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Interview mit Daveed Diggs von clipping.

Geschrieben von am 6. November 2020

Daveed Diggs ist als Künstler ein Tausendsassa – er spielt nicht nur tragende Rollen im prämierten Musical “Hamilton” oder der Serie “Snowpiercer”, sondern erzählt auch als Rapper der experimentellen Hip-Hop Gruppe clipping. Horrorgeschichten bei denen es einem kalt den Rücken herunterläuft. Ihr neuestes Album “Visions of Bodies Being Burned” besitzt einen fesselnden Hörspielcharakter zwischen Diggs aufreibendem Storytelling und den schaurigen Geräuschkulissen der Musikingenieure William Hutson und Jonathan Snipes. Dabei bleibt die Politik nicht außen vor – clipping. machen sich seit ihrer Gründung antirassistisch stark und problematisieren die Repressionen gegen BIPOC in den USA. In ihrem Song “Chapter 319” aus dem Frühjahr diesen Jahres thematisiert das Trio die Ermordung George Floyds, Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Da gibt es doch kaum einen passenderen Tag als den der US-Wahl um mit Daveed via Zoom ins Gespräch zu kommen.

Daveed, wir treffen uns heute an einem besonderen Tag, denn die US-Wahlen stehen an. Mit welchem Gefühl beobachtest du das Wahlgeschehen?

Ich versuche mich möglichst lange nicht mit den Ergebnissen beschäftigen zu müssen. Das ist eine echt stressige Situation. Ich habe schon vor Wochen via Briefwahl gewählt und animiere alle paar Stunden über Social Media die Leute dazu wählen zu gehen. Trotzdem werde ich jetzt erstmal ein wenig Sportfernsehen schauen und versuchen abzuschalten. Ich gehe echt nicht davon aus, dass heute schon ein Sieger verkündet wird – das würde mich doch sehr überraschen.

Eines der größten Themen im US-Wahlkampf war nachvollziehbarerweise die COVID-19 Pandemie. Durch die Pandemie müssen viele kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Kunstausstellungen, Raves oder Theateraufführungen ausfallen. Das sind alles Bereiche in denen Subversion geschaffen werden kann. Hast du manchmal die Befürchtung, dass die Menschen durch die COVID-Zeit abstumpfen könnten und apolitisch werden?

Den Virus können wir schon irgendwie besiegen. Allerdings müssen wir aktuell auf urmenschliche Dinge wie das Zusammenkommen um zu feiern oder zu protestieren verzichten –  beim Protestieren müssen wir auf jeden Fall trotzdem weitermachen und schauen wie wir uns unter den Umständen organisieren können und sicher bleiben. Die Black Lives Matter Proteste nach der Ermordung George Floyds haben uns gezeigt wie so ein Protest aussehen kann! Gerade in New York und Los Angeles wurde versucht unter den gegebenen Umständen noch auf Covid-Schutzmaßnahmen zu achten. Generell waren die Demonstrierenden untereinander sehr rücksichtsvoll. Wegen diesem Verhalten lässt sich auch keine Covid-Welle auf diese Proteste zurückführen und die Leute haben trotzdem von ihrem Recht zu demonstrieren Gebrauch gemacht.

Aber klar die Rave Szene ist gerade schlecht dran, genauso wie wir, da wir ja aktuell nicht touren können. Das vermisse ich echt und mache mir Sorgen wie das weitergeht…

Beim Protestieren müssen wir trotz Covid weitermachen und schauen wie wir uns unter den Umständen organisieren können und sicher bleiben.

Wenn ihr schon nicht touren könnt, wie geht ihr denn dann mit der Corona-Zeit um? In Deutschland geben Artists beispielsweise Konzerte in Autokinos oder geben Online-Konzerte…

Klar haben wir Ideen, die aber leider sehr arbeitsintensiv sind. Wir sind allerdings alle gerade sehr beschäftigt. Denn durch die Corona Situation mussten auch wir schauen, wie wir ohne Tour anderweitig Geld verdienen können. Jonathan hat einige Filmmusik komponiert und ich arbeite aktuell viel an Fernsehproduktionen mit. Außerdem sind wir über das ganze Land verteilt. Jetzt wird vielen Musiker:innen erst richtig bewusst, was es bedeutet eine Show zu spielen. Es ist sehr spannend zu sehen wie jetzt alle Menschen im Musikbusiness gezwungen sind kreativ zu werden…

Du sprichst jetzt schon an, dass ihr alle gerade im Arbeitsstress seid. Wie bekommt ihr es denn generell hin, dass ihr neben euren Jobs als Schauspieler oder Filmkomponisten noch Musik rausbringt?

