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Queer-Aktivistin und absoluter Gefühlsmensch – Interview mit Wilhelmine

Geschrieben von am 10. Mai 2024

Wilhelmine ist ein absoluter Gefühlsmensch. Den Eindruck hat man zumindest wenn man ihre Musik hört und noch mehr wenn man sie auf der Bühne tanzen sieht. Groß geworden ist sie mit ihrem Song “Meine Liebe” der gleichzeitig ihr Outing als lesbische Sängerin war. Seit dem ist sie aus der queeren Community nicht mehr wegzudenken. Jetzt tourt sie mit ihrem zweiten Album durch Deutschland und war zum Tourauftakt in Münster. Am 02.05. haben Radio Q-Musikredakteurinnen Merit Vorndran und Eva Bentler Wilhelmine in der Sputnikhalle getroffen und mit ihr über Wasser, skandinavische Produktion und die Weisheiten des Lebens gesprochen.

© Eva Bentler

Q: Wir haben eine Einstiegsfrage mitgebracht. Und zwar würden wir gerne von dir wissen, welche Art von Gewässer du am ehesten wärst, weil es ja bei dir auch ganz viel Natur geht. Also zum Beispiel Meer oder See oder Pfütze oder was auch immer.

Wilhelmine: Das ist eine schöne Frage. Vielleicht wäre ich so was wie … Also mein erster Impuls, meine erste Idee war gerade kurz der Regen. Aber vielleicht wäre ich auch sowas, wo man hinlaufen muss, durch Berge, und dann findet man vielleicht so einen Bergsee, irgendein fließender Bergsee. So was.

Q: Ja, klingt sehr gut. Jetzt steht ja ziemlich viel für dich an, also Tourauftakt und Album-Release morgen. Bist du da eigentlich aufgeregt?

Wilhelmine: Ja, ich habe sehr kalte Hände, guck, bin sehr aufgeregt. Ja, das ist irgendwie Wahnsinn. Ich habe einfach so viel Arbeit in dieses zweite Album gesteckt, natürlich auch in das Erste, aber jetzt ist sie so an mir vorbeigerauscht,  diese Zeit und auf einmal ist es morgen. Und ich kann gar nichts mehr tun, weißt du? Das ist so alles einfach schon gemacht. Ich habe es abgegeben, ich habe die Lieder geschrieben und morgen bekomme ich so das erste Mal irgendwie Rückmeldung, oder auch heute Abend schon, weil wir vielleicht sogar ein paar Songs gespielt von den neuen. Und da sieht man das erste Mal, wie die Lieder eigentlich wirken. Das ist ganz spannend.

Q: Ich habe tatsächlich schon ein bisschen reingehört. Und ich finde es richtig gut, falls sich das schon ein bisschen entspannt. Und ich finde es aber deutlich düsterer irgendwie als Wind. Würdst du das auch so sehen und gibt es da einen Grund für?

Wilhelmine: Düsterer? Nein, ich würde einfach sagen, ich habe vielleicht andere Themen noch mal behandelt. Aber düsterer? … Ja, wohl doch, vielleicht schon. Kann ich auf jeden Fall nachvollziehen. 

© Eva Bentler

Ja, also eigentlich ist es so, dass ich den Wind gar nicht mag.

Q: Das haben wir gerade auch schon ein bisschen angesprochen: Nimmst du immer viele Anleihen, also aus der Natur: Wind, Meere, Feuer kam auch schon mal vor. Gibt es da einen Grund für? Fühlst du dich verbunden zur Natur?

Wilhelmine: Total. Also das ist so ein bisschen mein Ruhe- und Kraftort. Ich würde sagen, ich kann nirgendwo besser auftanken, als in der Natur, egal in welcher Form. Und vielleicht ist das deshalb auch so ein bisschen die Quelle von dem, wo ich kreativ sein kann. Nur wenn ich im Ausgleich bin, dann kann ich auch wieder neue Sachen schreiben und das schaffen und so, glaub ich.

Q: Gibt’s auch eine Verbindung zwischen Wind und Meere, auch so auf metaphorischer Ebene?

