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Openair Frauenfeld 2023 – Nachbericht

Geschrieben von am 18. August 2023

Für gute Musik ist Radio Q kein Weg zu weit, also ging es knapp 650 Kilometer gen Süden – von Münster ins schweizerische Frauenfeld. Denn dort, in der kleinen Stadt im Norden bei Konstanz, verwandelt sich einmal im Jahr (ausgerechnet) das Pferdezentrum Frauenfeld in das Open Air Frauenfeld, dem größten Hip Hop-Festival Europas. An dreieinhalb Tagen kamen hier knapp 90 Acts (Headliner waren Travis Scott, Kendrick Lamar, Wizkid und Stormzy) sowie 160.000 Besucher*innen zusammen.

Mittwoch

Eine kleine Sneak Peak auf die kommenden Tage erwartet uns bereits am Mittwochabend. Zeltzeugs abgestellt und Autofahrkater abgeschüttelt geht es ab aufs Festivalgelände, um dort zu Pashanim und Shek Wes ins Festivalgeschehen reinzukommen. Während die Sonne langsam untergeht, strahlen die Leuchtreklamen (letztes Mal aus dem Mund meiner Oma 2007 gehört) der Bühnen, Stände und Sponsoren umso kräftiger. Alle Personen sind am Suchen und Entdecken, Leute rufen einander an, um sich zu finden, laufen sich in die Arme – es ist wie auf einer Kirmes. An der Bühne angekommen fällt direkt auf: Bucket Hat und Bauchtasche. Sind. Pflicht. Genauso wie Moshpits. Verschwitzte Haut klebt auf verschwitzter Haut. Wir, eher noch auf Tuchfühlung gehend und defintiv noch nicht bereit für den Kreis, freunden uns erstmal mit der nächstbesten und einigermaßen stabil aussehenden Säule an und beobachten das Geschehen. Der Abend beweist: Wir brauchen Kraft für die nächsten Tage, die Energie aber ist definitiv schon mal da.

Donnerstag

Heute geht es so richtig los. Bis zum Mittagsprogramm bleibt aber erstmal Zeit, das Festivalgelände bei Tageslicht zu erkunden: Neben Fressmeilen (imponieren nicht nur kulinarisch, sondern auch preislich), Basketball- und Tischkicker-Plätzen sind auch große Konzerne vertreten (auf der Karte hieß es, es gäbe einen IKEA?!! (Möbelshoppen mit Travis Scott ist allerdings Fehlanzeige, es handelt sich um einen Chillbereich). Die Stimmung ist ausgelassen, die Sonne scheint. 

Gegen Nachmittag besuchen wir unseren ersten Act, den wir während des Festivals auch noch interviewen werden: Tom Hengst, der vor etwa 6.000 Leuten in der Venue „Rap City“ performt. Die Stimmung – krass, kaum geht es los, legen auch alle los und haben Bock, zu deutschem Hip-Hop auszurasten. Immer wieder bilden sich Kreise, Leute rücken immer weiter an den Rand, um noch größere Moshpits entstehen zu lassen. Das Gute: Die Besucher*innen, die nicht komplett auf Körperkontakt während Konzerten aus sind, finden Plätze nah an der Bühne.

Alle visuellen Eindrücke werden gegen Beginn der Dämmerung von den zwei großen Mainstages übertrumpft. Rechts und Links von den riesigen Bühnen ragen ebenfalls riesige Bildschirme in die Höhe. Die Menschen sammeln sich allmählich vor den Mainstages, um zusammen zu Denzel Curry zu feiern. Die Stimmung: ausgelassen. 

Zwischen den Acts heißt es: Schattenplatz suchen, Wasser trinken und aufpäppeln, denn heute Nacht tritt der auf, für den viele extra angereist sind: Travis Scott. Dieser hat in den Tagen davor bereits für Schlagzeilen gesorgt, da seine Fans während eines Festivalauftritts in Turin ein kleines Erdbeben ausgelöst haben sollen. Generell sind seine Konzerte bekannt dafür, dass die Menschenmenge regelrecht tobt und selbst an äußeren Stellen das Gedränge groß ist – 2021 sind bei einem Festivalauftritt mehrere Menschen ums Leben gekommen. Davon wissen hier vermutlich die Allermeisten. Wir suchen uns ein Plätzchen in der Nähe des Notausgangs und des Zauns. Regelmäßig tauschen wir uns mit den Menschen um uns herum aus: “Möchtet ihr noch weiter nach vorne oder eher hinten bleiben”, “Alles okay?”, “Wenn was ist – sagt Bescheid!”. Anspannung ist da, aber immerhin haben wir das Gefühl, dass viele um uns herum ebenfalls ein Gespür füreinander haben. Travis kommt auf die Bühne und liefert ab, das Publikum geht voll mit. Uns beschleicht jedoch das Gefühl, dass er mit etwas angezogener Handbremse performt. Er springt herum, er schreit ins Mikro und motiviert die Leute. Wir kennen aber Ausschnitte aus seinen Konzerten davor und wissen – da geht noch einiges mehr. Womöglich liegt es an den Ereignissen der vergangenen Konzerte und Festivals. Wie dem auch sei: Uns ist es lieb, dass der Auftritt relativ “ruhig” verläuft. Naja, was heißt ruhig: Komplett durchgeschwitzt sind wir trotzdem und die ersten blauen Flecken an unseren Oberarmen entdecken wir auch bereits.