Ja diese ganzen Jobs sind kräftezehrend, da ist es oft schwer eine gute Balance zu finden. Wir verdienen definitiv alle mehr Geld mit Jobs außerhalb von clipping. Außerdem halten wir uns den Großteil der Zeit an den Orten auf, an denen wir unser Haupteinkommen machen. Trotzdem liegt uns clipping. sehr stark am Herzen! Deswegen ist es uns allen wichtig sich Zeit für das Projekt zu nehmen, auch wenn das mitunter schwierig wird. Aber diese ganze Erschöpfung ist der Preis den wir dafür zahlen uns einfach mal frei und kreativ austoben zu können. Ich weiß auch nicht wie lange ich diese ganzen unterschiedlichen Projekte noch durchhalte – vielleicht ziehe ich mich auch irgendwann zurück und schreibe nur noch clipping. Songs. Aktuell komme ich aber noch damit klar.

v.l.n.r.: Daveed Diggs, Jonathan Snipes, William Hutson (Photo credit: Damien Maloney)

Ein Großteil deiner Zeit ist sicherlich für das Hip-Hop und RnB Musical “Hamilton” draufgegangen. Das Musical hat sowohl einen Pulitzer Preis als auch einen Grammy gewonnen und erfreut sich vor allem bei jüngerem Theaterpublikum großer Beliebtheit. Wie reagieren denn die Fans von Hamilton darauf, wenn sie auf das – ja doch sehr spezielle – clipping. stoßen? Wie ist deren Feedback?

Die erste Tour nach Hamilton war wild. Die Zusammensetzung des Publikums hat sich komplett geändert und wir haben in größeren Locations gespielt. Die Musicalfans mögen unsere Musik mehr als ich dachte. Viele Kids die uns über Hamilton entdeckt haben sind heute unsere treuesten Fans. Sie schreien alle unsere Texte mit und manche lassen sich die Lyrics sogar tätowieren. Ich wusste vorher nicht, dass die Musical Kids so ticken aber was weiß ich schon? (lacht)

Aber die Schauspielerei beeinflusst sicherlich auch deine Musik, die klingt schließlich selbst oftmals sehr filmisch…

Wir drei haben schließlich auch allesamt Abschlüsse im Theaterbereich und ich tatsächlich noch den Kleinsten von allen…(lacht) Will(iam Hutson Anm. d Red) besitzt sogar einen Ph.D. in Performance Studies. Wir alle mögen das Theater, Filmsounddesign und Filmmusik. Das kommt dann alles zusammen wenn wir Musik machen. Im Gegensatz zu den Anderen habe ich erst gerappt bevor ich ins Film- und Theatergeschäft kam. Ich gehe ans Rappen allerdings auf dieselbe Weise heran wie ans Schauspiel: Es geht immer um Storytelling, Kräfteeinteilung und darum den Rhythmus einer Szene zu verstehen. Beides greift also ineinander.

Sehr ausgefallen wird eure Musik vor allem auf eurem Live Album, das zum diesjährigen Record Store Day in die Läden kam. Auf dem Album präsentiert ihr eure Tourauftritte aus verschiedenen Perspektiven, indem ihr Mikrofone in den Toiletten und auf den Plätzen vor den Konzertlocations anbringt oder sie den Roadies mitgebt. Vom Konzert hören wir daher oft nur ein wenig Bass oder vereinzelte Schreie. Wie kamt ihr auf die Idee der Mischung von Live Album und Field Recordings?

Dafür haben wir mit Christopher Fleeger zusammengearbeitet, einem unglaublichen Soundkünstler. Jonathan und Will haben aus ihrer Arbeit als Sounddesigner eine riesige Bibliothek an Field Recordings. Doch sollten selbst die beiden mal einen Sound nicht haben, dann wenden wir uns an Christopher. Durch seine ganzen Ausflüge für die musikalische Begleitung von Dokumentationen oder Filmprojekten besitzt er viele brillante Soundaufnahmen. Wir haben ihn dann auf unsere Tour mitgenommen, bei der wir im Vorprogramm der Flaming Lips aufgetreten sind. Bei jeder Show hat er, während wir am soundchecken waren, das gesamte Gebäude mit Mikrofonen ausgestattet und er wusste immer genau wo er coole Sounds herbekommt. Ich liebe das Album, weil es dokumentarisch zeigt was wirklich an den Orten passiert an denen wir auftreten und was die Fans währenddessen treiben. Ich werde beim Hören des Albums selber zum Fan – ich musste schließlich auch nur die Songs runterspielen und um das Zusammenbasteln haben sich dann Christopher und Will gekümmert.

