Wohnrauminitiative des AStA: Deine Couch für Erstis – eine Chance für Erstsemester?
Geschrieben von Paula Ziegler an 19. Oktober 2024
Der AStA rief die Initiative 2012 ins Leben, als durch die Zusammenlegung zweier Abiturjahrgänge Erstis Münsters Wohnungsmarkt fluteten. Die Idee: Für ein paar Tage auf einer Couch unterkommen, die O-Woche erleben und mit Münsteraner Homebase hoffentlich eine Wohnung finden – und das alles für null Euro. Dieses Wintersemester erlebte das Projekt neuen Wind, als es breit beworben wurde. Viele Münsteraner*innen meldeten sich, stellten ihre leeren Couches und Kinderzimmer auf der Wohnbörse des AStA ein und hofften, so Erstsemestern in den ersten Tagen in ihrem neuen Lebensabschnitt zu helfen. Ich habe mit Einigen gesprochen, die ihre Couch auf der Wohnbörse angeboten haben und auch mit Leonard, der das Angebot eine unserer Radio Q-Reporterinnen angenommen hat.
Frederik, 31, Psychologe in Ausbildung, wohnt seit knapp einem Jahr in Münster in einer WG. Einer seiner Mitbewohner*innen ist aktuell unterwegs, daher haben sie das Zimmer als sporadische Ersti-Unterkunft auf der Wohnbörse eingestellt. Er selbst hat bereits Erfahrungen auf dem Münsteraner Wohnungsmarkt gesammelt als er letztes Jahr hergezogen ist: „Ich bin zwischen den Semestern hergezogen, daher hatte ich eher die Qual der Auswahl. Dann hat das relativ schnell geklappt mit einer WG. Zwei Monate später im Oktober habe ich es dann aber mitbekommen, wie viele Erstis in die Stadt kommen. Da hatte ich schon Mitgefühl, weil ich daran dachte wie das für mich gewesen wäre“. Aufmerksam wurden sie auf das Projekt über den Kontakt mit Erstsemestern im letzten Jahr, aber auch über Nachbar*innen und auf Instagram haben sie sich dazu informiert. Auf die Anzeige hat sich allerdings keiner mehr gemeldet. Frederik selber hat 2015 in Saarbrücken studiert und bewertet die Lage vor neun Jahren rückblickend auf jeden Fall positiver als heute: „Da war es noch nicht so schwierig, es sollte von den Mitbewohnern her passen und dann hat das funktioniert. Davor habe ich in Regensburg studiert für ein paar Wochen und da musste ich tatsächlich in einem Matratzenlager schlafen. Das war nicht schön, da hätte ich mich über so ein Angebot gefreut“. Projekte wie das „Ersti-Camp” oder „Deine Couch für Erstis” sind also keine Seltenheit in Studienstädten und gibt es teilweise schon seit Jahren. Frederik meint, dass das Projekt auch bei der Wohnungssuche helfen kann, da man so über „Vitamin B“ schon erste Kontakte knüpfen und vielleicht sogar seine zukünftige WG finden könnte.
Auch Eva, 43, Beschäftigte an der Universität Münster, bietet ein Schlafsofa an. Sie ist alleinerziehend und wohnt mit ihrer Tochter in einer Drei-Zimmerwohnung. Im Radio hörte sie von dem Projekt und da sie bei der eigenen Wohnungssuche schon auf Probleme gestoßen ist, wollte sie helfen: „Ich hab mal wieder nach Wohnungen gesucht, saß abends auf der Couch und da kam mir das Projekt wieder in den Sinn. Da dachte ich mir, eigentlich sitze ich gerade auf dieser Couch und könnte sie super gut anbieten. Ich hab die Anzeige dann recht spontan aufgegeben“. Auch bei Eva hat sich bisher noch niemand gemeldet. „Der AStA macht eigentlich echt coole Sachen, zum Beispiel gibt es da auch eine Babysitterbörse über die ich schon mal Babysitter bekommen habe. Das war total klasse, aber wenn ich das jemandem erzähle weiß das oft keiner“. Beschäftigte der Uni und Studierende wissen oft von solchen Angeboten, doch außerhalb erreicht der AStA wohl nicht immer Personen die davon profitieren oder sogar helfen könnten, meint Eva. Ihr fiel zudem auf, dass auf der Wohnbörse auch Anzeigen zu finden waren, wo Zimmer für sehr hohe Preise angeboten wurden – ohne festen Mietvertrag und unter der Rubrik Couch für Erstis. Das findet sie schade, so nutze man bestimmt einige Unwissende aus. Was tut der AStA gegen solche Anzeigen? “Wir geben uns immer größte Mühe, die Anzeigen zu überprüfen und gerade welche, die nicht vertrauenswürdig erscheinen, schnellstmöglich zu löschen oder bei den Anbietenden nochmal nachzuhaken”, schreibt uns das Sozialreferat des AStA auf Anfrage. Doch wenn es weitaus mehr Angebote sind als sonst, was gerade der Fall sei und vor allem zum Semesterstart immer wieder so ist, sei es aber teilweise schwer dem hinterherzukommen.