Freitag

Wir könnten uns daran gewöhnen, von der Sonne geweckt zu werden inmitten eines kleinen Örtchens in der Schweiz. Der zweite “richtige” Tag startet und dieser hält einiges für uns bereit: Die ersten Interviews starten heute und auf so manchen Act freuen wir uns besonders doll. 

Wir laufen und verirren uns zwischen Medienbereich, Backstage und Venues. Den Mittag eröffnet mit Cachita. Die Newcomerin mischt die Schweizer Hip Hop-Szene mit R’n’B- und Latin-Einflüssen ordentlich auf. Und: Eine Kollegin ist sie auch! Sie moderiert beim SRF (Grüße gehen raus!), ist dieses Festival aber komplett als Artist dabei – auch beim Interview später. Ebenfalls interviewen wir Künstlerin Naomi Lareine, wir sprechen übers Newcomer-Sein in Zeiten der Pandemie, über Fußballkarrieren und Queerness in der Szene.* 

Nach zwei tollen Interviews und etwas Backstage-Luft (ein sehr aufregender und verheißungsvoller Ort übrigens, an dem alle Menschen direkt zig Mal ~wichtiger~ aussehen, aber letztlich auch nur mit Sonnenbrille rumsitzen und kleine Getränke schlürfen) heißt es wieder ab aufs Gelände. Die Sonne ist noch lange nicht bereit sich zu verabschieden, aber wir haben gelernt: Wer eine gute Sicht auf die Bühnen haben will, muss früh da sein, der frühe Vogel fängt den Wurm (oder so). Essen, Toilette und Konzerte planen wir heute besonders taktisch, denn: Kendrick Lamar tritt heute Nacht auf und wir wollen definitiv vorne sein. Mit enorm viel Glück haben wir letztlich die wahrscheinlich besten Plätze, die man auf diesem Konzert haben kann (wir teilen uns zu zweit eine etwa 40 cm breite Treppenstufe vor dem Wellenbrecher, das Universum muss uns heute besonders lieb haben!) und schauen selbst bei (unter)durchschnittlichen Körpergrößen über alle Köpfe hinweg. Herrlich. Als wäre das nicht schon genug, erwartet uns ein sehr viby und kunstvolles, fast schon atmosphärisches Konzert. Ein Blick in die Menge reicht aus, um zu verstehen: Die Leute genießen, was sie hier sehen und fühlen.

Samstag

Noch beflügelt von den bisherigen Konzerten geht es heute in die Endrunde. Zwei Interviews erwarten uns noch: Mit Tom Hengst, den wir live bereits am Donnerstag gesehen haben, sprechen wir über Untergrund und Festival, Hamburg und Tom Hanks. Mit Rapper und seit neuestem Schauspieler Luvre47 wird aus einem eigentlich 15 Minuten-Interview ein doppelt so langes und auch hier ist von Sozialpolitik hin zu Urlaub und Lieblingsessen alles dabei.* 

Wir lassen den Tag ausklingen mit Mitschwingen zu Wizkid und Abgehen zu Stormzy, unserer zehnten Portion Pommes und letzten Portion Glitzer im Gesicht, ehe wir unser Zelt wieder einpacken und es heißt: Adjeeee, Schweiz!

Wir haben das Openair Frauenfeld als sehr organisiert und sauber und sicher erlebt: Gefühlt alle paar Meter standen Menschen vom Festival da, die auch noch nach drei Tagen die x-te Frage gut gelaunt und sehr zuvorkommend beantwortet haben. Übrigens haben wir zufällig erfahren, dass das Festival quasi von der Dorfgemeinschaft getragen wird: Unterschiedliche Vereine helfen mit, um aus dem Pferdezentrum ein enormes Festival zu machen – das heißt, dass sich Personen um die Toiletten, Kantinen und Parkplatzorganisation kümmern, die das restliche Jahr den Geschichtsunterricht in der lokalen Schule leiten oder in der Bäckerei arbeiten. 

Es gab die Möglichkeit, Vorkommnisse auch digital per App zu melden und die Organisator*innen schienen das Feedback ihres Publikums auch ernst zu nehmen: Produzent Metro Boomin wurde so fix hochverlegt auf die Mainstage, nachdem in zahlreichen Kommentaren auf den Sozialen Medien Kritik an einem möglichen Gedränge geübt wurde. 

Das Line Up für das kommende Jahr steht noch nicht fest und sowieso heißt es erstmal 11 Monate warten, aber Radio Q ist jetzt schon bereit, auch im kommenden Jahr vor Ort zu sein bei Europas größtem Hip Hop-Festival. Bis dahin lernen wir auch ein bisschen Schwizerdütsch, versprochen!

*Alle Interviews findet ihr Ende diesen Monats übrigens auf unserer Radio Q Homepage.