Tom Hengst im Interview auf dem Frauenfeld 2023
Written by Jule Schulz on 29. Oktober 2023
Zuerst in der Underground-Rapszene unterwegs gewesen und 2019 mit der EP “Brustbeutel” sein offizielles Debüt gekrönt. Tom Hengst steht für Hamburg, harte Bässe und ganz viel Hip-Hop. Aber auch für Reflexion, Warmherzigkeit und Humor. All diese Facetten durften wir bei unserem Interview mit ihm auf dem Frauenfeld kennenlernen. Zwischen Dosengetränken und Kippen sprechen wir übers “sich selbst treu bleiben”, Dankbarkeit und der Entwicklung in der deutschen Rapszene.
Radio Q: Wir waren vorgestern auf deinem Konzert und da ist uns aufgefallen: Mosh ist ein Thema. Jetzt ist unsere Frage, was sich für dich besser anfühlt: Ein lauterer Applaus oder ein größerer Mosh?
Tom Hengst: Ein größerer Moshpit auf jeden Fall. Da fühlt man nochmal richtig, dass die Leute Lust darauf haben und alles geben.
Radio Q: Beschreibe mal das Gefühl, wie es jetzt war, auf dem Frauenfeld auftreten zu dürfen.
Tom Hengst: Ich war nicht übertrieben aufgeregter als sonst. Ich bin immer schon ein bisschen aufgeregt, aber auch erst so eine Stunde vorher. Vor dem Auftritt hier habe ich auf jeden Fall ordentlich Alkohol getrunken, damit es ein bisschen aushaltbarer war. Als Vorgruppe von Sido war ich am aufgeregtesten. Da waren 13000 Leute und die kannten mich nicht. Da war es am schlimmsten, deswegen war es hier eigentlich erträglich.
Radio Q: Für die Leute, die dich vielleicht noch nicht live gesehen haben oder deine Musik noch nicht so gut kennen: Wie würdest du sie selber beschreiben und in welchen Situationen hört man sie?
Tom Hengst: Ich glaube, ich habe Songs, die in jeder Situation stattfinden können. Da sind welche dabei, die etwas tiefer gehen, aber auch welche, die motivieren. Ich bekomme auch oft Nachrichten von Leuten, die im Fitnessstudio sind und dann meine Songs hören. Bei meinen Songs ist für fast jeden was dabei. Aber trotzdem ist das immer der Tommi H.-Sound und ich verstelle mich nicht, nur um irgendeiner Masse zu gefallen.
Bei meinen Songs ist für fast jeden was dabei. Aber trotzdem ist das immer der Tommi H.-Sound.
Tom Hengst
Radio Q: Seit deiner EP Brustbeutel, 2019, droppst du Sachen am laufenden Band. Du hast mal in einem Interview gesagt, dass du gleichzeitig sehr perfektionistisch bist. Wie passen diese beiden Dinge zusammen?
Tom Hengst: Also meistens ist es so, dass ich eher an einem Tag nur einen Song anfange und den dann weiter ausarbeite, anstatt an einem Tag oder einer Session drei Songs zu machen auf schnelle Welle. Ich fange selten Songs an, wo ich am Ende sage, die kann ich nicht gebrauchen. Schon zu Beginn der Entstehung eines Songs mache ich mir direkt Gedanken: Wie kann das aussehen, wie kann das werden, wie wird der Text, sobald ich den Beat höre? Da bin ich sehr wählerisch. Deswegen entsteht ein Song eigentlich selten an einem Tag so. Also ich glaube, ich habe auf meinem Handy vielleicht nur fünf oder sechs Songs, die nicht draußen, aber fertig sind.
Radio Q: Wenn wir da mal dazwischen grätschen dürfen: Ist das Standard in der Branche, dass in einer Session drei Songs komplett entstehen und produziert werden?
Tom Hengst: Ja, es gibt auf jeden Fall Künstler, die so sind, die sehr schnell schreiben und wo alles einfach schneller läuft. Aber davon wird dann vielleicht manchmal auch nur ein Song ausgewählt.
