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Reise durch den Safe Space und andere Utopien – Musiker LIE NING im Interview

Geschrieben von am 10. Juni 2023

Der Berliner Künstler LIE NING hält sich nicht an Grenzen, weder zwischen den Künsten noch innerhalb der Musikgenres. In seinem bestmöglichen Universum greifen Ideen ineinander, und wenn der Tänzer Lust auf Musik hat, wird das im kreativen Berlin auch etwas. Alles entsteht scheinbar spontan, aus einer kreativen Grundstimmung heraus, durch gute Zufälle sind Freund*innen gerade in LA, prompt wird ein Video gedreht. Diese Lockerheit gepaart mit gekonntem Handwerk zahlt sich aus. Nach der erfolgreichen Single ‘Tonight’ von seiner 2019er EP ‘Traffic Songs for the inbetweens’ kam 2023 das Debütalbum ‚Utopia‘ auf den Markt, begleitet von einer kleinen Club- und Festivaltour und kunstvollen Musikvideos.

LIE NINGs Konzerte sollen safe spaces sein. Und wirklich: das Publikum im artheater in Köln fühlt sich sichtbar sicher – auch in Sachen Songtexte. Es wird mitgesungen, wenn auch eine Oktave höher, denn an LIE NINGs sehr tiefe, warme Stimme kommt niemand ran.

Radio Q durfte den Künstler vor dem Konzert treffen und ein Interview führen.

Q: Ich sitze hier zu Beginn der Utopia Tour mit der oft so bezeichneten ‚neuen Hoffnung‘ am RnB- und Pop- Himmel, dem Musiker LIE NING. Hallo!

LN: Hallo! Schön, dich zu sehen!

Q: Total! Ich freue mich total, dass das geklappt hat! Da du noch keinen Soundcheck hattest, wärmen wir uns jetzt erstmal ganz klassisch auf, mit einem A und B Spiel, das kennst du wahrscheinlich…?

LN: Cool, ich bin bereit! Ich lieb’s.

Q: Im All oder in der Tiefsee?

LN: Tiefsee.

Q: Horrorfilm oder Musical?

LN: [antwortet mega schnell] Horrorfilm, auf jeden Fall!

Q: Foto oder Video?

LN: Video.

Q: Gethrifted oder selbstgenäht?

LN: Selbstgenäht.

Q: Jogginghose oder MET-Gala?

LN: Joo, ich hasse Jogginghose, aber ich hasse auch MET-Gala….ähmm…parken.

Q: Ballett oder Hip Hop?

LN: Hip Hop.

Q: Live oder Spotify?

LN: Live!

Q: Gitarre oder Synthie?

LN: Mmm Synth.

Q: London oder Berlin?

LN: Berlin?

Q: RnB oder Pop?

LN: Pop.

Q: Foucault oder Orwell?

LN: Foucault.

Q: Utopie oder Dystopie?

LN: —- beides.

Lie Ning mit Radio Q-Musikredakteurin Leonie Lange

Q: Super, dann sind wir warm – fangen wir an, mit den Fragen. Du kommst ja nicht direkt von der Musik, sondern bist eher ein Künstler vieler Disziplinen, wie kam es von ‚Ich probiere mich jetzt auch mal an Musik‘ zu direkt diesem ganzen Debutalbum?

LN: Ich glaube, als nicht weiße, nicht heterosexuelle Person in Deutschland bin ich eh so ein bisschen durch ein paar Raster gefallen, was sich als mein Glück herausgestellt hat, weil ich keinen richtigen Weg vor mir gesehen habe, weil ich dafür keine Vorbilder hatte, die aussahen wie ich, an denen ich mich hätte orientieren können. Das heißt, ich bin nach der Schule so ein bisschen ratlos durch die Gegend gewandert, denn es gibt so viele Jobs und so viele Möglichkeiten, Dinge zu tun. Und ich war total uninformiert und ich habe dann diese Chance, die sich mir geboten hat, einfach gegriffen und habe gesagt, ich versuche damit jetzt einfach mal zu rennen und ich schaue, wie das geht. Also es war so ein bisschen so.

