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Bundestag statt Hörsaal? Kira Sawilla im Interview

Written by on 24. September 2021

Sich als Erstwählerin selbst wählen können? Kira Sawilla ist 21, Studentin und Direktkandidatin für Die Linke. Im Radio Q-Interview mit Patrick Dietz erzählt sie über ihren Weg in die Politik, was sie in der Klima- und Sozialpolitik ändern möchte und warum es mit ihr keine Kompromisse in der Außenpolitik geben würde.

Radio Q-Reporter Patrick Dietz nimmt die Aussagen von Kira Sawilla noch einmal genau unter die Lupe.

Bei mir im Studio begrüße ich jetzt Kira Sawilla, die dieses Jahr als Direktkandidatin für die Linke hier in Münster antritt. Hallo, Frau Sawilla.

Hallo, danke für die Einladung.

Wir fangen im Interview jetzt hier im ersten Block mit ein paar persönlichen Fragen an zu Ihnen, zu Ihrem Hintergrund, denn Sie kandidieren bei dieser Wahl ja das erste Mal für ein politisches Amt. Was sollten Wähler*innen über Sie wissen?

Also was vielleicht ganz spannend ist: Ich bin die jüngste Kandidatin hier in Münster. Ich studiere selbst auch an der WWU, insofern habe ich hier ein klein bisschen Heimspiel mit Kommunikationswissenschaft, tatsächlich auch ein medialer Studiengang. Ich bin 21 Jahre alt, wohne jetzt seit ca. 3 Jahren in Münster. Eigentlich komme ich aus dem Münsteraner Umland, Werne, vielleicht kennen das einige. Ich bin zur Linken gekommen vor allem über die Themen Migration, Flucht und Antifaschismus, weil ich das Gefühl hatte, dass man so seit 2015/16 unbedingt auch selbst aktiv werden muss gegen Rechts und diesen Rechtsruck im Land einfach nicht unkommentiert stehen lassen darf.

Sie sind seit etwas mehr als drei Jahren bei der Partei Die Linke. Was begeistert Sie an dieser Partei, oder warum sind Sie ausgerechnet dieser Partei beigetreten?

Tatsächlich vor vier Jahren, bei der Bundestagswahl, war ich noch gar nicht so, dass ich die Linke unbedingt gewählt hätte. Ich dachte die Parteien sind ja doch alle recht ähnlich aneinander. Ich wusste nicht ob diese verstaubten Parteiapparate überhaupt was bewegen können. Ich habe mich eher so in den Protestbewegungen auf der Straße gesehen, wo ich natürlich auch immer noch am Start bin. Der ausschlaggebende Punkt für mich zur Linken zu gehen war dann aber als Anfang 2018 eine Diskussion war, dass in Münster eine sogenannte Zentrale Ausländerbehörde errichtet werden sollte, die quasi zur Aufgabe hatte, besonders schnell und besonders effizient Leute wieder abzuschieben. Ich bin dann mit den Aktiven von Linken und Linksjugend auch ins Gespräch gekommen und habe festgestellt: Hey, die Linke ist irgendwie anders als diese verstaubten Parteistrukturen, die ich befürchtet hatte, und auch im Vorfeld schon von diesem Protest ist super viel abgelaufen, was ich gar nicht mitbekommen hatte, dass man zusammen mit den Bewegungen von Geflüchteten Druck gemacht hat. Das war für mich dann der ausschlaggebende Punkt, dass ich am nächsten Tag der Linken beigetreten bin und seitdem aktiv bin.

Letztes Jahr hatten Sie auch noch nicht vor, für den Bundestag zu kandidieren. Was hat sich seitdem geändert, dass Sie sich nun doch für eine Kandidatur entschieden haben?

Ich habe ziemlich viel Zuspruch erhalten aus meinem Kreisverband. Beim Kreisparteitag, wo die Direktkandidatur aufgestellt wurde, habe ich auch mit 100 Prozent ein sehr eindeutiges Votum bekommen. Insofern habe ich das Gefühl, dass ich meinen Kreisverband auf jeden Fall in meinem Rücken habe, die mich stärken. Und ich wurde auch sehr ermutigt, gerade von unserem amtierenden Bundestags Mitglied Hubertus Zdebel, der ja durchaus schon viele Jahrzehnte politische Erfahrungen in Münster, aber jetzt ja in den letzten Jahren auch auf Bundesebene sammeln konnte. Dass dieser Generationenwechsel gut klappen kann und dass ich die Unterstützung habe, und so war das dann auch möglich. Und ja, ich habe mich dazu ermutigen lassen. Es kam nicht primär aus mir selbst heraus, sondern auch viel über den Zuspruch meiner Freund*innen und Genoss*innen.