Wilhelmine: Ja, also eigentlich ist es so, dass ich den Wind gar nicht mag und mich dem immer ein bisschen ausgeliefert fühle. Und so ist es eigentlich auch mit den Meeren. Ich habe riesigen Respekt vor viel Strömung und Wasser und komme da so enorm aus meiner Komfortzone. Weil ich würde sagen, ich bin jetzt nicht die beste Schwimmerin und das ist deshalb so ein bisschen mein roter Faden, dass ich so aus meiner Komfortzone raus möchte. Deshalb heißt mein zweites Album „Meere”.

Q: Sehr cool. Ich finde das auch sehr mutig, welche Themen du immer wieder ansprichst und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das aus der Komfortzone rausgehen ist. Du sprichst ja auch in deinen Songs immer viel über Ängste und Sicherheit und das Wegrennen und unterwegs sein. Wo würdest du denn sagen, bist du zu Hause?

Wilhelmine: Also ich habe ja gerade eben schon gesagt, dass die Natur auf jeden Fall so mein Ort ist. Ich würde aber sagen, ich habe so ein kleines Gartenhäuschen und das ist so wahrscheinlich der Ort, wo ich mich am ehesten komplett zu Hause fühle.

Q: Also schon an den Ort gebunden?

Wilhelmine: Ja, schon an den Ort, aber auch an ein Gefühl: Mit Menschen und meinen Ängsten und Liebsten mich herum. Aber mein Garten ist schon auch unschlagbar.

© Eva Bentler

Wenn du irgendwas aussprichst, Ängste oder irgendwas, von dem du glaubst, du bist jetzt gerade irgendwie ein Alien und allein damit, irgendwo gibt es jemanden.

Q: Ich war auch gerade erst zu Hause bei meinen Eltern im Garten und habe wieder gemerkt, wie schön es ist. Gibt es irgendein Learning oder irgendeine Erkenntnis, die so die die wichtigste für dich war und die du gerne anderen auch mitgeben würdest?

Wilhelmine: Auf jeden Fall. Ich würde schon sagen, ich habe eigentlich aus dem Impuls angefangen, Musik zu machen, weil ich immer auch so die Vision davon hatte, dass ich aus meinen Themen, vielleicht, wenn ich das ausspreche, vielleicht irgendwie eine Resonanz bei anderen Menschen hervorrufen kann. Dass irgendwie irgendjemand sagt: „Ja, das kenne ich” oder „Ja, mir geht das auch so” um so einen Dialog zu erschaffen. Und ich glaube, mein größtes Learning ist: Ja, wenn man bei dem eigenen Traum bleibt oder der eigenen Idee oder Vision, dann interessiert das jemanden. Da ist jemand. Auch wenn man die Person noch nicht greifen kann, noch nicht fühlen kann, da wird jemand kommen. Wenn du irgendwas aussprichst, Ängste oder irgendwas, von dem du glaubst, du bist jetzt gerade irgendwie ein Alien und allein damit, irgendwo gibt es jemanden. Und du musst das eigentlich nur laut aussprechen und dann kommt die Resonanz. Das ist so mein Learning.

Q: Dann wollte ich auch noch mal fragen: Hast du den oder würdest du sagen, du hast auch musikalisch was anders gemacht in deinem neuen Album?

Wilhelmine: Ja, also ich habe tatsächlich diesmal alles mehr aus einem Guss produziert zusammen mit Daniel, meinem Produzenten. Wir haben uns eingesperrt in seinem Studio und eigentlich alle Lieder aus einem Guss mit ähnlichen Instrumenten so erschaffen. Und ich würde sagen, das habe ich beim vorherigen Album nicht so gemacht. Da habe ich so ein bisschen mal hier, ein bisschen da. Und das ist jetzt für mich musikalisch auf jeden Fall runder in sich. Und das war mir wichtig, dass es da so einen roten Faden gibt.

Q: Und gibt es irgendwas, was du noch mal ganz neu ausprobieren möchtest, musikalisch, oder was du auf jeden Fall noch mal machen willst in der Zukunft?

