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“Festivals kannte ich nur von YouTube-Videos” – Luvre47 im Interview auf dem Frauenfeld 2023

Geschrieben von am 30. Oktober 2023

Zwei Alben, ein Kinofilm, Festivalauftritt after Festivalauftritt, Tourvorbereitungen – alles innerhalb kürzester Zeit. Bei Rapper Luvre47 ist verdammt viel los. Ein Interview mit Radio Q auf dem diesjährigen Openair Frauenfeld war trotzdem drin. Über laute und leise Musik, Hollywood-Anekdoten, Sozialpolitik und Pommes ohne Mayo.

Radio Q: Wir treffen dich gerade zwei Stunden nach deinem Auftritt. Wir waren dabei und es war laut, es war voll, es war heiß, die Leute hatten Bock. Wie geht es dir? 

Luvre47: Mir geht es super. Der Auftritt war wirklich geil. Man guckt immer jahrelang hier rüber, denkt sich irgendwann: “Ich will da auch spielen”. Und jetzt war es das erste Mal Frauenfeld, das ich mitnehmen konnte, das hat mich sehr gefreut. 

Radio Q: Warst du schon mal als Zuschauer hier? 

Luvre47: Nee, leider nicht. Ich war generell noch nie in meinem Leben auf Festivals, bevor ich nicht selbst aufgetreten bin. Das war finanziell ein Ding der Unmöglichkeit. Ihr wisst selber, sowas ist voll teuer. Deswegen genieße ich es umso mehr, jetzt hier zu sein. 

Radio Q: Und nicht nur hier – gestern warst du auf dem Rolling Loud-Festival in München und hast die Loud Stage eröffnet. Und einen Tag später, 300 Kilometer weiter, dann jetzt in der Schweiz. In den letzten Monaten hattest du Filmtouren und Musikreleases – viele unterschiedliche Dinge und gefühlt passiert alles gleichzeitig. Kannst du das alles genießen?

Luvre47: Es fällt schwer, das wirklich wahrzunehmen und alles aufzusaugen. Wir haben gefühlt gestern noch gesagt: “Boah geil, wir spielen nächstes Jahr auf dem Splash und auf dem Frauenfeld” und dann – bamm – die Zeit verfliegt und einen Tag später war es schon so weit. Das ist schade. Gerade weil jetzt so viel los war, habe ich aber vor, nach der nächsten Tour und nach dem nächsten Album runterzufahren. Ich habe genug Musik vorgearbeitet, muss nicht wieder straight ins Studio und kann dann hoffentlich ein bisschen runterkommen – und nochmal abrufen, was eigentlich alles passiert ist. 

Radio Q: Glaubst du, dass es dir leicht fallen wird, nichts zu machen?

Luvre 47: Nee, gar nicht. Das wird die größte Herausforderung, glaube ich. Also ich will einfach nur erstmal weg aus Deutschland. Ich mache Musik, weil ich es liebe, nicht, weil ich das machen muss. Es wird so oder so passieren, dass ich neue Musik mache. Aber ich will mir den Druck nehmen, dass ich jetzt in zwei Monaten wieder was releasen muss. Mal gucken, wie ruhig ich die Finger halten kann. 

Ich war generell noch nie in meinem Leben auf Festivals, bevor ich selbst aufgetreten bin. Das war finanziell ein Ding der Unmöglichkeit. – Luvre 47

Radio Q: Du machst Musik, die laut und aggressiv ist. Du zeigst in deinen Texten deinen Groll gegenüber den Sachen, die du erlebt hast – in SCHMUTZ zum Beispiel. Du kannst aber auch ruhigere Songs performen – KEIN BOCK mit Paula Hartmann ist einer davon. Wolltest du immer beides? 

Luvre47: Das hat sich relativ natürlich entwickelt. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, war alles sehr intuitiv. Da war sehr viel Wut auf die Welt und sehr viel Aggressivität, die man so erst mal rausschreien wollte. Ich habe aber relativ früh gemerkt, dass ich das Verlangen habe, mehr machen zu dürfen, also dass man mir das nicht übel nimmt, wenn ich auch mal was Ruhiges machen. Sobald mir danach war, habe ich versucht, es auch direkt umzusetzen. Dann dauert es vielleicht ein, zwei Tage länger, als wenn ich jetzt fünf mal meinen Hit hintereinander neu recycle. Und es dauert auch eine Weile, bis die Leute verstehen: “Okay, du kannst alles machen, du willst alles machen” und dir das nicht übelnehmen. Ich finde, das trägt gerade das letzte Jahr sehr gut Früchte. Ich kann einen Moshpit-Song performen und danach kann ich Paula auf die Bühne holen und die Leute bleiben dabei. 