Sie haben angegeben, dass Ihre Schwerpunkte Kinder- und Jugendpolitik, Feminismus und Klimagerechtigkeit sind. Wie setzen Sie sich hier in Münster konkret für diese Themen ein?

Ich kann mal mit der Kinder- und Jugendpolitik anfangen, und zwar habe ich die Linksjugend hier in Münster quasi mit aufgebaut. Als ich 2018 aktiv geworden bin gab es irgendwie einzelne Aktive, aber keine wirkliche Gruppe. Ich habe dann dafür gesorgt, dass da auch mehr Strukturen hinter kommen, dass wir viele sehr junge Leute auch politisch organisieren können. Die Jüngsten, die bei uns aktiv werden, sind 14, viele sind 15, 16 Jahre alt. Das ist mir wirklich ein Herzensthema, dass auch die jungen Leute sich politisch engagieren. Da sind wir natürlich auch beim Thema Klimagerechtigkeit. Ihr wisst sicher alle, dass demnächst der nächste große Klimastreik ansteht, von Fridays for Future am 24.9., also zwei Tage vor der Bundestagswahl. Da werde ich natürlich auch wieder am Start sein und ich finde es total wichtig, dass wir unsere Stimme erheben für Klimagerechtigkeit, dass wir klar machen, dass das, was die Bundesregierung an Klimapolitik gefahren hat, einfach vorne und hinten nicht ausreicht. Ich war auch schon bei Blockaden wie Ende Gelände am Start; Klimagerechtigkeit ist ein sehr wichtiges Thema. Auch in Bezug auf  Feminismus ist in Münster auch viel los. Wir haben ja leider diesen schrecklichen 1000 Kreuze Marsch, der normalerweise im März durch Münster zieht, wegen Corona ist das jetzt alles ein bisschen aus dem Rhythmus geraten. Das sind fundamentalistische christliche Abtreibungsgegner*innen und Rechte, die mit diesen Kreuzen durch Münster ziehen. Sie wollen Leuten das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche absprechen und setzten sich für ein super reaktionäres Familienbild – Mutter, Vater, Kind – mit dieser klassischen Rollenteilung ein. Da war ich immer bei den Protesten am Start. Es gibt auch das coole Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hier in Münster, da läuft super viel, das ist auch total unterstützenswert.

Dann kommen wir zum zweiten Teil dieses Interviews, bei dem es um die politischen Inhalte und auch das Wahlprogramm von den Linken gehen soll. Fangen wir mit ein paar generellen Fragen an. Ganz am Anfang des Wahlprogramms schreibt die Linke, dass sie für einen “ökologischen und demokratischen Sozialismus” kämpft. Was genau ist damit gemeint?

Ich glaube, wir sehen ganz gut, dass der Kapitalismus nicht ökologisch und auch nicht demokratisch in dieser Form ist. Wir können zwar alle paar Jahre ein Kreuz machen, aber das reicht längst nicht aus. Auf einen riesigen Teil des Lebens, diese ganze wirtschaftliche Sphäre, wie, was, wie viel produziert wird, haben wir keinen direkten Einfluss. Das bestimmen irgendwelche Superreichen, denen dann die Fabriken gehören. Das führt dann auch dazu, dass diese Profitmaximierung zu einer heftigen Überproduktion führt. Der Kapitalismus ist also weder effektiv noch demokratisch, weil der Großteil von uns, die Beschäftigten, die Leute in den Betrieben, nicht genug mitbestimmen können. Sie können auch ökologisch nicht mitbestimmen, das sehen wir ganz gut im rheinischen Braunkohlerevier.

Es ist total profitabel für Konzerne wie RWE ganze Wälder und Dörfer abzubaggern und unseren Planeten zu zerstören, damit sie weiter Profit machen können. Damit müssen wir brechen. Deswegen, wenn ich sage, ich bin für eine demokratische, eine friedlichere, eine ökologischere Welt, dann ist das auch eine Welt jenseits des Kapitalismus.

Dazu passend: Sie fordern ja, dass die Systemfrage nicht nur abstrakt, sondern konkret gestellt werden muss. Wie sieht das für Sie in der Praxis aus?

