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Die Höchste Eisenbahn – Ich glaub dir Alles

Rezensiert von am 19. August 2019

       

Liebe Die Höchste Eisenbahn,

zuerst einmal: Ich glaube euch auch alles! Spätestens nach den ersten beiden Alben (“Schau in den Lauf, Hase”, 2013 und “Wer bringt mich jetzt zu den Anderen”, 2016) mit Liedern wie “Blaue Augen”, “Raus aufs Land”, “Gierig” oder “Blume”, hört man die Texte der Band und möchte nur zustimmend nicken. DIe beiden Songschreiber und Sänger Francesco Wilking und Moritz Krämer pointieren in ihren Texten die zeitgenössische Entwicklung mal auf humoristische, mal auf melancholische Art und Weise.

Genau dieses Kopfnicken löst die Band auch mit ihrem dritten Album “Ich glaub dir alles” aus. Beim Anhören ihres Albums ist man immer wieder geneigt innerlich zuzustimmen – “stimmt irgendwie” oder “recht haben sie”. Denn die Texte sind nah am Menschen. Poetische Alltagsbeschreibung. Während andere Musiker oder Bands in die weite Welt enteilen, um sich Inspirationen für ihr neues Album zu holen, haben sich die Jungs in das Ferienhaus eines Freundes im Wendland einquartiert und geschrieben. Mit dabei hatte die Berliner Musiker dieses mal den Produzenten Moses Schneider (u.a. AnnenMayKantereit, Tocotronic, Dendemann). Ein Unterschied zu den ersten beiden selbstproduzierten Alben.

Sonst zeigen sich die Unterschiede zu den beiden Vorgängern eher in einzelnen Momenten. Denn die Höchste Eisenbahn machen auf “Ich glaub dir alles” noch immer Indie-Pop. Dies aber weiterhin auf sehr hohem Niveau und etwas vielseitiger als auf ihren früheren Alben. Dies liegt vor allem an Moses Schneider, wie die Band in einem Interview verraten hat. So gibt es auf dem Album auf der einen Seite Songs wie “Kinder der Angst”, “Job”, “Zieh mich an” oder “Derjenige” mit beschwingten, geschmeidigen und lässigen Pop-Melodien, wie man sie im Sommer auf jedem Festival hören möchte. Auf der anderen Seiten finden sich überraschend funkige Töne (“Aufregend und neu”), jazzige Einflüsse (“Zieh mich an”) oder elektronische und sphärische Klänge (“Überall”, “Umsonst”), die das Album aufregend machen.

Wollte man böse sein, könnte man jetzt sagen, dass die Musik bei Die Höchste Eisenbahn nur ein netter Begleiter zu den Texten sei. Jedoch wird andersherum ein Schuh draus. Die wunderschönen Texte von Wilking und Krämer funktionieren und wirken erst dank der begleitenden Musik. Ein gutes Beispiel dafür ist die Singleauskopplung “Job”, in dem sie von einem Fabrikarbeiter ohne Fabrik erzählen. Diese spätkapitalistischen Kritik klappt erst durch die vorpreschende Musik aus Gitarren und Synthies. Die Musik trägt den Inhalt der Lieder. Und dieser Inhalt wandelt zwischen lustig, ernst, traurig oder nachdenklich.

So beschwingt und geschmeidig die Musik auch sein mag (zum Beispiel in “Rote Luftballons”), so fröhlich sind die Texte auf dem bisher abwechslungsreichsten Album der Band nicht immer. In “So siehst du nicht aus” warnen sie vor der Naivität: Diese Stadt hat keine Liebe, kein Ziel / um die Mitte einen Ring aus Schienen / Und du stellst Fragen ohne Fragezeichen / und wunderst dich, dass dir niemand hier / eine Antwort gibt […] Ich glaub dir alles, glaub du mir auch / So siehst du nicht aus. Und so positiv “Rote Luftballons” klingt, auch hier finden sich nachdenkliche Töne: Sie fliegen davon / Ob sie wohl jemals zurückkommen? / Sie schreiben ein Nein / sie drehen ihre Runden / sie landen allein / sie werden einsam verschrumpeln {…] / solange du nicht weißt, was du willst / sei einfach still. Immer wieder animieren Francesco Wilking und Moritz Krämer mit ihren Texten zum Nachdenken und diesem Kopfnicken. Besonders bei “Louise”, dem obligatorischen “Frauennamen-Lied” auf einem Höchste Eisenbahn Album. Und wie könnte es bei einem Frauennamen anders sein, handelt der Song von Liebeskummer: Jetzt stehst du da so traurig-schön / nur um durch mich durchzusehen, Louise / Der Himmel hinter dir ist neblig-schwarz / und du vor mir auf jedem Plakat / Wir werden uns nie wieder los / Louise, ich bin verletzt. Mir steckt ein Pfeil / aus deinen Worten in der Seite.

Dank dieser nachdenklichen Texte und der verstärkten musikalischen Abwechslung ist “Ich glaub dir alles”, das dritte Album der Berliner Gruppe, eine Popkostbarkeit, die nicht so harmlos ist, wie sie beim ersten Hören erscheinen mag. Wie so oft bedarf es bei der Höchsten Eisenbahn mehrmaliges Hören, damit man das Zusammenspiel aus Musik und Texten komplett durchdringen kann und so die Aktualität der Platte erkennt.

Rezensiert von Steffen Jöne


Label: TAPETE RECORDS
Veröffentlicht am: 16.08.2019
Interpret: Die Höchste Eisenbahn
Name: Ich glaub dir Alles
Online: Zur Seite des Interpreten.