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Reeperbahn Festival 2017 – Nachbericht

Geschrieben von am 23. Juli 2017

Hamburg im September. Im Aufzug zum Childhood-Konzert im Bunker steht ein Mitt-50er neben uns und gibt den folgenden Kommentar:

“Ich habe das Gefühl, eure Generation ist zu nett geworden. Alle Künstler bedanken sich ständig auf der Bühne, dafür dass sie kommen durften, dass das Publikum da ist. Keiner ist mehr Punk und rastet aus! Der von Warhaus letztes Jahr, das war Punk, dem war das egal.”

Die Frage, ob er denn auch wirklich Warhaus gesehen hat, steht unausgesprochen im Raum bzw. Fahrstuhl. Maarten Devoldere gibt zwar den arroganten unnahbaren Rocker – ist aber davon abgesehen nett. Und so oder so auf keinen Fall Punk. Ja, vielleicht ist unsere Generation tatsächlich nett geworden, das ist aber doch nichts Schlechtes. Und außerdem gibt es sie noch immer, diese berüchtigten Bands die hart eskalieren. Was man dem Ganzen jedoch nicht absprechen kann: Wenn es ein festival in Deutschland gibt, dass so sehr die Verbundenheit von Mensch und Musik zeigt – und zwar auf die nette Art – dann das Reeperbahn.

Jedes Jahr im September verwandeln sich die Nachtclubs entlang der Reeperbahn in schillernde Konzert-Venues, dazu kommen die fest verankerten Stätten des Hamburger Musikertums, Theater, Cafés und erstmals auch die Elbphilharmonie. Selbst das ungeübte Auge erkennt schnell, dass hier nicht nur Musikfans Konzert-Hopping betreiben. Läuft der Großteil der Masse mit Namens- u. Presseschildern durch die Stadt – gut erkenntlich gebrandmarkt als Fachbesucher der Musikindustrie – wird due Reeperbahn für 4 Tage zum Dorf, in dem sich die Wege immer wieder kreuzen.
Eine große Kennenlern- und Wiedersehensplattform für Menschen aus der Musikwelt. Doch sie füllen eigentlich nur die restlichen Pflastersteine der Reeperbahn, denn deren allgemeines Bild verändert sich nicht: die diversen Nordlichter und Rotlichter bleiben schließlich die Gleichen und die Jungesellenabschiede verschieben ihr Wochenende in Hamburg auch nicht auf Grund des Festivals. Mittwoch und Donnerstags noch kein Problem, aufs Wochenende zu vielleicht eine kleine Reizüberflutung, die einen zusätzlichen Hindernislauf produziert: wie am schnellsten von Venue A zu Venue B kommen und dabei die wenigsten Menschen umrennen?

Aber es ist dennoch die Verbindung zwischen dir und den Menschen, die Musiker eingeschlossen. Denn das sind die besten Momente: wenn du im Infozelt stehst und Courtney Barnett eintritt, weil sie ihre Freundin Jen Cloher auf Tour begleitet. Wenn Kettcar ein unabhängiges Gratiskonzert spielen. Wenn beim Love A Konzert in der Großen Freiheit Matthias Albert (ehemals. Wellness) ein paar Meter weiter an seinem Bier nippt. Wenn J. Bernardt (aka Jinte Deprez) sich sichtbar verkatert und mit haufeweise Equipment einen Weg durch die ausgelassene alkoholisierte Dutch Party des Molotow Backyard bahnt, um dann auf der Bühne hart zu eskalieren und mit erhobenem Mikro im pulsierenden Auge des Publikums zu stehen. Wenn du nachts aus dem Bunker kommst und die Jungs von sir Was davor “Put them empty bottles in the Jackass mobile” gröhlend ihre Astra-Flaschen un einem zum bersten mit Pfand gefüllten Einkaufswagen entsorgen.

Nach der ganzen Liebe also nur noch mehr Liebe – nämlich die Liebe zur Musik!
Bei den ganzen Konzerten muss der Kopf und die Eindrücke erstmal sortiert werden, doch dann wird relativ schnell klar, dass es wie immer diese paar Bands gibt die nachhaltig im Kopf bleiben.

sir Was ein schwedischer Künstler, der mit dem Standard auf der Bühne bricht. Nicht wie die meisten Bands steht er als Frontmann vorm Rest der Mitglieder: die Band steht im U in Richtung des Publikums. Was bei manch einem dazu führt, dass sie keine Verbindung zur Band aufbauen können – das ist dann aber Typsache. Es führt zu einer Einheit und Gleistellung der Künstler, zu einem sehr guetn Bild und stellt klar, wie wichtig Joel Wästberg eigentlich die wichtigen kleinen Klangdetails innerhalb des Songs und Settings sind. Denn die Rythmik in diesem düsteren Klanggebilde projeziert einen in andere Spähren.

Pixx aka Hannah Rodgers beweist, dass halbstündiges Anstehen in den miefigen engen Kellerfluren des Molotow absolut belohnt wird. Allerdings auch eine dringend nötige Maßnahme, um einer der gefühlt 15 Menschen zu sein, die det Karatekeller kapazitätstechnisch bereit ist aufzunehmen. Eine wahnsinnig präsente Frau, die es irgendwie schafft, elektronischen Dream Pop rau, ungezähmt und auf eine edgymäßige Weise nach hartem Post-Punk klingen zu lassen. Gut das Kutten-Outfit rundet das Bild einer agressiven Rebellin auch stark ab. Doch ist sie irgendwo auch Traumtänzerin. Eine die bei der Türwache ihres eigenen Gigs ganz lieb nachfragt, ob es möglich sei sie auch mit Döner reinzulassen.