Konkret heißt das, dass wir auch versuchen, verschiedene Kämpfe zusammenzuführen und immer wieder darauf aufmerksam machen, dass der Kapitalismus auch dahinter steckt, dass wir viele dieser Kämpfe überhaupt führen müssen. Zum Beispiel die Klimagerechtigkeitsbewegung, wo Leute gegen Klimakiller wie RWE auf die Straße gehen. Diese Bewegung vernetzt sich  zunehmend auch mit feministischen und antirassistischen Bewegungen, weil auch diese Bewegungen durch das System strukturell benachteiligt und klein gehalten werden: man erkennt die gemeinsamen Nenner, die man hat und arbeitet zusammen auf eine Welt hin, in der wir eben nicht mehr gespalten sind, in der nicht mehr eine Person hungert und eine andere Person Kaviar isst. Das ist etwas, was auch in unserer täglichen Praxis natürlich eine Rolle spielen sollte, wenn wir Arbeitskämpfe unterstützen, wenn wir für Klimagerechtigkeit, für Frieden auf die Straße gehen.

Sie haben Klimagerechtigkeit angesprochen und in Ihrem Wahlprogramm zum Beispiel taucht das Wort gerecht über 250 Mal auf. Was bedeutet Gerechtigkeit für Sie?

Gerechtigkeit bedeutet, dass wir alle die gleichen Chancen haben, aber auch, dass Leute, die vielleicht an irgendeiner Stelle in ihrem Leben vielleicht mal falsch abgebogen sind, eine falsche Entscheidung getroffen haben, auch immer noch die Chance haben, ein gutes Leben zu führen. Und dieses “Jeder ist seines Glückes Schmied”-Gerede, das stimmt natürlich vorne und hinten nicht. Ein Land, in dem 20 Prozent oder mehr der Kinder in Armut aufwachsen, ist kein gerechtes Land.

Deswegen: Gerechtigkeit bedeutet für mich auch, dass wir das ausgleichen, dass Leute ähnliche Startchancen ins Leben haben, aber auch, dass generell niemand, egal was er oder sie in ihrem Leben angestellt hat, hungern muss, auf der Straße sitzen muss, in Niedriglohn schuften muss, Kriegsopfer wird oder durch die Klimakatastrophe seine Lebensgrundlage verliert.

Gibt es für Sie einen Unterschied zwischen Ungerechtigkeit und Ungleichheit? Also ist es sofort ungerecht, wenn zum Beispiel Reichtum ungleich verteilt ist?

Natürlich ist es das. Wir sehen gerade in Deutschland, dass die Reichen immer reicher werden, die Armen immer ärmer werden, und dass die Corona-Pandemie das auch nochmals verstärkt hat. Die deutschen Milliardäre haben im Krisenjahr 2020 noch mal mehr als 100 Milliarden auf ihre Vermögen drauflegen können. Gleichzeitig waren super viele Leute von Kurzarbeit betroffen, Leute hatten Angst ihre Wohnung zu verlieren, Leute haben in systemrelevanten Berufen geschuftet und haben außer ein bisschen Klatschen vom Balkon nichts dafür bekommen. Deswegen natürlich, eine dermaßen schreiende Ungleichheit wie in Deutschland ist auf jeden Fall ungerecht.

Kommen wir zurück zu Ihrer Partei. Auf Platz 1 der Landesliste hier in NRW steht Sahra Wagenknecht, die vor ein paar Monaten ein Buch veröffentlicht hat, das sowohl parteiintern als auch -extern stark diskutiert wurde. Sie spricht dort unter anderem von “Lifestyle Linken”, die in Großstädten leben, oft aus dem akademischen Bereich kommen und, Zitat, “ihre eigenen Privilegien als progressiven Lebensstil überhöhen”. Fühlen Sie sich von dieser Kritik angesprochen?

Vielleicht hat Sahra Wagenknecht in dem Punkt recht, dass wir als Linke auch überlegen müssen, wie wir noch breitere Spektren der Gesellschaft tatsächlich für uns begeistern können. Dass sie mich selbst als Lifestyle-Linke bezeichnen würde, das mag sein. Ich möchte aber aus Münster ein konkretes Gegenbeispiel liefern, um zu zeigen: So einfach, wie Sahra Wagenknecht es in ihrem Buch darstellt, ist es nicht. Das, was sie uns oder Teilen der Linken vorwirft, ist als Phänomen gar nicht so verbreitet, wie sie es vielleicht denkt. Und zwar letztes Jahr, 2020, standen die Tarifauseinandersetzung für die Busfahrerinnen und Busfahrer an, also Tarife, Verkehr der Länder und im Nahverkehr, also öffentlicher Dienst und Nahverkehr. Und genau da sind dann die vermeintlichen Lifestyle-Linken aus Fridays for Future, Students for Future Klimabewegung auf die Beschäftigten, auf ver.di zugegangen und haben gesagt: Hey, uns verbindet ja auch total viel. Wir kämpfen für eine Verkehrswende, das bedeutet auch, wir müssen Bus und Bahn massiv ausbauen. Und das geht natürlich nur, wenn ihr Beschäftigten auch gut dafür bezahlt werdet, wenn ihr gute Arbeitsbedingungen habt, wenn der Job auch attraktiv wird, damit wir eben den ÖPNV ausbauen können, dass wir ihn perspektivisch kostenlos machen können. Und das gibt es immer wieder, dass konkrete Interessen einfach zusammenkommen. Und dass dann da auch die Themen der sozialen Gerechtigkeit total eng zusammenfallen mit dem Kampf gegen Klimazerstörung, Rassismus, Sexismus, Queer-Feindlichkeit.