Grundschullehrerin Urte, 60, bietet das alte Kinderzimmer ihrer Tochter bei dem Projekt an. Sie erfuhr von dem Projekt über Medienberichte: „Da dachte ich mir: Jetzt mach doch mal was!“. Sie fand es schade, dass Erstis in der Turnhalle übernachten mussten und wollte daher wenigstens einer Person eine etwas gemütlichere O-Woche ermöglichen. „Die Wohnung müsste man zwar mit meinen zwei Kaninchen teilen, aber das schien für manche kein Problem zu sein“. Eine italienische Studentin, die eine Übergangsunterkunft für ihr Auslandssemester suchte, meldete sich bei ihr, fand aber kurzfristig doch noch eine feste Bleibe zum Semesterstart. „Sie schrieb mir, sie habe Angst dann in Münster ohne Bett zu sein, das kann man ja voll verstehen. Ich finde auch, wenn man aus dem Ausland kommt, ist alles nochmal schwieriger“, so Urte. Da teilt man die Wohnung bestimmt gern mit zwei so süßen Mitbewohner*innen.
Urte begann 1983 in Münster Lehramt zu studieren: „Irgendwie habe ich über Freunde ein Zimmer in einem Wohnheim bekommen. Auch danach hatte ich immer Glück mit meinen Wohnungen. Erst vor ein paar Jahren habe ich aber gemerkt, dass das mittlerweile ganz anders ist. Da kann man froh sein, eine schöne Wohnung für einen guten Preis zu finden.“. Auch bei ihrer jetzigen Wohnung hat sie gemerkt, wie schwer es ist, guten Wohnraum zu finden und auch zu behalten: „Vor ein paar Jahren wurde die Wohnung verkauft, da hatte ich schon Angst, dass sie an einen Investor geht, der sie teuer renoviert und ich sie mir dann nicht mehr leisten kann. Aber es hat sich dann alles gefügt“. Urte meint, sie hätte so ein Projekt auch gerne in Anspruch genommen zu ihrer Studienzeit: Auch damals war es schon schwierig, in Münster als StudentIn eine Wohnung zu finden. Und deshalb wird sie einen neuen Versuch starten, Erstsemesterstudierenden eine Übernachtungsmöglichkeit zu bieten.
Wolkje, 19, studiert Kommunikationswissenschaft und ist bei uns bei Radio Q Chefin vom Dienst in der Wortredaktion. Auch sie macht bei dem Projekt mit: Sie und Leonard, 18, Jura-Ersti, teilten sich eine Woche lang ihre Einzimmerwohnung. Ihre Motivation, trotz Einzimmerwohnung am Projekt teilzunehmen, beschreibt sie so: “Wir wissen ja alle wie die Wohnungssituation in Münster ist. Ich hatte letztes Jahr selber super die Probleme und weiß, dass es für viele Leute super schlimm war, wenn sie wegen der Wohnsituation nicht an der O-Woche teilnehmen konnten und da dachte ich mir, wenn ich da wem helfen kann dann mach ich das“. Leonard hat eine Unterkunft für die O-Woche gesucht und wurde so auf die Wohnbörse des AStA aufmerksam. Wolkje denkt, dass sie das auch in Anspruch genommen hätte, sie wusste nur zu ihrem Studienstart noch nichts von dem Projekt: „Generell, diese Wohnbörse vom AStA – da bin ich erst sehr viel später drauf gestoßen“. Lennard ist auf ihrer Couch untergekommen, für die zwei hat es sehr gut funktioniert: „Ich war auch Menti in der O-Woche, als wir dann die KoWi-Party in der Gazelle hatten, meinte ich dann auch zu Leonard “da kannst du mitkommen” und dann hatten wir beide mega viel Spaß noch und er hat nochmal mehr Leute kennengelernt“. Sie findet, dass das ein angenehmerer Start ist, wenn man nicht komplett auf sich allein gestellt ist – auch Leonard ist zufrieden: „Definitiv hat’s geholfen, weil ich erstmal eine Unterkunft hatte und ich sonst halt extrem viel verpasst hätte“. Er hat auch das Gefühl, jetzt mehr Menschen zu kennen und auch Kontakte zu WGs geknüpft zu haben: „Aber nur zum Teil, denke das ist jetzt ein guter Ausgangspunkt – aber eine feste WG oder Wohnung habe ich noch nicht gefunden“. Abschließend bewertet er es durchaus positiv, ihm habe das sehr geholfen, auch dass man gut miteinander klargekommen ist und auch zusammen feiern gegangen ist. Wolkje hat mehrere Anfragen bekommen, sie meint: „Das hat mich tatsächlich gewundert, weil ich ein bisschen außerhalb wohne. Ich dachte mir, wow, da muss jemand echt in Not sein, wenn der sich bei mir meldet“.
