Sind die Grünen noch grün genug? Maria Klein-Schmeink im Interview
Geschrieben von Kira Baller an 22. September 2021
“Du bist danach erst mal arbeitslos,” so beschreibt Maria Klein-Schmeink ihre Berufschancen, wenn sie Lehramt studiert hätte. Heute ist sie die Direktkandidatin für den Wahlkreis Münster für die Bundestagswahl 2021 und erzählt im Radio Q-Interview, was sie in Sachen Bafög verändern möchte, wie es mit bezahlbaren Wohnraum aussehen soll und welche Umweltziele die Grünen durchsetzen wollen.
Radio Q-Reporterin Marleen Wiegmann nimmt die Aussagen von Maria Klein-Schmeink noch einmal genau unter die Lupe.
Sie sind geboren in Dinken. Das ist eine Stunde westlich von Münster, also gehört es noch zu Münsterland. Warum hat es Sie dann zum Studium nach Münster gezogen?
Dinken gehörte früher zum Kreis Borken und hat eine klare Orientierung nach Bocholt und damit auch westliches Münsterland und Münster. Das war sozusagen naheliegend. Heute gehört Dinken zum Kreis Wesel und richtet sich mehr Richtung Niederrhein aus. Aber für mich war das schon einfach der westlichste Zipfel vom westlichen Münsterland und insofern klare Orientierung.
Gibt es irgendwas, was Sie besonders schätzen an Münster? Speziell in der Unizeit?
Einmal die Vielfältigkeit in der Stadt, das bunte Leben, eine gewisse Freizügigkeit darüber auch. Außerdem viele, viele, viele Möglichkeiten, sowohl sich zu engagieren als auch Kultur zu erleben und die Vielfalt der Gesellschaft zu erleben. Diese Offenheit, die einfach durch das studentische Milieu kommt, hat sich einfach insgesamt in die Stadtgesellschaft getragen. Das finde ich sehr, sehr positiv und habe es schon zu meinem Studium sehr genossen. In der Zeit war es so, ein bisschen erleben wir das jetzt mit der Fridays for Future-Bewegung hier ja genauso: Das es eine sehr hohe Politisierung der jungen Menschen gegeben hat. Das ist etwas, was ich gar nicht missen möchte, weil mich das damals sehr geprägt hat. Es war einfach angesagt, politisch zu sein und eine politische Haltung zu haben, sich zu engagieren. Auch dieses Erlebnis, das man mit Engagement etwas bewirken kann, gehört auch zu meiner jungen und frühen Studienzeit dazu. Und auch das ist etwas, was ich sehr wertvoll finde.
Heißt das auch Münster hat sie ein wenig in die Politik reingebracht oder zumindest die Umgebung, die Menschen und die Erlebnisse hier?
Politisiert worden, bin ich schon vorher am Gymnasium. Ich bin ja Zweite von sechs Kindern auf einem kleinen Bauernhof, durchaus mit existenziellen Sorgen, großgeworden. Ohne den damaligen Bildungsaufbruch, der sehr stark mit der SPD damals verbunden war, den Jusos, die ich da erlebt habe, auch an einer Schule, Lehrer, die Vorbild waren und mir möglich gemacht haben zu erkennen, wie wichtig es ist, dass jeder eine Chance hat, unabhängig vom Elternhaus. Es gab das Schüler Bafög, das hat es mir überhaupt möglich gemacht dann die weiterführende Schule und auch vor allen Dingen auch das Abitur abzuleisten. Ja, da bin ich dankbar drum. Wenn ich heute sehe, 50 Jahre Bafög und nur noch 14 Prozent der Studierenden beziehen das überhaupt, dann muss ich sagen, da haben wir echt was zu tun.
Bafög ist ein mega spannendes Thema, da kommen wir gleich noch mal zu. Sie haben hier in Münster Politik, Soziologie und Pädagogik studiert und an den Magisterarbeit Soziologie gemacht. Das heißt, Politik war dann doch nicht so ganz was für Sie, oder?
