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Claude Debussy und der unmittelbare Eindruck

Geschrieben von am 10. Juli 2017

Der französische Impressionist entwickelte eine neue Tonsprache und verbreitete ein neues Musikverständnis.

Claude Debussy wurde am 22. August 1862 in Saint-Germain-en-Laye geboren. Er war das älteste von seinen vier Geschwistern und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Außerdem besuchte Debussy nie eine Schule, seine Mutter unterrichtete ihn im Lesen, Schreiben und Rechnen. Das allerdings nur so spärlich, dass Debussy noch als Erwachsener Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung und Grammatik hatte. Auch die Musik spielte im Hause Debussy keine besondere Rolle. Dafür besuchte Claude als Kind häufig seine Tante in Cannes, die ihm dann ab 1870 Klavierunterricht gab. Nur ein Jahr später nahm Debussy seinen ersten professionellen Klavierunterricht bei Madame Mauté de Fleurville. Sie kam aus wohlhabenden Kreisen und es wird behauptet, sie hätte bei Chopin Unterricht gehabt. Madame Mauté de Fleurville nahm sich dem jungen Claude Debussy an und machte aus ihm innerhalb von zwei Jahren einen erfolgreichen Kandidaten für das Pariser Konservatorium. Dort sollte er die nächsten 12 Jahre studieren.

Am Konservatorium studierte Claude Debussy zunächst Klavier, zu diesem Zeitpunkt ist er gerade einmal 10 Jahre alt. Später wechselte er aber zum Kompositionsstudium, weil seine Fortschritte im Klavierspiel ungenügend waren. Claude Debussy war ein recht rebellischer Schüler am Konservatorium. Er war ein Querdenker, der sich nicht um Regeln kümmerte, sondern munter darauf los improvisierte und stets Neues entdecken wollte. Schon zu dieser Zeit umging er die tradierten Regeln der Harmonielehre, was manchen seiner Dozenten missfiel. Trotzdem bewarb er sich für den Rom-Preis und gewann 1883 den 2. Rom-Preis. Der Rom-Preis war ein Kompositionsstipendium des Pariser Konservatoriums, das einen dreijährigen Aufenthalt in Rom beinhaltete. Ein Jahr später, 1884, bekam er dann tatsächlich den 1. Rom-Preis für die Kantate „L’ enfant prodigue” und reiste Anfang 1885 nach Rom.

Diesen Aufenthalt empfand er jedoch als quälend. Mit den Kommilitonen konnte oder wollte er nicht recht warm werden und er klagte über sein „Sträflingsschicksal“, wie er es nannte: „Ich versuche zu arbeiten, ich kann nicht. […] Im übrigen wissen Sie, wie sehr ich die Musik liebe und können mir glauben, wie sehr mein gegenwärtiger Zustand mir zuwider ist. […] Sie sprechen von Sicherheit, die durch die Villa garantiert wird; ach! Ich würde Gott weiß was darum geben, etwas weniger davon zu haben, zu welchem Preis es auch sei; denn sie bedrückt mich und hindert mich am wirklichen Leben.“ Selbst Jahre später wetterte Debussy als Musikkritiker noch gegen den Rom-Preis: „Kennen Sie unter den Institutionen, mit denen Frankreich sich brüstet, eine, die lächerlicher wäre, als der Rompreis? […] Den Rompreis haben oder nicht entschied über die Frage ob man Talent hätte oder nicht.” 
Andersherum war aber auch die Akademie mit seinen Kompositionen, die Debussy vorlegen musste, nicht zufrieden. Sie wurden als „etwas Bizarres, Unverständliches und Unaufführbares“ beschrieben. So kam ihm die Gelegenheit mit Nadeschda Filaretowna von Meck auf Reisen zu gehen und als ihr Hauspianist zu arbeiten nur recht. Durch ihre umfangreiche Musikbibliothek und während einiger Reisen durch Russland lernte Debussy die russische Musik kennen, was seine Musik prägen sollte. 1887 brach er sein Studium in Rom ab und kehrte nach Paris zurück. Er besuchte einige Wagner-Festspiele in Bayreuth, die ihn stark beeindruckten. Mindestens genauso beeindruckend war die Pariser Weltausstellung 1889 für Claude Debussy. Dort erlebte er ein Schlüsselereignis als er zum ersten Mal ein fernöstliches Gamelanorchester hörte. 

