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Kendrick Lamar – Mr. Morale & The Big Steppers

Rezensiert von am 23. Mai 2022

       

Nach fünf Jahren Durststrecke dürfen sich Kendrick Lamar Fans endlich über ein neues Album der Rap-Legende freuen. Am 13.05.2022 veröffentlichte der Pulitzer Preis-Träger unter seinem eigenen Label pgLang sein fünftes Studioalbum namens “Mr. Morale & The Big Steppers”. 

Auf dem Cover des Doppelalbums ist Lamar mit seiner 2-jährigen Tochter auf dem Arm, einer Pistole im Gürtel und einer Dornenkrone auf dem Kopf zu sehen, während er in die Ferne schaut. Im Hintergrund sitzt auf einem Bett in der etwas heruntergekommenen Wohnung Kendricks Verlobte, Whitney Alford, mit einem Baby im Arm. Dieses Cover verrät bereits einiges über den Inhalt des Albums. Lamar, der eigentlich dafür bekannt ist, sein Privatleben nicht in die Öffentlichkeit zu tragen, wird auf diesem Album nämlich deutlich persönlicher als wir es von bisherigen Alben kennen. Er rappt über seine Traumata, seine Therapie und erzählt von Transsexualität und Misshandlungen von Familienmitgliedern. Auch Religion spielt auf diesem Album wieder eine Rolle, allerdings nun auch mit einer durchaus kritischen Perspektive. 

Musikalisch bewegt sich das Album dabei nicht in aktuellen Trends oder Sounds, sondern setzt auf Chaos. An fast jedem Song auf “Mr. Morale & The Big Steppers” waren mindestens drei, aber meist deutlich mehr Producer beteiligt, was sich in den schon fast collagenartig aufgebauten Songs widerspiegelt. Es wirkt meist, als hätten die Producer unabhängig voneinander gearbeitet und ihre einzeln produzierten Beats zu einem großen Ganzen zusammengeklebt. Wir hören ruhige Klavierstücke, Chöre, Straßenlärm bis hin zu Pop-Versatzstücken von “Florence + The Machine”. 

“The Big Steppers”, die erste Platte des Doppelalbums, startet mit “United in Grief”, einem Song, in dem Kendrick von seiner Schreibblockade erzählt und damit direkt ein großes Thema des Albums anspricht, nämlich persönliche Probleme und seinen Umgang damit. Der zweite Track auf “Mr. Morale & The Big Steppers” trägt den Namen “N95”, ist also nach dem US-amerikanischen Pendant zu unserer FFP2 Maske benannt. Wie der Name vermuten lässt, geht es in dem Song auch um die Corona-Pandemie. Kendrick startet mit folgenden Worten in den Track, die so klingen, als ob sie auch so von Kindern auf dem Schulhof gesungen werden könnten:

 Hello new world, all the boys and girls I got some true stories to tell / You’re back outside, but they still lied

Diese Zeilen zeigen bereits, was für einige weitere Songs des Albums gilt – sie sind nicht unbedingt unproblematisch. Die “new world”, von der Kendrick hier spricht, kann als Post-Corona-Welt interpretiert werden, in der die “boys and girls”, wie er behauptet, angelogen wurden. Ob sich diese Aussage in Richtung der Pandemie-Leugnung bewegt, bleibt dabei der subjektiven Interpretation überlassen. Kurz nach dieser Einleitung bewegt sich Kendrick allerdings wieder weg von dieser durchaus kritisch zu betrachtenden Einstellung und fokussiert sich dafür auf Kritik an Materialismus, insbesondere auf Kritik an Flex-Rap:

Take off the Chanel, take off the Dolce, take off the Birkin bag (Take it off) Take all that designer bullshit off, and what do you have?  

Ein Song, der auf “The Big Steppers” besonders heraussticht, ist “We Cry together”, ein 6-minütiger Streit mit Schauspielerin Taylour Paige, die auf diesem Song ihr Rap-Debüt hat. Der Song wird durch eine von Florence Welch gesungene Melodie eingeleitet, driftet jedoch schnell in einen monotonen Beat, auf den freestyle-artig gerappt wird. Durch das Fehlen einer melodischen Spannungskurve ist der Song nicht mühelos unterhaltsam, sondern definitiv ein Stück, das von den Lyrics lebt. Vielleicht bildet der Song auch gerade dadurch die Realität ab, denn wie eine Frauenstimmer zu beginn des Songs anmerkt:

This is what the world sounds like.


