Current track

Title

Artist

Current show

Current show


The Last Dinner Party – From The Pyre

Rezensiert von on 20. Oktober 2025

       

Frauen, die in wallenden Gewändern und mit wildem Haar durch kalte Luft tanzen. Den Wind im Gesicht, die Stiefel dreckig. Sich im Kreis drehend, mit den Armen zum Himmel und Händen, die vertraut ineinander greifen. Es wirkt geheimnisvoll, manche würden von Hexerei sprechen…

Genau diese Bilder malten sich in meinem Kopf, beim ersten Hören vom neuen Album von The Last Dinner Party. Die britische Band präsentiert mit “From The Prye” ihr zweites Studioalbum und entführt uns für 42 Minuten in Mystik, Leidenschaft und Art-Rock pur!

Es hat etwas theaterhaftes. Wie ein einstudiertes, perfekt geplantes Kunststück. Eine Inzenierierung voraussichtig gedacht aber so frei und spontan präsentiert. Direkt aus der Seele gesungen, tanzend voller Bewegung. Die fünf Frauen wissen ganz genau, was sie da tun. Es ist ihr Tanz, ihr Raum und entweder du schließt dich dem Rhythmus an und gibst dich der Magie hin, oder du wirst sie niemals verstehen können. 

Die Band selbst beschreibt ihr zweites Album so: 

“Diese Platte fühlt sich ein wenig dunkler, roher und erdiger an; sie findet mit Blick auf eine erhabene Landschaft statt, anstatt an einem opulenten Tisch zu sitzen. Es fühlt sich auch metatextuell und an manchen Stellen frech an, wie ein wissender Blick, der auf uns selbst zurückgeworfen wird.”

Wissend und frech fasst es perfekt zusammen! Die zehn Songs strotzen vor Selbstbewusstsein. Mit aufrechter Haltung und scharfem Blick, wie eine Katze auf der Jagd.

★ ✧ ✦ ✧ ★

Schon mit ihrem Debütalbum “Prelude to Ecstasy” ging der Pfeil direkt ins Herz und die fünfköpfige Band auf Platz eins der britischen Charts. Und auch das gerade erschienene Album strahlt!

In “count the ways”, dem zweiten Song und der Single des Albums, trauert die Protagonistin einer verflossenen Liebe hinterher. Aber nicht in der typischen Art und Weise vieler Heartbreaksongs. Direkt zu Beginn greift der Text eine biblische Metapher auf: “let the snake bite, that her crawl under your skin, let it eat you from within“ Das erinnert doch sehr an die Schlange im Paradies, die Adam und Eva entlarvt und das Leiden ins Leben der Menschen bringt. Die Protagonistin fordert ihre Liebe direkt dazu auf, ins Haus einzubrechen, dass Messer zu drehen – ihr Schmerzen zuzufügen. Und sie selbst dreht das Messer noch weiter! Der Song ist getränkt in bitteren Gefühlen, dem Geschmack des Lebens. So zählt sie die Tage und kann nicht loslassen, doch genießt auf der anderen Seite den Schmerz ihres Herzens, dem sie auch mit der Zeit nicht entfliehen kann. 

Es wirkt fast wie ein Genuss. Sie wird nicht ohnmächtig und matt durch ihren Schmerz, sondern nimmt ihn an, fast besessen und auf eine Art kampflustig. 

★ ✧ ✦ ✧ ★

Warst du schon mal im Herbst im Wald? Nicht an einem goldenen Tag, sondern wenn der Himmel so grau verhangen ist, dass es fast düster wirkt. Nebel auf den Feldern, Laub am Boden und schon erste kahle Äste. Mit dem sechsten Song des Albums schenkt The Last Dinner Party uns den passenden magischen Soundtrack.

“Woman is a tree” startet dramatisch mit kraftvollen Vocals, ganz ohne Instrumente und Band, nur gemeinsamer Gesang. Es hat etwas mystisches, fast bedrohliches. Sie steigern sich, als würden sie etwas beschwören, bevor Sängerin Abigail mit klarer, ruhiger Stimme einsetzt. 