Können Sie dann die Kritik von Frau Wagenknecht nachvollziehen, dass identitätspolitische Themen zu häufig über die ursprünglichen Themen der Linken gestellt werden, wie – was Sie auch gerade auch angesprochen haben – ökonomische Ungerechtigkeit und Diskriminierung?

Nein, das denke ich nicht, weil eben diese Themen auch total häufig zusammenfallen. Wer ist dann ganz besonders krass von Wohnungsnot in diesem Land betroffen? Das sind Leute, die rassistisch diskriminiert werden bei der Jobsuche. Das sind alleinerziehende Mütter, die es besonders schwer haben. Um Ungerechtigkeit zu bekämpfen, muss man sie auch erst mal benennen können. Diese Themen gegeneinander auszuspielen, also der Kampf gegen verschiedene Formen der Diskriminierung und der Kampf für soziale Gerechtigkeit, das schadet am Ende allen von diesen Anliegen. Stattdessen müssen wir gemeinsam dafür kämpfen, dass sich etwas ändert. Und davon profitiert dann natürlich auch der alte weiße Mann, der Flaschen aus Müll sammelt, weil er eine viel zu niedrige Rente hat. Davon profitiert dann aber auch die junge Person of Color, die bei Lieferado scheiße bezahlt wird und auch noch rassistisch ausgebeutet keinen Job findet. Ich glaube, wir müssen eher dieses gemeinsame Interesse in den Vordergrund stellen. Und das, würde ich sagen, kommt bei Sahra Wagenknecht leider nicht immer so ganz durch. Da habe ich definitiv einen Dissent.

Frau Wagenknecht ist ja auch in Teilen ihrer Partei auf starke Kritik gestoßen, was dann bis hin zu Forderungen eines Parteiausschlusses ging. Hätten Sie sich für einen Parteiausschluss von Frau Wagenknecht ausgesprochen?

Nein, ich halte es falsch, sowas über bürokratische Manöver zu lösen. Stattdessen müssen wir natürlich in die innerparteiliche Diskussion gehen, was wir auch machen; müssen über all diese Fragen auch strategisch diskutieren, das ist für mich der Schlüssel.

Dann kommen wir zum nächsten Thema – das Thema Wohnen. Denn in Münster ist der Wohnraum knapp und wie in vielen anderen Städten sind die Mietpreise auch hier deutlich gestiegen. Die Linke fordert deshalb einen bundesweiten Mietendeckel. Welche Auswirkungen soll diese Maßnahme auf den Wohnungsmarkt haben?

Der Mietendeckel würde dafür sorgen, dass die Mietpreise nicht nur (nicht) weiter steigen, sondern auch konkret dafür, dass zu hohe Mieten dann wieder rückgängig gemacht werden. Das funktioniert so, dass wenn eine angespannte Wohnortsituation festgestellt wird, was in Münster definitiv der Fall wäre, das dann nach Wohnlagen eine Mietobergrenze ermittelt wird, dass man sagt: Pro Quadratmeter darf nicht mehr als xy Euro Miete gezahlt werden. Und dass es keine Neuvermietung gibt, die dann über diese Obergrenze hinweggehen. Aber auch, dass wenn ich jetzt schon viel zu viel zahle, mehr als 20 Prozent dieser Mietobergrenze geben wir da als Zahl an, dass meine Miete abgesenkt wird. Das bedeutet, ich muss tatsächlich weniger zahlen und habe am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche. Deswegen glaube ich das ist das ein super wichtiges Instrument.

Ein Mietendeckel könnte tatsächlich für geringere Mieten sorgen, aber vielleicht nicht für mehr Wohnungen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass mehr Wohnungen dort gebaut werden, wo der Bedarf jetzt schon hoch ist?