Q: Und wie kam es zu dieser Chance, wer hat dir die gegeben?

LN: Meine beste Freundin. Die hat entschieden, dass sie findet, dass ich singen sollte, weil ich ab und zu für sie aus Spaß gesungen habe. Und sie wollte das gerne mehr hören und hat mich dann tatsächlich auch sehr aktiv in solche Räume gebracht.

Q: Danke, beste Freundin…

LN: Danke, beste Freundin!

Q: Du sagst in Interviews gerne, dass du nur Dinge machen würdest, die dir Spaß machen und auf die du Lust hast und entziehst dich ja dadurch auch gewissen Kategorien oder Berufsbezeichnungen. Worauf hast du denn als nächstes Lust? Jetzt steht die Tour an, was kommt danach? Ein neues Album, mehr Mode, Festivals…?

LN: Ich glaube, es kommt immer alles so ein bisschen zusammen. Ich würde vielleicht ein bisschen zurückgehen und sagen, dass ich auch Dinge mache, die mir nicht Spaß machen, aber nur, wenn sie unter dem Deckmantel stehen, für etwas, das mir Spaß macht; ich glaube, das ist einfach Arbeit, das passiert halt. Aber ich habe jetzt lange an einer EP gearbeitet….und ich würde die sehr gerne mit einem immersiven Projekt verbinden, also ich würde gerne eine filmische Produktion starten, wo wir schon in dem Produktionsprozess mit einer bestimmten Rollenverschiebung spielen. So, dass wir das, was wir darstellen, auch schon hinter den Kulissen ausführen. Ich kann leider noch nicht viel mehr sagen.

Q: Aber das klingt ja schon total spannend! Hast du denn für die EP oder kommende Projekte eine*n Traumfeature? Du hast ja schon mal ein Duett mit Novaa gesungen…wenn jetzt schon neue Musik ansteht, vielleicht gibt es ja auch schon ein neues Feature…?

LN: Ich würde super gerne mit Mulay arbeiten, im deutschen Raum, das ist auf jeden Fall eine Person, die ich sehr liebe und schätze. Und international: ich würde sehr sehr gerne mit Eartheater zusammenarbeiten, eine ganz großartige Person und auch total spannend, was sie gerade musikalisch so macht. [Pause] Oh und auch mit Zebra Katz!

Q: Wenn du sagst, du planst ein immersives Projekt, hat das auch etwas mit Tanz zu tun, oder jetzt auf Tour, können Zuschauer*innen eine Tanzperformance erwarten?

LN: Ich glaube, ich will mich immer mehr vom Tanz weg bewegen, weil ich kein Tänzer bin, aber mich interessiert Bewegung und mich interessiert es total, Bewegung nochmal aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Weil wir bewegen uns alle und sind uns aber total wenig bewusst darüber, wie wir uns in Räumen bewegen. Und das ist aber super wichtig und es kann sehr viel bewirken. Und damit zu spielen und sowas Erdiges mitzunehmen, was vor allem in Westafrika, bei meiner Familie, zu drinsteckt, da ist so etwas Härteres, so eine Art, sich zu bewegen, die mir hier oft fehlt und die ich sehr spannend finde.

Wir bewegen uns alle und sind uns aber total wenig bewusst darüber, wie wir uns in Räumen bewegen.

Q: Noch eine Frage bezogen auf den Anfang, du hast nämlich gezögert bei der Entscheidung zwischen ‚London oder Berlin‘.

LN: [Lacht]

Q: Ich weiß, dass du das Album in London aufgenommen hast, du kommst aber aus Berlin. Was gibt dir Berlin, was hat dir die Stadt mitgegeben auf deinen kreativen Weg?

