Aphex Twin – Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760
Rezensiert von Jonas Klein an 3. August 2023
„Über Musik zu schreiben ist, wie zu Archtektur zu tanzen.“ So ausgelutscht dieser Satz ist, wahrscheinlich gab es nie einen Musiker für den er besser zutraf als für Aphex „Ich hab den Glitch erfunden und durchgespielt“ Twin. Das Richard D. James (sein by the way vielleicht bestes Album) mal über die Grenzen vom extrem ländlichen Cornwall hinaus bekannt werden würde, hätte er wahrscheinlich am allerwenigsten geglaubt (als der Plattenvertrag kam war er eigenen Aussagen zufolge am trippen während man ihm Geld und Stift hinhielt). Mit 12 nimmt James Synthies auseinandernahm, setzt sie neu zusammen und imitiert damit unwissentlich Techniken von Avantgarde Künstlern wie John Cage – das er mal der größte Underground Star elektronischer Musik wird, vielleicht dann auch doch irgendwo zu erahnen…
Einige Jahre später ist er voll in der lokalen Techno Szene angekommen: Da gibt es diese Flut an Impulsen aus Detroit, Acid House der die Insel infiziert und irgendwo dazwischen einen Aphex Twin. Aphex Twin der irgendwie immer sein eigenes, weirdes Ding macht, fernab jeglicher Erwartungen und Schubladen – „Digeridoo“ ist so ein Beispiel: eine hypnotische Melange aus wahnsinnig schnellem Techno-Beat und der psychedelischen Energie der australischen Wüste. Aber eben auch: ein Track um die Leute aus dem Club zu jagen, weil der um 2 schließt. Das Nerven wird er nie wieder los, und genau dafür muss man ihn lieben.
„I just think it’s really funny to have terms like that. It’s basically saying ‚this is intelligent and everything else is STUPID‘.
Interview ‘Perfect Sound Forever’ (September 1997) – über das Genre-Label ‚Intelligence Dance Music’ das man ihm zuschrieb.
Was in den 90ern folgte ist die vielleicht wichtigste künstlerische Tour de France die keiner kennt: Angefangen bei der Neudefinierung von moderner Ambient Musik mit seinem Debüt, über die mehr als 8! Pseudonyme unter denen er ausnahmslos hochklassige Musik released, das vielleicht verstörendste Video der 90er (Come to Daddy), die bis heute erfolgreichste Single vom Warp Label (Windowlicker) bis hin zu Kolab-Angeboten von Madonna. Was „the Twin“ natürlich… dankend ablehnt. Ihm geht es nicht um die Millionen, und überhaupt wollen diese Leute die Jungen doch nur „benutzen“. Stattdessen macht er Jungle für die Zukunft (bald nennt man es Drill’n’Bass), parodiert die Nine Inch Nails und programmiert out of this world beats die beinhahe Elton John Nr. 1 Pole Position bedrohen. Ach und hab ich schon erwähnt dass er 90er-Boygroup N*Synch zu zerhäckselte Beats inspirierte?
„i hate trance and i hate jungle, but i’d rather listen to jungle cos at least it makes me laugh. But i can totaly see why people get off on jungle…“
Interview – Melody Maker (November 1993)
So wild der Ritt in den 90ern war, mit „Drucqks“ kam 2001 auch ein (pompöser) Abschluss für die musikalische Bewusstseinerweiterung durch Aphex Twin die bis in die 2010er nachwirken sollte.
Wenn sich jetzt jemand fragt wo bleibt bei dieser Geschichtsstunde eigentlich das Review zur aktuellen EP? Ja um es mit James Worten zu sagen: “Electronic music isn’t meant to be talked about.” Aber naguut…:
„Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760“ ist nach Syro (2014), Cheetah (2016) und Collapse (2018) eines dieser seltenen Lebenszeichen von Aphex Twin. Geändert hat sich eigentlich nicht viel. Die Songtitel sind immer noch kryptisch (wenn auch einprägsamer als ‚ΔMi−1 = −∂Σn=1NDi[n][Σj∈C{i}Fji[n − 1] + Fexti[n−1]]‘), die Promo eigentlich nicht-existent und die Musik? Eigentlich so wie erwartet. Nur mit vielleicht weniger Wahnsinn, denn den gabs ja auch, zu Genüge. Da wäre einmal „zin2 test5“ mit seinem ambivalenten Acid Bass der um den fast schon meditativen Beat sanft herumwirbelt – James klingt hier so straight forward wie zuletzt vielleicht Mitte der 90er. „In a room7 F760“ schiebt dagegen dann und wann die schrägen Drumfills rein, die so virtuos wohl auf ewig nur er zusammenklamüsern kann, bleibt dann aber trotzdem in seiner Grundstruktur überraschend linear. Was nicht heißt, dass hier Langeweile aufkommt: Ganz im Gegenteil – auch 2023 steckt in jeder Sekunde von Aphex Twin’s Kunstwerken minutiös zusammengefriemelte und durchdachte Liebe zum Detail. Opener „Blackbox Life Recorder 21f“ belebt sogar nochmal den Drill’n’Bass mit demselben Feuer wie zu seiner Hochzeit und vereint dies mit der nostalgischen Melancholie seiner ganz frühen „Selected Ambient Works“ Klassiker. Das führt dazu, dass sich die neueste EP des Wunderkinds überraschend Kopfschmerz-frei durchhören lässt – fast schon als spätes Pop-Werk durchgehen könnte.
In den 90ern war sein maximal verzerrtes Gesicht mal Aphex Twins ironisches Markenzeichen (HaHa!) Ironischerweise ist das seit dem Durchbruch mit der Jahrtausendwende verschwunden – seinen Zweck hats erfüllt – die Legende lebt nun weiter vom Mythos. Integrität voll bewahrt. Aphex Twin macht weiter grandiose Musik, in seiner ewig unnachahmbaren Blase. By the way hat derselbe Typ Songs für Mercedez-Werbungen verkauft, lebt in einer umgebauten Bank und (um die älteste Kamelle rauszuholen): hat(te) einen Panzer! Mindestens eines davon ist erlogen, aber was spielt das schon für eine Rolle
Label: Warp Records Veröffentlicht am: 28.07.2023 Interpret: Aphex Twin Name: Blackbox Life Recorder 21f / in a room7 F760 Online: Zur Seite des Interpreten.