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Was fasziniert junge Menschen an Schallplatten?

Geschrieben von am 12. Mai 2023

Die Schallplatte ist zurück! Nichts anderes sagen uns die Verkaufszahlen der letzten Jahre: 4,5 Millionen Schallplatten wurden laut dem Bundesverband Musikindustrie im Jahr 2021 verkauft. Das sind 300.000 mehr als im Vorjahr. Auch immer mehr Studis schaffen sich Schallplattenspieler und Schallplatten an. Um der Frage auf den Grund zu gehen, weshalb gerade junge Menschen eine neue Begeisterung für Schallplatten gefunden haben, hat sich Radio Q-Reporterin Beritan Dik mit Herrn Michael Custodis, Professor für Musik der Gegenwart und systematische Musikwissenschaft unterhalten.

Warum ist die Schallplatte Ihrer Ansicht nach wieder im Trend? Und warum hören gerade junge Menschen Musik mit Schallplatten?  

Manche junge Menschen kommen durch ihre Eltern oder Großeltern mit Schallplatten in Berührung. Sie entdecken so ihre Vorliebe, mit Schallplatten Musik zu hören. Es ist ein Ritual: Man setzt sich hin, sucht sich eine bestimmte Schallplatte aus und legt sie auf. Man nimmt den Tonarm und lässt die Nadel auf die Schallplatte sinken und es knistert. Während des Hörens tut man häufig auch nichts Anderes, sondern fokussiert sich nur aufs Musikhören. 

Die meisten Musikhörer*innen streamen und das tun sie oft nebenbei. Das Schallplattenhören kann als Gegentrend zum Streamen gesehen werden: Während das Streamen digital, kostenlos und ziemlich schnelllebig ist, bedeutet Schallplattenhören für Fans etwas Rituelles, etwas Haptisches, es kostet viel Geld, Aufwand und Hingabe und ist langlebiger. Zudem ist auf einem Album eine bestimmte Abfolge von Titeln vorgegeben. So erlebt man Songs im Kontext anderer Songs, nicht nur – wie beim Streamen – einen einzelnen Song im Kontrast zur Musik anderer Künstler*innen. Dadurch entsteht ein anderer, intensiverer Zugang zur Musik. Ich glaube, da beginnt die Faszination. 

Es ist also eine Alternative zum Streamen. Welche weiteren Unterschiede gibt es zwischen dem Streamen und dem Schallplattenhören und was genau ist neu für junge Menschen? 

Ein weiterer Aspekt ist die Visualität des Schallplattenhörens. Beim Streamen wird nur ein kleines Bild angezeigt. Bei den Schallplatten werden für die Grafik andere Künste mit reingenommen. Die Künstler*innen haben sie bewusst gestalten lassen. Pop lebt von Visualität. 

Aber auch der soziale Aspekt des Schallplattenhörens führt zu ihrem Verkaufsboom. Durch die Einzigartigkeit mancher Platten und den Preis als Sammlerstücke bekommt Musik einen anderen Wert. Menschen kommen zusammen, die nur das Musikhören gemein haben. Man trifft sich, um gemeinsam Musik zu hören. Wie alle Sammlungen bringen auch Musiksammlungen Menschen zusammen. Das wirkt auf junge Leute heute fremd, früher war dies ein Teil der Schallplattenkultur, Musik als Gemeinschaftserlebnis.

Noch für die Soundfetischisten: Der Sound einer Schallplatte klingt anders und ist unverkennbar. Das liegt daran, dass der Klang durch die mechanische Widergabe eines physischen Gegenstandes entsteht, nicht durch digitale Rechenprozesse.  

Was sind die Anfänge der Schallplatte und wie hat sie sich über die Jahrzehnte verändert? Könnten Sie die Geschichte der Schallplatte in Europa kurz zusammenfassen? 

Thomas Edison und Andere fanden als Erste einen Weg, mit dem Phonographen Ton aufzunehmen und wiederzugeben. Edison verbindet man eher mit Telefon und Elektrifizierung. Doch das Telefon und die Schallaufzeichnung sind nicht so weit voneinander entfernt. Es geht darum, dass man Akustik vom Ort ihrer Entstehung entkoppeln kann. Man hat dann immer weiter experimentiert und nach alternativen Werkstoffen gesucht, weil sich Stahl- und Wachswalzen als Tonträger relativ schnell abnutzten und die Aufnahmen damit verloren gingen.

Ab den 1920ern setzte sich dann die Schellackschallplatte durch. Zeitgleich entstand das Radio, das die Palette der medialen Verbreitung von Musik erweiterte. Die Schallplatte bot im Verhältnis zum Radio den entscheidenden Vorteil: Musikhörer*innen konnten von nun an selbst entscheiden, was sie wo hören möchten. Musik war plötzlich entkoppelt vom Ort des Entstehens. Die Schellackschallplatte wurde in den späten 1940er von der Vinylschallplatte abgelöst. 

Die Schallplatte begleitet uns also schon seit vielen Jahren. Und wie wir festgestellt haben, spielt dabei der soziale Aspekt und die Art des Musikhörens eine sehr große Rolle. Glauben Sie also, dass Vinyl uns noch viele weitere Jahre begleitet und nie aussterben wird?

Das ist schwierig zu sagen. Das Bedürfnis nach Musik wird sich nie erledigen, doch die Form des Musikhörens und Machens ändert sich je nach Generation. So hat jede Generation bestimmte primäre Medien. Und da die meisten heute streamen, ist das Musikhören mit der Schallplatte eine schöne Alternative.

Wir sind gespannt, wie sich die Schallplatte entwickelt! Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Custodis!