Es geht um Mutter Erde, die über den Dingen steht “I’m superior mother, I answer the call. There is no other, I capture the fall”. Im Hintergrund das Kratzen von Streichinstrumenten und weiche, schwebende Stimmen. 

“Woman is a tree” kommt ohne getexteten Refrain aus. Die fünf Strophen werden durch melodischen Gesang voneinander getrennt. Die miteinander harmonierenden Stimmen geben dem Song etwas atmosphärisches, schwer greifbares, mächtiges. 

Vielleicht ist der Titel auch eine Metapher. Vielleicht wird die Frau als Baum gezeichnet, weil Bäume zu oft gefällt, gestutzt und bearbeitet werden. Sie werden benutzt, sollen Früchte tragen, üppig und geschmackvoll. Wie Frauen* im Patriarchat, werden etliche Erwartungen an sie gestellt. Als gute Mutter, als braves Mädchen, als vorzeigbare Partnerin sollen und müssen Frauen* unendliche Rollenbilder erfüllen. Dabei finden sie ihre Stärke, ihre Schönheit, in sich, entgegen den Erwartungen von außen, im Innen, wenn sie ihre Äste strecken und ihre Krone tragen können. Und dann gibt es noch den Wald als Zusammenschluss aus vielen Bäumen und Pflanzen. So verschieden sie auch sein mögen, als Wald bilden sie einen starken Bund, der sich unterstützt und einen Raum zum Wachsen gibt. Frauen* als Verbündete.

“Woman is the tree. Man a clinging vine on the branch” Die Frau* als Baum. Der Mann nur als Traube, die sich an eine Weinrebe klammert… Weibliche Freiheit bedroht patriarchale Macht und The Last Dinner Party schafft es auch auf ihrem zweiten Album diese Freiheit lyrisch wie musikalisch auszuweiten und zu leben. 

★ ✧ ✦ ✧ ★

Während der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert wurden (vorrangig) Frauen verfolgt, gefoltert und ermordet. Man unterstellte ihnen schwarze Magie und mit dem Teufel unter einer Decke zu stecken. In Wahrheit ging es dabei aber vor allem um die Macht der Männer. Und die Rechnung war eine einfache: Frauen, die sich untereinander austauschten, Kräuterkunde und Wissen miteinander teilten? Hexen! Frauen, die sich nicht beugten und ein selbstbestimmtes Leben führen wollten? Hexen! 

The Last Dinner Party macht sich der Figur der Hexe zu eigen. Biblische Metaphern und Referenzen, die nicht wirklichem Glauben, sondern eher einem stilistischen Mittel gleichen – wahres Teufelszeug, wenn nicht sogar Gotteslästerung! Dazu die musikalische Größe ihres Albums. E-Gitarre und Schlagzeug, Streicher und Klavier die orchesterähnliche Klänge mit Indierock verbinden. Es entsteht eine strahlende Symbiose, die Raum einnimmt und zum Tanzen einlädt!

“Dieses Album ist eine Sammlung von Geschichten und das Konzept des Albums als Mythos verbindet sie miteinander. „The Pyre“ (der Scheiterhaufen) selbst ist ein allegorischer Ort, an dem diese Geschichten ihren Ursprung haben, ein Ort der Gewalt und Zerstörung, aber auch der Regeneration, der Leidenschaft und des Lichts.“

Der Scheiterhaufen als Ursprung und Ort des Lichts… what a witchcraft! 

Mit “From The Pyre” teilt The Last Dinner Party mit uns auf ein Neues freie, weibliche Kunst, die sich nicht auf ein Genre, eine bestimmte Auswahl an Themen oder einen Stil beschränken lässt. Selbstbestimmt, Hexen eben!

Und für alle, die jetzt Lust bekommen haben, The Last Dinner Party live zu sehen: Im Februar 2026 kommen die Hexen auf ihrer Tour mit drei Shows nach Deutschland! ✦


Label: Island Records | Vertigo Berlin
Veröffentlicht am: 17.10.2025
Interpret: The Last Dinner Party
Name: From The Pyre


Continue reading