Die liberalen Parteien predigen vor allem ja immer: bauen, bauen, bauen. Wenn ich mich hier in Münster umschaue, dann sehe ich aber, dass gerade bezahlbarer Wohnraum einfach viel zu wenig gebaut wird. In der Nähe vom Bahnhof wird gerade der fünfte Rewe im Umkreis von wenigen hundert Metern gebaut, das nächste Luxushotel, all das, was wir  nicht unbedingt brauchen oder zumindest nicht in dieser rauen Menge. Stattdessen müssen wir den sozialen und den genossenschaftlichen Wohnungsbau wieder massiv ankurbeln. Also da auch endlich mal investieren. Denn auch in Münster ist die Zahl der Sozialwohnungen krass rückläufig.

Wir müssen diesen Trend umdrehen und dafür sorgen, dass natürlich mehr gebaut wird. Aber nicht von irgendwelchen reichen Investoren, nicht von Konzernen wie der LEG oder Vonovia, sondern in öffentlicher Hand und bezahlbar.

Dann kommen wir zum nächsten Thema, dem Thema Klima. Es schließt ein bisschen daran an, denn wir haben ja gerade über den Wohnungsmarkt gesprochen. Um die Klimaziele zu erfüllen, wird es ja vermutlich nötig sein, viele Wohnungen zu sanieren, um sie Energie effizienter zu machen und so weiter. Solch ein Umbau kann aber schnell sehr teuer werden. Wer finanziert diese Maßnahmen?

Die Vermieter. Wir haben gerade schon darüber gesprochen, dass viel zu viele Mieterinnen und Mieter viel zu viel Geld für ihre Miete zahlen müssen. Und wir müssen jetzt natürlich aufpassen, dass diese ökologischen Sanierungen, die dringend notwendig sind, um eben auch den Altbau klimaneutral zu machen, um Neubauten klimaneutral zu bauen, dass das nicht auf die abgewälzt wird, die eh schon viel zu viel Geld abdrücken, sondern auf die, die sich an diesen Mietwohnungen noch bereichern. Insofern ist es ganz klar Aufgabe der Vermieter.

Die Linke fordert ja, dass Modernisierungen nicht für Mieterhöhungen genutzt werden dürfen, also dass Vermieter diese Kosten nicht an die Mieter weitergeben dürfen. Wie sorgen Sie dafür, dass trotzdem angemessen saniert wird?

Ich denke, das kann man dann über verschiedene Richtlinien regeln, also zum Beispiel dass Neuvermietungen nicht mehr zulässig sind ab einer bestimmten Jahreszahl, wenn die Bauten nicht saniert sind. Dass man jetzt schon stufenweise Modelle aufbaut, dass man sagt: Ok, einem Vermieter gehören so und so viele Wohnungen, er muss jetzt schon mal bis 2025 xy Prozent dieses Bestandes saniert haben, das dann stufenweise erhöhen, dass wir dann darauf kommen, dass bis 2030 wirklich der Großteil der Altbauten auch energetisch saniert ist.

In Bezug auf das Thema Klima haben Sie mehrfach die Statistik angeführt, dass 70 Prozent der weltweiten Emissionen von 100 Unternehmen verursacht werden. Sehen Sie die Verantwortung für diese Emissionen eher bei den Unternehmen oder eher bei den Konsument*innen, die die dort produzierten Güter und Dienstleistungen kaufen?

Ich kann vielleicht bei mir selbst starten. Ich bin seit über drei Jahren vegan. Ich habe kein Auto. Ich fahre eigentlich überall mit dem Fahrrad oder vielleicht mit dem Bus hin. Aber dadurch sind wir dem 1,5 Grad Ziel leider nicht wirklich näher gekommen. Eben wegen diesen Zahlen, die Sie gerade genannt haben. Deswegen reicht es auf jeden Fall nicht, individuell das Verhalten zu ändern, was sicherlich lobenswert ist. Es muss ran gegangen werden an diese großen Klimazerstörer, die sich gerade viel zu viel rausnehmen können, die teilweise auch noch für ihr klimaschädliches Verhalten dick subventioniert werden. Da muss man ansetzen. Deswegen machen wir uns als Linke auch für die Verstaatlichung der Energiekonzerne wie zum Beispiel RWE stark, um sicherzustellen, dass dieser dringend nötige sozialökologische Wandel und die Energiewende dann auch wirklich effizient und rasch und nicht auf Kosten der Beschäftigten vollzogen werden kann.

Sie sagen, Sie sind vegan, Sie fahren kein Auto, aber dass das nicht wirklich viel bringt. Finden Sie individuelle Beschränkungen dann überhaupt sinnvoll?