Radio Q: Gibt es für dich trotzdem so einen Druck, den Fans aus Underground-Zeiten gerecht zu werden? Und gleichzeitig den Neueren?

Luvre47: Ja, jetzt ist der Struggle, dass man versuchen will, immer alle abzuholen. Das heißt, ich habe jetzt sehr viele ruhige Releases, dann musste wieder so eine Single kommen wie SCHMUTZ jetzt zuletzt, weil man sich denkt: “Okay, wenn ich jetzt drei ruhige Nummern mache, werden die anderen ungeduldig” oder so was, weißt du? Die Kunst ist, glaube ich, ein Verständnis bei allen Fans für alle Stile zu entwickeln. 

Ich kann einen Moshpit-Song performen und danach kann ich Paula auf die Bühne holen und die Leute bleiben dabei. – Luvre47

Radio Q: Vor allem kennen dich die Leute mittlerweile nicht nur primär durch die Musik…

Luvre47: Dass Leute unterschiedlich auf einen aufmerksam werden, jetzt auch durch Sonne und Beton, das ist wirklich ein bisschen merkwürdig für mich. Beispiel: Ich stand in den Hollywood Hills in L.A. Wir chillen einfach am Auto, ich sitze auf der Motorhaube, wir essen Burger und gucken auf Los Angeles. Und auf einmal hält ein Auto hinter uns an und ein junger Typ steigt aus. Er stand erst so vier, fünf Meter neben uns. Wir dachten, er macht seine zwei, drei Handyfotos – weil das war ein cooler Aussichtspunkt, den wir da entdeckt haben – und haut wieder ab. Irgendwie sind wir dann aber ins Gespräch gekommen, weil er auch Deutscher war und nach 20 Minuten Reden sagt er: “Bist du nicht Luvre?”. Er meinte, er kennt mich durch den Film. Da war ich voll überfordert mit der Situation, weil Bro, ich bin in L.A. gerade. Das kann doch eigentlich gar nicht sein?!

Radio Q: Wo wir schon in Hollywood sind: Du meintest mal in einem Interview, dass du Bock auf noch mehr Schauspielern und Film hast. Wenn du noch mal bei einem Film mitmachen könntest, auf was für eine Rolle hättest du richtig Bock?

Luvre47: Boah, schwierig, weil gerade im Film kannst du es dir ja nicht immer aussuchen, du kannst nur “Ja” oder “Nein” sagen.

Radio Q: Jetzt darfst du es dir aussuchen. 

Luvre47: Ich hätte Bock, was anderes zu machen, als jemanden vom Block zu spielen. Ich würde es mir zutrauen und ich finde das auch gerade das Interessante am Schauspielen, dass du dich in fremde Sachen reindenken musst, kannst und sollst. Die Rolle, die ich gespielt habe – es war jetzt nicht so, dass ich mich selbst gespielt habe, aber es waren definitiv alles Influences aus meinem Leben. Da waren Züge von mir selbst und Züge von meinen Freunden, die ich in die Rolle reingepackt habe. Ich hätte Bock, was zu machen, was voll weit weg ist. Peaky Blinders oder so, also einfach ein ganz anderes Zeitalter, ganz andere Stile, ganz andere Sprache. Ich habe jetzt ein Casting gehabt für eine Rolle, die spielt in der Nachkriegszeit, westdeutsche Grenze. Da dachte ich mir auch direkt so: “Boah, Bombe!”. Es ist was ganz anderes.

Radio Q: Wir drücken dir die Daumen, dass es klappt!

Luvre47: Ich gehe immer pessimistisch an die Sachen ran, damit ich am Ende nicht enttäuscht bin. Man freut sich mehr, wenn es dann klappt. 

Radio Q: War das bei Sonne und Beton auch so? 

