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Reneé Rapp – BITE ME

Rezensiert von on 7. August 2025

       

Reneé Rapp hat am 1. August ihr zweites Studioalbum „BITE ME“ veröffentlicht. Bevor wir uns die Musik und die Lyrics genauer angucken erstmal die harten Fakten: 12 Songs, 33 Minuten, keine Features und neue Produzierende und Songwriter*innen. 3 Songs wurden schon zuvor als Singles veröffentlicht. Insgesamt also ein eher kurzes Album obwohl ihr ersten Studioalbum „Snow Angel“ auch nur 3 Minuten länger war.

Fans wird die Genre-Wandlung aufgefallen sein. Das erste Album hatte mehr R&B/Soul Einflüsse, währenddessen „BITE ME“ ein Pop-Album mit ein paar Indie und Alternative-Rock Elementen ist. Ihre Stimme und Klangfarbe ist trotz dem neuen Genre immer noch Star des Albums.

Um einmal Kontext zu geben: Reneé Rapp hat öffentlich gesagt, dass sie ihre Ex-Partnerin mit ihrer jetzigen Partnerin Towa Bird (Opening-Act ihrer letzten Tour) betrogen hat, während Towa Bird auch eine Freundin hatte.

Fast alle Songs behandeln Aspekte von Liebe, Affären, Sex und auch eben Gefühle für eine andere Person als die aktuelle Partnerin zu haben; ein ungewohnter Perspektivwechsel für viele.

Dass Frauen in Popsongs über Affären reden, ist nichts Neues. Jedoch ist es meistens die Perspektive der betrogenen Person und nicht die Perspektive der betrügenden Person. Die Künstlerin begeht mit diesen offenbarenden Lyrics einen Tabubruch, den nur wenige Künstlerinnen bei der Thematik begehen.

Für viele ein Grund für Kritik an dem Album und auch an Reneé Rapp, die laut Kritiker*innen ihre Affäre „zu wenig bereut“. Was wirklich passiert ist und wie Reneé Rapp und die anderen Parteien sich fühlen, können wir als Außenstehende nicht bewerten und deswegen werde ich das auch nicht versuchen.

Fans von Reneé Rapp und ihrer Musik müssen jetzt einen ungewohnten Zustand in der Musikbranche ertragen: Ambivalenz. Die ambivalenten Songs und die Künstlerin dahinter gut zu finden, obwohl mensch den Moralbruch des Betrugs verurteilt.

Hierbei stellt sich die Frage für mich, warum es so wenige Songs über eigene Fehler und die Aufarbeitung damit gibt. Sind wir gesellschaftlich nur noch „gut“ oder „böse“? Gibt es keine Graustufen oder die Chance auf eine Verbesserung der eigenen Person mehr?

Aber nun zu den Songs:

„Leave Me Alone“ ist der Anfang und ein wirklicher Knall in das Album. Der Song, der die erste Single ist, zeigt Reneé Rapp in einem bisher eher unbekannten Licht. Keine feinfühlige Ballade, sondern eine Aufforderung an die Welt, sie bis auf Weiteres in Ruhe zu lassen.

I’m a real bad girl but a real good kisser.

Die Lyrics sind nicht nur sehr schnell viral gegangen, sondern prophezeien schon welche Thematiken dieses Album beinhalten wird.

Der zweite Song und Single „Mad“ porträtiert Reneé als bitter über die Tatsache, dass sie mit ihrer Partnerin schon zu oft und zu lang über die gleiche Thematik streiten, anstatt Sex zu haben. Der Bass und die Drums unterstreichen ihren gelangweilten und schließlich genervten Zustand. Der Refrain baut sich musikalisch vorwurfsvoll mit Harmonien auf.

„Why Is She Still Here?” ist der erste Song, der sehr konkret auf das Albummotiv von Affären und neuer bzw. alter Liebe eingeht.

You can tell me you don’t love her / But you should probably tell her too.

Reneé Rapp zeigt mal wieder ihre stimmlichen Fähigkeiten begleitet von Gitarrenzupfen und einem ruhigen Rhythmus des Schlagzeugs. Ihre Stimme kontrolliert die Intensität des Songs und erzählt von Sex und der Unsicherheit über immer noch bestehende Gefühle ihrer Affäre zu deren alten Partnerin.

Die Geschichte der unentschiedenen Affäre zieht sich weiter in den nächsten Song „Sometimes“. In dieser Klavierballade geht es um eine feste oder doch noch unsichere Bindung und den Wunsch, eine Person für sich und nur für sich zu haben. Reneé Rapp sagt quasi: Entscheide dich, damit ich mich entscheiden kann, ob ich bleibe oder gehe. Ich denke, dass wir alle (egal ob Affäre/Betrug involviert oder nicht) dieses Gefühl nachfühlen können.

„Kiss It Kiss It“ läuft wahrscheinlich seit Release auf jeder queeren Party mindestens einmal, denn: Es geht um lesbischen Sex. Explizite Lyrics über Oralsex, eine catchy Hook und ein tanzbarer Pop-Beat. Was möchte mensch mehr? Naja vielleicht noch eine Erwähnung von Konsens bei dem „Disrepect“, aber sonst ein guter Popsong für alle sexpositiven Queers.