“Mr. Morale”, der zweite Teil des Doppelalbums, startet mit dem Song “Count Me Out”, der mit der gleichen Melodie wie der Opener des ersten Teils startet, die Einteilung in zwei Albumteile also direkt hörbar macht. Auf diesem Teil des Doppelalbums befindet sich auch der Song, der vielleicht von allen am meisten heraussticht – “Auntie Diaries”. Wie bereits bei “We Cry Together”, steht bei “Auntie Diaries” definitiv der Text im Vordergrund. Der Beat ist die ersten vier Minuten des Songs reduziert und monoton und überlässt dem Storytelling von Kendrick die Bühne, bevor sich der Track sowohl textlich als auch melodisch für die letzten Sekunden immer weiter hochschaukelt. 

Auf “Auntie Diaries” thematisiert Kendrick die Transsexualität zwei seiner Verwandten, wobei er die Gesellschaft, die Kirche und vor allem sich selbst im Umgang mit Transsexualität und der LGBTQ+ Community kritisiert. Wenn eine Person mit einer Reichweite wie Kendrick Lamar selbstkritisch über Tanssexualität spricht, bietet das eine riesige Chance für gesellschaftliche Diskurse. Das Thema Transsexualität, das eine Minderheit betrifft, bekommt durch Kendricks Song eine Bühne. Das ist an sich positiv, jedoch ist Kendricks Umgang mit dem Thema leider auch problematisch zu betrachten. In “Auntie Diaries” soll es um die Geschichte zweier Trans-Personen gehen, jedoch leitet Kendrick das Thema immer wieder zurück zu sich selbst und zu seinem Umgang mit dem Transsexualität. Zwar ist er dabei selbstkritisch, allerdings steht auf der Bühne, die er eigentlich für ein wichtiges Thema freimachen könnte, immer noch er mit seiner eigenen Geschichte im Scheinwerferlicht. Dabei misgendert und deadnamed er die Trans-Persone,n über die er rappt, konstant. Außerdem benutzt Kendrick das eindeutig homophobe F-Wort in so gut wie jeder Strophe. Zwar weist er im Text darauf hin, dass er als Kind nicht gewusst habe, wie problematisch dieser Ausdruck sei und er nun dazugelernt habe, allerdings hält es ihn nicht davon ab, den homophoben Begriff weiterhin zu verwenden – und das in einem Song, in dem er die Absicht hat, Allyship für Trans-Personen auszudrücken. Dieses Verhalten wird von Transgender-Aktivist*innen kritisiert, beispielsweise von Raquel Willis:

Natürlich sind dieser Sprachgebrauch und homophobe Einstellungen vielerorts eine Realität, die Kendrick abbildet, aber ist es dafür wirklich nötig, diese zu reproduzieren?

Kendrick scheint zwar reflektierter zu sein als in seiner Jugend, jedoch hat er noch nicht verstanden, dass er als heterosexueller Cis-Mann nicht die Regeln für queere Kämpfe aufstellen kann. 


Kendrick Lamar spricht auf “Mr. Morale & The Big Steppers” viele wichtige Themen an. Mal gelingt ihm das sehr gut, er bringt persönliche Perspektiven ein und beweist charakterliche Stärke, in dem er sich verletzlich zeigt. Manche der Songs beinhalten allerdings auch problematische Aussagen, zum Beispiel über die Corona-Pandemie oder eben über Transsexualität. Hip Hop ist und war, allein schon aufgrund der Geschichte des Genres, immer politisch, ob die Musiker*innen es wollen oder nicht. Wieviel “wokeness” man in einem Themenspektrum von Flex-Rap zu harter Gesellschaftskritik von seinen Lieblingsinterpreten erwartet bleibt natürlich jedem selbst überlassen und natürlich kann auch gar nicht jede*r Rapper*in über alle gesellschaftlichen “Do’s und Don’t’s” Bescheid wissen. Bei einer Person mit so viel Reichweite und Einfluss wie Kendrick Lamar wäre es allerdings schön, wenn er etwas bewusster an solche Themen herangehen und mehr Perspektiven als nur seine eigene einbringen würde.


Label: Aftermath/Interscope Records
Veröffentlicht am: 13.05.2022
Interpret: Kendrick Lamar
Name: Mr. Morale & The Big Steppers
Online: Zur Seite des Interpreten.


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