Ich glaube komplett ohne individuelle Beschränkung werden wir nicht auskommen, wobei natürlich die individuellen Beschränkungen, die wir auflegen, sich am Ende auch wieder auf die Konzerne zurückführen lassen. Also als Linke sagen wir zum Beispiel, dass wir uns für ein Verbot der Verbrennungsmotoren ab 2030 bzw. keine Neuzulassungen – also den Leuten wird jetzt nicht ihr Auto weggenommen – keine Neuzulassungen von Verbrenner ab 2030 einsetzen. Das übt dann auch ganz besonders Druck auf die Automobilindustrie aus. Aber wichtig ist es uns als Linke immer, dass wir Gegenangebote machen. Also für alles, was wir den Leuten, um es jetzt mal verkürzt zu sagen, wegnehmen, was  klimatechnisch nicht eine Zukunft haben darf, wollen wir  Gegenangebote machen. Und beim Thema Verkehr ist es, ich habe es gerade schon angesprochen, dass der ÖPNV massiv ausgebaut werden muss. Ich komme aus dem Münsterland, da kann man es wirklich niemandem übel nehmen, wenn die Person dann mit dem Auto fahren muss, weil der Zug mit Glück einmal die Stunde kommt. Wenn man dann in den kleineren Gemeinden wohnt, muss man erst noch im Bus irgendwie zum nächsten Bahnhof rüber, und da müssen wir natürlich ran und auch im ländlichen Raum eine Mobilitätsgarantie schaffen, damit die Leute dann nicht mehr aufs Auto angewiesen sind. Beim Fernverkehr wollen wir die Ticketpreise halbieren. Den ÖPNV wollen wir fahrscheinfrei machen. Das bedeutet, es ist dann vielleicht scheiße, wenn es ab 2030 keine neu zugelassenen Verbrennungsmotoren gibt, werden einige Leute nicht gut finden. Aber es gibt das Gegenangebot, einen gut ausgebauten, gut getakteten, fahrscheinfreien ÖPNV zu nutzen. Ich glaube, damit können die meisten Leute dann auch leben.

Im Zuge Ihres Ausbaus des öffentlichen Nahverkehr schreibt die Linke auch, dass zum Beispiel alle Kurzstreckenflüge durch Bahnfahrten ersetzt werden sollen. Was ist Ihrer Meinung nach am wichtigsten, um dieses Ziel zu erreichen? Denn wir sehen ja, dass schon bei der jetzigen Auslastung Züge Probleme haben und dass das Bahnnetz ausgelastet ist.

Wir sehen ja in den letzten Jahren, dass immer mehr Bahnstrecken und Bahnhöfe stillgelegt wurden. Diesen Trend muss man natürlich umkehren und dafür sorgen, dass endlich diese Strecken reaktiviert werden und dass wir noch mehr Bahnstrecken bekommen. Bei der Deutschen Bahn ist es leider so, dass relativ viel Gewinn abgeführt wird. Deswegen muss jetzt das, was die Deutsche Bahn erwirtschaftet, auch ins Schienennetz, in den Fahrzeugbestand, in die Löhne der Beschäftigten fließen. Natürlich braucht es auch deutlich mehr Geld vom Bund für diesen Bahnausbau.

Dann kommen wir zu einem anderen Thema, was gerade im Hinblick auf die Koalitionsbildung wichtig und relevant ist. Die Linke legt großen Wert auf Frieden und Entmilitarisierung. Im Wahlprogramm steht zum Beispiel, dass sich die Linke nicht an einer Regierung beteiligt, die Einsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt oder die die Aufrüstung vorantreibt. Alle möglichen Koalitionspartner vertreten bei diesem Thema jedoch andere Sichtweisen. Wären Sie bei diesem Punkt kompromissbereit, wenn die Alternative wäre, nicht zu regieren?

Ich glaube gerade sieht man ganz gut, wenn man nach Afghanistan schaut, dass die 20 Jahre Bundeswehreinsatz und NATO-Einsatz nicht funktioniert haben, dass es nicht geklappt hat damit, mit einer militärischen Intervention Frieden, Menschenrechte, Frauenrechte dort hinzubringen. Stattdessen sind die Taliban jetzt stärker, als sie es jemals zuvor waren. Ich glaube auch vor diesem Hintergrund müssen wir natürlich die Außenpolitik der Bundesrepublik auf den Prüfstand stellen. Und deswegen sehe ich nicht ein, dass wir als Linke, die von Anfang an gesagt haben: Dieser Kriegseinsatz ist abzulehnen, es wird nichts bringen, es wird die Lage der Bevölkerung nicht verbessern; dass wir jetzt plötzlich unsere Außenpolitik ändern sollen. Stattdessen würde ich da jetzt mal an Grüne und SPD appellieren, selbst zu reflektieren, ob sie denn wirklich an einer dermaßen erfolglosen Außenpolitik festhalten wollen. Insofern sehe ich uns eigentlich nicht in der Position, dass wir da jetzt Zugeständnisse und Kompromisse machen sollten.

