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crème solaire – Cemento

Rezensiert von am 26. März 2024

       

Stellt euch vor, ihr steht in einer tristen, harten, kalten, grauen, unnachgiebigen Betonlandschaft. Alles um herum ist zubetoniert, kein Stück grün ist mehr zu sehen. Sämtliche Natur um euch herum vernichtet. Aber was ist das? Ein kleines zartes Pflänzchen hat es geschafft, sich nur durch den kleinsten Riss im Beton ihren Weg ans Licht zu bahnen. Ein kleines, zartes Pflänzchen, das Widerstand leistet, das sich nicht vom tristen Grau einschüchtern oder gar vernichten lässt. Das muss gefeiert werden. 

Genau in dieser Metaphorikwelt bewegt sich unser dieswöchiges Album der Woche Cemento des schweizer Duos crème solaire. Die Band möchte mit ihrem Album nicht etwas einfach nur die graue, triste Welt beschreiben und dabei in Selbstmitleid versinken, sondern ruft zum Widerstand auf. Gemeinsam sollen die Hörer*Innen zu Pflanzen werden, die gegen die kapitalistische Betonisierung der Welt antanzen. Dabei trifft diese einzigartige Metaphorik auf einen sehr wilden Musikstil, den man wohl übergreifend am einfachsten als Elektropunk beschreiben kann.

Es ist bereits das dritte Studioalbum von crème solaire. Hinter diesem Pseudonym verstecken sich Rebecca Solari und Pascal Stoll. Wohl sehr einzigartig ist die sprachliche Vielfalt, die die beiden verwenden. So werden auf dem Album 5 verschiedene Sprachen verwendet.  Die Schweiz hat an sich ja schon vier Amtssprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch – und Englisch kommt auch noch hinzu. Teilweise werden diese Sprachen sogar im gleichen Satz verwendet. Neben der sprachlichen Vielfalt prasselt eine musikalische Vielfalt auf einen ein, die meistens vor allem ordentlich Power bietet. 

Der Opener Calicanti fällt dabei schon fast ein wenig aus dem Raster. Zwar fängt er erstmal mit einem verzerrten Industrialgroove an, der sich dann allerdings schon fast in einen Art Indietronica-Song verwandelt. Neben dem cleanen Gitarren-Riff bleiben die elektronischen Klänge aber präsent, die in einem sehr eingängigen Chorus münden. Auch ein kleiner Rappart wartet im Laufe des Songs. Calicanti ist dabei die sogenannte Backsteinmauer, die zum Einsturz gesungen werden soll.

Und wenn diese Mauer nicht schon beim ersten Track eingestürzt ist, dann tut sie es beim nächsten Song Anormal bestimmt. Direkt mit nem harten Trancebeat startet dieser Song, ehe verzerrte Spoken-Word-Schnipsel dem Song eine doch schon fast schaurige Atmosphäre geben. Dieser Song sorgt für ordentlich aggressive Abrissstimmung. Am Ende mündet das ganze schon fast in ein arhythmisches Noisegewitter. Hier beginnt die totale Zerstörungswut. Sévère ist da insgesamt etwas ruhiger. Dafür klingt der Song ein wenig so als hätte R2D2 persönlich die Hintergrundspur eingesungen. Der Chorus hier ist doch schon deutlich eingängiger und man wird von einem pulsierenden Beat durch den Song getrieben, der auch vor allem live sehr viel Spaß machen dürfte. Am Ende wird aber auch hier die Wut einfach herausgeschrien. Auch der Song Balade ist weit weg von einer Ballade. Vor allem der scharfe Lo-Fi-Gesang ist in diesem Song zentral. Im Chorus verwandelt sich dieser Gesang wieder eher zu Geschreie, der gemeinsam mit dem Drums auf einen einprasselt, als würde man in dem Pfeilhagel einer Bogenschütztenarmee stehen. 

In diese fast mittelalterliche Thematik fügt sich dann auch noch der Song Hexen ein. Hier wird vor allem auf Deutsch gesungen. Das ganze startet wie eine Art Glitchpopnummer im Stil von Sweet Trip. Es wird aber schnell wieder düster. Vor allem lyrisch wird das ganze ganz wild: “Meine lieben Freundinnen, die Hexen, sind zurück, wie Brunnen, die nicht brennen” heißt es da im Refrain. Irgendwie klingt das ganze auch ein wenig okkultisch. Die spannende geladene Stimmung wird auch auf Milleurx gehalten. Hier startet das ganze langsam, bis auf einmal ein Gabber-Beat in den Song schlägt. In einem musikalischen auf und ab trägt der Song dabei seine Hörer*innen über knapp sechseinhalb Minuten. Der Song Redflag lässt uns dann wieder ein paar Deutsche Wörter heraushören: “Kennst du mich oder nicht?”. Dabei wird eine Spannung aufgebaut, die Band im Refrain auch wieder angenehm auflöst. Dieser Track ist dabei der perfekte Mix aus allem, was die Band bisher geboten hat. Es ist experimentell, aber hat doch eine poppige Hook und das Tanzbein will man dazu erst recht schwingen. In sehr ähnlicher Manier, allerdings noch etwas rockiger schließt sich dann der Track Chien.ne an. Gerade das Ende des Songs ist ungewöhnlich ruhig und gönnt mal eine schöne Verschnaufpause in den ganzen pulsierenden Beats. Ein absolutes musikalisches Highlight folgt dann noch einmal mit dem Lied Sguardo: Auch einer der etwas eingängigeren Tracks auf dem Album. Hier wird man sofort in den Beat hineingezogen und muss sich einfach bewegen. Dieser Beat lässt einen nicht mehr los. Am Ende staut sich dann die Energie auf und wird in einer Art Shouting losgelassen. Ein unglaublich befreiendes Gefühl. 

Continua führt erfolgreich weiter, was auch schon die Vorgänger liefern. Auch hier wird ein hypnotischer Beat zur Grundlage des Songs ehe er am Ende nochmal an voller Dramatik zunimmt. Ein wunderbares Kontrastprogramm bietet am Ende die sphärische Elektroballade Chaos. Hier werden noch einmal die ruhigen langen Synthieklänge in der Vordergrund gerückt und so gelingt die sanfte Landung nach einem Flug mit ordentlichen Turbulenzen vorher. 

crème solaire liefern auf ihrem 3. Album eine sehr starke Leistung ab. Tanzen als Protestform gegen die Zerstörung der Umwelt ist eine gute Idee. Dabei machen sie ihrem Ärger gesanglich auch gerne mal Luft und schreien ihre Wut nur heraus. Das wird allerdings umrandet von eingängigen Hooks und treibenden Beats. Man kann eigentlich kaum erwarten, diese Band mal live zu sehen. Das Mischen der Sprachen ist zunächst ungewohnt und macht es auch nicht wirklich einfach herauszuhören oder zu übersetzen, was eigentlich gerade textlich vermittelt wird. Dennoch ist die Idee, sich in der kulturellen Ausdrucksform nicht durch eine Sprache einschränken zu lassen, faszinierend und trägt zu einem sehr starken Alleinstellungsmerkmal herbei. So macht Protest Spaß.


Label: Irascible Records
Veröffentlicht am: 22.03.2024
Interpret: crème solaire
Name: Cemento
Online: Zur Seite des Interpreten.