Ab 1893 begann Debussy auch die Arbeit an seiner einzigen vollendeten Oper „Pelléas et Melisande”. In dieser Oper kann man einen weiteren Einfluss von Debussy erkennen. Auf der Pariser Weltausstellung war er auch dem russischen Komponisten Modest Petrowitsch Mussorgski begegnet. Debussy beschäftigte sich intensiv mit Mussorgskis Oper „Boris Godunow” und leitete daraus eine Art Sprechgesang ab. Genau dieser Sprechgesang kommt in seiner Oper „Pelléas et Melisande” zum Einsatz. Zu einer ersten Aufführung kam es erst 1902, weil Debussy sich lange Zeit nicht in der Lage dazu gesehen hatte, die Oper zu vollenden. Bei dieser Aufführung stoß allerdings genau dieser Sprechgesang auf Unverständnis beim Publikum. Schnell kamen Buh-Rufe und Pfiffe und als Mélisande auf der Bühne sang, „ich bin nicht glücklich”, soll das Publikum mit den Worten „Wir auch nicht!” geantwortet haben. Bei der Aufführung zwei Tage später war von diesem Tumult allerdings nichts mehr zu spüren; sie verlief wesentlich ruhiger, erhielt lobende Kritiken und stand sogar mehrere Monate bei ausverkauftem Haus auf dem Spielplan.

Debussy alias Monsieur Croche

Neben seiner Tätigkeit als Komponist arbeitete Debussy ab 1903 auch als Musikkritiker für „La Revue blanche“. Dafür erfand er die Figur des Monsieur Croche, zu deutsch „Herr Achtelnote“. Er war durch chronische Geldsorgen dazu gezwungen das Angebot der Herausgeber anzunehmen. Seine Kritiken ähnelten eher Essays. Sie waren scharfzüngig, bissig und hart formuliert. “Haben Sie schon einmal die Feindseligkeit des Publikums im Konzertsaal bemerkt? Haben Sie sich je diese Gesichter angeschaut, grau vor Langeweile, Gleichgültigkeit, ja Stumpfsinn? Niemals werden sie jene reinen Dramen miterleben, die sich im symphonischen Konflikt abspielen, wo man die Möglichkeit erahnt, zum Gipfel des Klanggebäudes emporzusteigen und dort die Luft der vollkommenen Schönheit zu atmen. Diese Leute, mein Herr, wirken immer wie mehr oder weniger gut erzogene Gäste: Sie erfüllen geduldig ihre langweilige Pflicht und harren nur deshalb aus, weil sie am Ausgang gesehen werden wollen; warum wären sie sonst gekommen?”
Debussy beschwerte sich immer wieder darüber, wie lästig ihm das Schreiben von Kritiken war, doch ganz unvergnügt wird Debussy dabei nicht gewesen sein. Seit 1914 bemühte er sich um die Veröffentlichung seiner musikkritischen Essays. Er sah sich als Musikkritiker in einer besonderen Stellung: Gegenüber denjenigen seiner Zeit wollte Debussy nicht besserwisserisch sein. “Ich weiß wahrhaftig nicht, was der arme Monsieur Croche unter so vielen hochnäsigen Spezialisten anfangen soll. Ich habe gute Lust, Ihnen mit folgender Anzeige seinen Tod zu melden: Monsieur Croche, der Antidilettant, zu Recht angewidert von den musikalischen Sitten dieser Zeit, ist sanft entschlafen und in die allgemeine Gleichgültigkeit eingegangen. Es wird gebeten, von Blumen und Kranzspenden abzusehen und vor allem keine Musik zu machen.”
Der angekündigte fiktive Suizid von Monsieur Croche blieb aus. Doch selbst in diesem kurzen Kommentar wird seine skeptische und höhnische Position gegenüber der zeitgenössischen Musik deutlich. Monsieur Croche diente Debussy als Fantasie-Figur, hinter der er sich verstecken konnte. Außerdem konnte er Kritik so in Form von Dialogen loswerden. “Die Musik ist eine Summe zerstreuter Kräfte.[erst ab hier bissig] Man macht daraus ein theoretisches Geschwätz. Ich habe die paar Flötentöne eines ägyptischen Hirten lieber; er ist eins mit der Landschaft und hört Harmonien, von denen in euren Abhandlungen nichts steht. Die Musiker hören nur die Musik, die von geschickten Händen geschrieben wurde, niemals aber die, welche der Natur innewohnt. Den Anbruch des Tages zu erleben ist nützlicher, als die Pastoralsymphonie zu hören.”
Debussy verurteilte die hochmütige Art, mit der zeitgenössische Musikkritiker nur angeblich große Musik betrachteten, anstatt auch das Kleine wertzuschätzen. Das Besondere an seiner scharfen, bissigen Kritik war, dass Debussy aus der praktischen Erfahrung als Musiker schöpfte. In gewisser Weise rechtfertigt das  seine Art zu schreiben. Vor dem Hintergrund verwundert es nicht, dass Debussy es immer wieder schaffte, den Kern eines Zusammenhangs zu treffen. Obwohl er oft Gegenwind seitens der Leser für seine harsche Kritik erntete, wusste doch jeder seine dialektische, reflektierte Betrachtung zu schätzen. Nicht Zweideutigkeiten oder Kritik, die es versucht allen recht zu machen und objektiv zu bleiben zeichnete Monsieur Croches musikkritische Schriften aus, sondern seine direkte und eindeutige Sprache. Das Gebot der Objektivität  als angeblich gute Kritik überging Debussy und prägte damit die Musikwelt in der Zeit bis zum 1. Weltkrieg.