Wir haben uns beim AStA beim zuständigen Referat für das Projekt erkundigt, wie von ihrer Seite aus das Projekt angenommen wird. Rosa, 19, studiert Politik und Recht und engagiert sich seit knapp einem halben Jahr bei der Studierendenvertretung. Gemeinsam mit Laurenz und Julie versucht sie die Wohnsituation für Studierende zu verbessern.
Der AStA hat dafür viele Projekte ins Leben gerufen, „Deine Couch für Erstis“ ist nur eines davon – besonders das Ersti-Camp stieß zu Semesterbeginn auf Interesse: „Die Wohnungsnot und die steigenden Mieten für WG-Zimmer und Apartments das gibt’s natürlich schon lange und betrifft alle Menschen hier in Münster auf verschiedene Art und Weise, aber besonders betrifft es eben Erstsemester die neu nach Münster kommen“. Deswegen stellte der AStA und die Universität Münster die Ballsporthalle des Hochschulsports zur Verfügung und organisierten ein Camp um Erstsemestern die Teilnahme an der O-Woche zu ermöglichen. „Wir erachten die O-Woche als total wichtig. Nicht nur weil man viele Einführungsveranstaltungen besucht, sondern auch weil man da die Freundschaften schließt die einen oft den Rest des Studiums begleiten. Das sollte niemand verpassen aufgrund des Mangels an Wohnraum in Münster“. Offiziell gibt es das Projekt durchgeführt vom AStA erst seit 2012, als die Abiturjahrgänge im Umstieg auf G8 zusammengelegt wurden und mehr Erstis als üblich in Münster ankamen. „Da haben der AStA und die Stadt sich zusammengesetzt und wir haben überlegt, wie man den Studierenden helfen könnte“. So entstand das Modell „Couch für Erstis“ – inoffiziell gab es solche Angebote aber schon seit den 70er Jahren. Das Projekt „Couch für Erstis” fände Anklang in allen Altersgruppen: Studierende bieten ihre leere WG-Couch an, aber auch Familien ihr Gästezimmer oder Senior*innen die alten Kinderzimmer. „Es ist zwar keine langfristige Möglichkeit, bietet aber einen ersten Anhaltspunkt, wenn man nach Münster kommt“, so Rosa.
„Mit der Werbung und der Kampagne haben wir sehr sehr viel mehr Aufmerksamkeit bekommen als die Jahre zuvor“. Auf der Wohnbörse wurden insgesamt 110 Angebote für „Deine Couch für Erstis“ eingestellt – weitaus mehr als in den Jahren zuvor, meint Rosa. Sie hat auch viele positive Rückmeldungen erhalten von Teilnehmenden des Projekts, bei vielen habe die Dynamik sehr harmonisiert.
Doch was sagt das Projekt zur Wohnlage in Münster aus? „Viele Probleme müssen angegriffen werden von oben, da sind unsere Möglichkeiten eher begrenzt. Wir tun was wir können, solche Angebote sind das beste Beispiel“. Trotzdem seien das nur Lösungen für wenige hunderte Studierende, das Grundproblem löse es nicht. „Wir wollen erreichen, dass es von Jahr zu Jahr mehr [Angebote] werden und mehr Erstis so eine erste Unterkunft bekommen. Wir hoffen aber natürlich auch auf größere Lösungen durch die Stadt und die Hochschulen“. Der AStA der Universität und der der FH selbst sitzen in einem Arbeitskreis für studentisches Wohnen. Hier beraten sie mit Akteuren der Stadt, des Studierendenwerks aber auch privaten Wohnheimen. Sie werden unter anderem aktiv, wenn Gebäude leer stehen, die für studentisches Wohnen genutzt werden könnten. Aktuell setzt sich der AStA vor allem für Mieterechte ein: „Viele Studierende wohnen zu prekären Bedingungen, zum Beispiel zu hohen Mieten oder allgemein schlechte oder unsicheren Wohnsituationen“. Wenn ihr euch dazu informieren wollt, lest gern die Broschüre des AStA zum Thema Mietrecht durch.
Das Projekt scheint zu laufen – Erstis und der AStA zeigen sich zufrieden. Den Mangel an Wohnraum wird es nicht lösen können, dafür fehlt es weiterhin an sozialem Wohnungsbau, Wohnheimplätzen und günstigen Bestandswohnungen, das betont auch der AStA. Doch es scheint vor allem beim richtigen Ankommen in Münster zu helfen: Als Ersti allein in der neuen Studi-Stadt trifft man so auf Kommiliton*innen, Münsteraner Familien und am Ende neue Freund*innen, die einem den Neuanfang erleichtern können.