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Blondshell – Blondshell

Rezensiert von am 11. April 2023

       

“You’ll make a killer of a Jewish girl. You make a killer of a pacifist.“

Mit diesen bissigen Zeilen hatte mich Sabrina Teitelbaum endgültig überzeugt. Noch ein paar Jahre zuvor hatte die New Yorkerin ihre Karriere mit extrem zuckrigen Pop gestartet, doch das dann offenbar wieder ganz schnell verworfen. Sie fühlte sich einfach nicht wohl damit. Die Pandemie bedeutet für sie, wie so oft, einen Cut. So musste einerseits der Alkohol verschwinden und andererseits war es Zeit einen Neustart zu wagen.

‘Blondshell’ ist Teitelbaums Version von 90s Grunge/Alternative Rock. Und das hat es in sich. Es erinnert in seinen besten Momenten an die Wut & Zerbrechlichkeit von PJ Harvey oder Courtney Love’s Hole – die vielleicht beiden größten weiblichen ‘Rockstars’ der 90er (Oder an ein Paralleluniversum in dem Phoebe Bridgers und Lana del Rey ihre Nirvana-Phase ausleben).

“Veronica Mars, 2004. I am disturbed, gimme shelter.

it’s a big apartment in New York.

Logan’s a dick, I’m learning that’s hot.

Gimme shelter.” – Veronica Mars

I know my therapist’s pissed / We both know he’s a dick.“ – Sepsis

Textlich dreht sich Teitelbaums erstes Album vor allem um die zum Teil schmerzhaften persönlichen Erfahrungen der 25 jährigen. Es streift Themen wie Kontrollverlust (‘Sepsis’), Erinnerungen an die Kindheit die ihr Männerbild prägten (‘Veronica Mars’) und vor allem: männliches Fehlverhalten (alles?!). Teitelbaum ist da zur Zeit offensichtlich nicht allein: Gerade noch sorgt Shakira mit einem Diss-Track gegen ihren Ex für Aufregung, Lana del Rey lässt die Werbung für ihr neues Album im Heimatdorf von ihrem vorherigen Lover groß aufhängen und SZA phantasiert gar von einem Rachefeldzug a la ‘Kill Bill’.

Auch die Songs auf Blondshell erzählen von schwierigen Beziehungen zu Männern, etwa wenn Teitelbaum entgegen besserer Vernunft zu ihrem Lover zurückkehrt oder die toxische Beziehung einer Freundin reflektiert und das Verhalten des Typen in ihrer eigenen Mordfantasie bestraft.

“I don’t know moderation, I just know enough to know that I don’t know a thing and I want someone to take the blame.”

‘Blondshell’ lebt von der absoluten, distanzierten Ehrlichkeit zu sich selbst und wirkt immer wieder wie ein emotionaler Katalysator für die Sängerin. Teitelbaum’s innere Zerissenheit schlägt sich auch musikalisch wieder: Das gesamte Album ist durchzogen von einer latenten Melancholie. Die Selbstzweifel sind trotz der Wut allgegenwärtig und werden durch die klagenden Melodien immer wieder unterstrichen. ‘Blondshell’ lebt vom Pixies-artigen Laut und Leise – Spiel mit ausbrechenden, emotionalen Refrains & poppigen Hooks sowie der makellosen Produktion von Yves Tumor Produzent Yves Rothman.

Trotz der Eingängigkeit gibt’s genug Momente die dem Album unheimlich viel Persönlichkeit geben: der großartige Opener Veronica Mars (eine Referenz an die 2004er Kult-Serie mit Female Lead Kristin Bell) gipfelt nach einem simplen Crescendo in mitreißendem Pathos und fantastisch-schrägem Gitarrensolo. ‘Salad’ ist so intensiv und düster wie Smashing Pumpkins Hymne ‘Bullet for a Butterfly’ und lyrisch absolut on Point.

Auf ‘Sepsis’ erinnern die quirligen Gitarren an John Frusciante – während Teitelbaum ihren Frust in überraschende Ausbrüche channeled. ‘Sober Together’ wird gar psychedelisch und bietet einen wunderschön träumerischen Kontrapunkt zum Rest der Scheibe.  Teitelbaum beherrscht die Nuancen ihrer Stimme so sehr, dass sie auch aus vermeintlich simplen Songs enorm viel herausholt und immer wieder für eindrucksvolle emotionale Spannungsmomente sorgt. 

“Ich möchte den Leuten immer das Gefühl geben, dass sie mehr Macht, Kontrolle und Frieden haben, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ich das für mich selbst will. Ich weiß, wie die Musik mir geholfen hat, das zu erreichen”

Neben dem Indie-Rock der 90er waren es vor allem Bücher die ‘Blondshell’ inspirierten: Patti Smith, Rachel Cusk oder die Kulturhistorikerin Rebecca Solnit – die u.a. den Begriff ‘Mansplaining’ prägte. Besonders Solnit’s Schriften halfen ihr ihre Stimme zu finden: “Ich fand es toll, wie ernst sie ihre eigenen Erfahrungen nahm. Sie half mir, die Dinge, die ich durchmachte, nicht zu trivialisieren.”

Dass Teitelbaum Songwriting studiert hat und nicht seit gestern Songs schreibt, merkt man den Tracks auf ‘Blondshell’ durchweg an. Für ein Debüt scheint sich hier jemand in der musikalischen Identität bereits ziemlich gefunden zu haben – ‘Blondshell’ ist ein smartes, reflektiertes Coming Of Age Album, das neugierig darauf macht was da noch alles kommen mag und who knows, vielleicht haben wir hier die nächste Phoebe Bridgers?


Label: Partisan Records
Veröffentlicht am: 07.04.2023
Interpret: Blondshell
Name: Blondshell
Online: Zur Seite des Interpreten.


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