LN: Berlin gibt mir immer eine Ruhe. Berlin gibt mir immer das Gefühl – und ich weiß es klingt komisch, weil es für viele die Stadt ist, in der sie sich verlieren – dass ich mich auf keinen Fall verlieren kann. Weil ich da eine super enge Base habe, weil ich da Leute habe, die ich liebe. Ich bin letztes Wochenende erst zwei Stunden lang basically durch Parks gelaufen, aber eben durch die ganze Stadt und war die ganze Zeit im Grünen und ich finde, das ist für so eine Großstadt echt extrem beeindruckend. Und das nehmen viele auch einfach nicht mehr wahr. Und Berlin ist immer noch nicht so teuer und deswegen schätze ich es auch extrem. London ist für mich krass hektisch. Ich finde London wahnsinnig spannend zum Schreiben und zum Arbeiten und ich bin super gerne dort, auch was Essen angeht. Aber Berlin ist zum Leben für mich gerade noch ein besseres Zuhause.

Q: OK und gibt es bestimmte Orte, an denen du die Songs schreibst?

LN: In Berlin schreibe ich nicht so gerne, weil ich dort immer traurige Songs schreibe und das will ich gar nicht (immer). London liebe ich zum Schreiben, ich würde super gerne mal in Paris schreiben, das habe ich noch nicht gemacht und ich finde L.A. ehrlich gesagt auch super spannend. Weil ich dort anders, freier, weicher schreibe, weil es einfach so viel wärmer ist und die Leute auch so ein gewisses Gefühl mitbringen. Ich dachte immer, ich würde es hassen, aber ich finde L.A. eigentlich ziemlich geil. [lacht]

Q: Schön, dass du dieses Gefühl erfahren durftest. [lacht] Und wenn du schreibst, was hast du dann zuerst im Kopf, Text oder Melodie?

LN: Hmm meistens den Text. Meistens habe ich ein Bedürfnis zu schreiben. Ich mache auch total ungerne so Sessions, in denen man so reinkommt unter der Prämisse ‚wir schreiben jetzt einen Song‘, das finde ich total nervig. Ich brauche diesen Moment, in dem ich weiß, okay, ich habe jetzt ein Bedürfnis, etwas rauszubringen. Ich weiß genau, was es so konzeptionell sein soll und dann setze ich mich ins Studio und versuche, das in Worte zu fassen und in Musik. Aber wenn ich dann auch in einer Session drin bin, dann mag ich es auch, erstmal mit Klängen anzufangen und zu schauen, was es wird. Meistens finde ich die Songs dann nicht so ‚wichtig‘ [lacht], weil so ein bisschen lapidarer sind, aber sie klingen nett und das ist ja auch irgendwie okay.

Q: Interessant! Mich würde noch interessieren, was deine Gedanken zum Thema Utopie sind, da du dich beim Spiel zu Beginn nicht für die Utopie entschieden hast, das Album aber so betitelt hast.

LN: Ich glaube, ich möchte nie etwas ausschließen, für mich ist eine Utopie das Zusammenkommen von vielen Faktoren, die erstmal nicht zusammenfügbar erscheinen. Und das ist etwas, mit dem wir uns super schwer tun. Dinge funktionieren dann einfach nicht, obwohl sie nebeneinander Platz finden sollten können. Und das ist für mich utopisch. Ich habe gestern das erste Konzert auf meiner Tour in Hamburg gehabt, der Raum war voller Menschen, die sich nicht kannten und die Rückmeldung von allen war, dass sie sich extrem safe gefühlt haben in dem Raum. Und dass sie das Gefühl hatten, sie konnten – selbst wenn sie mit Freund*innen da waren – in dem Moment sie selber sein und wurden gehört und haben sich verstanden gefühlt. Und das ist für mich eine Utopie, die ich auch immer zu erreichen versuche.

Q: Wie schön. Dann freue ich mich auf die Utopie heute Abend und danke dir ganz doll für das Gespräch.