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Lucas Santtana – O Paraiso

Rezensiert von am 15. Januar 2023

       

Brasilien – das Land des größten Karnevals, des majestätischsten Fußballs, der schönsten Strände und der atemberaubendsten Natur. 

Für beheimatete KünstlerInnen wie Lucas Santtana (nicht verwandt oder verschwägert mit Carlos Santana) ist es das reinste Paradies. Was, wenn nun aber dieses Paradies nun bedroht wird? 2018 übernimmt der rechte Politiker Jair Bolsonaro die Macht in Brasilien. Das Land wird immer zerrissener, die soziale Ungerechtigkeit steigt und das Justizsystem steckt voller Korruption. Vor allem der Naturschutz lässt Bolsonaro kalt und die Natur muss den wirtschaftlichen Interessen schlichtweg weichen.

Um auf diese Missstände hinzuweisen, vor allem im Bereich Naturschutz, wählt Lucas Santtana die Sprache der Musik. 

Santtana, mittlerweile 52 Jahre alt und aus Salvador im Bundesstaat Bahia stammend, machte sich vor allem als Studiomusiker für bekannte brasilianische Künstler wie Caetano Veloso, Tom Zé und Gilberto Gil einen Namen. 1999 begann er schließlich seine Solokarriere und konnte dabei immer wieder durch seine spannenden Elektro-Akusitk-Kompositionen aufmerksam machen, die dem Genre der Musica Popular Brasileira (MPB) zuzuordnen sind. 

Jetzt veröffentlicht Santtana bereits sein 9. Studioalbum mit dem Titel “O Paraiso” (Das Paradies). Aufgenommen wurde es in Frankreich und zahlreiche Gastmusiker aus unterschiedlichen Ländern waren an den Aufnahmen beteiligt. Zwar warten auf diesem Album leichte, rhythmische, entspannte Klänge, doch die daran gekoppelten Botschaften sind durchaus politisch. Kernaussage des Albums: “Die Natur ist ein Paradies und dieses muss bewahrt werden”.

Gleich der Opener “O Paraiso” der auch den Namen des gesamten Albums bestimmt, kommt mit der Botschaft daher, dass das Paradies hier auf Erden zu finden ist und wir alle – Menschen, Tieren und Pflanzen – Teil dieses Paradieses sind. Die paradiesischen Klänge sind dabei mit Blech- und Holzbläsern, sowie Cello arrangiert. Vor allem die Rhythmik des Songs sticht hervor, wobei zwei typisch brasilianische Rhythmen der Capoeira Benguela und der Maracatu miteinander vereint werden. Gerade der Solopart am Ende des Songs macht dabei richtig Freude. 

Es folgt der englischsprachige Song “What’s Life”. Dieser startet mit einer Anspielung auf die deutsche Band Kraftwerk. Die in ihrem Song “Die Roboter” mit Computerstimmen singen “Wir sind die Roboter”. Santtana karikiert dieses indem er mit einem ähnlichen Effekt “We are the Nature” singt. Ansonsten verarbeitet der Track recht wortgetreu die Antwort auf die Frage “Was ist Leben?, wie sie die Biologin Lynn Margulis in der Dokumentation Symbiotic Earth gibt. Musikalisch stellt der Song dabei einen entspannten Mix aus klassischen brasilianischen Jazz-Rhythmen und Synthesizern dar. 

Mit “Vamos ficar na terra” (Lasst uns auf der Erde bleiben)  folgt ein akustischer Seitenhieb gegen den US-Milliardär Elon Musk, der eine Raumstation auf dem Mars plant, obwohl dieser Planet nicht zum leben geeignet ist und das aus reiner Gier und Geltungssucht. Musikalisch verbindet der Song den brasilianischen Rhythmus des Xote mit Reggae und Bläser und Marimbaphon fließen in die Komposition mit ein. 

“Errare Humanum Est” ist ein Cover der brasilianischen Musiklegende Jorge Ben. Zunächst nur mit einer Gitarre arrangiert, füllt sich der Song in seinem Verlauf mit geschickt arrangierten Bläsern auf und thematisiert dabei das philosophische Denken, indem der Mensch als Produkt des Universums gesehen wird. 

Den Versuch, einen Song auf französisch zu schreiben, wagt Santtana mit dem Track “La Biosphere”. Dort werden zwei anthropologische Sichtweisen auf die Existenz des Menschen geworfen. Leider bewegt er sich hier musikalisch von seinen brasilianischen Rhythmen, die das Album bisher hörenswert machen, etwas weg.

Der Track “Muita Pose, Pouca Yoga” (Viel gepose, wenig Yoga) bewegt sich etwas vom bisher dominierenden Thema des Umweltschutzes weg und kritisiert stattdessen Influencer in ihrer oberflächlichen Haltung. Zum ersten Mal auf dem Album ist hier mit Flavia Coelho eine Gastmusikerin vertreten, die dem Album stimmlich einen angenehmen frischen Wind gibt. 

Eine Überraschung wartet mit dem Song “The Fool On The Hill”. So stammt dieser Song im Original von den Beatles. Für Santtana symbolisiert der Fool on the Hill jemanden, der etwas sehen kann, was andere noch nicht sehen, was sich seiner Meinung nach ideal auf den Klimawandel beziehen lässt. Der Song wird dabei in wunderschöner Art und Weise mit brasilianischen Jazz-Grooves interpretiert und erhält eine besondere Note durch Gastsängerin Flore Benguigui. 

Der Folgesong “No interior of tudor” (Im inneren von allen) ist auch der bisher ruhigste und introvertierteste Song auf dem Album. Lediglich die gedeckte Stimme und Gitarre sind lange zu hören, bis sich dann ein paar Bläser leise in den Song schleichen. Thematisch versucht das Lied die eigene Existenz zu ergründen. 

Ähnlich ruhig geht es auf “A Transmissao” (Der Sender) zu. Diesen Song schrieb Santtana in der Coronapandemie. Darin sieht er das Coronavirus als eine Art Botschaft, die es zu verstehen gilt, auch mit der Botschaft verbunden, dass es die Coronapandemie nie gegeben hätte, wenn sich der Mensch nicht in die Natur eingemischt hätte. Musikalisch bleibt der Song eher unspektakulär.

Den Abschluss des Albums bildet der Track “Sobre la memoria” (Über Erinnerung), der auch wieder eher in ruhiger, bedächtiger Manier daherkommt. Nach Santtana ist Leben nur durch Erinnerung möglich, worüber er in dem Song referiert. Dabei setzt der Song auf Naturgeräusche wie Grillen, nutzt das Reiben über nasse Gläser und verwendet auch eine Harfe und bildet so einen bedächtigen Abschluss des Albums. 

Insgesamt ist festzuhalten, dass Lucas Santtana ein  abwechslungsreiches Album kreiert, welches vor allem durch die Naturthematiken und die unterschiedlichen brasilianischen Rhythmen glänzt. Ein Album, welches zunächst etwas stimmungsvoller und tanzbarer daherkommt, auch dank elektronischen Elemente wie Synthesizer, bis es in eine introvertierte akustische Melancholie abdriftet und so eine perfekte Ode an das Paradies, nämlich unsere Erde, darstellt. 

rezensiert von Moritz Meyer


Label: Nø Førmat!
Veröffentlicht am: 13.01.2023
Interpret: Lucas Santtana
Name: O Paraiso
Online: Zur Seite des Interpreten.


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