Radio Q: Auf Nichts Neues redet ihr davon, dass Rapper wie am Fließband produziert werden. Fließband klingt wie “drei Songs pro Session”. Glaubst du, das liegt an einem Mangel an Kreativität oder zu viel Druck von dem Management?
Tom Hengst: Nee. Ich glaube, dass in den seltensten Fällen zu viel Druck von oben ausgeübt wird. Ich denke eher, dass Leute einen Weg gefunden haben, als Künstler stattzufinden, ohne dass viel Kreativität genutzt werden muss, um Songs entstehen zu lassen. Manche Künstler können einfach mit wenig Worten und mit wenig Kreativität trotzdem gute Musik abliefern – für manche ist es gute, für andere schlechte Musik. Aber ich glaube, das ist gerade die Zeit. Leute hören nicht mehr richtig hin; Songs gehen nur noch eine Minute fünfzig und nicht mehr drei Minuten oder länger. Da sind eher der Beat und die Melodie im Vordergrund als der Text, würde ich sagen.
Leute hören nicht mehr richtig hin […]. Da sind eher der Beat und die Melodie im Vordergrund als der Text […].
Tom Hengst
Radio Q: Merkst du auch in deiner eigenen Arbeit, dass dich das irgendwie beeinflusst? Oder kannst du dich da völlig frei machen?
Tom Hengst: Auf jeden Fall beeinflusst mich das auch! Ich sehe ja, dass andere Rapper-Kollegen mit Songs auf die eins oder zwei gehen, bei denen ich mir selber sage: Ok, das hätte ich nicht gedacht. Aber ich gönne ihnen den Erfolg und es freut mich auch. Aber dadurch hinterfrage ich meine eigene Musik und Kunst. Dann sitze ich schon mal im Studio und denke: Jetzt mache ich vielleicht mal einen Song, in dem nicht jeder Reim komplett sitzen muss. Wobei das ja gerade meine Fans so lieben; dass alles so clean ist, dass alles passt, was ich sage. Aber ich glaube, dass ich da einen guten Mittelweg gefunden habe.
Radio Q: Da muss ich aber mal einen Appell an die deutsche Rapszene aussprechen: Es sollte wieder mehr auf die Texte geachtet werden! O.G. Keemo, mit dem du bereits zusammengearbeitet hast, hat letztes Jahr mit seinem Album Mann beißt Hund durch seine Beats, aber vor allem durch seine Texte zurecht komplett überzeugt. Was bringen einem “5 minutes of fame” auf Social Media, weil der Beat gut ist, aber ein Jahr später erinnert sich da auch niemand mehr dran?
Tom Hengst: Ja, voll. Das ist jetzt aber auch das perfekte Beispiel dafür, denn Keemo ist in einer Position, die sehr selten ist. Er ist ein begnadeter Künstler, einer meiner Lieblingsrapper und über die Zeit ein guter Freund geworden. Das macht mich glücklich, wenn ich sehe, dass Fans dieses Album so richtig auseinandernehmen und alle Texte richtig durchgehen. Aber das passiert in den seltensten Fällen leider so.
Radio Q: Einmal kurz zurück zum Thema Frauenfeld! Vorher warst du viel in Hamburgs Underground unterwegs. Wann war damals für dich der Punkt, an dem du gemerkt hast: Shit es geht los, ich bin kein Untergrund mehr. Wie hat sich das angefühlt?