Nein. Einmal hatte ich erst mal das Studiumsziel Lehramt und damals war das ganz klar: Du bist danach erst mal arbeitslos. Du wartest drei Jahre auf das Referendariat und dann weißt du immer noch nicht, ob du überhaupt ins Lehramt übernommen wirst. Dann habe ich mein Studiumsziel verändert auf Magister. Da ich Sozialwissenschaften als Fach hatte, war dann auch klar: Ich kann das sehr leicht machen mit dem Schwerpunkt Soziologie, Politik als Nebenfach und Pädagogik als Nebenfach. Diese Kombination habe ich auch gewählt. Es war auch ganz klar: Die Soziologen waren erstens politischer, zweitens auch handwerklicher, also mit Statistik und Ähnlichem, sodass für mich Politik als Erstfach eigentlich nicht in Frage kam. Ja, und so habe ich dann gewählt.
Es ist jetzt das vierte Mal, dass Sie als Direktkandidatin in Münster antreten. Das hat die letzten Male zumindest nicht über die Münster Direktwahl geklappt. Verläuft dieses Jahr die Wahl anders? Wird es dieses Jahr was?
Ich glaube, es ist ein total offenes Rennen und ich rechne mir durchaus auch eine Chance aus. In der Kommunalwahl hatten wir Grünen 30 Prozent, die CDU 33 Prozent und die SPD war sehr abgeschlagen. Da haben sich ein paar Dinge jetzt von den Vorzeichen auf Bundesebene verändert. Aber ich glaube, es ist wirklich ein offenes Rennen. Da ich auf zwölf Jahre sehr engagierte Arbeit für Münster auch zurückschauen kann und damit auch punkten kann, hoffe ich tatsächlich, dass ich da die Nase vorn haben werde.
Jetzt mal angenommen, Sie werden die Direktkandidaten und kommen in den Bundestag über dieses Mandat. Was planen Sie dann konkret für Münster zu erreichen?
Zwei große Themenblöcke werden ganz stark im Vordergrund stehen: Einmal der bezahlbare Wohnraum. Das ist in Münster ein wirklich, wirklich drängendes Problem. Da brauchen wir andere Vorzeichen aus der Bundespolitik und dann am besten auch noch aus der Landespolitik. Einfach um sicherzustellen, dass wir mehr gemeinnützigen Wohnraum haben. Wir müssen zusätzlich Wohnraum schaffen, gerade für die Gruppen, die es ganz, ganz schwer am Wohnungsmarkt haben. Das sind mittlerweile einfach auch Familien. Und wenn wir erleben, dass beispielsweise eine Pflegekraft oder eine Erzieherin kaum noch in Münster bezahlbaren Wohnraum findet, bei ihren Einkommensgrenzen, dann muss man sagen: Da müssen wir total dringend gegensteuern und dafür brauchen wir den Bund als Hilfe. Ich mache mich sehr stark dafür, dass die Bundesimmobiliengesellschaft verpflichtet wird, nur noch an gemeinnützige Wohnungsunternehmen, an Kommunen, an Genossenschaften Grundstücke zu vergeben, damit wir da auch nennenswert vorankommen. Hier in Münster haben wir da große Potenziale. Was aufhören muss, ist, dass der Finanzminister erwartet, dass diese Bima, so heißt diese Gesellschaft, tatsächlich zum Finanzergebnis des Bundeshaushaltes beiträgt und Marktpreise verlangt. Marktpreise in Münster heißt einfach immens hoch. Unter diesen Bedingungen kann man kaum gemeinnützigen oder auch insgesamt bezahlbaren Wohnraum realisieren. Das muss sich ändern. Das haben wir vor. Gleichzeitig starke Mieterrechte. Was heißt eine wirksame Mietbremse?
Sie haben gesagt, dass sie zwei Themen haben. Das war jetzt Wohnraum. Fehlt noch eins?
Dann das zweite Thema: Ganz, ganz klar ist die Verkehrspolitik. Wir erleben im Osten Münsters gerade eine gigantische Baustelle mit dem Ausbau der B 51. Das ist aber bisher das Teilstück bis hin zu Handorf. Das soll fortgeführt werden. Das ist ein Autobahn ähnliche gigantische Baumaßnahme, diese wird begründet mit Verkehrszahlen von vor 30 Jahren, die überhauptnicht nachhaltbar sind. Da habe ich sehr, sehr viel in den letzten zwölf Jahren getan und ich möchte einfach, dass es nicht weiter ausgebaut wird, sondern wir eine verträgliche Verkehrspolitik bekommen, die nicht dazu führt, dass sowohl der ÖPNV abgehängt ist, die Ortschaften an der Strecke abgehängt sind, sondern wir eine Verkehrspolitik kriegen, die nachhaltig ist, die den ÖPNV und den Schienenverkehr stärkt und ansonsten einfach versucht, gerade auch den Radverkehr auszubauen und nicht ein gigantisches Projekt dort hin zu setzen, was die Ortschaften zerteilen wird und gleichzeitig nicht mehr in die Welt passt und schon gar nicht zum Klimaschutz.