Luvre47: Genauso. Ein Jahr lang schon habe ich gesagt: “Die melden sich eh nie wieder” und dann durch Zufall doch. Wir hatten echt einen wahnsinnig langen Casting Prozess und dann musste der Film wegen Corona ein Jahr später gedreht werden. Deswegen lag zwischen Casting und Zusage so viel Zeit. 

Radio Q: Und zwischen Zusage und tatsächlichem Dreh lag wahrscheinlich auch nochmal Zeit. 

Luvre47: Ja, insgesamt hatten wir zwischen Casting und Dreh zweieinhalb oder drei Jahre. Ihr müsstet mal jetzt den Hauptdarsteller sehen, Levy. Der ist in dem Film dieser 14-15-Jährige, jetzt ist der einfach ein Kopf größer als ich, mit tiefer Stimme und allem. Das ist ein ganz neuer Mensch geworden.

Ich hätte Bock, was anderes zu machen, als jemanden vom Block zu spielen. – Luvre47

Radio Q: Ein Thema, das nicht weiter weg von Film und Glitzer sein könnte: Sozialpolitik in Berlin. Das Bezirksamt Neukölln hat vor einigen Wochen bekanntgegeben, dass es Kürzungen geben wird. Gerade im sozialen Bereich, dazu zählt auch die Jugendarbeit. Mit der Musik hast du selbst in einem Jugendzentrum angefangen. Inwiefern bereitet dir so etwas Sorgen?

Luvre47: Es macht mich wütend, ehrlich gesagt, weil über den Sorgen-machen-Status sind wir lange hinweg. Was denken die denn, was passiert? Was wird denn in fünf Jahren entstehen aus diesen Kürzungen? Wer soll das denn Jungs im Block erklären, die 13, 14, 15 Jahre alt sind und keine Möglichkeit haben, sich in ihrer Freizeit irgendwie Luft zu machen, sich auszupowern, sich irgendwo einzufinden, wenn es das Elternhaus nicht ermöglichen kann? Was sollen die denn machen? Die haben alle Langeweile, die gehen raus, die wollen irgendwas erleben. Was soll denn daraus entstehen? Wir waren für Sonne und Beton im Roten Rathaus mit der ganzen Filmcrew, mit allen Schauspielern, Felix Lobrecht, David Wnendt und waren bei Giffey. Sie hat uns froh verkundet: „Ey, heute Morgen hatten wir Krisengipfel, wir knallen so und so viele Millionen in die Jugend rein.” Du Eklige. Einfach du Eklige. Ich hoffe, du hörst das. Wir haben nicht mal ein halbes Jahr später und das ist, was jetzt passiert.

Radio Q: Ich dachte gerade daran, wen es trifft – Jugendliche, die ohnehin wenig Möglichkeiten haben, kommerzfreie Räume in ihrer Freizeit zu nutzen.

Luvre47: Es trifft einfach den Sündenbock. Ja, es trifft den Sündenbock. Ich bin richtig sauer bei dem Thema. Ich würde so gerne was ändern können. Wir sind von da, wir reden davon. Ich bin aber auch jemand, der sich viel anhören muss: “Ist doch nicht so schlimm”. Von wem ich mir das anhören muss, sind immer Leute, die das Leben nicht gelebt haben. Weißt du, ihr geht alle in eure Altbauwohnungen mit vier Zimmern, 180 Quadratmeter in Friedrichshain. Viel Spaß. Wir können da abends nicht hingehen.

Radio Q: Was kannst du an dem jetzigen Punkt deiner Karriere machen, was früher unvorstellbar war? Du hast mal gesagt: “Da wo ich jetzt bin, ist für viele nichts, aber für mich schon sehr viel”. 

Luvre47: Ich kann mittlerweile leben. Was ich gerade meinte – Festivals kannte ich nur von YouTube-Videos, die haben wir uns ein halbes Jahr lang immer angeguckt. Das war voll weit weg und jetzt darf ich das alles erleben. Ich bin nicht reich, aber ich habe die Möglichkeit zu verreisen. Das ist einfach so ein Privileg, dass man jetzt das Leben abwechslungsreicher gestalten kann. Was ich aber viel wichtiger finde ist: Man hat eine Stimme und kann jetzt anderen eine Stimme geben. Wenn dir zehn Leute zuhören – ist cool, danke fürs Zuhören, aber ich erreiche damit nichts. Mittlerweile kann man etwas in die Story hauen, Themen, die einen abfucken, wie das gerade. Das sehen mehr Menschen und vielleicht denkt einer darüber nach. Auch das ist ein großes Privileg.

