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DJ Alma Linda im Interview auf dem Appletree

Geschrieben von am 15. August 2023

Nach drei Tagen Appletree Garden Festival vom 3.-5. August 2023 gibt es am letzten Tag kurz vor Mitternacht ein kleines Highlight für Radio Q: Catalina Lopez aka Alma Linda nimmt sich vor ihrem Auftritt Zeit für ein Interview mit uns! Dieses führten Alessa Voelskow und Mel Kinkel.

Q: Cool, dass es zeitlich geklappt hat Alma! Magst du nach dem ganzen DBakel mit der Bahn einmal kurz erklären, wo du gerade herkommst?

Alma Linda: Genau, ich komme gerade vom Garbicz Festival. Das ist ein Festival, das in Polen stattfindet. Eigentlich ist es von einem vorwiegend deutschen Produktionsteam, das sich da so ein kleines Stück Land gekauft haben und jetzt zehnjähriges Bestehen gefeiert haben.

Q: Und hier auf dem Appletree Garden Festival trittst du jetzt sozusagen als krönender Abschluss kurz vor Mitternacht auf. Magst Du schon mal verraten, was uns da erwartet? Vor allem, wie du dich immer auf solche Auftritte vorbereitest?

Alma Linda: Ja, erstmal ist es total irre, dass ich wiederkommen darf und dass ich dann auch noch diesen Perlen Gig habe. Und ja, wie ich mich vorbereite: Es kommt so ein bisschen darauf an. Bei diesem Jahr auf der Fusion zum Beispiel oder jetzt auch auf dem Garbicz habe ich mich an bestimmten Themen abgearbeitet und hab’ dann für mich, weil ich was ganz Konkretes verarbeiten möchte, aufs narrative gesetzt. Aufgabe war da zum Beispiel, dass es in Polen einerseits so ist, dass es Orte gibt, an denen gleichgeschlechtliche Liebe nicht gelebt werden darf und sogar strafrechtlich verfolgt wird. Deswegen war es mir wichtig einen Freund, mit dem ich gerne performe, mit auf die Bühne zu holen. Und wir haben dann quasi so eine Dramaturgie entwickelt, in die wir Liebe, freie Liebe, in einen politischen Kontext gesetzt haben. Wir haben auch Texte geschrieben, was natürlich nochmal ein anderer Aufwand ist. Ich habe auch vorwiegend nach ganz viel polnischer Musik gesucht, weil es halt eben ein Festival mit einem sehr hohen deutschen Anteil war und es mir wichtig war, auch meine Haltung dazu auszudrücken. Und jetzt fürs Appletree Garden ist es eher so ein intuitives spielen, ich suche jeden Tag nach neuer Musik. Hier war ich ja schon mal und es ist ein ganz besonderes Festival, ich fühle mich hier irgendwie wie Zuhause. Und ich kenne ja die ganzen Songtexte und was die Musik aussagt und in welchen kulturellen Kontexten diese veröffentlicht wurden. Ich reagiere dann auf die Situation in der ich spiele, auf die Menschen, die ich sehe, wie sie tanzen und spinne dann daraus eine Geschichte.

Ich reagiere dann auf die Situation in der ich spiele, auf die Menschen, die ich sehe, wie sie tanzen und spinne dann daraus eine Geschichte.

Q: Also wird es wahrscheinlich es irgendwas zum Thema Regen geben…? Wir sind nämlich gerade ziemlich nass geworden, gewittert hat es auch. Können wir da vielleicht bei deinem Auftritt ein bisschen Regenprasseln erwarten? (lacht)

Alma Linda: Ich weiß nicht. Ich habe tatsächlich drüber nachgedacht, mit einem Regen-Sample anzufangen und dachte aber dann, die Leute haben schon so viel Original Regen gehört. Das ist vielleicht nicht das, was wir noch zusätzlich brauchen. Vor Kurzem ist ein guter Freund von mir gestorben, der auch Musiker und Produzent war und hat mit seinem Tun, in seinem Schaffen unglaublich viele Herzen bewegt. Ich habe mir für heute vorgenommen, von ihm zu spielen und ich kann mir gut vorstellen, dass das mich in irgendeiner Art und Weise während des Auftritts in meinem Herzen begleiten wird.

Q: Du hast gerade eben schon gesagt, dass du für das Festival in Polen in deiner Musik polnische Einflüsse hattest. Du selbst bist geboren in Chile, aufgewachsen in Frankreich, England, Italien und Deutschland. Wie sehr beeinflusst dich und vor allem deine Musik diese Vielzahl an Kulturen?