Heißt das, wenn ich Sie jetzt wähle als Direktkandidatin, dann setzen Sie sich dafür ein, dass diese Baustelle nicht durchgesetzt wird.
Wir haben auch schon vieles getan. Gerade auch im Zusammenschluss mit den Bürgerinitiativen. Wir haben geschaut: Was können wir machen auf Bundesebene? Was können wir machen auf Landesebene? Und ganz klar ist: Wir Grünen werden alle Verkehrsneubauprojekte auf den Prüfstand stellen, sie danach nach Kriterien bewerten: Sind sie im Rahmen des Klimaschutzes überhaupt noch darstellbar? Werden sie wirklich gebraucht? Gibt es andere Alternativen? Von daher bin ich sehr sehr sicher, dass wir den weiteren Ausbau tatsächlich gestoppt kriegen würden. Wir werden alles daran setzen. Hinzu kommt, dass der Bundesverkehrswegeplan zwar zahlreiche Projekte vorsieht, aber die eigentlich auch alle noch gar nicht wirklich finanziert hat. Da wäre es ja völlig aberwitzig, dass wir so ein Projekt vorziehen. Wir müssen es verhindern und dafür sorgen, dass es eine Umschichtung Richtung Schienenverkehr gibt. Gerade auf der Strecke gäbe es da einiges zu tun. Wir haben dort noch sehr viele Bahnübergänge, beispielsweise die auch vom Verkehrssicherheits-Standpunkt aus ganz, ganz kritisch sind. Also da gibt es viel zu tun.
Das ganze ist ja schon angelaufen. Dort ist ja schon Geld rein geflossen. Wird das dann trotzdem gestoppt?
Das was jetzt mit dem Ausbau des Knotenpunkt passiert ist, bis Mariendorf, das alles können wir nicht mehr aufhalten. Das ist ja alles schon im Bau. Da kann man schon ahnen, was für ein gigantisches Verkehrsprojekt das ist. Es ist, als wenn wir einen Autobahn-Knotenpunkt wie das Kamener Kreuz bauen. Die weitere Planung würde auch sieben spurig bedeuten, weil das Autobahn ähnlicher wäre. Wir bräuchten außerdem für die anderen Verkehre eine Spur. Wir brüuchten irgendwie den Radverkehr. Insofern ist das was, was wir dann ab der Kreuzung Handorf verhindern wollen. Das wäre das Mindeste was passieren muss. Alle Kommunen an der Strecke haben sich auch für einen Stopp ausgesprochen und wollen diese Planung nicht. Insofern wäre das auch etwas, was vollständig gegen die Interessen der Bevölkerung ist. Auch viele Unternehmen haben sich dagegen ausgesprochen. Die Bauern haben sich dagegen ausgesprochen, weil auch viel landwirtschaftliche Fläche anders genutzt werden würde und von daher hoffen wir, da wirklich einen Punkt machen zu können.
Ich würde gerne zu dem ersten Thema, das Sie angesprochen haben, zurückkommen. Das andere wichtige Thema für Münster: Wohnen. Das ist allgemein ein wichtiges Thema für uns Studierende. Im Wahlprogramm der Grünen heißt es: Man plant eine Offensive für studentisches Wohnen. Es ist dort aber nicht genau ausgeführt. Was heißt das denn genau? Was würde das bedeuten? Was bedeutet eine Offensive?
