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Jockstrap – I Love You Jennifer B

Rezensiert von am 12. September 2022

       

Jede Musik entsteht aus einer eigenen Energie, wie die Künstlerin Zap Mama findet. Und ob man mit der Musik etwas anfangen kann oder nicht, ob man die Musik mag, hängt folglich davon ab, ob sie gerade das eigene Energielevel trifft.

Wenn dem so ist, trifft das Londoner Duo Jockstrap das Energielevel des Londoner Musikspirits unterm Radar. Das Duo, bestehend aus Georgia Ellery und Taylor Skye haben mit “I Love You Jennifer B” nun ihr Debütalbum veröffentlicht. Wenn man sich nämlich so mit dem Strudel der quicklebendigen Straßen Londons treiben lässt, kann man das Glück haben, kurz von einem anderen Sound aufgehalten zu werden. Das passiert unter anderem dann, wenn man in die Plattenläden stolpert, die frisch gefertigte CDs und Platten verkaufen, wie die des Labels Rough Trade.

In einem Social Media-Post zur Ankündigung des nun am 9. September neu erschienenen Albums, beschreiben die außer Skye und Ellery an dem Album mitwirkenden Musiker*innen die Musik so: 

Very rich and thick, really engulfing, movie-like, extraterrestrial, cosmic, a reflection of now, weird, but great weird

Mitwirkende Orchestermusiker*innen des Albums, https://twitter.com/jockstrapmusic1/status/1565374862931234817?s=20&t=1WW0BLaE5eyr7S7MoB5TWA

Sucht man in den sozialen Medien sonst nach #Jockstrap, kommen abwechselnd begeisterte Stimmen zum Album, die den “Art-Pop” und die “Pop-Alchemie” feiern und Bilder von Typen in Unterhose. Um das schon mal kurz vorweg zu nehmen: ich würde sagen, es wäre ein bisschen mehr die #Jockstrap Welt des #Jockstrap Duos, wenn die Mehrheit der aufploppenden Models nicht nur muskulöse weiße Typen mit mehr Muskeln als ein Sixpack (falls das geht?) wären, sondern etwas diversere Typen. Denn zumindest die #Jockstrap Musik präsentiert sich alles andere als undivers. Aber nur so weit meine eigene Assumption. Der Name allein schon ist grell, wie Georgia Ellery in einem Interview mit Pitchfork sagt:

As for the name, “It’s memorable, it’s crude, my mum hated it,” muses Ellery.

Georgia Ellery

Die Violinistin Georgia Ellery und der elektronische Musiker Taylor Skye, die sich zu Beginn einfache Songmemos hin- und herschickten, sind die Köpfe und Hauptakteur*innen hinter Jockstrap. Für “I Love You Jennifer B” haben sie zudem ein Streicher*innenensemble, bestehend aus ihren Freund*innen, hinzugeholt. Kennengelernt haben sich die beiden und die meisten dieses kleinen Orchesters während ihres Studiums an der Guildhall School of Music & Drama. Singt Georgia Ellery gerade nicht für ihre eigene Band, tourt sie höchstwahrscheinlich mit Black Country, New Road durch die musikalischen Lande. In dieser ebenfalls alles andere als konventionellen Rockband spielt sie Geige.

Das Duo – Taylor Skye und Georgia Ellery, Foto: Maxwell Granger

“I Love You Jennifer B” ist sowohl klassisch anmutend und orchestral, als auch gezeichnet von elektronischen Klängen und liedhaftem Gesang. Das Duo kennenlernen, kann man am besten von Anfang an, mit ihrer ersten EP “Love Is the Key to the City”. Die ersten Klänge auf dieser EP aus dem Jahr 2018 sind ein Wasserplätschern, bevor Geigen mit klassischen Melodien übernehmen. Der zweite Track der EP erinnert an verspielten Mainstream Jazz, er hat etwas von dem tanzenden Gesang Ella Fitzgeralds. Tja, wie passt so etwas zu einer Musik, die anscheinend den Zeitgeist treffen soll? Um es sehr überspitzt auszudrücken: So großartig sie sein können, Jazzschnulzen waren in den Clubs schließlich auch 2018 schon lange nicht mehr der modernste Shit. Wenn aber etwas den Zeitgeist trifft, ist das neben dem Techno mit dem Zentrum Berlin: balladeskes Singer-Songwriting in London! Beispiele gibt es einige. Man nehme zum Beispiel “19th Floor” von Joy Crookes oder “Rotten” von Porridge Radio oder “London Is Lonely” von Holly Humberstone, alles Londoner Künstler*innen. Schnell ist zudem auffällig, dass nicht selten die Großstadt selbst Thema ist, dessen Sound sie aufsaugen und den sie bedingen, widerspiegeln und weiterentwickeln. Jockstrap macht das auf eine ziemlich extravagante Weise in ziemlich abgefahrene musikalische Sphären. Das passiert allein in “The City”, in dem genau in der Hälfte ein elektronischer Quietschton einsetzt. Die vierte Nummer der EP “Joy” klingt vor allem elektronisch. Damit kündigt Skye bereits eins der dominierendsten Elemente im aktuellen Album an. Leuchtete in der ersten EP eine Glühbirne und in der zweiten EP “Wicked City” eine Lichterkette, hat das aktuelle Album einen richtig elektrischen Schlag abbekommen. Es flimmert und flackert und zwischendurch hört man Ellery sanft singen und Geige spielen.