Alma Linda: Also was du zum Beispiel nicht mit aufgezählt hast, ist, dass mein Papa Russe war, also eigentlich bin ich halb Russin halb Chilenin. Und für mich ist Heimat ein total abstrakter Begriff, weil ich immer als Fremde wahrgenommen wurde, egal wo ich war. Und zudem auch immer als Paradiesvogel und praktischerweise ein schüchterner Paradiesvogel, der gar nicht so viel Aufmerksamkeit haben möchte. Je nach Stadtgröße ist das schwierig und insofern war Musik immer mein erstes Zuhause.Und ich kann das nicht genau erklären, aber es gibt Klänge, die mich zu Hause fühlen lassen. Es gibt natürlich auch Texte, die mich zu Hause fühlen lassen und es macht mir Spaß, meine Weltreise musikalisch mit den Leuten zu teilen und mich inspirieren zu lassen und diese Inspiration auch weiterzugeben.

Q: Dein Künstlername Alma Linda ist, um noch mal eine Kultur mit hinzuzufügen, portugiesisch und bedeutet so viel wie ‘Schöne Seele’. Was genau verbindest du mit diesem Namen und warum hast du ihn gewählt als Künstlernamen?

Alma Linda: Spanisch ist der Name auch, also er funktioniert auf beiden Sprachen. Alma Linda heißt schöne Seele. Das hat viel damit zu tun, dass ich, in Südamerika nochmal intensiver, aber ich glaube, überall auf der Welt mit einem sehr rigiden Schönheitskonzepte aufgewachsen bin. Also das heißt: mit einer sehr konkreten Vorstellung, wie ich als Frau aussehen muss, um liebenswert zu sein. Ich habe früh gedacht meine erste Diät machen und mich schminken zu müssen. Aussehen war immer so ein großes, großes Thema und ich hatte nie ein gutes Körpergefühl oder ein Gefühl für Schönheit, die auf mich abfärbt. Und Schönheit war für mich immer so ein unerreichbarer Begriff. Als es im Raum stand, dass ich auflegen könnte, fand ich die Vorstellung so schwierig, auf die Bühne zu treten und mich Menschen sehen, weil ich einfach nicht so eine Rampensau bin. Die Vorstellung, dass mich Menschen sehen und bewerten aufgrund meines Äußeren, was ja irgendwie so eine Geschichte ist, die sich durch mein Leben zieht, finde ich anspruchsvoll. Deshalb wollte ich diesen Namen wählen oder habe diesen Namen gewählt, weil es an eine andere Form von Schönheit erinnert, appelliert, dass man diese nicht im Äußeren sucht, sondern im Inneren und es spiegelt auch so ein bisschen mein Weltbild wider. Weil ich glaube, dass jeder Mensch im Kern etwas Schönes hat und das auch ein kollektiver Name ist. Weil wir alle im Inneren, in der Seele schön sind, und weil ich mich in der Schönheit der Musik irgendwie aufblühen kann. Darin liegt Schönheit für mich und das möchte ich teilen.

Schönheit war für mich immer so ein unerreichbarer Begriff.

Q: Jetzt sitzt du hier vor mir mit einem total tollen, abgestimmten Outfit. Also dein Mantel ist echt mega, das Make-Up past auch dazu. Ich habe auch schon öfter gehört, dass deine Musik einfach auch total bunt ist. Würdest du sagen, dass dein Äußeres und deine Musik jetzt mittlerweile nach sieben Jahren auflegen so eine Wechselwirkung zueinander haben?

Alma Linda: Das ist eine ganz spannende Frage. Ja, wahrscheinlich schon. Also es ist jetzt nicht so ein bewusster Vorgang, darüber habe ich auch noch nicht nachgedacht. Aber ich glaube ja! Zum Beispiel liebe ich so Secondhand-Sachen. Also ich überlege mir schon, wie die Wertschöpfungsketten dessen sind. Was ich benutze oder nach außen trage, ist bei der Musik ähnlich. Ich versuche auch zum Beispiel, wenn ich Musik kaufe, über Bandcamp zu kaufen, wo die Künstler:innen halt einfach mehr bekommen als über andere Firmen oder Plattformen. Auch bei den Klamotten ist mir Repräsentation wichtig. Ich war ja mal ein Gothik-Mädchen und hab eine zeitlang nur schwarz getragen, um diesen Außenseiter-Status irgendwie umzukehren. Nun bin ich in der in der Farbenpracht angekommen und fühle mich auf jeden Fall wohl damit und mag es auch, auf der Tanzfläche so zu sein.

Q: Wir hatten schon kurz darüber gesprochen, dass du vor sieben Jahren ungefähr in die Clubszene eingestiegen bist. Ein Auslöser dafür war dein Umzug nach Berlin. Magst du einen kurzen Abriss geben über deinen musikalischen Werdegang, wie es dann nach dem Umzug weiterging?

