfinden, wenn jemand wie Richard David James (aka Aphex Twin) bereits zehn Jahre nach der Perfektionierung des Ambients und der vollkommenen Dekonstruktion das Weiße Album für EDM-Nerds droppte,  Burial Dubstep auf eine neue Stufe hob & Jamie XX oder Four Tet den Puls des Synthesizers in jede erdenkliche Richtung erweiterte.

Across the last two years, we have spent so much time on the road, making music whenever we could. Moving around all the time was always really inspiring and got us experimenting a lot and having fun with how we created chords or chopped and pitched vocals. This album is really a letter of love to the journey so far and marks where we want to take things. Much love, T&E x

“Good Lies” beginnt sanft, die Ohrwürmer, für die man Overmono dank so einiger Single-Releases des Albums im Vorfeld kennengelernt hat, wechseln sich mit deutlich experimentelleren, vertrackten aber immer noch eingängigen Tracks ab. Genau das entfaltet einen ungeheuren Sog. Immer bevor das Album in zu viel künstlerische Abstraktheit abzugleiten droht, fängt der nächste After-Hour-Hit einen mit einer grandiosen Hook wieder auf. Dass die Russell Brüder wissen, wie man ein Album dramaturgisch aufbaut, ist vielleicht eines der Geheimrezepte warum “Good Lies” so hervorragend als Platte zum Hören funktioniert – die klaren Nummern für den Club sind da nämlich schon schwerer auszumachen.

Dennoch kann man sich “Good Lies” eben auch gut als Set für die ersten Sonnenstrahlen nach einer langen Nacht vorstellen. Es gibt so einige Momente die besonders hervorstechen: Der harte hypnotische Beat vom Closer “Calling Out” der gegen Ende abrupt in sphärische, melancholische Synthie-Flächen umkippt und einen aus seiner Trance herauskickt – wie der Moment wenn auf der Tanzfläche auf einmal der Verstand wieder einsetzt. Ähnliches passiert in der Mitte von “Is U”. Ganz anders ist das off-beatige “Arla Fearn” das gekonnt Dub- und Breakbeat-Elemente um seine poppigen Stimm-Fetzen legt. Besonders erwähnenswert ist auch noch der massive, einnehmende Beat hinter “Skulled” der wie Hagelkörner auf einen einprasselt. Auch die geisterhafte Melancholie der bereits 2 Jahre zuvor veröffentlichten Single “So U Kno” mit seinen kristallklaren Beat-Fragmenten.

Das “Good Lies” sich mehr dem Populären und seinen bewährten Strukturen nähert, wird vor allem bei Tracks wie dem Titeltrack deutlich: Zwar geht es mit House-Typischen Vocal Loops los, nach wenigen Sekunden setzt allerdings dann schon eine Art Strophe in der dann sowas wie echte Songtexte gesungen werden. Wie bei einem klassischen Pop/Rock-Song ändern sich dann auch schlagartig Synthie-Melodie und Drumbeat – dadurch bleibt’s auch beim aufmerksamen Hören spannend. Aber was wäre ein guter Pop-Song ohne eine Hook? Genau da setzt dann wieder das Intro ein und macht, was ein guter Vocal Loop eben auch kann: Simpel sein und als Ohrwurm tagelang im Kopf bleiben.

Es mag vielleicht nicht die absolute Neuerfindung sein, aber es fehlte womöglich dann diese eine “Band” die all den avantgardistischen Wahnsinn und die zahllosen Ausprägungen von  melancholischen House / Techno für die späten Stunden auf der Tanzfläche zusammenbringt. Zumindest reiht sich Overmono da irgendwo ein.

“Good Lies” hat nicht mehr viel von den teils brachialen Dancefloor-Killertracks vorheriger EP’s – dafür ist Overmono vielleicht DAS perfekte House/Techno/IDM/Whatever Album für all die Situationen abseits der Tanzfläche gelungen. Wie das Lovechild zwischen Aphex Twin, Burial, Four Tet & Mount Kimbie klingen würde, das müssen wir dank Good Lies jedenfalls nicht mehr erraten, es reicht mal eben auf den sympathischen Dobermann? bei Spotify zu klicken und eine Stunde mit den Russell-Bros von der Insel abzutauchen. 


Label: XL RECORDINGS
Veröffentlicht am: 12.05.2023
Interpret: Overmono
Name: Good Lies
Online: Zur Seite des Interpreten.


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