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Neufundland – Grind

Rezensiert von am 6. Dezember 2022

       

Kein Scherz, aber es wird sie in einem halben Jahr nicht mehr geben. So steht es geschrieben. Im Pressetext von Neufundland. Also nicht dem Tourismus-Büro der Insel, es geht um eine Band. Sie machen eigentlich nichts Besonderes. Ein paar verzerrte Fuzz-Gitarren hier, eine raubeinige Stimme die deutsche Texte ins Mikro brüllt da und eine tighte Rhythmus-Fraktion als solides Fundament – fertig ist die klassische Rockbesetzung der letzten 60 Jahre. Das muss ja nichts Schlechtes sein. Milka-Schokolade funktioniert ja auch immer noch, obwohl sie niemals mit der Coolness eines Lion, der Smoothness eines Kinder Bueno oder der Abenteuerlust eines Raffaello mithalten kann. Die Frage ist: was machen Neufundland besser als die 100 Bands die so ähnlich klingen? Und reicht die Milka Schokolade, oder besser gesagt – ist die Sorte die sie erfunden haben gut genug um sie statt Vollmilch oder Knusperkeks zu kaufen?

Nun, die Band um die es geht, würde womöglich das Framing ihrer Musik als kapitalistisches Produkt gar nicht gut heißen, aber irgendwo ist es ja etwas, womit sich früher oder später jeder Musiker auseinandersetzen muss, der mit seiner Kunst Geld verdienen will. Die vier Jungs von Neufundland hatte das besonders zugesetzt – da gab es noch andere Jobs neben der Musik die Zuwendung bedurften, die Pandemie die, die Kulturbranche generell vor riesige Herausforderungen stellte und zu guter Letzt auch noch private Tiefen und Niederschläge.

Auch wenn es eine politische Komponente auf dem Album gibt, ist dieses Album trotz aller Umstände vielleicht doch das bisher persönlichste, das wir gemacht haben. Es handelt von Trennungen, Zweifeln, Einsamkeit, und der zunehmenden Entkopplung vom Leben.

Neufundland ist also nun einer dieser Bands, die es da leider nicht so ganz Heil rausgeschafft haben, aber sie haben auch das (vermutlich) Beste draus gemacht: Es kam die lebendigste, rotzigste Platte ihrer Bandgeschichte bei raus.

Die Songs auf “Grind” (zu deutsch: “abarbeiten, zermalmen”) sind durch und durch von Gefühlen und Textfetzen durchzogen, die den Frust über das Leben in der Musikindustrie und der Gesellschaft in den Proberaum/Aufnahmestudio schreien. Man könnte das als wehleidig und egozentrisch auslegen, aber Neufundland und allen voram Sänger Fabian Langer schaffen es zum Glück fast nie so richtig ins Weinerliche abzurutschen – sie gehen irgendwie erhobenen Hauptes dem Ende entgegen.

Diese Mischung aus Resignation und letzter aufbäumender Schaffenskraft erzeugt soviel mitreißende Energie, dass “Grind” in seinen besten Momenten fast wie ein Neuanfang oder ein Debüt wirkt – so nach dem Motto: Jetzt wo alles egal ist, lassen wir einfach alle Hemmungen fallen.

Warum wollen sie kein Teil der Gesellschaft sein?

Weil das Angebot der Gesellschaft irgendwie schwach war. Man hat da von sehr simplen Lebensläufen gesprochen. Das war dann schon so: Schule, Ausbildung, Arbeit, Tod. Und irgendwie hatten wir andere Ideen. Nämlich ja zum Beispiel Saufen oder so..

So gibt’s auf dem Track “Gemachte Zeit” dieses absurde Intro, das kurz eine tiefsinnigen Denkanstoß über die Bedeutung von Arbeit und Zusammenleben in unserer Gesellschaft anstößt, das Ganze dann mit der Pointe: “Saufen!” einreißt, und den sonst so ernsten Vibes die Spaß-Punk Attitüde gibt, die so aus dem Nichts kommt, das man sich fragt warum? nicht mehr davon?

Dabei fing es ja so an. Vor 7 Jahren als die Band mit ihrem gleichnamigen Debüt um die Ecke kam, gabs bereits Spoken-Word Elemente und Hörspiel-Ideen, Hip Hop Beats, Experimentierfreude. Unvorhersehbarkeit, Pop, viel Hamburger-Schule-Melancholie. Und auch einen Keyboarder der die Synthie-Front bediente. Vertrackte Kunst. “Grind” hat das fast zu 100% gegen die E-Gitarre getauscht. Und den Punk. Die Kapitalismuskritik und Rio-Reiser-esque Poesie ist Neufundland geblieben. Und der internationale, perfekt produzierte Sound. “Streiflicht” schafft z.B. den Spagat, die zunehmende Vereinsamung durch Technologie zu thematisieren und es gleichermaßen so emotional und eindringlich rüberzubringen, dass eine Band sich hier irgendwo gefunden zu haben scheint. Und dann löst sie sich auf!

Leider droht “Grind” zwischendrin auch ein bisschen in die Belanglosigkeit abzurutschen. Es wird wohl nicht den großen Erfolg bringen, den man dieser Band wünscht, aber es bleibt ein würdiges Vermächtnis zum Abschied – Hoffen wir mal das die Party – drei Konzerte gibt’s noch – genauso wild wird wie die besten Songs auf dem Album. Und den verlorenen Glauben in die Menschheit wenigstens ein bisschen zurückbringt.  Ich würde die Milka-Schokolade mit der rauen Textur und dem scharfen Nachgeschmack auf jeden Fall wieder kaufen.


Label: Unter Schafen Records/Zebralution
Veröffentlicht am: 02.12.2022
Interpret: Neufundland
Name: Grind
Online: Zur Seite des Interpreten.


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