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Trauer, Wut, Rage und vielleicht auch ein bisschen Empowerment: Negisa im Interview über dystopische Musik und große Babys

Geschrieben von am 18. Juli 2023

Negisa, das ist das Kölner Duo, bestehend aus Luis und Negisa. Kennengelernt beim Musikstudium, produzieren die beiden nun seit Ende 2022 sphärischen, dystopischen Elektro-Pop, der die Hörerschaft besonders durch tiefe Bässe und verzerrte Vocals in seinen Bann zieht. Am 30. April haben Ruby Rübsamen und Jessika Gremme Negisa nach ihrem Konzert beim c/o Pop Festival getroffen und mit den beiden über ihre neue EP, Dystopien und die Ausbildung zur Konditorin gesprochen.

Q: So, wir sind hier gerade Backstage im Frankies in Köln nach dem wunderbaren Negisa Konzert hier mit Negisa. Hallo, wie geht’s euch denn?

Negisa: Hallo, uns geht’s gut.

Luis: Uns geht’s super. Wir hatten ein sehr schönes c/o pop Konzert hier gerade. 

Q: Ja, wir haben auch direkt gerade schon gerätselt, weil ich habe das Gefühl, es hat jetzt einen extrem großen Unterschied gemacht, die Musik über so große Boxen zu hören und hier live zu hören. Das kommt so über Kopfhörer oder so eine Mini Box gar nicht rüber. Habt ihr vielleicht direkt mal einen Tipp, wie man am besten eure Musik hören kann, dass es am besten rüberkommt?

Negisa: Ich weiß nicht.

Luis: Also so ein Club macht schon Spaß. Also wenn wir proben, dann machen wir nie Boxen an. Wir machen das immer über Kopfhörer. Deswegen ist das total ungewohnt, wenn es mal richtig brettert. Aber es macht wahnsinnig Spaß. Ich glaube, im Auto ist auch ganz gut.

Negisa: Ja, hört man so. 

Q: Das ist wild, Auto war tatsächlich auch unsere Idee. Wir haben uns schon verabredet, jetzt vielleicht mal nachts uns zu treffen und rumzufahren und eure EP zu hören. Apropos, die EP ist frisch rausgekommen. Wie fühlt sich das für euch an?

Negisa: Sehr gut. Die EP liegt schon ein bisschen was rum und eigentlich haben wir sie recht schnell fertig gemacht innerhalb von ein paar Monaten in der Pandemie tatsächlich. Und dann lag sie halt einfach ein bisschen rum und wir haben so die Welt drumherum gebaut und Winterschlaf gehalten. Und ja, deswegen ist es jetzt sehr schön, dass sie draußen ist. Und es geht ja auch ganz viel um Geburt und Körperlichkeit. Und es hat sich jetzt wirklich angefühlt wie eine sehr, sehr, sehr lange Geburt und auch eine schmerzhafte Geburt. Aber letztendlich ist das dicke Riesenbaby jetzt da. 

Luis: Es ist total befreiend, weil wie gesagt, wir haben das vor einer Weile angefangen und haben quasi schon über die EP hinaus gearbeitet in der Zeit. Und dadurch ist es super cool, dass die EP jetzt da ist, dass wir uns jetzt noch mehr auf die neuen Sachen fokussieren können, weil es halt direkt weitergehen kann und da haben wir beide mega Bock drauf.

Q: Habt ihr irgendwelche Reaktionen zu der EP gekriegt, die euch besonders im Kopf geblieben sind? Oder auch generell Reaktionen nach Konzerten oder sowas?

Negisa: Ja schon. Also es gab einen schönen Artikel in der Kultur News und die Überschrift war Utoperus. Richtig? Utoperus. Das fand ich sehr nice. Weil ich glaube, es war angelehnt an das Bloodline Video, das ja in einem riesigen silbernen, metallischen Uterus spielt und gleichzeitig auch Utopie Schrägstrich Dystopie mit drin, was ja auch ein Riesenthema ist bei uns. Ist ja alles recht dystopisch und Soma ist z. B. Auch die Droge in Brave New World von Aldous Huxley.

Q: Direkt zu den Videos. Das ist ja alles so sehr mit Visual Art gemacht. Wie kam es zu dieser Idee und woher kommt die Inspiration zu den Videos?

Negisa: Das war eigentlich recht schnell klar, dass das sehr filmisch, cineastisch werden soll, das ganze Projekt und theoretisch auch die Videos so in der Reihenfolge, wie sie rausgekommen sind als Film, als Kurzfilm, funktionieren sollten und eine zusammenhängende Geschichte erzählen. Und genau das war von Anfang an halt klar, dass wir so ein bisschen Konzept EP anstreben, so kam das mit den Videos. Also ich habe auf Instagram dann 3D Artists gefunden und einfach mal angeschrieben, weil ich deren Ästhetik so cool fand. Und die haben dann das Closer Video gemacht. Das war so ein Team aus zwei Leuten. Und dann haben wir Johanna Besseling gefunden. Das ist eine Bekannte von Luis gewesen und aus Münster sogar auch, oder? Kanntest du sie aus Münster?