Was man zu Ohren bekommt, ist also ein rasanter, voller Klang, gespeist durch eine Vielzahl an unterschiedlichsten Elementen und Details. Auch hier gibt es andere Londoner Kandidat*innen, die in dieser Detailfülle eine ganze Sinfonie der Großstadt – dieses mal London und zudem instrumental – zusammenspielen: Black Midi leuchtet hier auf oder das Künstler*innenkollektiv Kokoroko. Einige davon veröffentlichen ihre Platten ebenfalls durch das Londoner Plattenlabel Rough Trade Records.

Alles darauf klingt ziemlich einzigartig, also hoffen wir, dass für jeden ein Track dabei ist; also etwas, das dich anspricht und sagt ‘Ich bin ein Banger’.

Georgia Ellery und Taylor Skype zu ihrem neuen Album

Der Opener des Albums “I Love You Jennifer B” heißt “Neon” und startet mit einer zarten Melodie, ganz für sich. Als Zuhörer*in empfindet man sich fast als störend. Bevor die Lyrics zu ihrer entscheidenden Aussage kommen 

I won’t do this again

To You or anyone

And I won’t do this

To myself

wird folgende Frage gestellt:

We’ll make it to another morning

Despite the difficult borning

But is it working?

Als Antwort droppt der elektronische Beat in eine instrumentale Bridge, bevor sich dann der Refrain bis zum Ende des Songs wiederholt. Diese Art von Call and Response zwischen Ellery und Skye, untermalt mit Streicher*innen, ist definierendes Element ihres Debütalbums.

Der folgende Song “Jennifer B” beginnt mit einem elektronischen Klangmuster und mutet Synthiepop-artig an. In diesem Song geht es, wie auch in vielen der folgenden Songs auf dem Album, um die Themen Freundschaft und Liebe. Dabei wirkt Ellerys Gesang wie eine ehrliche Stimme in einem offenen Gespräch und Skyes elektronische Musik wie Ausdruck der ganzen Emotionen, die mit dem jeweils angesprochenen Thema verbunden sind. “Greatest Hits” ist verspielt, hier kommen die Streicher*innen besonders gut zur Geltung. Gerade so viel, dass es ein angenehmes Level an Kitsch erreicht. Es hat einen souligen Drive mit einem starken Fokus auf einer Art metallischem Schlagzeug. Die Melodie verlässt gewollt die erwarteten Töne und strahlt off-key. Das macht Spaß. Der entspannte Soul bleibt auch im nächsten Song “What’s It All About?” erhalten. Mit “Concrete over Water” bewegen sie sich zurück zur Stadtthematik, die ebenfalls auf dem Album präsent ist. In “Debra” und “Glasgow” gehen die Themen längst Hand in Hand. Zum Ende sticht noch der Closer des Albums “50/50” heraus, mit einer Art bizarr wackelnden Stimme und einem Techno Beat. Klingt ein bisschen wie in einem Autoscooter.

Jockstrap vermengt also auf seinem Debütalbum melodiösen Gesang mit Streichinstrumenten und elektronischem Sound. Das Duo nimmt sich in seiner Extravaganz voll und ganz ernst und traut sich, dieser freien Lauf zu lassen. Was ein Glück. Um die Worte von vorhin nochmal auszukosten: “Weird, but great weird”. Also: Bitte mehr davon, von dieser großartigen Weirdness.


Label: Rough Trade Records
Veröffentlicht am: 09.09.2022
Interpret: Jockstrap
Name: I Love You Jennifer B
Online: Zur Seite des Interpreten.


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