Tom Hengst: Ich bin immer noch in dem Prozess, würde ich sagen. Also ich habe das Gefühl, dass auf der einen Seite Leute noch nicht genug Respekt auf meine Musik und auf meinen Namen packen; dass man immer noch kämpfen muss für jede Kleinigkeit am Ende des Tages. Aber gleichzeitig wollen Leute Fotos mit mir machen, wenn ich in Hamburg einkaufen gehe. Ich habe das Gefühl, wenn man so einen deutschlandweit bekannten Hit gemacht hat, kommt nochmal so ein Switch, an dem man merkt, dass man immer mehr da ankommt, wo man hinwollte. Und ich bin momentan noch auf diesem Weg oder in dieser Phase. Aber wenn du jetzt so fragst, reflektiere ich das natürlich nochmal und denke auch gerade: Krass, vor zwei Jahren habe ich noch für 200 Euro in irgendeinem Hamburger Keller gespielt, was auch geil war. Aber jetzt sind es einfach 2 000 Leute auf dem Frauenfeld! Dafür bin ich extrem dankbar.
Radio Q: Passend dazu: Du rappst auf dem Track Radioaktiv “Ich will alles oder nichts, habe nicht mehr vieles zu verlieren”. Würdest du dem noch zustimmen?
Tom Hengst: Das habe ich nicht gerappt, sondern Buddha. Das würde ich persönlich so nicht sagen. Aber ich verstehe, warum er das sagt. Wenn man alles auf eine Karte setzt und denkt, das muss jetzt mit der Musik funktionieren, dann hat man schon dieses Gefühl von “jetzt ganz oder gar nicht”. Und dieses Gefühl habe ich auch; ich glaube, das hat jeder Musiker, der jetzt noch nicht die Millionen auf dem Konto hat. Dann ist es einfach ein Hustle. Ich rappe ja auch über Sachen, die ich will: von Autos, von Geld, davon, dass meine Freunde gut leben können und dass wir alle einfach eine schöne Zeit haben können. Dafür ist man dann auch bereit, ein Risiko einzugehen.
Radio Q: Was ist jetzt an deinem Punkt deiner Karriere möglich, was früher unvorstellbar war?
Tom Hengst: Dass ich davon leben kann und nicht mehr arbeiten muss. Das ist ein Punkt, den ich mir immer wieder vor Augen halte. Jeden Morgen wenn ich aufwache, ganz egal wie stressig das gerade alles ist – und selbstständig in der Musik sein, kann sehr anstrengend und stressig werden. Wenn ich morgens aufwache und weiß, ich habe jetzt keine Chefin, die mir sagt, bitte sei um acht Uhr da und da. Dann ist es okay, wenn ich jetzt noch nicht ultra viel Geld auf dem Konto habe, weil ich weiß, ich muss mich nicht nach Leuten richten. Ich kann das für mich selber planen. Das ist das, was ich seit ein paar Monaten erreicht habe. Und das ist das schönste Gefühl. Dafür nehme ich noch so viel Stress auf mich und arbeite noch härter daran, dass es für immer so ist. Aber natürlich haben sich auch die Auftritte verändert. Frauenfeld und Splash. Da zu spielen, wo mich Leute als Künstler wahrnehmen. Aber das muss ich auch erst checken, weil am Ende des Tages bin ich ja immer noch Tommi. Und ich glaube, ich werde es nie – egal wie berühmt ich bin – komplett trennen können. Tom Hengst und Tom “Privat”. Deswegen bleibe ich ich.
Das ist das schönste Gefühl. Dafür nehme ich noch so viel Stress auf mich und arbeite noch härter daran, dass es für immer so ist.
Tom Hengst
Radio Q: Wie viel ist denn von Tom Hengst, den wir auf der Bühne sehen, eine Kunstfigur?
Tom Hengst: Ich bin zu 100 Prozent pur da. Das, was ihr seht, das bin ich. Also wenn ich freche Sprüche da auf der Bühne sage, dann bin ich auch so zu Kollegen. Das bin ich. Auch alles, worüber ich rappe. Das ist das, was ich gesehen oder erlebt habe oder was ich bei Freunden gesehen habe. Aber es sind immer Geschichten, die so existieren.
Radio Q: Wenn du du bist, noch eine persönliche Frage: Was ist dein Lieblingsfilm mit Tom Hanks?
Tom Hengst: Catch me if you can auf jeden Fall.