Das gab es auf diese Weise wahrscheinlich echt noch nie…

Mich wundert es auch, dass darauf noch niemand gekommen ist… Will kam plötzlich auf uns zu und meinte: “Stellt euch mal vor wir packen die Mikrofone für die Liveaufnahme einfach weg von der Bühne!”. So zeigt das Album wie es sich wirklich anfühlt als Fan auf einem Konzert zu sein.

Stellt euch mal vor wir packen die Mikrofone für die Liveaufnahme einfach weg von der Bühne!

Eure Alben verfolgen verschiedene Konzepte “Splendor & Misery” von 2016 ist ein afro-futuristisches Album, “There Existed an Addiction to Blood” aus dem letzten Jahr und euer neues Album “Visions of Bodies Being Burned” sind hingegen dem Horrorcore Genre zuzuordnen. Habt ihr bereits Visionen für weitere Konzeptalben?

Wir haben immer mal wieder Ideen aber jetzt nichts Konkretes… Tatsächlich haben wir auch noch ein paar konzeptuelle Song rumliegen, die wir vielleicht irgendwann als EP rausbringen. Ich will wieder ein wenig mehr rumspielen. Wir denken zwar sehr viel in Konzepten, trotzdem würde ich mich freuen mal wieder ein Album herauszubringen, das mehr in die Richtung von “CLPPNG” geht, wo wir einfach Songs aneinandergereiht haben, die alle ihr eigenes Konzept verfolgen.

Die Songs auf “Visions of Bodies Being Burned” wirken irgendwie atmosphärischer und aufwühlender als die auf “There Existed an Addiction to Blood”….

Dabei sind die Songs alle aus denselben Aufnahmesessions hervorgegangen… Wir hatten so viel Material aus diesen Sessions, dass unser Label Sub Pop uns dazu angehalten hat die Songs auf zwei Alben aufzusplitten und “Visions of Bodies Being Burned” dann erneut zu Halloween herauszubringen. Irgendwie kriegen wir oft das Feedback, dass die Songs des neuen Albums gruseliger sind als auf dem Vorgänger – das ist cool, ich meine ich habe nichts dagegen… (lacht)

Eines der Highlights auf “Visions of Bodies Being Burned” ist “Looking Like Meat” mit der Horrorcore Formation Ho99o9. Ihr passt musikalisch super zueinander. Wie kam diese Kollaboration zustande?

Wir hatten bereits verschiedene Versionen des Songs geschrieben, aber ich wollte nur die Hooks rappen. Wir wollten allerdings insgesamt drei Rapper zusammenbekommen. Da wir mit Ho99o9 zusammen auf Tour gehen wollten, haben wir untereinander Tracks ausgetauscht und haben sie auch für diese Nummer gewinnen können. Wir sind alle Fans von Ho99o9, deswegen hat es uns besonders gefreut und mit den beiden kann man echt gut zusammenarbeiten.

Mit Acts wie Ho99o9, clipping. oder Death Grips gibt es seit ein paar Jahren eine Welle expliziter, von Horror und Wut angetriebener Rap Musik die auch mit Noise Elementen spielt. Wie kannst du es dir erklären, dass solch nischige Musik aktuell so einen kleinen Hype erfährt?

Rap Artists müssen heute nicht mehr nur dem 90er Jahre Hip-Hop Klischee entsprechen. Es gibt ein breiteres Verständnis dafür wer heute Rapper:in ist. Daher können wir diverse Einflüsse in die Musik einbringen. Das hängt auch viel mit dem Tod der großen Label-Strukturen zusammen. Durch das Internet brauchen Artists nicht mehr irgendwelche willkürlichen Selling Points. Dank Internet Hypes können auch verrückte Bands wie wir oder Death Grips weltweit Fans bekommen. Sonst würde ich jetzt auch nicht mit euch in Deutschland reden. Es ist sehr spannend zu sehen, dass sich unser Publikum egal ob in den USA, in Russland oder Deutschland immer aus derselben Art Kids zusammensetzt. Heute kannst du total verrückte Musik machen und irgendwer auf der Welt feiert das immer.

Das Interview führten Yunus Gündüz und Jan-David Wiegmann