Credits: chuff media

„Good Girl“ ist mein mein persönlich liebster Upbeat-Song von „BITE ME“. Das Intro erinnert mit den Synths und des sehr ähnlichen Rhythmus an das Intro von Little Red Corvette von Prince. Nach den Strophen wird es jedoch wieder moderner Pop. Lyrisch geht es darum, eine Person auf einer Party zu sehen, die mensch vielleicht besser nicht gesehen hätte. Denn mensch möchte das „Good Girl“ sein: „Sunsets and yoga […]. Safe sex and no drugs […]. Until you showed up“.

Um 5SOS zu zitieren: Good girls are bad girls that haven’t been caught. Aber jetzt mal im Ernst: Wir alle hatten Abende, die gerade wegen DIESER EINEN PERSON sehr anders verliefen als geplant. Reneé Rapp fängt diesen ambivalenten inneren Monolog sehr akkurat in einem Song ein. Also tanzt zu euren Erinnerungen an rückblickend schlechte oder naive Ideen. It’s not that deep.

“BITE ME” überzeugt aber auch mit herzbrechenden Balladen: „I Can’t Have You Around Me Anymore” hebt sich durch die simple gemutete Gitarre und ihre ausdrucksstarke Stimme ab. Der Song ist die musikalische Realisation, dass der Kontakt zu dieser einen Person der aktuellen Beziehung schadet. Obwohl die Sängerin deutlich ihre Gefühle für die Affäre äußert, entscheidet sie sich für die aktuelle Beziehungsperson und fordert Abstand ein.

„Shy“ kontrastiert diese Melancholie. Im Song singt die frühere Broadway-Sängerin davon, dass sie sehr gerne mit der besungenen Person Sex haben möchte, aber jedoch ein bisschen schüchtern ist. Reneé Rapp zeigt in diesem Song erneut ihre starken Fähigkeiten als Sängerin und verbindet mit Leichtigkeit die expliziten Lyrics und ihr Begehren der anderen Person mit diesem spaßigen Popsong. Vor allem die Bridge sticht hier hervor und erinnert an frühere 2010er Pop-Bridges, die mensch einfach mitschreien muss.

Der neunte Track des Albums beschäftigt sich mit ihrer mentalen Gesundheit und der Meinung der Öffentlichkeit. Sie beschreibt, wie überfordert sie mit ihrer aktuellen Situation ist, aber beendet diese ernsten Strophen im Refrain mit den Worten: „But if I can’t be happy, then at least I’m hot“. Die öffentliche Meinung über Rapp nimmt sie sich nicht zu Herzen und konzentriert sich auf sich selbst. Musikalisch unterscheidet sich der Song etwas von den bisherigen. Der Refrain ist nicht eine Art Steigerung der Strophen und auch ihre Melodien unterstreichen durch viele vokalische Sprünge die Ironie und den Humor im Song.

Die letzte Ballade heißt „I Think I Like You Better When You’re Gone”. Begleitet von einer Gitarre singt die Künstlerin über die Zeit nach einer vermutlichen Trennung von einer Beziehungsperson. Doch trotz der eigentlichen Erwartungshaltung, dass sie diese Person vermisst, tut Reneé Rapp das nicht. Im Gegenteil: Es geht ihr ohne diese Person besser und mag die Person dadurch mehr, dass sie nun nicht mehr in ihrem Leben ist.

Voller Ironie ist der vorletzte Song „That’s So Funny“ denn eigentlich ist die beschriebene Situation alles, aber nicht lustig. Aber wie soll mensch sonst auch damit umgehen, wenn eine Ex-Partnerperson einen blendet und dann auch noch Lügen über dich verbreitet? Da hilft nur noch ein Anwalt und viel Ironie. Reneé Rapp fühlt sich verraten und schließt endgültig mit der Person ab:

If you’re looking for closure / You got a better shot with God than you do with me.

Der letzte Songs des Albums hat mir persönlich das Gefühl eines glücklichen Outro-Songs eines Coming-of-Age Films gegeben. „You’d Like That Would You“ ist ein rockiger Pop-Song über eine Trennung. Reneé Rapp hat schon abgeschlossen und zählt ironisch Dinge auf, die sich die andere Person wahrscheinlich noch einbildet; wie Reneé die Hochzeit absagt oder nie wieder eine Person so lieben kann wie die Ex-Partnerin.

Honey, it’s pathetic
And I need you to know
The thought of gettin’ back together
Makes me wanna die alone.

Obwohl Jeff Buckley anderer Meinung sein würde, sagt Reneé Rapp mit dem letzten Song: It is OVER!

Insgesamt ist das Album ein gelungenes zweites Studioalbum. Persönlich habe ich ein zweites und drittes Mal gebraucht, damit ich mit dem Album warm wurde und es schließlich sehr mochte. Musikalisch ist es eine Veränderung zu dem ersten Album „Snow Angel“, was ich erstmal gut finde. Künstler*innen sollten sich nicht nur auf ein Genre für immer festlegen müssen. Für das nächste Album würde ich mir trotzdem mehr Einflüsse aus R&B oder Soul wünschen oder vielleicht sogar mehr 1980er Pop-Rock Einflüsse.

Textlich ist das Album sehr gelungen, obwohl manchmal noch eine Strophe oder eine längere Bridge zeitlich auf jeden Fall drin gewesen wären. Gesanglich hat Reneé Rapp natürlich nicht enttäuscht.

„BITE ME“ ist ein gutes Pop-Album für alle, die in messy Situationsships sind oder waren und alle die, die Herzschmerz haben. Und natürlich auch für sexpositive Queers!

Also:


Label: Interscope Records
Veröffentlicht am: 01.08.2025
Interpret: Reneé Rapp
Name: BITE ME
Coverbild: Wikipedia


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