Wilhelmine: Auf jeden Fall. Da gibt es eine Menge. Ich würde gerne mit einer schwedischen Künstlerin ein Lied schreiben oder einer norwegischen Künstlerin. Das ist so mein Goal. Am besten in Norwegen oder Schweden. So die Idee.

Q: Um in Norwegen oder Schweden zu sein? Oder gibt es einen Grund, warum noch eine schwedische oder norwegische Sängerin?

Wilhelmine: Eigentlich nur, weil ich die … Also ich finde die Sprache total schön und ich finde die Produktion, die aus Skandinavien kommt, total interessant und finde es einfach spannend, was passieren würde, wenn meine Musik dort landet.

© Eva Bentler

Q: Klingt auch sehr cool. Wäre ich auch gespannt. Ja, dann habe ich auch natürlich ein bisschen recherchiert und gelesen, dass du quasi sehr politisch auch aufgewachsen bist und wollte nochmal fragen, ob du sagen willst, dass dich das nachhaltig politisiert hat und ob das über das aktivistisch sein, was jetzt irgendwie queere Liebe angeht, darüber hinausgeht?

Wilhelmine: Ich würde sagen, dass wenn man in so einem besetzten Haus groß wird, dass man auf jeden Fall viele verschiedene Lebensrealitäten von vorneherein sieht und damit wahrscheinlich eine gewisse Offenheit einhergeht und auch wahrscheinlich Mut, sich auszuprobieren und sein zu können oder auch vielleicht sich zu trauen, größer zu träumen. Ich habe irgendwie viele verschiedene Menschen da ein- und ausgehen sehen und ich glaube, das ist auf jeden Fall etwas, was mich nachhaltig geprägt hat. Ich glaube, der Mut, dass ich … Ich hatte das tatsächlich nicht wirklich auf dem Schirm, dass, wenn ich über meine Queerness singe und auch offen darüber singe, dass ich zum Beispiel eine Frau liebe, dass ich dann auch eine wichtige Stimme in der queeren Community bin. Das hat sich erst entwickelt. Das musste ich erst mal fühlen, wie das ist und versuche das einfach mit dem besten Gewissen zu leben und da auch für die Community einzustehen.

Solange noch irgendwie blöde Sprüche oder irgendeine Form von Ausgrenzung passiert oder passieren, muss ich einfach weitermachen, glaube ich.

Q: Jetzt ist ja queere Liebe schon deutlich als noch vor einigen Jahrzehnten oder auch deutlich akzeptierter. Warum hast du trotzdem das Gefühl, dass man da immer noch weiter drüber sprechen muss?

Wilhelmine: Na ja, also das kommt immer so ein bisschen an, nur weil in unserer Realität oder in unserer Bubble jetzt gerade, vielleicht, wie wir hier zu viert sitzen, dass sich irgendwie schon normal anfühlt. Heißt das nicht, dass die Menschen, die vor allen Dingen auch immer noch aus Grenzen, die kaum Berührungspunkte haben, dass die nicht … Also dass das schon ankam und wir schon was verändert haben. Und ich glaube, solange noch irgendwie blöde Sprüche oder irgendeine Form von Ausgrenzung passiert oder passieren, muss ich einfach weitermachen, glaube ich.

Q: Und dann würde mich vielleicht als Letztes noch interessieren, ob du gerade eine aktuelle, coole, neue Musikentdeckung hast, die du richtig gut findest. 

Wilhelmine: Ja, das zeige ich dir. Also habe ich heute gehört, mehrfach, und ich liebe es. [Musik] Wow, wie schön. Also es gibt mir komplett das Gefühl von heute. Also: cin cin und das Lied heißt „Patadas de Ahogado”. Ich weiß nicht genau, was heißt, aber „Kartoffeln von …” Ich weiß nicht genau.

Q: Das weiß ich auch nicht, obwohl ich mal ein Semester Spanisch studiert habe. 

Ich kann tatsächlich fließend Spanisch sprechen, eigentlich, aber ich weiß nicht, was das Wort heißt. Das muss ich mir gleich mal anschauen.

© Eva Bentler