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Persona – half•alive

Rezensiert von an 27. November 2024

       

Die Band half•alive hat mit Persona diesen November ihr drittes Album herausgebracht. Die Band, die aus Sänger und Gitarristen Joshua Taylor, Drummer Brett Kramer und Bassisten Tyler Johnson besteht, zeigt mit Persona mal wieder, wie atmosphärisch und facettenreich Indie sein kann.

Das Album behandelt textlich vor allem Nostalgie, Sehnsucht und darüber sich selbst und den Bezug zu den eigenen Emotionen in unserer schnelllebigen Zeit zu verlieren. Trotz dieser Themen verwandelt half•alive ihre Songs in viele upbeat Banger zu denen man, wenn auch weinend, tanzen möchte.

Unsere Musikredakteurin Anika Hagen interviewte die amerikanische Band vor einer Woche. In diesem Interview erzählte die Band nicht nur von den zwei Personas Sonny und Cher, die ihr auf dem Albumcover sehen könnt, sondern auch von dem Entstehungsprozess des Albums.

half•alive hatten bei Persona nämlich eine konkrete Vision und ein Narrativ. Das Album hört sich wie eine Reise durch warme Sommernachtserinnerungen und das kalte Erwachen an, wenn man realisiert, dass man doch in der Gegenwart leben muss. Ich würde vor allem textlich die Songs, wie Gespräche mit alten Freund*innen aus der Heimat beschreiben, nachdem man jeweils neue Leben in anderen Städten angefangen hat: Die gemeinsame Nostalgie an die guten alten Zeiten und die Existenzängste, die einen nicht mehr loslassen.

Persona ist nicht nur der Name des Albums, sondern auch der Name des instrumentalen Intros. Die Synths, die sich teils wie verstimmte Streichinstrumente anhören, ebnen einen atmosphärischen Einstieg auf diese emotionale Reise. Das kurze Intro fühlt sich an, wie das Abnehmen der Maske und das Distanzieren der Persona, hinter der man sich tagtäglich versteckt.

Der erste Song des Albums ist Sophie’s House. half•alive startet hier direkt mit einem upbeat Banger. Sophie’s House ist eine musikalische Sommernacht mit Freund*innen, in der man förmlich elektrisiert durch die Straßen der Heimat rennt. Treffpunkt: Sophie’s House, das Gefühl, dass einem die Welt offensteht und Zeit nur ein Konzept für ernste Erwachsene ist.

Time did not exist, and now time very much exists – Joshua “Sasha” Taylor

Das Zitat aus dem Interview mit Anika Hagen zeigt genau diese idealistische Vergangenheit und die Realisation, dass das Leben doch endlich ist.

Dieses kalte Erwachen führt die Band zu dem Song Automatic. Die Ambivalenz der inneren Gefühlswelt wird hier durch den Kontrast zwischen Strophen und Refrain deutlich. Die verzerrte Gitarre im Refrain ist das passende Ausrufezeichen zu den Imperativen des Textes. Das Leben auf Auto-Pilot, da es zu schmerzhaft wäre, die Welt in ihren wahren Farben wahrzunehmen. Fragen nach Sinn, die tagtäglich doch den Schleier der Illusion durchbrechen. Zwischen dieser Verzweiflung schimmert immer wieder die Menschlichkeit und der Kampf nach Veränderung durch.

Diese bedingungslose Liebe und das Verständnis füreinander lässt sich im Song People finden. Wer sich wie der Main Character eines Coming of Age Films fühlen möchte, hat hier auf jeden Fall den passenden Song gefunden. Die Melodie der Synths macht es förmlich unmöglich People nicht direkt auf Repeat zu setzen. Im Fokus der Lyrics sind natürlich andere Menschen, aber auch die Intro Perspektive des lyrischen Ichs, das ihre eigene Persona erkennt:

I’m finding the stranger in me

Die musikalische und emotionale Reise, die mit Nostalgie angefangen hat und sich schon fast anthropologisch weiterentwickelt, wird mit Bleed it Out fortgeführt. Das lyrische Ich spricht zu einer befreundeten Person und fordert den Freundesmensch auf, sich emotional zu öffnen. half•alive untermalt diese Hymne für emotionale Vulnerabilität mit catchy Drums, sodass der Song nicht nur lyrisch eine Aufforderung an die Hörenden ist.

Auf diesen Appell in Songform folgt der 5. Song des Albums: Long drive ist ein musikalisches Aufwachen zu einem Sonnenaufgang auf einem langen Roadtrip. Das innere Wissen, dass doch alles gut werden wird und dass man genug Zeit hat. Die Stimmfarben von Joshua und Feature-Gast Kacy Hill harmonieren perfekt. Ich finde das Feature vor allem deswegen passend, weil immer wieder im Text Einsamkeit angesprochen wird und dass man einen Freundesmensch neben sich haben möchte. Die Angst, das eigene Leben zu verpassen und zu wenig zu sein, ist zudem ein sehr nachvollziehbares Gefühl, wovon Joshua und Kacy singen. Dieser Song ist für alle, die Ruhe und Geborgenheit darin finden, hoch in die Wolken zu schauen. 

Von diesem nachdenklichem und teils einsamen Roadtrip sitzen die Hörenden nun im Auto mit einer befreundeten Person auf einem Parkplatz. Der Song Lie, Lie wird vor allem durch die gezupfte Gitarre am Anfang getragen, die diese Vulnerabilität des Themas atmosphärisch gut einfängt. Das lyrische Ich in Lie, Lie sagt dem Freundesmensch, dass es weiß, dass der Freundesmensch lügt, wenn er sagt, dass alles gut sei. Hier sehen wir deutlich das Konzept der Persona. Das Lächeln, obwohl man lieber weinen würde, das alltägliche Lügen darüber, dass man alles unter Kontrolle hat und das Verstecken der wahren Gefühle, selbst, wenn Freund*innen explizit danach fragen. Der Song ist ein Reminder für alle, dass es mehr als okay ist, Hilfe zu brauchen und eben nicht alles zu schaffen. half•alive zeigt hier erneut, wie Mental Health ein wichtiges und wiederkehrendes Thema in ihren Songs und dem Leben aller ist.

