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Sofia Kourtesis – Madres

Rezensiert von am 1. November 2023

       

A su madre! ist ein peruanisches Sprichwort und heißt wortwörtlich soviel wie: auf deine Mutter! Aber eigentlich: Um Himmels Willen!

Sofia Kourtesis muss sich während ihrer Tour zur EP “Fresia Magdalena” Ähnliches gedacht haben, als sie die Nachricht von Ärzten in Peru bekam, von ihrer krebskranken Mutter Abschied nehmen zu müssen. Kourtesis, zu diesem Zeitpunkt bereits gefeierte Newcomerin in der Berliner Techno-Szene, hatte gerade ihren Vater verloren. Ein Schicksalsschlag ist ja nicht genug. Viel Hoffnung hatte sie nicht, als sie auf Instagram dazu aufrief, in Kontakt mit dem bekannten Charité-Chirurgen Peter Vajkoczy zu kommen. Ihr Versprechen: er bekommt seinen eigenen Song. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: am nächsten Tag kommts zum Treffen und Vajkoczys riskante Operation rettet kurz darauf ihrer Mutter das Leben.

“Es war echt wie ein Film von Pedro Almodóvar, mit Wim Wenders und den Coen Brüdern, […] so etwas mit ewiger Phantasie und patagonischer Kraft hinter dir, wo du irgendwo hingehst.” […] Ich hab echt das Gefühl gehabt, das war so ein freundliche UFO, der Professor. Dann hat er sich das so angeguckt und meinte dann so, ‘Okay ja, ich mach das.”

Zwei Jahre nach der lebensverlängernden Operation hat Sofia Kourtesis dem Chirurgen nicht nur einen Song gewidmet, “Madres” (übersetzt: Mütter) ist auch sonst übersät mit der Lebensfreude und neugeborenen Hoffnung die ihr das kleine Wunder beschert hat. Und uns das vielleicht beste Album im Bereich elektronischer Musik des Jahres. 

„’Madres’ ist halt irgendwie, es geht um diese pure Liebe, die alles bewegen kann. So die Liebe von einer Großmutter zu ihrer Enkelin, von einer Mutter zu ihrer Tochter, von Vätern, die Mütter sein müssen, weil, weil vielleicht die Mama irgendwie gestorben ist, oder aber auch von unserer queeren Community”

Drei Ep’s und eine Menge Singles haben es eigentlich schon angekündigt: Die Wahl-Berlinern und Ex-Booking-Agentin hat ein ganz besonderes Händchen für erstklassige Tracks. Die präzise Produktion und Durchschlagskraft der Hauptstadts-Clubszene trifft auf lebhafte Rhythmen und Sounds ihrer peruanischen Heimat. Peru durchzieht die gesamte Platte: Wie eine Ethnologin hat sie in Lima Feldaufnahmen gesammelt, den Geist ihres teils zerrissenen Landes auf ihr allererstes Album gebannt. “Madres” zelebriert ein Stück weit auch Aktivismus. Von Sofia selbst, ihrer Mutter, ihres Vaters und Manuel Chao. 

„Ich denke, ich hab eine Pflicht, mein Land zu repräsentieren. […] wir haben so viel als Land durchgemacht, so viele schlimme Sachen und so viele Menschen haben es halt leider immer noch sehr, sehr schlecht dort, und ich versuche, den Musikern dort irgendwie eine Plattform zu ermöglichen.”

Manuel Chao? Die südamerikanische Legende die auch Spanisch-Legasthenikern mit Hymnen wie “Me Gusta tu” die Grundlagen fürs Fremdsprach-1×1 beim Barcelona Trip beibrachte? Nun Kourtesis ist seit ihrer Kindheit großer Fan, auch ihn hat sie erreicht, mit einem langen Brief bewegt – diese Connection ist mit “Estación Esperanza” (übers. Station Hoffnung – benannt nach einer Madrider Metro-Station) und einem Sample ausbesagtem Song ebenso verewigt. Chaos Stimme paart sich hier mit Aufnahmen peruanischer Proteste gegen Homophobie zu einem aufreibenden Track. Generell ist “Madres” bei gelegentlicher Melancholie, voller hoffnungsvoller Passagen und Stimmungen. “How Music Makes You Feel Better” oder “Si te Portas Bonito” vereinen komplexe rhytmische Fundamente und zeigen Kourtesis Finesse in Sachen Produktion, haben aber auch den Pop-Appeal der dank ihrer Stimme mehr als nur repetitive Clubnummern schafft. Das Kunststück all diese Aspekte mit einer wirklich beeindrucken Vielsschichtigkeit im Sound zu kombinieren – das Peruanische, den sonnigen House, die träumerischen Pop-Melodien – gelingt ihr auf nahezu jedem Song.

my heart is very Latin American, but my motor is German

Um noch ein paar Beispiele zu nennen: “Habla Con Ella” lullt einen mit hin her wabbernden Synthie-Flächen, Spoken-Word, Gelächter, Trommeln und Piano virtuos ein, die grandiose Soundkulisse von “Funkhaus” schafft es ebenso instant, einen in eine idylische Paralellwelt zu transportieren und dann, wenn man sich fühlt wie inmitten eines neondurchflutenden Festivalgeländes kommt es mit “Moving Houses” zum kompletten Tanzstopp: Hier betritt man kurzzeitig experimentelle Ambient-Gefilde wenn Sprachfetzen von Kourtesis entfernt Erinnerungen an Kid A, Björk oder Apparat wachrufen.

Mit “Madres” ist Sofia Kourtesis das perfekte Debüt-Album gelungen. Eine Sammlung außergewöhnlicher House-Tracks die Peru und die turbulenten Lebensereignisse einer der aktuell spannendsten Produzentinen bündeln. Und, by the way, die Geschichte mit Dr. Vajkoczy, sie endete schließlich, wo sonst auf der Tanzfläche – Sofia lud sie in “ihre Welt” ein und der Neurologe so: ‘Berghain irgendwie abends bis morgens? Ich? Ich muss doch operieren. Aber dann war er irgendwie so offen, dann meinte er so: ‘Ja, wieso denn nicht?!’ Das gesamte Team hat scheinbar die Nacht durchgemacht. Ob dabei Sofia Kourtesis lief und auflegte? Who knows, aber es wär nicht verwunderlich wenn ihre Tracks dafür verantwortlich waren.


Label: Ninja Tune
Veröffentlicht am: 27.10.2023
Interpret: Sofia Kourtesis
Name: Madres
Online: Zur Seite des Interpreten.


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