Insgesamt bedeutet eine Wohnungsbauoffensive, dass wir eine Million zusätzlichen Sozialraum schaffen wollen. Das mit einem Programm, wo wir ganz schnell auch vorangehen wollen, damit wir gegen die Knappheit am Markt auch gegen angehen können. Wir wollen sicherstellen, dass dieser Wohnraum dann auch dauerhaft sozial gebunden bleibt. Heute ist ja die Wohnungsbauförderung so, dass man als Investor beispielsweise einen Zuschuss des Bundes bekommt, mit dem Zusatz, dass man 20 Jahre sozial gebundenen Wohnraum schafft, aber danach frei am Markt agieren kann. Das ist natürlich angesichts dessen, dass einfach Grundstücke vor Ort ein knappes Gut sind, diese sind nicht beliebig vermehrbar. Das ist eine Katastrophe, weil wir nach und nach sämtliche Flächen letztendlich im Markt hätten und nicht mit einer klaren gemeinnützigen Bindung. Das wollen wir erreichen bei allen Flächen, die der Bund in irgendeiner Weise zur Verfügung stellen kann. Ergänzend wollen wir Wohnraumförderung über die Mittel, die wir für Infrastruktur bereitstellen wollen. Da wollen wir auch die Schuldenbremse im Grundgesetz lockern und sagen: Alle Investitionen, die für die Gemeinschaft nötig sind, die für Infrastruktur nötig sind, die wollen wir jetzt in Angriff nehmen und da die Schuldenbremse aussetzen. Es ist völlig klar: Wir haben kaum Zinsen zu bezahlen und wenn der Staat sich jetzt verschuldet für eine Infrastruktur, stellt diese einen sicheren Wert auch für die Zukunft dar. Deshalb ist es so wichtig, dass wir auch gerade für studentisches Wohnen, aber auch für Genossenschaften und städtische Wohngemeinschaften tatsächlich vorankommen.
Bei dem Thema Schuldenbremse müsste eine Grundgesetzänderung stattfinden. Das heißt, man bräuchte eine Zweidrittelmehrheit. Ist das realistisch?
Wir werden in den Verhandlungen sehr darauf pochen. Wir wissen, dass alle Bundesländer beispielsweise bei der Sanierung von öffentlichen Gebäuden, beim Straßenbau, Investitionen, beim Schienenverkehr ein echtes Problem haben. Es gibt einen sehr, sehr hohen Bedarf. Weil das auch für die Klima gerechte Umgestaltung unserer Gesellschaft unglaublich wichtig ist, ist das eine Zukunftsinvestitionen, die wir einfach nicht auslassen dürfen. Wir werden mit dem Klimaschutz gar nicht vorankommen, wenn wir nicht auch was die öffentliche Infrastruktur angeht, ganz massiv vorangehen. Insofern hoffen wir, dass wir Mehrheiten dafür finden können. Alle, die das nicht mitmachen wollen, das sind im Moment ja vor allen Dingen die CDU und FDP. Die müssten aber mal sagen, wie es anders gehen soll. Bisher ist alles, was die vorschlagen mit der öffentlichen privaten Partnerschaft. Das sind beispielsweise Projekte, die den Steuerzahler immer unendlich viel Geld gekostet haben und den Zweck, den sie eigentlich erfüllen sollte, gar nicht erfüllt haben.
Die Frage ist, wenn es scheitert, was die Grünen wollen. Würde das Wahlprogramm scheitern, wenn diese Schuldenbremse nicht aufgehoben werden kann und diese ganzen Finanzierungsmöglichkeiten nicht da wären? Wenn das nicht funktioniert, kann dann überhaupt irgendwas umgesetzt werden, was im Wahlprogramm steht?
Also mit uns wird es keine Regierungsbeteiligung geben, wo wir nicht wirklich massiv im Klimaschutz vorankommen und wirklich die Ziele erreichen, auf den 1,5 Grad Fahrt zu kommen. Es hat ja gestern noch mal die Studie des DIW gegeben, wo sie die Programme der Parteien verglichen haben. Wer überhaupt in welcher Form die Klimaschutzziele erreicht. Da waren wir vorne. Aber wir haben auch noch nicht zu 100 Prozent das 1,5 Grad Ziel erreichen können. Das heißt, alle anderen Parteien stehen echt unter Druck zu liefern, weil das, was sie in ihren Programmen geliefert haben, so unterhalb der Klimaschutzziele ist, dass man sagen muss, das reicht schlichtweg nicht. Regierungsbeteiligung mit uns gibt es nur, wenn wir diese Schritte machen können. Insofern müssten die dann mal andere Vorschläge machen. Wir haben ja vorgeschlagen, dass es 50 Milliarden Euro pro Jahr geben soll, die zusätzlich in die Infrastruktur gehen. Da müssen die anderen sagen, wie es, wie es denn sonst gehen soll. Jetzt muss man auch mal an in die Richtung FDP sagen: Die schlagen Steuersenkungen in der Höhe von 80 Milliarden Euro, vor allen Dingen für die Besserverdienenden vor. Das passt gar nicht zusammen. Die bleiben jeder Antwort schuldig, wie denn eigentlich unsere Gesellschaft die Klimaschutzziele erreichen will. Insofern das werden keine einfachen Verhandlungen, wenn wir verhandeln dürfen. Aber ohne Klimaschutz und diesbezüglich auch einen sozial gerechten Klimaschutz wird es mit uns keine Beteiligung geben.