Alma Linda: In der Schiene war ich vorher schon verhaftet. Clubs waren also die heiligen Hallen, in denen ich mich zu Hause gefühlt habe, habe aber wie gesagt nie gedacht, dass ich selber auflegen könnte. Und als ich angefangen habe aufzulegen, war es ein sehr intimer Moment, der aus einigen Tragödien her entstanden ist, weil es halt einige Sachen in meinem Leben gab, die passiert sind. Ich habe dann eher zufällig oder schicksalhaft, je nachdem, woran man glaubt, dann angefangen, Musik zu machen beziehungsweise aufzulegen. Ich habe angefangen, Veranstaltung zu organisieren, auch um Newcomer:innen, wie ich früher eine war, zu fördern. Ich selbst habe angefangen, in unterschiedlichen Clubs zu spielen, habe dort als Bookerin gearbeitet. Es ist tatsächlich nach wie vor so, dass Menschen, die weiblich gelesen werden, eben so einen marginalisierten Kontext haben und häufig nicht ernst genommen werden. Sie sind ja immer noch Menschen, die sexualisiert werden aufgrund von ihrem Äußeren. Als sexualisierte Objekte werden sie auch nicht unbedingt als Künstlerin per se ernstgenommen, sondern sind eigentlich nur da, um sich selbst zu verkaufen. Das ist in der Clubszene vielleicht nicht eins zu eins so offensichtlich, aber an manchen Stellen fällt es dann doch immer wieder auf, dass es in kommerzialisierten Kontexten schon eine Anforderung gibt an ein Äußeres. Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die gesagt bekommen hat, sie dürfe während ihrer Auftritte keine engen oder aufreizende Klamotten anziehen, weil sie sonst als Frau nicht ernst genommen werden würde. Ich habe sie irgendwann mal gefragt, warum sie immer so schwarze Sachen zum Auflegen trägt, wo sie normalerweise als Privatperson sich ganz anders anzieht. Sie meinte halt eben, dass ihr der Rat gegeben wurde von einem sehr, sehr namhaften und einflussreichen Veranstalter unserer Szene. Ich glaube auch, dass es viel damit zu tun hat, dass sehr wenig Frauen oder sehr wenig Vielfältigkeit in Machtpositionen in der Clubkultur wiederzufinden sind. In Berlin ist es nochmal etwas anderes, aber generell sind die meisten Booker männlich, die meisten Clubs sind in männlicher Hand und auch wenn ich mit großer Freude feststelle, wie viel sich da in den letzten Jahren getan hat. Aber man muss gleichzeitig sagen, man kommt im Moment fast nur noch bis zu einer gewissen Stelle, weil sich die Strukturen gerade erst ändern und gleichzeitig würde ich sagen, dass ich das aus meiner Warte aus schon sehr krass geändert hat in den letzten Jahren. Weil vor zehn Jahren hätte ich nicht ansatzweise so viele Frauen oder so viel Diversität auf dem Line-Up gesehen und ja jetzt so in einer intersektionalen Perspektive. Es ist voll wichtig, weil es halt nicht nur um Frauen geht. Also es geht nicht um dieses binäre System, sondern es geht um Vielfalt generell, die gezeigt werden muss. Da haben wir noch ein großes Stück hin zu gehen, weil häufig so diese Debatte sich um Mann, Frau spinnt und das ganze Spektrum an Gender gar nicht unbedingt einfließt. Das ist der nächste Schritt, aber ja, das schaffen wir schon.

Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die gesagt bekommen hat, sie dürfe während ihrer Auftritte keine engen oder aufreizende Klamotten anziehen, weil sie sonst als Frau nicht ernst genommen werden würde.

Q: Als Maßnahme dagegen sozusagen gibt es ja Veranstaltungen, wo dann nur Frauen bzw. weiblich gelesen Personen gebucht werden. Da gibt’s sehr viele Pro und Kontras. Was hältst du von solchen ‘Women only’ Veranstaltungen?

Alma Linda: Ja, es ist wie jede Sache differenziert zu betrachten finde ich. Ich finde an sich den Ansatz gut und spannend und wichtig, wenn Menschen sich damit auseinandersetzen und will auch diesen Eifer der Veränderung applaudieren. Aber gleichzeitig, wenn ich jetzt an meine Erfahrungswerte denke, ist es häufig so: Ich bin zum Beispiel mal nach Frankreich gebucht worden und in einem Line Up von 46 Menschen waren drei davon Frauen.

