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“Man denkt sich halt immer ‘Was wäre wenn?!’” – Naomi Lareine im Interview auf dem Frauenfeld 2023

Geschrieben von am 30. Oktober 2023

Naomi Lareine gehört zu den vielversprechendsten Newcomer-Künstler*innen in der schweizerischen Musikszene. Nach einem erfolgreichen Start 2019 mit smoothen R’n’B-Sounds und gefühligen Lyrics folgten Nominierungen, u.a. bei den Swiss Music Awards. Radio Q-Reporterinnen Jule Schulz und Delia Kornelsen treffen Naomi Lareine nach ihrem Konzert auf dem Openair Frauenfeld und sprechen übers Schreiben als Therapie, “einfach weitermachen” und Queerness in der Musik .

Radio Q: Naomi, wir treffen dich gerade kurz nach deinem Auftritt. 40 Minuten lang haben sich du und das Publikum ausgepowert. Was ist das erste, das du machst, wenn du von der Bühne gehst?  

Naomi Lareine: Nach dem Auftritt will ich einfach jeden umarmen – alle Menschen, die da sind und die ich liebe. Heute habe ich nach dem Auftritt auch ein bisschen geweint. Es war ein riesiger Traum von mir, hier aufzutreten. Und jetzt habe ich es einfach gemacht. Irgendwie ist alles so unreal.

Radio Q: Wie war der Auftritt für dich? Du warst diesen Sommer schon ein wenig auf Festival-Tour und hast andere Auftritte im Vergleich.

Nach dem Auftritt will ich einfach jeden umarmen. – Naomi Lareine

Naomi Lareine: Die Energy war krass! Frauenfeld ist wirklich kompletter Abriss. Die Leute sind hier, um Party zu machen, das hat man gemerkt! 

Radio Q: Dabei hättest du auch einen ganz anderen Weg einschlagen können. Du hast dir vor einigen Jahren einen Namen in der Schweizer U19-Nationalmannschaft gemacht. Es hätte auch da weitergehen können. Wie schwer – oder leicht – ist es dir gefallen, dich für die Musik zu entscheiden? 

Naomi Lareine: Es hat sich sehr natürlich entwickelt: Ich war schon immer Sängerin und bin jetzt in mir aufgegangen. Früher habe ich trainiert und war in der Gesangsschule. Irgendwann hatte ich aber einfach keinen Bock mehr darauf, Fußball zu spielen. Es hat keinen Mut gebraucht. Für mich war klar, ich konzentriere mich mehr auf Musik, mehr darauf, kreativ zu sein. Ich habe mich kennengelernt als Mensch und danach gelebt, wie ich leben möchte. Deshalb war es ein richtig guter Change.

Radio Q: Apropos Change: Deine Musik geht sehr in Richtung R’n’B und ist sehr smooth. Einer deiner Songs heißt aber auch “In Love with a Gangster”. Könntest du dir vorstellen, mehr in den Hip-Hop einzutauchen?  

Naomi Lareine: Ich denke, es kommt sehr auf meinen Mood an. Meine Musik ist sehr authentisch. Wenn ich im Studio bin, dann geht es immer darum: Wie fühle ich mich? Was sind meine Emotionen? Und dann kommt meistens das raus, was gerade in mir drin steckt. Ich mag die Expression, wenn es um Liebe oder Sex geht. Ich denke schon, dass ich noch in den Hip-Hop eintauchen könnte, aber das würde dann spontan passieren.

Radio Q: Heißt, du hast ein Gefühl in dir und sagst: “Okay, das möchte ich, darüber schreibe ich jetzt”?

Naomi Lareine: Genau, “das muss ich jetzt rauslassen”. Wenn ich traurig bin, dann schreibe ich darüber. Wenn mir was auf dem Herzen liegt, schreibe ich darüber. Ich denke, das ist für mich die beste Art, Musik zu machen und auch ein bisschen Selbsttherapie dazu. Win win! (lacht)

Radio Q: Gleichzeitig schreibst und singst du auf Englisch. Könntest du nicht mit Schweizerdeutsch noch besser ausdrücken, wie du fühlst? 

Radio Q: Da hast du recht. Ich habe schon mal auf Schweizerdeutsch Lyrics geschrieben, nichts Veröffentlichtes, aber einfach mal so. Ich muss schon sagen, das war ein kompletter Change in meinem Kopf, ich muss mich da noch ein bisschen anpassen. Ich denke in Englisch, wenn es um Musik geht, R’n’B ist für mich auf Englisch – für mich ist Englisch einfach meine naturelle Musiksprache.

