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Thomas Nufer „Ich war immer verliebt in die Idee, überall gleichzeitig zu sein.“

Geschrieben von am 15. Juli 2020

Der freischaffende Künstler Thomas Nufer ruft die Münsteraner*innen dazu auf, um Punkt 12:00 Uhr ein Foto von ihrer Umgebung zu machen und es unter dem #1secMS auf Instagram zu teilen oder auf https://1sekunde.muenster.life hochzuladen. Mit diesem Foto-Flashmob will er eine einmalige Perspektive der Stadt kreieren und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen.

Thomas Nufer studierte Design in Stuttgart, dann zog es ihn nach Münster und er begann am Wolfgang-Borchert-Theater zu arbeiten. Später machte er sich selbstständig und begann eigene Theaterstücke zu schreiben und zu inszenieren. In Münster kennt man Nufer vor allem für die „Grünflächenunterhaltung“ auf der Promenade und den „West-Östlichen Diwan“, bei dem er 500 Teppiche auf dem Domplatz auslegt, um dort einen interkulturellen Austausch zu schaffen. Radio Q-Reporter Konstantin Schumann hat Thomas Nufer zum Interview getroffen.

Du bist freischaffender Künstler. Wie hast du die Corona-Krise erlebt?

Ja, es ist ein Drama. Man könnte glauben, dass gerade die Kunst in dieser Zeit wichtig ist, weil kreative Potentiale essentiell für die Krisenfestigkeit von Gesellschaften sind. Da ist es doch sehr einschneidend, dass gerade der freischaffende Kunstsektor von den ökonomischen Folgen der Krise so massiv betroffen ist und kaum Möglichkeiten hat sich irgendwie dagegen zu stemmen. Alle werden unterstützt und wahrgenommen, aber der Kultursektor fristet ein Dasein im Schatten, was eigentlich sehr erschreckend ist. Es wurden viele wohlwollende Äußerungen gemacht, auch seitens der Kanzlerin, aber gefolgt ist dem nichts. Die einzige Möglichkeit, die wir als Künstler ohne Aufträge haben, ist zur Agentur für Arbeit zu gehen und Hartz IV zu beantragen. Das ist wirklich sehr kreativ.

Also bist du selbst kreativ geworden und hast die Aktion #1secMS ins Leben gerufen. Warum?

Ich war immer verliebt in die Idee, überall gleichzeitig zu sein. Mir war als Kind die Vorstellung nur ein Leben leben zu dürfen viel zu banal und es ist noch heute so, dass ich irgendwie darüber traurig bin, dass man nicht überall gleichzeitig sein und was erleben kann. Das ist eigentlich so der Hintergrundgedanke gewesen. Mit der Aktion kann ich, zumindest kurz für eine Sekunde, dieses Erlebnis herstellen. Für mich und für alle anderen. Ich finde es unglaublich faszinierend zu wissen, was andere zur selben Sekunde machen. Gleichzeitig bekommt man das Gefühl von Gemeinschaftlichkeit, die gerade in der Corona-Zeit oft gefehlt hat. Wir machen alle gemeinsam, zur selben Zeit die gleiche Geschichte. Das ist vielleicht die Metaebene: Die Gleichzeitigkeit, das Zusammenführen der Menschen in der Stadt und mein Bedürfnis überall zu sein.

Auf Social Media ist es ja eigentlich eher üblich sich selbst zu inszenieren. Du möchtest aber, dass die Leute ihre Umgebung fotografieren. Warum keine Selfies?

Meine Absicht ist es ein Abbild der Stadt zu schaffen in einer extrem ungewöhnlichen und historischen Zeit. Da sind Selfies jetzt nicht gerade zielführend, weil die zeigen nicht den Gesamtzustand einer Stadt. Na gut, ein Selfie mit Maske würde ich vielleicht noch akzeptieren, aber ein Selfie als Solches ist bedeutungslos. Im September sollen die Bilder auch als Großprojektionen an verschiedenen Orten in der Innenstadt gezeigt werden, da würden Selfies auch eher befremdend wirken, denke ich.

Du hast die gleiche Aktion vor 20 Jahren schon mal analog gemacht. Wie empfindest du jetzt den Wechsel zu Social-Media? 

Warum ich den Wechsel mache, ist glaub ich klar. Es gibt einfach nichts Vergleichbares dazu, dass alle Leute zur gleichen Zeit etwas posten können. Beim letzten Mal mussten sich die Leute die Mühe machen und die Fotos entwickeln lassen, sie auf Papier drucken und mir schicken. Es war ein ganz anderes Vorgehen, viel lähmender und viel weniger spontan. Insofern ist es jetzt natürlich einfacher und besser, aber auch gar nicht zu steuern. Ich bin sehr gespannt was passiert, vielleicht auch viel weniger, als ich mir vorstelle. 

Wie hat sich das Foto als Medium seitdem verändert?

Da es allen immer zugänglich ist, gibt es natürlich eine Bilderflut, die man manchmal gar nicht mehr sehen kann oder will. Es ist einfach viel. Wenn jeder sein Essen fotografiert, nervt das und manchmal geht dann das Gefühl für Aufbau, für Komposition und Schönheit eines Bildes auch verloren. Man will nur dokumentieren, dass man da ist. Das ist ja auch ganz interessant, aber nicht unbedingt von einem künstlerischen Aspekt aus zu betrachten. Ich finde aber gut, dass es geht, absolut genial.

Was erhoffst du dir vom #1secMS?

Ich erhoffe mir, dass die Leute ein intensives Gefühl der Zusammengehörigkeit bekommen. Das andere ist die Hoffnung auf ein spannendes und ungewöhnliches Bild einer Stadt in Corona Zeiten, das man vielleicht in 20-30 Jahren noch mal anschaut und sagt: „Boah, was für eigenartige Sachen da passieren, was für komische Leute da rumlaufen“, das ist schon spannend. Historisch betrachtet hat das sicherlich eine große Bedeutung sowas zu machen. Und ich hoffe natürlich, dass viele mitmachen. Jede Art von Beitrag im Social-Media Bereich oder auch persönliche Einladungen mitzumachen, ist sehr hilfreich. Ich freu mich über jede und jeden, der sich da einsetzt und das bewirbt.

Unseren Beitrag zum #1secMS findet ihr auf dem Instagram Kanal von Radio Q. Wenn ihr Eure Perspektive aus Münster teilen möchtet, dann könnt ihr das auf Instagram unter #1secMS tun. Weitere Infos zu der Aktion findet ihr auf https://1sekunde.muenster.life .


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