Von dem einfühlsamen Parkplatz Gespräch zu meinem persönlichen Favorit des Albums und zukünftigem Carpool Song: All my Love (Imperative). Die Harmonien im Refrain schreien einen quasi an, mitzusingen. Der vorletzte upbeat Song ist jedoch lyrisch komplettes Kontrastprogramm. Der Sänger der Band half•alive singt von falscher Prioritätensetzung eines Gegenübers und das Verharren in alten, ungesunden Mustern. Der Text bedient sich direkt und indirekt an christlichen Metaphern. Für mich sind jedoch die Lyrics auch so zu verstehen, dass man mit anderen Prioritäten bessere zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen könnte. Das lyrische Ich versichert stets, dass es das Gegenüber mit offenen Armen und einem offenen Herzen empfangen würde, wenn sich das Gegenüber doch nur den ungesunden Verhaltensweisen bewusst werden und etwas ändern würde. Man könnte jedoch den Text dahin interpretieren, dass er darauf aufmerksam macht, wie viele Menschen sich von Gott und dem Glauben entfernen. Trotz dessen würden aber gläubige Menschen und auch Gott offen sein, diese zu lieben.

The Point nimmt uns auf einen alleinigen Roadtrip, um den Sinn des Lebens herauszufinden. Der Indie Pop der Band enttäuscht einfach nie und liefert uns hier erneut einen Banger. Was ist, wenn ich nie mein volles Potenzial ausschöpfe und nie das werde, was ich sein will? Diese Fragen stellt The Point ohne konkrete Antworten darauf zu finden. Vielleicht ist genau das der Punkt: Dass der Weg, die Musik und der Platz, der für diese Unsicherheiten geschaffen wird, viel wichtiger sind als das Echo, was man damit erzeugt.

Unser Selbstfindungs-Roadtrip endet auf einem Hügel. Motor aus und wir gucken zusammen mit dem Song Songs auf unsere Heimatstadt. Der ruhigere Song lädt die Hörenden ein, in Erinnerungen zu schwelgen und das eigene Leben zu reflektieren. Das Duett mit der Künstlerin Jordana interpretiere ich als Liebeslied. Es geht um vergangene Tage und die Realisation, dass das Beste am Leben ist, miteinander Songs zu singen. Die Lyrics des Songs sind vielleicht einer meiner liebsten auf den ganzen Album:

The time we got is merciless. The moment ain’t forever, let it be infinite. While it lasts, while it lasts

Die Vergänglichkeit des eigenen Seins und der Schmerz dieser Erkenntnis in den warmen Armen der Vergangenheit.

Letztendlich fahren wir nach Hause, wo auch immer das für uns sein mag. Wir kuscheln uns ein und geben uns selbst nun auch mal Raum, um unsere Gefühle zu fühlen. Der schmerzliche Blick über die Schulter und der ungewisse Blick nach vorne. Das alles verkörpert der letzte Song Thank You von Persona. Es ist ein Danke an alles, was einem zu der Person gemacht, die man ist, und ein Danke an alles, was noch passieren wird. Thank You ist die musikalische Abschiedsumarmung, in der man sich festklammert.

The future barks like a dog outside. I’m pretending I don’t hear it.

Insgesamt ist das dritte Album der Band sehr gelungen. Die Lyrics sind einfühlsam, die Melodien haben Wiedererkennungswert und das Konzept des Albums kommt sehr gut rüber. Jedoch hätte ich mir gerne längere oder mehr Songs gewünscht. Bei manchen Songs hat mir noch eine gute Bridge oder eine neue Strophe gefehlt. Musikalisch reiht sich also Persona in die bisherige Diskografie von half•alive ein. Man hört die Weiterentwicklung, obwohl die Songs immer noch die Handschrift der Band tragen. 

Was also bleibt nach dem Album Persona?

Wir sind im Haus einer Kindheitsfreundin ohne Verantwortung und reinem Lebenshunger gestartet und verloren uns in der Angst um andere und eigenen Ängsten, um schließlich zuhause und bei uns selbst anzukommen.

Persona zeigt textlich und musikalisch, wie eine Gefühlsreise aussehen kann, wenn man sich darauf einlässt. Die Drums, die jedes textliche Ausrufezeichen nochmal fett druckten oder die Melodien der Gitarre, die, egal ob verzerrt oder nicht, einen nicht mehr loslassen. Die Features, die stimmlich perfekt harmonieren oder die upbeat Songs, die einen zwischen und mit Erinnerungen tanzen lassen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Persona ist Nostalgie, die einen nicht mehr loslässt. Während man in der Vergangenheit verharren will, klopft und hämmert schlussendlich die Gegenwart, in der man leben sollte, an der  eigenen Lebenstür. 

Wir werden somit alle zu Regisseur*innen des Films über unsere Erinnerungen. Jedoch sind wir gleichzeitig auch die Drehbuchschreiber*innen und spielen die Hauptrolle.

Solange wir also mit einem Teil von uns in der Nostalgie leben, sind wir vielleicht alle nur half•alive.


Label: RCA Records
Veröffentlicht am: 15.11.2024
Interpret: half•alive
Name: Persona


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