Wenn mir was auf dem Herzen liegt, schreibe ich darüber. Ich denke, das ist für mich die beste Art, Musik zu machen und auch ein bisschen Selbsttherapie dazu. Win win! – Naomi Lareine

Radio Q: Laut machst du die seit 2019 – denn da kamen deine ersten Singles und EPs raus, da bist du schon ein bisschen rumgetourt. Und dann – Corona. Wie hast du die Zeit erlebt, gerade als Newcomerin?

Naomi Lareine: Es war scheiße. Ich war gerade am Aufsteigen, ich war bei den Swiss Music Awards nominiert und dann kam Corona. Damit kamen auch sehr viele Ängste. Ich dachte: “Alle werden mich vergessen”. Aber zum Glück habe ich einfach weitergemacht. Ich habe Musik geschrieben, Musik mit meinem Produzenten Mykel Costa gemacht und habe einfach weiterhin an mich geglaubt. Jetzt hat alles funktioniert. Ich denke, es hat auch diese Zeit gebraucht.

Radio Q: Ausdauernd sein hat sich gelohnt!

Naomi Lareine: Ja, voll. Aber man denkt sich halt immer: “Was wäre wenn?!”. Aber das ist Zeitverschwendung, weißt du? Ich bin happy damit, wo ich bin. Ich bin auf dem Frauenfeld. Das größte Hip Hop-Festival in Europa! Pinch me!

Radio Q: Du hast schon immer über Gefühle und Liebe gesungen. Eine Sache, die sich aber in den letzten Jahren verändert hat, ist, dass du mittlerweile offenlegst, dass es sich dabei um Beziehungen zu Frauen handelt. Inwiefern gibt es genug Toleranz für Queerness in der Musikwelt, wie du sie erlebst? 

Naomi Lareine: Ich denke, wir brauchen ganz klar mehr. Ich habe sehr tolle Fans, die alle hinter mir stehen. Ich hatte aber auch viele Kommentare, wie “Hää du bist lesbisch?!”. Das kommt von Menschen, die entweder neidisch sind und wissen, dass sie mich nicht haben können oder leider noch anders denken. Ich fokussiere mich aber auf Menschen, die vielleicht noch nicht geoutet sind, die eine Stimme brauchen, die ihnen Kraft gibt. So: “Hey, ich kann so leben. Die hat das auch gemacht”. Ich hatte das damals mit Jessie J. Die hat sich als bisexuell geoutet und das hat mir viel Kraft gegeben. Ich möchte einfach dasselbe für Leute sein.

Ich fokussiere mich (…) auf Menschen, die vielleicht noch nicht geoutet sind, die eine Stimme brauchen, die ihnen Kraft gibt. – Naomi Lareine

Radio Q: Apropos Hip Hop- und R’n’B-Szene: Die ist nach wie vor sehr männerdominiert. Hast du als Künstlerin das Gefühl, du kannst da durch und durch du sein – oder merkst du, du musst einen Schutzpanzer aufbauen, dich anpassen oder durchboxen? 

Naomi Lareine: Ich denke, ich kann ich selbst sein, aber ich selbst habe halt einen Charakter, der sich schon durchboxt. Ich bin ein Capricorn, also ein Steinbock. Don’t fuck with me. Das ist meine Einstellung. Ich denke, ich bin immer ich selbst. Aber wenn du in ein Studio gehst mit einem fremden Produzenten, überlegst du dir schon: “Nehme ich vielleicht jemanden lieber mit?”. Weil du halt eine Frau bist. Ich hatte bis jetzt aber sehr gute Erfahrungen und ich liebe meine Jungs.

Ich bin ein Capricorn, also ein Steinbock. Don’t fuck with me. – Naomi Lareine

Radio Q: Letzte Frage: Du bist viel umgezogen als Kind. Jetzt spielst du viele Festivals und viele Konzerte an unterschiedlichen Orten, bist viel unterwegs. Wo fühlst du dich zuhause? Denn wenn du keinen Bock auf die Schweiz mehr hast – Deutschland hätte Bock auf dich…

Naomi Lareine: Also ich bin ready für Deutschland. Ich rede zum ersten Mal richtig gut Hochdeutsch in einem Interview (lacht). Mein Ziel ist sowieso international zu sein, UK, alles in Europa finde ich cool. Ich fühle mich überall zu Hause. Dort wo Musik gespielt wird, dort fühle ich mich zu Hause!

Das Interview führten Jule Schulz und Delia Kornelsen.