Luis: Ja, aus dem Ruhrgebiet. Aber sie hat auch lange in Münster gelebt. 

Negisa: Und sie ist natürlich The Queen of 3D Aesthetics. Und sie hat dann das Bloodline Video gemacht, das Fading Bodies Video und mehrere Artworks auch.

Q: Da bleiben wir doch gleich mal beim Cineastischen. Wenn ihr euch einen Film aussuchen könntet oder ein Buch, das verfilmt werden soll, wozu ihr den Soundtrack machen dürft mit eurem Sound, fällt euch da spontan was ein, was passen würde? 

Luis: Für mich wäre es, glaube ich, “In The Dream House” von Carmen Maria Machado. Das ist ein super geiles Buch. Das hat uns tatsächlich sogar auch so ein bisschen beeinflusst bei dem, was wir über die EP hinaus jetzt auch gerade so machen. Also eigentlich würde es super super passen. Das ist ein sehr, sehr spannendes Buch, habe ich irgendwann in einer Instagram Story von Phoebe Bridgers tatsächlich kennengelernt. Da ist es aufgetaucht. Wir haben es beide gelesen und fanden es mega beeindruckend. Also eine ganz krasse amerikanische Schriftstellerin.

Q: Und für dich? Hast du auch noch eine andere Idee dazu?

Negisa: Also was den Film angeht, den es schon gibt, das ist Melancholia von Lars von Trier. Das ist so einer meiner Lieblingsfilme überhaupt. Und Kirsten Dunst spielt die Hauptrolle. Und es geht auch ganz viel mit Psyche und eine weibliche Protagonistin, die halt an Depressionen leidet. Und das Ganze ist total ja irgendwie metaphorisch dargestellt und wahnsinnig cineastisch. Spannend. Ich glaube, ich würde gerne die Musik dazu machen. Nachträglich. Wobei die Musik da auch sehr cool ist, muss man sagen. 

Q: Ich muss auch sagen, ich musste so ein bisschen gerade bei Fading Bodies von der Melodie her an Dark denken, habt ihr die Serie geguckt? Ich fand, das gab auch irgendwie total so die Vibes davon.

Negisa: Ja, ich fand das auch super. Auch mit dem Zeitreisethema, das passt glaube ich auch ganz gut. 

Q: Wie habt ihr euch denn überhaupt in diese Richtung entwickelt? Also eure Musik wird ja oft so als dystopisch, eher cineastisch beschrieben. Wie kam die Entwicklung dahin? Wir haben auch beide gerade gesagt, wir hatten nicht jetzt direkt was im Kopf, was vergleichbar damit wäre, sondern es ist irgendwie total einzigartig, der Sound von euch. Wie seid ihr da hingekommen?

Negisa: Ich weiß es nicht, ich glaube, Luise und ich, wir sind beide so Menschen, die gerne melancholische Lieder schreiben. Und dann kam das einfach so. Ich glaube, wenn zwei Leute sich zusammentun, die beide melancholisch und düster denken, entsteht dann melancholische und düstere Musik wahrscheinlich. Ja, und natürlich haben wir dann die EP auch so im Lockdown letztendlich dann produziert und das passte einfach ganz gut in die Zeit rein. Das war sehr postapokalyptisch vom Gefühl her. Und ja, die Songs kamen dann einfach so.

Q: Jetzt so nach dem Lockdown geht’s ja wieder los mit Live Auftritten. Habt ihr was, gibt’s da irgendwas, was euch besonders wichtig ist bei Live Auftritten? Habt ihr Rituale? Wie geht ihr das an?

Luis: Ja, das war heute unser vierter oder unser fünfter Auftritt. Das heißt, da hat sich noch nicht so richtig was gesetzt. Aber unser Wunsch ist natürlich vor allem, dass die Stimmung irgendwie stimmt. Also dieses gesamt konzeptuelle, wo es auch um die Videos geht und alles, das würden wir uns im Optimalfall auch bei der ganzen Lichtshow drumherum wünschen und haben zum Beispiel auch coole Leute, die mit Visuals, Live Visuals arbeiten, theoretisch. Und das ist so ein bisschen was, woran wir arbeiten wollen und wo wir mega Bock drauf haben mit dem Projekt.

Q: Was wünscht ihr euch denn, was die Leute von euren Konzerten oder generell von eurer Musik so mitnehmen?

