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49th & Main – Happy Tears

Rezensiert von on 18. Juni 2025

       

„Es sollte echt ein Wort für dieses Gefühl geben (…) So was wie Euphancholie. Einerseits zerreißt’s dich vor Glück, gleichzeitig bist du schwermütig, weil du weißt, dass du was verlierst oder dieser Augenblick mal vorbei sein wird. Dass alles mal vorbei sein wird.“

Diejenigen unter euch, die sich dem Benedict Wells Hype der letzten Jahre nicht entziehen konnten, werden dieses Zitat vermutlich kennen. Und auch den Leuten, die sein Buch „Hard Land“ nicht gelesen haben, ist dieses Gefühl, das Wells mit seiner Wortneuschöpfung Euphancholie einzufangen versucht, vielleicht nicht fremdEin Gefühl zwischen der Euphorie eines Moments und der gleichzeitigen bittersüßen, melancholischen Erkenntnis, dass ebendieser nicht für immer währen kann.

Das irische Duo 49th & Main, das sich aus dem Produzenten Ben O’Sullivan und dem Sänger und Multi-Instrumentalisten Paddy King zusammensetzt, haben versucht, genau diese Dualität der euphorischen Melancholie musikalisch umzusetzen. Auf ihrem Debütalbum „Happy Tears“, das am 13. Juni 2025 erschienen ist, befassen sie sich mit genau diesen Momenten. Momente, in denen man am liebsten für immer verweilen würde und die dadurch umso schwieriger loszulassen sind. 

“I’ve always been plagued by nostalgia my whole life … At any one time, no matter how good things are going, I’ve always looked towards the past with envy. Even some of the worst times in my history I will look back upon fondly. I was watching the US Office recently, as one often does and a quote from Andy stuck with me. ‘I wish there was a way to know you’re in the good old days before you’ve actually left them.’ We can all relate to this sentiment.”

– Ben O’Sullivan

Mit „Happy Tears veröffentlichen 49th & Main ein Debütalbum, das sich über 21 Tracks hinweg als klangliche Spielwiese zwischen Electro-Indie-Pop, UKG, Jazz-House und atmosphärischen Zwischenspielern entfaltet. Ein Coming-of-Age Roman in Albumform. Damit bleiben Ben O’Sullivan und Paddy King ihrem experimentellen Charakter treu. 49th & Main – der Bandname stammt von ihrer Unterkunft an der Ecke 49th Avenue und Main Street in Vancouver, wo im Sommer 2019 auf einer Reise mit Freunden alles begann – hat sich über die letzten Jahre zu einem internationalen Act entwickelt. Mit Features wie mustbejohn, Brandon Nembhard oder SHEE integriert die Band aus Irland soundtechnisch neue Einflüsse, ohne ihre Handschrift zu verlieren.


Der Opener vom Album, „Good Times“, setzt den Grundton für die Reise, auf die sich 49th & Main in den nächsten 58 Minuten und 54 Sekunden begeben werden. „Cause it’s all the good times/ I want to be there when I die“ singt Paddy King über die treibende Bassline. Es ist dem*der Hörer*in überlassen, wie intensiv man dabei selbst im inhaltlichen Motto eintaucht. Der Song kann als entspannter Feel-Good-Track bei der nächsten Zugfahrt als Hintergrundmusik dienen, gibt aber gleichzeitig einen ersten Einblick in das zugrundeliegende thematische Konzept des Albums. Er tanzt leichtfüßig auf diesem kleinen Flecken anfänglicher Euphorie, wirft aber auch die Frage auf, was wohl danach kommen wird. Du entscheidest selbst, ob du es dir zutraust, diese Reise mit anzutreten. „Welcome Aboard“! Solange du ein gültiges Ticket dabei hast, geht es also jetzt in Richtung ‘Nowhere’.

You are welcome onboard this ‘Happy Tears’ overnight service to ‘Nowhere’

Failure to present a valid ticket will result in a fine of up to six Hail Mary’s.

Track 2 – Welcome Aboard

Bevor man sich allerdings zurücklehnen und entspannt die Szenerie an sich vorbeiziehen lassen kann, folgt ein Track, der nicht fehlen darf, wenn wir über diese berühmt-berüchtigten Marmeladenglasmomente philosophieren wollen. Also, „Let’s rewind/ Hold onto this moment baby“. Mit „Rewind“ folgt ein Song, der thematisch zwar auf der Hand liegt, musikalisch aber deswegen nicht weniger Spaß macht. Und sind wir mal ehrlich, wer hat sich nicht schonmal gewünscht, die Zeit zurückdrehen zu können, nur um diesen einen Moment noch einmal zu erleben?