Heißt aber auch: Ganz oder gar nicht. Alle Leute, die sie dann gewählt haben, die dachten vielleicht bekommen sie wenigstens ein wenig Klimaschutz. Aber würde es dann überhaupt nichts geben?
Das ist ja erst mal die Frage, wer und welche Regierungsbeteiligung überhaupt möglich sind und welche Verhältnisse wir haben. Deshalb werben wir für ein möglichst starkes Grün. Wir verstehen uns schon als die Motoren für Klimaschutz. Insofern ist es auch eine Richtungswahl. Jeder, der da Parteien wählt, die Klimaschutz auf irgendwann verschieben wollen und darauf warten, dass irgendwelche Techniken erfunden wären, die die dann CO2 binden oder solche Dinge, wie das die FDP beispielsweise tut, aber in großen Teilen auch die CDU. Da muss man sagen, das reicht nicht. Wir können uns keine Regierungsbeteiligung vorstellen, wo wir die Klimaschutzziele nicht erreichen.
Sie haben ja vorhin schon angesprochen: Wir machen selber noch gar nicht genug, es könnte noch viel mehr sein. Fridays for Future sagt auch immer wieder, dass eigentlich alles noch gar nicht gut genug sei. Was mache ich denn da jetzt? Als eine junge Person oder auch ältere Personen, die das wichtig ist, die dahinter steht? Wähle ich dann überhaupt grün? Ist grün gerade noch grün genug?
Also ich glaube gerade diese Studie hat ja gestern sehr gezeigt, wie nahe wir zumindestens am 1,5 Grad Ziel dran sind. Politik und Studien sind natürlich auch ein bisschen unterschiedliche Dinge. Fridays for Future stützt sich ja auch auf eine Studie, die dann Maßnahmen vorschlägt. Bei etlichen Maßnahmen muss man natürlich, wenn man Politik macht und real gestaltet, sehen: Wie lange brauche ich bestimmte Dinge umzusetzen? Den Kohleausstieg mit 2030 haben wir ja sehr bewusst gesetzt und wir haben sehr genau geguckt, dass man das dann auch wirklich machen kann und nicht einfach nur einen rechnerischen Vorschlag macht, der gut klingt, aber am Ende nicht kommt. Sondern wir wollen ja das wirkliche und reale Erreichen der Ziele. Wir werden vielleicht noch mal schauen müssen, wo wir die restlichen Prozente herbekommen, die laut der Studie des DEW bei uns noch fehlen. Aber wir sind ja sehr sehr nahe dran und wir müssen es schaffen die Gesellschaft mitzunehmen, Wahlergebnisse zu kriegen, wo die Menschen auch das Gefühl haben: Okay, das kann ich mir vorstellen – und nicht verschreckt ganz andere wählen. Da muss ich leider auch sagen, dass andere sehr viel suggerieren an Lösung, was gar nicht da ist und dadurch auch in der Bevölkerung so ein Bild erzeugen na ja, so viel Veränderung brauchen wir jetzt auch nicht, aber wir müssen eben die Zeit haben, um alle mitzunehmen. Wie das dann halt formuliert wird. Ohne Veränderung wird es nicht gehen und die Veränderung wird so und so kommen, weil entweder wir gestalten sie, das ist unser Vorschlag oder wir sind einfach Opfer von Veränderung, die sich von außen durch katastrophale Ergebnisse einfach zeitigen. Wir haben jetzt mit dem Hochwasser viel erlebt. Das hat 31 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt gekostet und war nur ein Reagieren auf Katastrophe. Das hat noch nichts mit Vorsorge zu tun. Deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht einfach nur warten bis irgendwann, sondern wirklich unsere Geschicke in die Hand nehmen und das tun, was wir verantwortlich tun können.