Adam Naas auf den ersten Blick ein zierlicher nervöser Typ. Kaum durchbrechen allerdings die ersten Discokugeln das in gedämpftes Rotlicht getränkte Ambiente des Moondoo, vollzieht er eine Verwandlung zur Dancing Queen. Musikalisch doch poppiger als vermutet, schließt er an die ökologische Nische dieser vielen jungen Alex Vargas 2.0s an – inklusive obligatorisch geloopter Synths und melodischen Backings. Jedoch mit Vocals die zwischen dunklem Soul und schwindelerregendem Falsett alles abdeckt. Beim alt-J Cover zu “Mathilda” wirkt dieses Vocalstemmen dann doch etwas übertrieben. Bei den eigenen Songs allerdings überragend. Sollten mal beide Wild Beasts Sänger gleichzeitig aufhören – Aadam Naas könnte als Ein-Mann-Fraktion einfach beide Parts übernehmen!

Jen Cloher die Frau über vierzig mit ihrem riesengroßen Mund, die ihre Freundin Courtney Barnett in der Band als Gitarristin dabei hat. Eine sympathische Singer-Songwriterin aus Australien – bei uns momentan nur einfach noch nicht so bekannt. Auch wenn man ihr ihre Größe nicht absprechen will – es hat seine Vorteile eine Gitarristin wie Courtney Barnett mit auf der Bühne zu haben. Die stellt sich zwar nicht als Person in den Vordergrund, aber ihre Fähigkeiten auf der Gitarre geben Clohers Musik dann doch nochmal richtig Pfeffer.

Aliocha beweist, dass es sie noch gibt, diese klassischen Singer-Songwriter à la Bob Dylan. Der große sensibel-wirkende Kanadier, Schwarm aller kleinen Mädchen und Frauen, die sich an die Zeit zurückerinnern, als sie für diesen Typen geschwärmt haben der irgendwo mit seiner Gitarre in der Ecke saß. Auf der Bühne ist er einfach sehr sympathisch, seine Musik klingt einfach schön und dient als perfekte Abwechslung für einen ruhigeren Auftritt zwischendurch.

Clap Your Hands Say Yeah alte Hasen, die gekonnt über die teilweise schon abgegraste Wiese gehechtet sind. Auch so eine Band von der man dachte sie leider nie live zu bekommen. Und das mit der unterschwelligen Annahme, jeder Song klänge in etwa wie “The Skin Of My Yellow Country Theeth”. Absolut unfair, klingt doch selbst TSOMYCT nic gleich. Und auch live das versprochene Potpourri aus verschrobenenn unvorhersehbaren Meldodien, weirden Lyriks und Vocals die generell immer etwas off sind. Sprich: famos!

Frederico Albanese hat vor zwei Jahren noch das Schulmuseum betört und wird nächstes jahr im Zentrum der heiligen Hallen der Elbphilharmonie stehen. Ob Philharmonie oder überhitzter resonanzraum im Bunker, die melanchonisch schwingende Fusion sanft blühender Piano-Landschaften und düsterer Ambient-Flächen entfaltet doch jedes Mal ihren ganz eigenen Zauber. Vorteil auch: schneller Eintritt in den Bunker, vorbei an der Einlasssperre von The Drums. Bonus: das erstaunte Gesicht des Ordners darüber, dass es da tatsächlich noch eine dritte Venue neben dem Übel und dem Terrace Hill geben soll.

Abegrundet selbstverstädnlich wieder von einigen sicheren Bänken, wie der niederländischen Delegation von My Baby – voll exotischer Rythmusgitarren und Extravaganza – einem musikalisch bezaubernden Gig von Júníus Meyvant im Michel (der allerdings ohne zugegeben sehr schlechte Gageinlagen seinerseits umso fesselnder gewesen wäre, und eine brechend volle Große Freiheit in der Jörkk Mechenbier von Love A gewohnt gekonnt durch die Gegend gepöbelt hat.

Aufgrund der zeitlich & logistischen Unvereinbarkeit sämtliche Perlen mitzunehmen ist das Reeperbahn generell ein Pokern und systematisches Zeitpläne errechnen. Nur um den “Masterplan” doch wieder über den Haufen zu werfen, um mit den neuen Biertheken-Freunden zu deren Must See zu laufen. Man ist ja flexibel. Außer natürlich Künstler rangieren auf der Favoritenliste oben.

Foto: Manon Hütter

Und da ist er, der kleine Wermutstropfen im Euphoriewahn: Logistik. Denn trotz Band-Überangebot ist bei einigen Acts großer ansturm absehbar. So geschehen bei Portugal the Man, die mit “Feel It Still” einen Hit gelandet haben, der sie aus dem Indie-Universum in eine Spähre geschossen hat, die auch dem Mainstream-Konsumenten nicht fremd ist. Die Konsequenz: rasanter Einlassstop an den Docks.
Der Optimist stand überfrüht an, um dann abgewiesen zu werden. Der Realist begab sich zum N-Joy Reeperbus, um immerhin drei Songs live zu hören. Der pessimist strich PTM direkt von seiner Liste, obwohl er sonst hingegangen wäre.
Verloren hat der Optimist – ist er doch nicht selten kein Fachbesucher und demnach wenig interessiert an den diversen anderen guten Bands.

Das ist jedoch ein sehr kleines Manko in einem wilden Trubel von musikdurchtünchten Impressionen, auf einer vor Leben pulsierenden Reeperbahn als Epizentrum einer Sub-Kultur die für 4 Tage verheißungsvolle Versprechungen flüstert, von durchzechten Nächten, plattgelaufenen Füßen, Fischbrötchen und durcheinanderwirbelnen Konzertreigen.

Text: Sophia Kisfeld & Manon Hütter
Foto: Reeperbahn Festival


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