Also das heißt, Sie wären in diesem Punkt nicht kompromissbereit?

Das ist ein Kern der Linken, dass wir uns eben immer für humanitäre Hilfe, für zivile Hilfe und gegen Auslandseinsätze eingesetzt haben. Das ist auch ein Markenkern von uns. Deswegen nein, denke ich schon, dass man da auch dran festhalten müsste, denn dafür wählen uns schließlich auch viele unserer Wählerinnen und Wähler.

Kommen wir zu einem Thema, was besonders für Studierende wichtig ist, nämlich das Thema BAföG. In Ihrem Wahlprogramm wird kritisiert, dass nur 11 Prozent der Studierenden überhaupt BAföG erhalten und nur acht Prozent erhalten den Höchstsatz. Welche konkreten Maßnahmen plant die Linke, um das zu ändern?

Erstmal muss das BAföG elternunabhängig werden. Ich habe zum Beispiel auch keinen BAföG-Anspruch. Deswegen putze ich Toiletten von Büros. Es sollten viel mehr Leute BAföG bekommen, dann wären es eben nicht nur diese 11 Prozent, die einen Anspruch auf BAföG haben. Genauso müssen wir auch diese Altersgrenzen abschaffen, die ist ja gerade beim Bachelor 29 Jahre. Natürlich muss das BAföG auch bedarfsgerecht sein, wir haben gerade über die schrecklichen Mieten in Münster gesprochen. Auch da muss man natürlich ran, dass das Geld, was die Studis bekommen, dann auch tatsächlich reicht, um Miete und Lebenskosten zu decken. Und, noch ein Punkt es muss sich wirklich viel tun beim BAföG, ihr merkt schon – jetzt gerade gibt es gar keine Möglichkeit, dass das BAföG rückzahlungsfrei zur Verfügung gestellt wird, auch das wollen wir als Linke ändern, damit Leute dann, wenn sie ihr Studium abgeschlossen haben, nicht vor einem Berg von Schulden stehen, die sie dann erst mal abstottern müssen.

Solche Themen wie die, die Sie gerade angesprochen haben, sind ja in der Gesellschaft sehr präsent – also linke Themen wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit. Im ZDF-Politbarometer vom 3. September beispielsweise wurde nach dem Thema gefragt, das für die eigene Wahlentscheidung am wichtigsten ist. Soziale Gerechtigkeit stand dort auf Platz eins, noch vor Klimawandel und Corona. Warum spiegelt sich das Ihrer Meinung nach nicht in den Umfragewerten der Linken wider?

Das ist tricky. Ich glaube, das ist leider keine Frage, auf die wir so pauschal eine Antwort haben. Ein Punkt ist natürlich, dass auch immer wieder die Linke nicht die Bühne bekommt, die andere Parteien haben. Wenn man sich diese Trielle beispielsweise anguckt, da hat wirklich eine linke Stimme gefehlt, die dann auch mal den Finger in die Wunde legt, das habe ich vermisst. Es wäre es wünschenswert, wenn unsere Positionen einfach von mehr Leuten gehört werden. Vermutlich ist es auch eine Image-Frage. Wir haben gerade am Anfang über Sahra Wagenknecht gesprochen und ich glaube, darüber sprechen wir viel zu oft – über Streitigkeiten in der Partei, über Personalfragen. Stattdessen müssen wir auch viel mehr über Inhalte reden. Das ist etwas, was ich in diesem Wahlkampf allgemein total vermisse. Wir reden über Currywurst und Lastenfahrräder und ob man jetzt ein paar Sätze in der Doktorarbeit vielleicht nicht richtig zitiert hat. Das ist in meinen Augen nicht das Relevanteste in diesem Wahlkampf. Als Linke bringen wir eigentlich diese wichtigen Themen, diese sozialen und ökologischen Fragen auf die Tagesordnung. Da muss sich noch mehr tun.