Ich würde gerne noch mal auf das BAföG kommen. Sie haben gerade auch schon selber gesagt, Sie wären jetzt nicht da, wo Sie sind, ohne BAföG oder überhaupt diese Förderung am Anfang des Lebens, da läuft ja aber gerade auf jeden Fall sehr viel falsch. Ich glaube, dass sehen fast alle Parteien so. Nur elf Prozent der Studierenden erhalten BAföG, dass ist viel zu wenig. Haben die Grünen einen Plan, wie das mehr werden kann.
Ja, wir wollen so etwas wie eine elternunabhängige Grundsicherung auch im Studium herstellen. Ganz unabhängig davon, wo ich herkomme, was meine Eltern verdient haben, in welcher sozialen Lage die sind, gibt es erst mal einen Grundbetrag. Dazu gibt es einen Bedarfssatz, der dann einkommensabhängig ist. Grundsätzlich muss der Bedarf insgesamt höher dotiert werden als er heute ist. Das BAföG, so wie es jetzt ist, ist ja in keinster Weise kostendeckend. Das ist so nicht darstellbar und führt natürlich auch dazu, dass ein unheimlich hoher Druck da ist, nebenbei regelmäßig zu verdienen. Diese Verdienstmöglichkeiten sind erst mal in einer Pandemie total weggebrochen. Das ist sowieso das Problem. Aber auf einer anderen Ebene ist auch heute Studium ein anderes als noch zu meinen Zeiten, sodass es auch gar nicht so leicht ist, überhaupt Studium und die Anforderungen plus einen regelmäßigen Job miteinander zu verbinden. Damit wollen wir sicherstellen, dass das Studium tatsächlich etwas ist, was jeder wählen kann, als Weg für sich und nicht abhängig vom Elternhaus sagt: “Oh, das kann ich gar nicht machen.”
Mir ist bei der Bafög-Reform aufgefallen: Irgendwie werden auch die Begriffe einfach nur verändert. Also statt Kindergeld gibt es eben die Grundsicherung. Klar, die gibt es als Standard und die ist höher. Mein Gefühl war dann, dass es noch etwas obendrauf gibt, je nachdem, wie viel die Eltern verdienen. Das wäre im Normalfall eigentlich das Bafög plus das Kindergeld. Wo ist da die Reform?
Die Reform ist natürlich, dass ich mit dem Grundbetrag so unabhängig von meinen Eltern bin, dass ich nicht meine Eltern fragen muss. Das ist der eine wichtige Teil und der andere Teil ist tatsächlich, dass ich ein Bafög in der Höhe, wie ich es auch dann tatsächlich brauche, sicher habe. Diese beiden Komponenten sind einfach nicht voneinander wegzudenken. Jetzt könnte man auch sagen: Wir machen Studium ganz grundsätzlich und ganz komplett kostenfrei, also mit Nebenkosten und allem, was sie für den Lebensunterhalt brauchen. Das kostet aber so viel, dass wenn wir unsere Pläne durchsetzen. Sƒowohl die Kindergrundsicherung, als ganz, ganz wichtiger Hebel gegen Kinderarmut, dann den Grundsatz, auf jeden Fall sichergestellt zu haben, dass Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien tatsächlich Optionen haben und gleichzeitig noch sicherzustellen, dass die Armut im Alter abgefedert wird mit einer echten Garantierente. Gleichzeitig weiß ich, dass ich noch ganz, ganz viel in der Eingliederungshilfe zu tun habe, also für die Menschen mit Behinderung. Ich habe noch sehr viel zu tun, um die Anforderungen in der Pflege auf Tarif gerechte Bezahlung beispielsweise umzusetzen. Dann ist völlig klar alles zusammen werden wir im ersten Schritt nicht schaffen. Deshalb ist es so wichtig eingestuft, das Konzept zu haben.
Also bekomme ich mehr Geld und es wird angepasst, dass mit der Reform auch mehr Leute als 11 Prozent Bafög erhalten.
Ja die Eltern Einkommensgrenzen werden ganz, ganz klar angepasst. Gleichzeitig werden ja auch die Möglichkeiten angepasst, wie lange ich überhaupt Bafög beziehen kann.