Nur habe ich schon ein Problem damit, dass Frauen in so einem Kontext auf Körper reduziert werden und Männer auf Können. Ich glaube, dass dieses Paradigma aufgebrochen werden muss.

Es gab eine female Stage und das kleine Festival ging am Freitag los um 14 Uhr und ging bis zum nächsten Samstag um 14 Uhr. Diese female Stage war genau sechs Stunden auf, von Freitag 14 Uhr bis Freitag 20 Uhr, wo aufgrund des pariser Verkehrs einfach keine Sau auf dem Festival war. Und wenn man sowas aber dann labelt, als wir haben eine Frauenstage, dann finde ich, torpediert man etwas, was eigentlich vielleicht gut gemeint ist, aber dann eher kommerzialisiert wird, um etwas auf dem Plakat stehen zu haben, was aber keinerlei Konsequenzen hat. Und dem gegenüber bin ich kritisch. Ich finde es auch kritisch, wenn ich manchmal für female Sachen gebucht werde und tue mir schwer damit, Werbung zu teilen, die in diesem Kontext produziert wird. Wenn barbusige Frauen sich lasziv räkeln und das die Art und Weise, wie Menschen angesprochen werden, hey sexy DJ is coming! Ich bin total für sexuelles Empowerment, und ich find’s toll, wenn Menschen sich sexy fühlen, von mir aus gerne alle. Nur habe ich schon ein Problem damit, dass Frauen in so einem Kontext auf Körper reduziert werden und Männer auf Können. Ich glaube, dass dieses Paradigma aufgebrochen werden muss.

Q: Danke für deine starken Worte! Ich würde jetzt ein bisschen dazu übergehen, dir eher private Sachen zu fragen, wenn das Okay ist. Dafür habe ich ein paar entweder -oder – Fragen rausgeschrieben. Das heißt, du musst dich entscheiden und darfst es aber natürlich auch gerne erklären. Frage Nummer eins: Welche physischen Musikträger sind dir lieber? Entweder CDs, Schallplatten oder Kassetten?

Alma Linda: Ich bin mit Kassetten aufgewachsen, aber ich liebe auch Schallplatten. Ich habe auch einen Schallplattenspieler. Tatsächlich lege ich nicht damit auf, aber ich habe so einen Sessel Zuhause und ich lege mir immer gerne meine Platte auf und liebe den Moment, wo es ein bisschen knistert. Und auch diese Entschleunigung, weil man eine Platte ja umdrehen muss ist ein ganz anderes Hörerlebnis für mich. Ich habe als Erstes sofort Kassette gesagt, weil ich damit aufgewachsen bin. Meine ersten Mixtapes, die ich gemacht habe, die waren auf Kassette und weil wir auch als Kinder so viel umgezogen sind, haben wir nicht die ganzen Schallplatten mitgenommen, sondern halt so Kassettenkoffer, die meine Mutter dabei hatte und das war schon meine Kindheit.

Q: Wenn du dich entscheiden müsstest, wo würdest Du eher hingehen: Auf eine Demo für Frauenrechte oder auf einen CSD?

Alma Linda: Ich würde wahrscheinlich eher auf den CSD gehen. Weil ich meine, ich würde mir wünschen, dass dieses binäre denken und alle Vorteile, die ein nonbinäres Denken mit sich bringt, irgendwie in der Gesamtgesellschaft ankommt. Also, dieses Mann-Frau-Konzept ist für so viele Menschen so unterdrückend und ich will eine Freiheit für alle. Vor allem für die Menschen, die es am Schwersten haben in unserer Gesellschaft und das sind heutzutage Menschen mit Migrationshintergrund aus nicht so privilegierten Teilen der Erde oder Transmenschen. Wenn man jetzt einfach mal die Gewaltraten sich anschaut, wenn es genau den Menschen einfach gut geht, wenn sie ein sicheres und großartiges Surrounding haben, um in Freude leben zu können, dann ist es der beste Indikator, dass es dann allen anderen auch einfach nur richtig gut geht, insofern CSD.

Q: Wo trittst Du lieber auf? Auf einem Festival oder in einem Club?

Alma Linda: Beides! Ich kann mir mein Leben nicht vorstellen, ohne sonntags nachmittags barfuß am Strand auf Festivals zu tanzen. Auch mein Gesicht in die Sonne zu halten und mich zu Klängen verzückt hin und her zu schmeißen. Clubs haben auch was für sich. Ihr kennt mich gut. Ich würde jetzt erstmal sagen, Festival, weil ich ein Sommermädchen bin. Schwierige Fragen.

Q: Dann wollen wir dich gar nicht weiter vom Genießen des Festivals abhalten. Danke, dass Du Zeit für uns hattest!


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