Luis: Schlechte Laune.

Negisa: Trauer, Wut, Rage. 

Luis: Vielleicht auch ein bisschen Empowerment. Das ist ja schon auch Teil der Show. Ja, auf jeden Fall.

Negisa: Ich meine, es ist natürlich alles melancholisch und düster, aber hat natürlich was empowerndes, wenn man das auch zulässt, wenn man Gefühle auch einfach mal zulassen kann und ausleben kann, letztendlich. Und das auch jede Person, also ob Frauen, Männer, jedes Gender darf das machen, finden wir. Und ja, genau das wäre cool, wenn das dann auch rüberkommt. So sich selber einen Film fahren im wahrsten Sinne des Wortes dann am Ende. 

© Johanna Besseling

Q: Welcher ist denn euer Lieblingssong auf Soma? Gibt es das überhaupt? Hat man so ein persönlichen Favorit? 

Negisa: Ich glaube, der Lieblingssong ist immer der, der am neuesten ist. Zumindest bei uns ist es immer so. Deswegen, was haben wir denn als letztes gemacht? 

Luis: Schade, ich dachte du hättest eine gute Antwort. 

Negisa: Ich weiß es echt nicht. Also ich finde jeder Song hat ja auch eine Geschichte. Und deswegen könnte ich mich da gar nicht entscheiden. Es ist natürlich auch so, man will sich ja nicht für ein Kind entscheiden. Das sind ja alles unsere Babys. 

Q: Das ist ja auch eine Geburt jedes einzelnen Songs. 

Negisa: Eben, genau.

Q: Wenn wir dann vielleicht weg von eurer Musik gehen. Wir haben bei uns beim Campus Radio eine Rubrik, die heißt “Die Platte für die einsame Insel”. Vielleicht kennt ihr dieses Prinzip, wenn du auf einer Insel stranden würdest, welche drei Sachen würdest du mitnehmen? Und bei uns ist eben die Frage, welches eine Album würdest du mitnehmen, was du rauf und runter hören kannst? Was wäre das denn bei euch, wenn ihr auf einer einsamen Insel stranden würdet?

Luis: Mir fallen zu viele verschiedene Sachen aus verschiedenen Gründen ein.

Q: Ihr dürft auch zwei, drei sagen, das ist auch erlaubt. Wir haben schon ein paar Ausnahmen gemacht, weil es ist wirklich schwer, sich auf eins festzulegen. 

Negisa: Also mir fällt gerade Radiohead “OK Computer” ein. Finde ich einfach geil.

Luis: Ich finde das so stressig, also ich liebe es, aber wenn ich es die ganze Zeit höre…

Negisa: Wirklich? Nee, für mich ist es so… Ich finde es gerade gut, wenn du alleine auf einer Insel bist, da kommt dann wahrscheinlich super viel hoch. Ganz viele Gefühle, die musst du ja verarbeiten. Und ich brauche dann immer die passende Musik für…

Luis: Deswegen dachte ich direkt an… Also ich bin halt auch ein großer Ambient Musikfan und so drone-ige Sachen und so. Wahrscheinlich würde ich irgendwie ein Tim Hacker Album mitnehmen oder sowas. Oder was extrem mellowes, so ein Elliott Smith oder mein erster Gedanke war Christian Lee Hutson, ein Songwriter aus den Staaten, der super schöne, ruhige Lieder macht, tolle Geschichten erzählt, toll produziert.

Negisa: Mir fällt tatsächlich doch noch ein Album ein, das ich glaube ich immer hören kann und das muss ja so eins sein. Das musst du ja wirklich dann die ganze Zeit hören, wenn du nur das eine mitnimmst. Und das wäre James Blake Overgrown. Ja, weil das ist natürlich auch melancholisch, aber da ist auch viel mit Beats und man kann auch ein bisschen tanzen dazu. Ich mag nämlich traurige Musik zu der man tanzen kann. Und das sollten wir auf jeden Fall machen. Alleine.

Q: Super Mischung. Wenn ihr euch aussuchen könntet, mit wem auch immer ihr ein Feature haben könnt, ihr kriegt es. Welche Person, welcher Artist, wer wäre das? 

Negisa: James Blake. Of course. 

Q: Er kann ja mit dir auf die Insel reisen. 

Negisa: Kann er ja gerne machen. Hätte ich jetzt nichts gegen. Nee, ja dann da Musik machen, das wär krass. Ja, James Blake, der macht ja sowieso ganz viele Features mit coolen Artists. Und ich wäre auch gern mit von der Partie, muss ich sagen. 

Luis: Ich würde mitmachen.