Neben seinen finanziellen Sorgen plagte ihn aber auch die Ehe mit seiner Frau Lily Texier. Er fing eine Affäre mit einer anderen Frau, Emma Bardac an. Sie kam im Gegensatz zu Lily aus gehobenen Verhältnissen, war gebildet, einflussreich und außerdem sehr musikalisch. 1904 kam es allerdings zum Skandal, denn Lily erfuhr von der Beziehung zwischen Claude und Emma und versuchte sich das Leben zu nehmen. Sie konnte gerettet werden, allerdings war Claude Debussy zu diesem Zeitpunkt schon eine Person des öffentlichen Lebens, von der man etwas anderes erwartete. Er reichte die Scheidung ein und floh mit Emma auf die Kanalinsel Jersey. Bis Claude und Emma heirateten konnten, dauerte es zwar noch einige Jahre, ihre gemeinsame Tochter Claude-Emma, auch Chou-Chou, genannt, kam aber 1905 zur Welt. Ihr widmete er die Klavierkompositionen „Childrens Corner“.

Neben „Childrens Corner“ zählt auch das Stück „La Mer“ zu Debussys wichtigsten und populärsten Werken. Claude Debussy war schon von klein auf ein großer Fan des Meeres. Seine Besuche in Cannes bei seiner Tante trugen dazu bei. Dort fand er die nötige Abwechslung zum hektischen und lauten Paris. Schon damals, als Kind, soll er den Entschluss gefasst haben, ein Stück über das Meer zu schreiben. 37 Jahre später sollte es soweit sein: Er fing an „La Mer“, drei sinfonische Skizzen zu komponieren. Dabei malte er aber eben nicht das Meer nach sondern seinen persönlichen Eindruck des Meeres im Sinne des Impressionismus. An seinen Verleger Jacques Durand schrieb er: “Sie wissen vielleicht nicht, dass ich der schönen Laufbahn eines Seemanns bestimmt war, und dass nur die Zufälle des Lebens mich davon abgebracht haben. Nichtsdestoweniger habe ich Ihm [dem Meer] eine aufrichtige Leidenschaft bewahrt. Nun werden Sie mir sagen, dass die Weinberge der Bourgogne nicht gerade vom Ozean umspült werden…! Und dass das Ganze womöglich den im Atelier entstandenen Landschaftsbildern ähneln könnte! Aber ich habe unzählige Erinnerungen; das ist meiner Meinung nach mehr wert als eine Realität, deren Zauber in der Regel die Gedanken zu schwer belastet.” Im ersten Satz erzählt Debussy, wie sich der Spiegel der Sonne – vom Morgengrauen bis zum Mittag – auf dem Meer verändert: “De l’aube à midi sur la mer”.

Ab 1914 bekam Debussys Musik eine etwas andere Bedeutung. Der 1. Weltkrieg war ausgebrochen und er wollte mit seiner Musik etwas für Frankreich tun. Die Werke, die zu dieser Zeit entstanden, sind direkt oder indirekt mit dem Krieg in Zusammenhang zu bringen. Im zweiten Kriegsjahr 1915 erkankt Debussy so stark an Darmkrebs, dass er sich einer Operation unterzieht. Es hilft nichts und der Krebs macht Debussys letzte drei Lebensjahre für ihn zur Qual. 1917 gab Debussy seine letzten Konzerte zu Gunsten von Hilfsorganisationen im Krieg, das letzte davon, schon sehr geschwächt. Hier spielte er noch seine Sonate für Violine und Klavier zusammen mit dem Geiger Gaston Poulet. Debussy starb am 25. März 1918, gut ein halbes Jahr vor dem offiziellen Waffenstillstand, als Paris unter schwerem deutschen Beschuss stand. Dietrich Fischer-Dieskau schreibt hierzu sehr treffend: “Welch Ironie des Schicksals, dass ein die Stille so innig liebender Musiker wie Debussy unter dem Krachen von Artilleriefeuer bestattet wurde!”
Debussy schaffte seine eigene Tonsprache und ein neues Musikverständnis. Neue Klangfarben und Klänge entstanden, die Musik wirkt teilweise statisch und schwebend. Er selbst empfand sich als Symbolist und setzte gegen den rationalen Naturalismus das Irrationale, Atmosphärische und Fantastische. Debussys Werk stellt eine der wichtigsten Verbindungen zwischen der Musik des 19. Jahrhunderts und der Neuen Musik dar. 


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