Dann eine letzte Frage in diesem Block, und zwar zum Thema Gewalt und Extremismus. Sie sind – oder waren zumindest – Mitglied im Verein Rote Hilfe, der linke Aktivist*innen unterstützt, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Der Verein wird vom Verfassungsschutz beobachtet, da er – laut Verfassungsschutz – linksextremistische Straftäter*innen unterstützt und die Anwendung von Gewalt bei politischen Auseinandersetzungen befürwortet. Halten Sie Gewalt für ein legitimes Mittel bei politischen Auseinandersetzungen?

Also erstmal möchte ich was zu dieser elendigen Extremismustheorie sagen, die als Hufeisentheorie argumentiert – ganz links und ganz rechts, das ist ja beides ganz schlimm und das nähert sich ja dann schon wieder an, und beides irgendwie gleichzusetzen – das ist totaler Bullshit. Antifaschismus ist nicht das gleiche wie Faschismus und ich glaube, das sollte eigentlich Konsens sein, gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Ich bin weiterhin Mitglied bei der Roten Hilfe, weil ich antifaschistischen Protest bitter notwendig finde. Wofür macht die Rote Hilfe Prozesskosten-Unterstützung? Ich kenne Leute, die in letztes Jahr in Remagen Nazis blockiert haben. Das sind wirklich krasse Faschisten, die offen den Nationalsozialismus abfeiern, da ihre Gedenkmärsche durchführen. Dann gibt es Antifaschistinnen, Antifaschisten die sich dem in den Weg stellen, die Sitzblockaden auf dem Weg errichten, die auch mit der Bevölkerung in diesem kleinen Kaff Remagen in Kontakt stehen und sich connecten. Diese Menschen bekommen dann eine Anzeige, währenddessen es okay ist, wenn diese Hitler abfeiernde Nazimeute durch das Kaff zieht. Das ist natürlich falsch und deswegen finde ich eine Mitgliedschaft in der Roten Hilfe genau richtig, weil antifaschistischer Protest immer richtig und notwendig ist.

Sie sprechen jetzt von Sachen wie Sitzblockaden. Wie sieht es mit Gewalt gegenüber anderen Personen aus, etwa gegen rechtsextreme Politiker*innen? Distanzieren Sie sich davon?

Also ich habe keinem Nazi eine runtergehauen.

Also distanzieren sie sich von… von Gewalt? Linker, linksextremer Gewalt?

Das ist ja ein total aufgebauschtes Phänomen, wenn wir von linksextremer Gewalt sprechen. Was ist das denn? Eine angezündete Mülltonne, vielleicht auch mal ein Auto im Bonzenviertel, das ist dann wirklich das Maximum. Wenn wir uns die rechtsextreme Gewalt auf der anderen Seite anschauen, dann sind da einfach Menschen, die ermordet werden, dann sind es Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, dann sind da Halle und Hanau und der Mordanschlag auf Walter Lübcke, und deswegen, so wie das hier immer beschrieben wird, es gäbe diese krasse linksextreme Gewalt – nein, das glaube ich nicht. Es gibt nicht genug antifaschistischen Protest in Deutschland, und ich werde mich hier auch nicht von etwas distanzieren, was medial krass aufgebauscht wird und auch in der Realität gar nicht so sehr stattfindet. Stattdessen lasst uns doch besser über Rechtsextremismus sprechen. 

Ok, dann kommen wir zum letzten Teil des Interviews, bei dem ich Ihnen einige Halbsätze vorgebe, und Sie beenden diese dann kurz, spontan, was Ihnen einfällt. An Münster schätze ich besonders…

…dass wir eine Stadt mit einer sehr guten Protestkultur sind und dass wir, was auch immer für reaktionäres Gesindel sich in unsere Stadt wagt, wir denen einfach keinen Meter lassen und uns ihnen lautstark entgegenstellen. 

Ein Buch, das alle gelesen haben sollten, ist…

…das kommunistische Manifest. Ist ganz gut, damit anzufangen. 

Die wichtigste Charaktereigenschaft guter Politiker*innen ist…

…Ehrlichkeit.

Koalieren würde ich am liebsten mit…

…den Grünen und der SPD, allerdings nur, wenn die auch wirklich glaubhaft für einen Politikwechsel einstehen wollen. 

Studierende sollten mich bei der Bundestagswahl als Direktkandidatin wählen, weil…

 …die Linke die Partei ist, die all diese Zukunftsfragen – Klimaschutz, Wohnraum, soziale Gerechtigkeit, Löhne, Renten – am besten bespielt und die konsequentesten Handlungsideen dafür hat. 

Das sagt Kira Sawilla, die Direktkandidatin der Linken. Frau Sawilla, vielen Dank für Ihre Antworten. 

Danke für die Einladung.