Q: Perfekt. Ihr habt gefühlt jetzt schon, obwohl ihr ja absolute Newcomer seid, euren eigenen Sound gefunden. Wir haben ja gerade schon gesagt, uns ist nichts Vergleichbares eingefallen. Wollt ihr dabei bleiben und da noch mehr reingehen? Oder habt ihr Lust mit anderen Genre-Einschlägen noch zu experimentieren?

Luis: Also ich glaube, dass das mit dem Sound, wie die EP jetzt klingt, dass ist uns ja echt komplett so passiert einfach. Also wir haben nie drüber nachgedacht, was für eine Musik wollen wir jetzt zusammen machen? Sondern wir haben irgendwie angefangen uns zusammenzusetzen. So im ersten Corona Winter wurde das intensiver, dass wir uns öfter getroffen haben. Und wir haben halt drauf los gemacht einfach. Und da ist halt das bei rausgekommen. Und deswegen denke ich irgendwie einfach genau das beibehalten erscheint mir im Moment sowohl am sinnvollsten, als auch am angenehmsten. Ja, also wahrscheinlich entwickelt sich das irgendwie von alleine. Einfach weil wir ja auch weiterleben.

Q: Und wenn ihr das noch mal so in drei Worten beschreiben müsstet, wie würdet ihr den Stil beschreiben, den ihr gerade habt?

Negisa: Generemäßig oder von der Stimmung? 

Q: Oh, können wir beides machen? Du kriegst für beides drei Worte. Sechs Worte, let’s go!

Negisa: Oh Gott, oh Gott, oh Gott! Also es ist halt echt immer schwer, die eigene Musik zu beschreiben. Jetzt letztens waren wir bei 1LIVE Plan B. Und da hat Simone Sohn, glaube ich geschrieben, sind das jetzt drei Worte? Melancholischer Dark Elektro-Pop. Verdammt, das waren vier.

Luis: Also sechs insgesamt. Melancholisch ist die Wahl.

Negisa: Also Dark Elektro-Pop.

Q: Für die Stimmung noch mal andere?

Negisa: Für die Stimmung. Düster, melancholisch, Empowerment.

© Johanna Besseling

Q: Ich finde es total krass, weil ihr wirkt so unglaublich positiv. Und da frage ich mich, woher kommt dann die Inspiration zu euren düsteren Songs?

Luis: Irgendwo muss man ja die Balance finden. Ich glaube, darum geht es ganz viel. Also klar, schlechte Vibes irgendwie können zu Musik werden, aber es ist halt gefährlich, wenn man das in der Musik macht und im kompletten restlichen Leben auch noch transportiert. Das wäre ja schade.

Q: Ihr studiert ja auch beide Musik. Wenn wir jetzt sagen würden, Musik Cut, heute müsst ihr euch für ein anderes Studium einschreiben oder für eine Ausbildung. Was wäre das? Was wäre die Alternative, wenn es nicht Musik ist?

Negisa: Ich würde Konditorin werden.

Q: Wie stark! Mega! Ja, trotz vier Uhr, drei Uhr aufstehen?

Negisa: Wenn ich dafür dann immer Sahne probieren darf, dann ja.

Luis: Ich habe vor Musik Philosophie und Germanistik gemacht und habe das eigentlich sehr gerne gemacht. Aber ich hatte nicht genug Zeit Musik zu machen und habe deswegen aufgehört. Und das würde ich stattdessen wahrscheinlich einfach wieder machen. Oder irgendwas, wo ich das Gefühl hätte, das hilft Menschen ein bisschen besser als dieses ganze abgehobene Kunst und geistesmäßige Zeugs. So eins von den beiden Feldern. 

Q: Obwohl ich sagen muss, ich glaube, ihr erreicht ja auch mit Kunst Leute. Also ich kann schon verstehen, was du jetzt meinst, aber uns hat es auf jeden Fall komplett abgeholt gerade. Ihr seid jetzt noch neu in der Musikindustrie, aber fällt euch vielleicht schon eine Sache ein, von der ihr euch wünschen würdet, dass sie sich einfach ein bisschen ändert in Zukunft?

Negisa: Zum Beispiel die Frauenquote auf Festivals. Ja, also da ist wirklich noch sehr viel Spielraum nach oben. Da tut sich ja so minimal, so mini Prozent was, aber da kann noch sehr viel passieren und das muss es auch. 

Q: Vielen, vielen Dank. Habt ihr sonst vielleicht noch eine Sache, die ihr sagen möchtet? Die wir noch nicht gefragt haben.

Luis: Herzlichen Dank fürs Interviewen. Es macht großen Spaß. Wir haben das noch nicht oft gemacht.

Negisa: Ihr seid sehr lieb und danke, dass ihr unsere Musik spielt. Danke!