(…) Ihr geht alle in eure Altbauwohnungen mit vier Zimmern, 180 Quadratmeter in Friedrichshain. Viel Spaß. Wir können da abends nicht hingehen. – Luvre47

Radio Q: Was war das Herausforderndste dabei auf diesem Weg?

Luvre47: Ich glaube, bei sich selbst zu bleiben. Du hast sehr viele Möglichkeiten. Je tiefer du in diese Branchen reingerätst, umso mehr falsche Abzweige könntest du auf irgendwelchen After Show-Partys oder Backstages nehmen – sei es Konsum oder zwischenmenschliche Dinge. Ich glaube, da bin ich sehr stolz darauf, dass ich das geschafft habe, so meinen eigenen Kopf zu bewahren und mich nicht auf den ganzen Zirkus einzulassen.

Radio Q: Du hast ja ganz am Anfang vom Interview gesagt, dass du bald erstmal raus aus Deutschland möchtest. Gerade meintest du: “Ich kann mir auch Reisen mittlerweile leisten”. Auf welches Land hast du Bock? Wo willst du deinen Akku wieder aufladen? 

Luvre47: Ich bin ein großer Freund davon, wenn du woanders hingehst, das mit jemandem zu machen, der dort Familie hat oder von dort kommt. So siehst du das Land einfach ganz anders. Die Familie von einem sehr guten Freund kommt aus Thailand. Wir haben einen Bro, der aus dem Senegal kommt. Skandinavien habe ich aber auch noch nicht richtig gesehen. Oder dieses Ausgelutschte: “Ich mache mein…” – Wie nennt man das so schön? “Auslandsjahr”? Ich küsse euer Herz, alle die Geld hatten dafür. Ich küsse euer Herz. Aber Australien, Neuseeland sieht auch immer krass aus, wie man das dann so sieht, weißt du? 

Radio Q: Zwischen Hip Hop-Festivals und Songreleases erstmal backpacken – herrlich! Jetzt haben wir noch ein paar gute und random Fragen.

Luvre47: Hau sie mir um die Ohren.

Radio Q: Samstag oder Sonntag? 

Luvre47: Samstag. Ein Sonntag endet früher. Sonntag ist der Ruhetag, ich habe aber eh keine Ruhe. Das einzige, das geil am Sonntag ist, wenn du wirklich Zeit hast: Morgens ein Boot nehmen und raus auf den See. Dann kann man auch einen geilen Sonntag haben.  

Radio Q: Welchen Song hörst du, wenn du traurig bist?

Luvre47: Gib mir kurz eine Sekunde, mein Handy ist gerade nicht bei mir. Wir überbrücken das mit so mit Telefon-Hotline-Zwischenmusik. Ja, hier habe ich es. Intern von 2KZ. 

Radio Q Und du bist richtig gut drauf. Welcher Song pusht dich und bringt dich auf ein anderes Level?

Luvre47 Manchmal darf der DJ 10 Minuten vor dem Set schon auf die Bühne und einfach schon ein paar Songs spielen. Heute haben wir das erste Mal Mr. Miyagi von Jbrisko reingehauen, weil wir den gestern im Auto totgepumpt haben. A Hundred Bands von Remble ist für mich ein Song dafür, wenn geile Sachen passieren, z.B. wenn man eine Rolle oder sowas kriegt. Dann ist das so mein Go-to-Song, so ein Achievement-Track, sag ich mal.

Radio Q Mayo oder Ketchup?

Luvre47 Am liebsten gar nichts tatsächlich, nur mit Salz. Wenn ich Pommes bestelle, dann mit nichts. Kalte Mayo zu warmen Pommes ist auch sehr krass, aber ich esse das zu selten, um das glaubwürdig sagen zu können. Also wenn ich mich entscheiden müsste, glaube ich Ketchup. Ja, ich sehe die Enttäuschung in deinen Augen (lacht)

Das Interview führten Jule Schulz und Delia Kornelsen.