System Message
Here are your entertainment options for this eve–
You have chosen ‘Happy Tears’.
This media may cause euphoria, paranoia, anxiety, shame, fulfilment and possibly hunger.
Do you wish to continue?
Track 4 – Possibly Hunger

Wenn man die Nebenwirkungen von „Happy Tears“, die einem von einer roboterartigen, teils gruselig-verzerrten Stimme vorgelesen werden, in Kauf genommen hat, erwarten einen drei Songs, die soundtechnisch alle in verschiedene Richtungen gehen. „Most Days“  greift den lässigen Sound vom Opener auf und verfeinert ihn im Refrain mit Bläserinstrumentals, „Happy Days“ hingegen glänzt in einem hochpolierten Electro-Pop-Gewand. Das lyrische Du auf dem Beifahrersitz, strahlender Sonnenschein und das Versprechen einer guten Party liegt in der Luft – jede*r der mindestens einen Coming-of-Age-Film gesehen hat, kann sich diese Szenen im Kopf ausmalen. Klar, dass es in diesen vielen, glücklichen Tagen auch eine tragische Liebesgeschichte geben muss. „Was holding onto something/ while you seem not to care/ If all we were was nothing/ Why does it hurt so much“. Mit A Little Sound als Feature auf „Can’t Walk Away“ findet hier auch ein Hauch Drum and Bass Einzug in die Soundpalette von „Happy Tears“

Reminder
Don’t ever be reckless with someone else’s heart
Track 8 – Some Advice

Auffällig am Album ist, dass der Musik-Flow immer wieder durch kurze Einschübe unterbrochen wird. Da gibt es am Anfang diesen ersten Einspieler, der an eine Zugdurchsage erinnert und die Assoziation der Reise aufmacht. Da gibt es einen sechssekündigen Ratschlag, nicht rücksichtslos mit dem Herzen einer anderen Person umzugehen. Da gibt es in der Mitte des Albums einen überlagerten Zusammenschnitt von Stimmen, der klingt als könne er unter einer VHS-Aufnahme aus längst vergessenen Kindertagen liegen. Beim erstmaligen Hören wirkte das alles wie eine willkürlich zusammengewürfelte Aneinanderreihung von Soundschnipseln. Wie ein halbherziger Versuch, den klanglich abwechslungsreichen Songs ein noch bunteres Gerüst zu verpassen, ohne dabei wirklich einen roten Faden zu erzeugen. Je mehr man sich allerdings auf das Album einlässt, desto unwichtiger scheint die Frage danach, was diese Interludien denn nun bedeuten oder bezwecken sollen. Stattdessen gewinnen sie aus ihrer anfänglichen Verworrenheit mit den Songs nach mehrfachem Hören immer mehr an Kontur und werden zu einer Art Parallelgeschichte. Wie kleine Inseln tauchen sie immer mal wieder auf, um einen kurzen Moment des Innehaltens zu ermöglichen, bevor die Musik wieder Fahrt aufnimmt.

© Devon Kuziw

„Hold On“ (feat. SHEE) hat einen tranceähnlichen Charakter und zieht mit pulsierendem House‑Beat eine unbestreitbare Tanz-Energie ins Album. „Glenmalure Blue“ verwebt ein jazziges Saxophon‑Motiv mit verträumtem House‑Ambiente und befasst sich thematisch mit dem Gegenspieler der glücklichen Momente – „been feeling so blue ‘bout you / … don’t think I can do this again“ (da hat wohl jemand den Advice aus Track 8 nicht bekommen). „Self Sabotage“ markiert einen dunkleren, Soul‑ und R&B‑eingefärbten Höhepunkt: ein House‑Track mit emotionalem Unterton über Selbstzerstörung.  Der Song verdichtet diese Thematik zu einer introspektiven Momentaufnahme, getragen von der fast flehenden Wiederholung der Bitte, dass jemand beim Durchbrechen des toxischen Kreislaufs hilft. Dem gegenüber steht ein funky Drum-Beat, der streckenweise durch Flötensounds ergänzt wird. Selbstsabotage war selten so tanzbar!


SYSTEM MESSAGE
Type your query into the keyboard provided
Please refrain from use of profanity –
Yes, these are in fact the good old days
Track 15 – Percontation

Es gäbe definitiv noch eine Menge über die Songs vom Album zu erzählen. Manche Reisen muss man allerdings auch einfach selbst antreten (und es wäre ja auch irgendwie langweilig, wenn man bereits im Vorhinein schon weiß, was einen alles erwartet). „Happy Tears“ ist ein Album, das sich Zeit lässt – zum Ankommen, zum Wachsen und zum Wirken. 49th & Main gelingt es, aus der Dualität von Euphorie und Melancholie ein atmosphärisches Gesamtkunstwerk zu formen. Die Tracks changieren zwischen tanzbarem House, introspektivem Bedroom-Pop, UKG-Energie und jazzigen Tagtraum-Passagen. Textlich und inhaltlich erfinden sie das Rad hier vielleicht nicht umbedingt neu, müssen sie aber auch gar nicht. Ben O’Sullivan und Paddy King haben ein Gefühl konserviert, das sich vielleicht am ehesten eben doch mit dem Wort Euphancholie beschreiben lässt. „Happy Tears“ ist ein Soundtrack der die schönen Momente festhält, aber auch gelernt hat, sie loszulassen und am Ende genau da trifft, wo Musik manchmal am besten wirkt: im Jetzt. Und ja, vielleicht sind gerade jetzt diese „good, old days“, von denen Andy Bernard gesprochen hat.


Label: Counter Records
Veröffentlicht am: 13.06.2025
Interpret: 49th & Main
Name: Happy Tears
Coverbild: Counter Records


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