Gibt es ein Ziel, wie viele Studierende das nachher kriegen sollen? Jetzt gerade sind es elf Prozent, früher waren es 30 Prozent. Werden da wieder 30 Prozent angepeilt?
Wir haben nicht ausdrücklich irgendwo hingeschrieben, wie das Ziel ist, aber ich würde davon ausgehen, dass wir sogar von der Hälfte der jenigen ausgehen würden, die wir erreichen wollen, die je nachdem wie hoch dann der Einkommensanteil wäre, dann angerechnet würden. Aber ungefähr so eine Größenordnung.
Ich würde dann zum nächsten Themenkomplex springen: Gesundheit. Sie sind ja auch gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen. Die ist ein sehr wichtiges Thema, gerade in der Pandemie. Aber auch allgemein gibt es diesbezüglich spannende Komplexe. Zum einen haben sich Studierende, laut zahlreichen Studien sehr allein gelassen gefühlt. Eine Studie von der Uni Mainz, die im Juni 2020 durchgeführt wurde, dass sich ein Viertel der Studierenden so stark belastet gefühlt hat, dass sie sich psychosoziale Hilfe wünschten. Haben Sie als gesundheitspolitische Sprecherin irgendwas Konkretes im Blick, um so bei der mentalen Gesundheit von Studierenden nachzubessern und nachzuhelfen und das Problem anzugehen?
Seit zwölf Jahren beschäftige ich mich sehr intensiv mit der psychischen Gesundheit und mit der Versorgung, wenn Menschen in einer psychischen Krise sind und da haben wir in Deutschland tatsächlich echt mangelhafte Versorgung. Das muss man ganz klar sagen. Wir haben immens lange Wartezeiten auf eine Psychotherapie Platz, hier in Nordrhein-Westfalen gerne mal ein halbes Jahr. Zusätzlich kommt, dass wir große Versorgungsbrüche haben. Das heißt, wenn ich zum Beispiel in einer psychiatrischen Tagesklinik oder auch in der Psychiatrie war, dann tatsächlich eine Anschlusszug Behandlung sichergestellt zu haben. Wir haben ganz oft, dass man drei Monate wartet auf den Reha Platz. Dann weitere Zeiten wartet, um überhaupt regelmäßig als Patientin oder Patient beim Psychiater aufgenommen zu werden. Wir wissen, dass sehr, sehr viele Menschen, gerade wenn sie frühzeitig Hilfe erhalten, gerade diese ganzen langen Wege gar nicht brauchen würden. Sondern wenn sie sehr niedrigschwellig Beratungsstellen aufsuchen könnten, wenn sie niedrigschwellig Gruppentherapie wahrnehmen könnten, wenn sie sehr niedrigschwellig Erstgespräche und so eine kurzzeitige Beratung erhalten könnten, das dann vielen schon ein ganzes Stück geholfen wäre.
Komme ich jetzt zu unserem letzten Teil. Ich habe fünf Sätze und sie beenden diese. Der erste ist: Fahrräder sind…
…cool, weil sie ein Verkehrsmittel sind, mit dem ich verlässlich alle Distanzen bewältigen kann, in Bewegung bin und gleichzeitig unabhängig bin.
Meine Lieblings Erinnerung an meine Uni Zeit ist…
…sind schon die großen Demos, die es gegeben hat, sowohl die der Friedensbewegung als auch der Umweltbewegung. Das war sehr kraftvoll und so getragen von Optimismus und Gestaltungsfreude, dass ich da immer noch gerne daran zurückdenke.
Wenn ich nur eine Sache aus unserem Wahlprogramm umsetzen könnte, wäre das…
…wäre tatsächlich ein wirkungsvoller Klimaschutz, weil er gleichzeitig auch Gesundheitsschutz ist, gegen Hitze, gegen Dürre und dafür, dass Menschen überhaupt in ihren angestammten Regionen weiter leben können.
Die Grünen sind keine Verbotspartei, weil…
…wir mehr Möglichkeiten schaffen. Vieles von dem, was uns angehängt wird als Verbotspartei, hat eigentlich wenig auf dem Haken, sondern bedeutet einfach, dass wir zum Beispiel Subventionen anders gestalten würden und anders ausrichten würden und neue Möglichkeiten für nachhaltiges Leben schaffen würden.